Nummer 361/362 - Juli/August 2004 | Venezuela

Venezuela vor dem Referendum

Oppositionelle Zweifel trotz Etappensieg

Nachdem der Durchführung des Referendums gegen Hugo Chávez stattgegeben wurde, gibt sich die Opposition vordergründig siegessicher. Tatsächlich sind ihre Chancen, Neuwahlen im Herbst zu erreichen, nicht gestiegen, denn Chávez ist auf einem neuen Höhepunkt seiner Popularität angekommen.

Markus Plate

Hugo Chávez macht Wahlkampf: Denn der Nationale Wahlrat Venezuelas hat grünes Licht für ein Referendum gegen den Präsidenten gegeben. Am 15. August wird sich entscheiden, ob Hugo Chávez seine volle Amtszeit beenden kann, oder ob im September ein neuer Präsident gewählt wird. Die oppositionelle Coordinadora Democrática, ein Zusammenschluss vor allem der Parteien, die das ehemalige politische Establishment vertreten, wittert seit Anfang Juni Morgenluft. Sie hat ein Referendum gegen Chávez erzwungen – ihr erster Erfolg nach einer Reihe von Wahlniederlagen, einem gescheiterten Putschversuch und einem erfolglosen Generalstreik.
Enrique Mendoza, der zur Zeit aussichtsreichste Oppositionspolitiker, scheint fest an einen Durchmarsch der Chávez-Gegner – und vielleicht seinen eigenen – bis ins Präsidentenamt zu glauben: „Wir werden in diesem Referendum erfolgreich sein. Wir wollen diese ganze Logik des Klassenkampfes und des Hasses beenden. Wir werden bis zum Ende kämpfen und ich bin sicher, dass die Bürger diesen Kampf auch gewinnen werden.“ Millionen würden im August gegen den Präsidenten stimmen, prophezeit Mendoza.
Das sehen chavistische Politiker wie der Abgeordnete der Nationalversammlung, Luis Tascón, ganz anders. Vier Millionen Stimmen plus X ist das Ziel. „Wir sind absolut sicher, dass der Präsident aus dem Referendum als Sieger hervorgehen wird und dass sich die Anstrengungen der Opposition als fruchtlos erweisen werden.“
Die Opposition jongliert gegenüber ihrer Klientel und internationalen Gästen gerne mit Zahlen und Schreckensbildern. Arbeitslosigkeit, Korruption und Verbrechen hätten enorme Ausmaße angenommen, rattert die oppositionelle Propaganda. Die Realität steht dem oft entgegen: Die Arbeitslosigkeit erreichte ihren Höhepunkt nach dem Unternehmerstreik und ist seither wieder rückläufig. Die Wirtschaft wächst zweistellig und diversifiziert sich. Das Pfund aber, mit dem Chávez wuchern kann, sind die Bildungs- und Gesundheitsprogramme der Regierung. Diese misiones sind der Grund dafür, dass sich Chávez in Venezuela weiterhin großer Unterstützung erfreut.

„Wir wollen nicht verlieren“
Nach einem Tiefpunkt Mitte letzten Jahres ist die Popularität des Präsidenten wieder auf über vierzig Prozent gestiegen. Damit liegt Chávez vor jedem potenziellen Herausforderer. Die Chávez Partei MVR und der kleinere Partner Podemos sind daher entschlossen, ihre Basis zu mobilisieren, um sich der Opposition im Referendum zu stellen. Die ChavistInnen könnten dem Referendum auch fernbleiben und darauf hoffen, dass die Opposition an der 3,8-Millionen-Hürde scheitert, die sie zur Abwahl Chávez’ mindestens überspringen muss. Für Luís Tascón aber wäre dies ein fatales Signal: „Man stelle sich vor, die Opposition schafft zum Beispiel nur dreieinhalb Millionen. Wir rufen aber nicht zum Referendum auf. Und dann steht es plötzlich 3,5 Millionen für die Opposition zu 500.000 für uns. Damit verlieren wir – zumindest politisch. Aber wir wollen nicht verlieren. Und deswegen müssen wir mehr Stimmen bekommen als die.“

Carters Zähmung der privaten Medien
Da gerade in den Armenvierteln die Unterstützung für Chávez groß ist, sollte die Vier-Millionen Grenze für die chavistas eigentlich leicht zu passieren sein. Jedoch macht die Ausgrenzung großer Bevölkerungsschichten auch vor dem Wahlsystem nicht Halt. Wählen dürfen grundsätzlich alle, die sich im Besitz eines venezolanischen Ausweises befinden. Doch Arme werden diskriminiert. Laut Jorge Rodríguez, Mitglied des Nationalen Wahlausschusses CNE, gibt es hinsichtlich der Dichte von Wahlbüros gewaltige Unterschiede. Während in wohlhabenden Stadtteilen auf Tausend EinwohnerInnen ein Wahlzentrum in der Nähe komme, müssten Arme zum Teil weit reisen, um dann in langen Schlangen zu warten, bevor sie ihre Stimme abgeben könnten. Arme sollten so entmutigt und vom Wählen abgehalten werden. Auch hätten viele Arme keine oder abgelaufene Ausweise, weil auch deren Ausstellung oder Verlängerung für die Armen schwieriger sei, als für die Ober- und Mittelschicht. Beides will die Regierung nun schnell ändern. Warum dies in fast fünf Jahren Regierungszeit noch nicht geschehen ist, erklärte Rodríguez nicht.
Sollte es Chávez gelingen, seine AnhängerInnen zu motivieren, dürfte das Ergebnis des Referendums einer Ohrfeige für die Opposition gleichkommen. Ohne deren Möglichkeit, wie bei der vorangegangenen Unterschriftensammlung massiv zu fälschen, gilt selbst das Erreichen der 3,8 Millionengrenze als unwahrscheinlich. Das mag ein Grund dafür sein, dass sich exponierte Chávez-GegnerInnen plötzlich moderater geben. Die privaten Medien Venezuelas, die seit Chávez’ Amtsantritt nicht nur exklusives Sprachrohr der Opposition sind, sondern bisweilen Anführer putschistischer Bestrebungen waren, zeigen sich derzeit dialogbereit. Nicht nur soll es unter Moderation des Carter Centers regelmäßige Gespräche zwischen der Regierung und Vertretern der privaten Medien geben. Vor einigen Tagen fand nach Presseberichten gar ein Treffen des Medienmoguls Gustavo Cisneros mit Hugo Chávez statt, vermittelt durch den ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter. Die beiden Intimfeinde sollen sich verständigt haben, dass zur Überwindung der Krise ein nationaler Dialog nötig sei und dass sich Regierung und Medien des Landes um ein Klima bemühen sollten, das ihrem Bekenntnis zur Einhaltung verfassungsgemäßer Prozesse gerecht wird. Es bleibt abzuwarten, was aus solchen Vorsätzen wird. Aber dass sich Venezuelas private Medien zur bolivarianischen Verfassung bekennen, ist ein Indiz dafür, dass zumindest Cisneros nicht an einen oppositionellen Sieg im Referendum glaubt.

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