Chile | Nummer 501 - März 2016

VERDORBENE FISCHEREI

Interview mit Miguel Hernández über die Situation der Fischerei in Chile

Überfischung, Korruption und neue Gesetze. Um die Fischerei, insbesondere die Kunsthandwerksfischerei, ist es in Chile nicht gut bestellt. Darüber und über die Probleme der Regulierung der Fischerei in Chile sprachen die LN mit Miguel Hernández, Fischer und Gewerkschafter aus San Antonio.

Von Interview: David Rojas-Kienzle

Welche Art von Kämpfen führt Ihre Gewerkschaft gerade?
Im Moment geht es vor allem um das neue Fischereigesetz – das „Longueira-Gesetz“, die Schleppnetzfischerei und die allgemeine Gesetzgebung bezüglich der Fischerei. Diese Politiken und Gesetze sind sehr kurzfristig gedacht. Zum Beispiel die Vergabe der Fangquoten: Die wissenschaftliche Kommission legt einen Rahmen für die Fangmenge fest, ein Minimum und Maximum, und die Quoten werden immer bis zum Höchsten ausgereizt. Die Regierung und die Autoritäten reden von Nachhaltigkeit. Was aber hat das zu bedeuten, wenn zum Beispiel die Fangquote für Humboldtkalmare von der Kommission auf 160.000 bis 200.000 Tonnen festgelegt wird? Wir appellieren, dass die Quote auf 160.000 Tonnen beschränkt wird um nachhaltig fischen zu können, letztlich wird sie aber auf 200.000 Tonnen festgelegt.

Und welche Konsequenzen hat das?
Zusammen mit der Schleppnetzfischerei führt das dazu, dass die Fangmengen immer kleiner werden, und auch die einzelnen Fische immer kleineren Kalibers sind. Die Fische wachsen nicht mehr bis zur Geschlechtsreife, was dazu führt, dass ganze Populationen kollabieren und sich nicht mehr reproduzieren.
Bei der merluza (Schwarzer Seehecht, einer der in Chile beliebtesten Speisefische, Anm. d. Red.) zeigt sich das am besten. Jedes Jahr sinkt die Biomasse dieser Fischart in ganz Chile um sechs Prozent, wir schätzen, dass die Zahl hier in der fünften Region sogar bei circa 30 Prozent liegt – eine Folge der Schleppnetzfischerei. Hier in der fünften Region operieren etwa zehn große Garnelenfischerboote. Der Lebensraum der merluza ist der gleiche wie der der Garnelen. Die Seehechte gehen als Beifang ins Netz und werden dann einfach über Bord geworfen. Die Regierung sagt dazu, „man muss weniger fangen, um besser zu verkaufen“. Aber die Frage ist: Haben die Armen kein Recht zu essen? Soll nur die Elite das Recht haben die teure merluza zu essen?

Was ist das Problem mit dem „Longueira-Gesetz“?
Das grundsätzliche Problem ist die Frage danach, wem die natürlichen Ressourcen gehören. Wir fragen uns, wie das gehen soll: „Hier hast du die Ressourcen für die nächsten 20 Jahre, und wenn du dich gut verhältst bekommst du sie gleich für die nächsten 20 Jahre.“ Das Gesetz hat dazu geführt, dass große Unternehmen über Generationen hinweg die Fangquoten bekommen. Das wird dann nur alle zehn Jahre überprüft! Die Ressourcen werden dann nicht vom Staat, sondern von Privatunternehmen verwaltet.

Es gibt ja auch große Vorwürfe dazu, wie das Gesetz zustande gekommen ist.
Das Gesetz ist mit viel Korruption verabschiedet worden. Es laufen auch schon Gerichtsverfahren deswegen. Die CORPESCA, die zur Angellini-Gruppe gehört, hat den Abgeordneten praktisch diktiert, wie die abstimmen sollen. Der Senator Fulvio Rossi von der sozialistischen Partei, der Senator Jaime Orpis von der UDI oder Clemira Pacheco, auch von der Sozialistischen Partei, haben 140 Millionen Pesos (ca. 180.000 €, Anm. d. Red.) erhalten. Es reicht schon, die Bücher anzuschauen um zu sehen, dass das Korruption ist. Alle an der Gesetzgebung Beteiligten waren pro-Industrie, und Leute von der Sozialistischen Partei gehen Hand in Hand mit denen der ultrarechten UDI.

