Brasilien | Nummer 403 - Januar 2008

Viel Beton für Amazonien

Grünes Licht für Großstaudamm am Rio Madeira birgt Konfliktpotenzial

Der 10. Dezember 2007 wird wohl als ein Schicksalstag in die jüngere Geschichte Amazoniens eingehen. In nur wenigen Minuten war die Lizenz zum Bau des Staudamms Santo Antônio am Rio Madeira versteigert. Nach fast 30 Jahren wird damit zum ersten Mal wieder ein Großstaudammprojekt im Amazonasgebiet umgesetzt. Brasiliens Wachstumskurs braucht Energie – so die Regierung. In Zeiten heftiger Diskussionen über den Klimawandel gilt Wasserkraft zudem als „saubere“ Energie.

Thomas Fatheuer

Der Widerstand gegen das am Xingu Fluss geplante letzte große Staudammprojekt in Amazonien war 1990 aufgrund nationaler und internationaler Proteste noch erfolgreich. Damals gab Gordon Matthew Sumner alias Sting dem Protest noch seine Stimme. Jetzt jedoch dominieren die Stimmen der feiernden Staudammlobby. „Ich werde ’ne ganze Menge Champagnerflaschen köpfen, denn nun tritt Brasilien in eine neue Phase der wettbewerbsfähigen Energie ein”, jubelt Mauricio Tolmasquim, Chef der Energieplanungsbehörde EPE. Und Tolmasquim hat nicht Unrecht, wenn er feststellt: „Diese Versteigerung ist ein historisches Datum, weil sie ein Signal ist, dass Brasilien nicht die Tür für sein Wasserkraftpotenzial in Amazonien geschlossen hat.“
Soziale Bewegungen hatten es am Morgen des 10. Dezember noch geschafft durch Proteste und eine Gebäudebesetzung den Beginn der Versteigerung hinauszuzögern. Nach dem brutalen Einsatz und der Räumung durch eine Spezialeinheit der Polizei ging dann alles ganz schnell. Die Lizenz für Santo Antônio mit einer Leistung von 3.150 Megawatt (MW) ersteigerte das von dem staatlichen Energieversorger Furnas und der Baufirma Odebrecht angeführte Konsortium. Der angebotene günstigste Lieferpreis für die zu produzierende Energie garantierte den Erfolg. Damit sind zunächst alle Versuche das Staudammprojekt zu stoppen, gescheitert. Es gab zwar eine Reihe von regionalen Protesten und Aktionen – aber für eine große nationale oder gar internationale Kampagne hat es nicht gereicht. Zur sehr hat wohl das propagandistische Feuerwerk der Regierung gewirkt, dass der Bau neuer Großstaudämme unvermeidlich sei, um die Energiesicherheit des Landes zu garantieren. Das Comeback der Staudämme wird durch die Klimadebatte begünstigt, die Wasserkraft – ebenso wie Atomenergie – als saubere Energie einstuft, weil sie wenig Kohlendioxid freisetzt.
Die Kosten für den Staudammbau veranschlagt das ausführende Konsortium auf etwa sechs Milliarden US-Dollar. Im Mai 2008 soll der zweite Staudamm am Rio Madeira (Jirau), dem größten Zufluss des Amazonas, versteigert werden, mit einer etwas höheren Leistung von 3.300 MW. Damit kommt das Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) in Amazonien in Fahrt. Der Staudamm am Rio Madeira ist das bisher größte Einzelprojekt des PAC und repräsentiert perfekt die Philosophie des Programms: 49 Prozent beträgt die Beteiligung staatlicher Firmen (Furnas und Cemig) am Konsortium, der größte Teil der Finanzierung wird durch die staatliche Entwicklungsbank BNDES garantiert, den Rest besorgt die am Konsortium beteiligte spanische Banco Santander. Diese enge Verbindung zwischen Privat- und öffentlichem Sektor zugunsten einer offensiven Wachstumspolitik soll das Markenzeichen der zweiten Regierung Lula werden.