Denken Sie, dass die Möglichkeit besteht gegen das Gesetz vorzugehen?
Ich glaube, dass wir von den sozialen Bewegungen die notwendigen Veränderungen erreichen müssen. Alles ist verdorben. Wie kann es sein, dass eine Genossin von der Sozialistischen Partei zusammen mit der UDI die Interessen der großen Unternehmen verteidigt?
Ich bin zum Beispiel Mitglied des Nationalen Rates der Fischerei. Das ist eine Mafia! Zum Beispiel was den Kabeljau betrifft, der im Moment pro Kilo 14.000 Pesos kostet (circa 20 €). Eigentlich sind Fabrikschiffe, also Schiffe, die den Fang schon auf See verarbeiten, verboten. Jetzt wurde aber auf einmal so ein Schiff von Globalpesca für den Fang von Kabeljau zugelassen. Und das, obwohl von dieser Firma vor Kurzem 7.500 Tonnen Fischmehl, also 42.000 Tonnen unverarbeiteter Fisch beschlagnahmt wurden, weil bei der Deklarierung sämtliche Schritte übergangen wurden. Das Ganze ist auch nur rausgekommen, weil es Streit in der Firma gab und jemand das angezeigt hat. Wie soll ein Schiff auf hoher See kontrolliert werden, wenn es nicht mal möglich ist, eine Firma zu kontrollieren? Die Fischerei in Chile ist verdorben, die Industrie kann machen was sie will. Es gibt auch einen großen Unterschied zwischen dem was gefangen, dem was ausgeladen und dem was deklariert wird. Die Autoritäten nehmen aber nur das zur Kenntnis, was deklariert wird.
Gleichzeitig werden auch die Kunsthandwerksfischer gezwungen, zu lügen. Wenn man die Lizenz für einen bestimmten Fischgrund hat, aber über einen längeren Zeitraum nichts fängt, wird einem die Lizenz weggenommen. Was macht man also? Man deklariert, dass man gefangen habe, um die Lizenz zu behalten.

Und welche Rolle nimmt die Kunsthandwerksfischerei in diesen Fragen ein?
In der Fischerei gibt es verschiedene Zustände von Fischgründen: Erholt, in Nutzung, überfischt und kollabiert. Es gibt also ein Limit, was nicht überschritten werden darf, damit Fanggründe sich erholen können. Wenn dieses Limit erreicht wird, müssen Fanglizenzen ausgeschrieben werden. Das Problem sind die Ausschreibungen. Die Kunsthandwerksfischer können hier nicht mitbieten, obwohl es eigentlich so sein sollte, dass dann genau sie, die selektiver fischen, die Lizenzen bekommen. Wir Kunsthandwerksfischer würden dieses Limit nie überschreiten. Wir kümmern uns um die Fischgründe.

Denken Sie, dass die Kunsthandwerksfischerei noch eine Zukunft hat?
Die Situation ist komplex. Ich denke nicht, dass wir verschwinden werden. Es wird immer Kunsthandwerksfischerei geben, wenn auch in kleinerem Maße und eher zum Zweck des reinen Überlebens. Aber es wird immer Leute geben, die auf‘s Meer hinausfahren. Was bleibt uns sonst auch übrig? Wir müssen eben gegen dieses verdammte Gesetz kämpfen.

 

Miguel Angel Hernández

(56) ist Fischer in der Bucht von San Antonio, in der fünften Region, in der auch der größte Frachthafen Chiles liegt. Er repräsentiert die Kunsthandwerksfischer im Puertecito, ist Mitglied der Fundación Nuevo Amanecer, der Föderation der Gewerkschaften der Kunsthandwerksfischer der fünften Region, sowie Mitglied des Nationalen Rates der Fischerei in Chile.

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