Zwar versuchen Betreiber und Regierung die Staudämme am Rio Madeira als eine neue Generation mit geringeren Umweltschäden zu verkaufen, aber die Probleme sind doch die altbekannten: Umsiedlung von Menschen, Überschwemmung von Regenwald, Einfluss auf Gebiete indigener Bevölkerung, schwerwiegende Schädigung des Flussökosystems und ein unkontrollierbarer Siedlungs- und Wachstumsschub für die Region. Erste Zahlen für die Saison 2007/08 zeigen bereits jetzt ein exorbitantes Ansteigen der Entwaldungsraten im Bundesstaat Rondonia. Die landwirtschaftliche „Entwicklung“ der Region zählt zu den ausdrücklichen Zielen des Staudammprojekts. Alle bisherigen Erfahrungen lehren, dass dies vor allem die Ausweitung des Anbaus von Monokulturen wie Soja sowie der Viehzucht bedeutet.
Diese Konsequenzen sind von UmweltschützerInnen und sozialen Bewegungen dargestellt worden. Der Erfolg blieb bescheiden. Zu stark ist ein großer „Wachstumsblock“, der fast schon wie eine Einheitsfront für Wachstum fungiert und aus einem Bündnis von UnternehmerInnen, Regierung, Mehrheit der Gewerkschaften und vielen linken Kräften besteht, die in der wachstumsorientierten Regierungspolitik die Überwindung des „neoliberalen Modells“ sehen.
Dennoch geben sich die KritikerInnen noch nicht ganz geschlagen. Die Versteigerung erfolgte (wie üblich) auf der Basis einer „vorläufigen Umweltlizenz“. Damit können noch neue Aspekte in das Genehmigungsverfahren eingebracht werden, und es besteht auch weiterhin die Möglichkeit, juristisch gegen das Projekt vorzugehen. Aber angesichts der Macht des Faktischen werden diese Handlungsspielräume wohl allenfalls das Vorhaben verzögern. Es besteht auch noch die Hoffnung, dass Bolivien auf die brasilianische Regierung Druck ausüben könnte, denn die Auswirkungen auf das Nachbarland sind im bisherigen Genehmigungsverfahren systematisch unterschlagen worden. Proteste der Regierung und der sozialen Bewegungen Boliviens waren die Folge, die bisher allerdings von brasilianischer Seite ignoriert wurden.
Die brasilianische Regierung hat wiederum Recht, wenn sie die erfolgreiche Versteigerung als Epochenwende für Amazonien bezeichnet. Denn Santo Antônio ist nur der Anfang. Jetzt werden mit neuem Schwung auch andere Staudammprojekte angegangen, allen voran Belo Monte am Xingu Fluss, das mit einer Leistung von 11.000 MW das mit Abstand größte der geplanten Wasserkraftwerke ist. Belo Monte soll 2010 versteigert werden ebenso wie Marabá (Rio Tocantins, 2.160 MW) und São Luis (Rio Tapajós, 9.000 MW). In den nächsten drei Jahren werden zudem weitere Projekte für Amazonien vorbereitet, die 43.360 MW produzieren sollen, was der Leistung von etwa 56 Atomkraftwerken vom Typus des zusätzlich geplanten Meilers Angra 3 entspricht. Dieser schier unvorstellbare Gigantismus hat durch die Versteigerung von Santo Antônio die Dimension einer realen Drohung erhalten.
Die Regierung Lula zeigt aber nicht nur in der Staudammfrage einen fatalen Hang zu „big is beautiful“. Die Ausweitung der Monokulturen für Agrar­treibstoffe, grünes Licht für das Atomkraftwerk Angra 3, der Beginn der Arbeiten zur Umleitung des Rio São Francisco – alles folgt derselben Logik einer bedingungslosen Wachstumspolitik, die auf Großprojekte setzt und lokale Ansätze genauso ignoriert wie Umweltaspekte. Ironischerweise nutzt aber die Regierung die globale Klimafrage als Rechtfertigung für diese Ansätze. Das Beispiel Brasilien zeigt, dass die Reduzierung der globalen Umweltkrise auf die Minderung von CO2-Emissionen fatale Konsequenzen haben kann.

Mehr Informationen unter www.irn.org

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