Viel Land, viel Streit
Über die Front der fossilen Rohstoffindustrie im Amazonasgebiet von Peru
Amazonien soll verkauft werden – zunächst einmal als globale Tourismusmarke. Die Initiative Destino Amazonía 2009 will den fragilen und bedeutenden Naturraum mehr ins globale Bewusstsein und weltweit auf die Tourismusmärkte tragen. Träger der Initiative sind die acht Anrainerstaaten der Organisation des Amazonasbeckens (OCTA), zu denen auch Peru gehört.
Für die indigenen Achuar-Gemeinden in der Region Loreto, im nordöstlichen Amazonasgebiet von Peru, wurde Amazonien bereits Anfang der 1970er Jahre verkauft. Das geschah ganz ohne ihre Zustimmung. Die Marke Amazonien würden sie nach ihren Erfahrungen mit der Erdölindustrie sicher anders definieren: „Die Verschmutzung ist in der Luft und in den Flüssen; sie ist in den Fischen, in den Dingen von denen wir leben, in dem was wir essen, um zu überleben,“ so das Zeugnis eines Achuar, dokumentiert in einer jüngeren Studie „A Legacy of Harm“ der NRO EarthRights International. 1971 erhielt die US-amerikanische Unternehmen Occidental Petroleum vom peruanischen Staat die Rechte für die Erdölerkundung in einer rund 500.000 Hektar großen Konzession (Block 1AB). Diese erstreckte sich zwar über die Territorien der Achuar-Gemeinden. Das jedoch interessierte weder die peruanische Regierung noch das Unternehmen. Für die Achuar folgte eine Existenz unter der Dominanz des Unternehmens. Ihre Lebensgrundlagen wurden verschmutzt, die Gesundheit und das Leben vieler Achuar zerstört. Der peruanische Staat wusste um die Situation vor Ort. Regierungsbehörden stuften die Region in Studien als „die am meisten umweltgeschädigte Region“ (1984) und „eine der hinsichtlich ihres Umweltzustandes kritischsten“ (1996) ein. Jedoch hat sich bis heute an der Situation nichts geändert. Die Forderungen an Occidental Petroleum bestehen weiter fort, auch wenn das Unternehmen die Konzession im Jahr 2000 an die argentinische Pluspetrol verkaufte. Occidental soll die Verschmutzungen im Einzugsgebiet des Corriente Flusses beseitigen und die betroffenen Gemeinden entschädigen, so die Achuar.
Trotz der Jahrzehnte der Ölförderung im Norden ist Peru jedoch noch kein Land mit relevanter Erdöl- oder Erdgasproduktion. Öl muss nach wie vor importiert werden. Projekte wie das riesige Camisea-Erdgasprojekt im Süden zeigen hier jedoch eine Wende an. Und das InvestorInnenauge sieht die riesige zur Verfügung stehende Landfläche im Amazonasgebiet, die sich auf knapp zwei Drittel der Landesfläche beläuft. Doch gibt es dort bereits andere Nutzungen und NutzerInnen. Das peruanische Amazonasgebiet ist Lebensraum für ungefähr drei Millionen Menschen. Darunter sind um die 350.000 Angehörige indigener Gruppen und Völker. Seit 1974 wurden in Peru Landrechte auf circa zwölf Millionen Hektar für nahezu alle der rund 1.500 indigenen Gemeinschaften, Gruppen und Völker des Amazonasgebietes festgelegt und eingeschrieben. Fünf territoriale Reservate wurden eingerichtet, die als Schutzgebiete für indigene Gruppen fungieren sollen, die in freiwilliger Isolierung leben; weitere sind seit 2003 beantragt. Rund 20 Prozent der Flächen des Amazonasgebietes gehören zum System der Naturschutzgebiete Perus. Aber der Druck auf das scheinbar so „leere“, da dünn besiedelte, Gebiet wächst: Neben Erdöl- und Erdgasvorkommen, locken Holz und mineralische Rohstoffe global agierende InvestorInnen und Unternehmen, um die weltweite Nachfrage und eigene Profitansprüche zu befriedigen. Auch die Landgewinnung für den Anbau von Agrokraftstoffen ist in den Blickpunkt geraten.
Was die Achuar schon seit Jahrzehnten erlebt haben, steht anderen sehr wahrscheinlich noch bevor. Denn Perus Erdölsektor wird seit ein paar Jahren sehr dynamisch entwickelt, was die Vergabe von Verträgen für Konzessionsflächen zur Erkundung und Ausbeutung von Erdöl und Erdgas angeht. Jahr für Jahr werden durch das staatliche Unternehmen PeruPetro neue Flächen ausgeschrieben und vergeben. Die diesjährige Vergaberunde eingerechnet, bestehen jetzt 59 aktive Konzessionen für Erdöl- und Erdgaserkundung. Von diesen wurden allein 51 in den letzten fünf Jahren vergeben. Insgesamt decken die Konzessionen aktuell einen Anteil von knapp 70 Prozent des peruanischen Amazonasgebietes ab, wo sich mittlerweile transnationale Konzerne aus zahlreichen Ländern tummeln. Die aktiven Konzessionen überdecken jetzt enorme Gebiete in Westamazonien, das weltweit zu den Gebieten mit der größten Artenvielfalt zählt, was sich insbesondere auf Baum-, Insekten- und Amphibienarten bezieht.
Konfliktpotenzial liegt nicht allein in einer weiter in den Naturraum Amazoniens vorrückenden Rohstoffindustrie. Es wird bereits geschaffen durch die Art und Weise, wie die Konzessionen bemessen, ausgeschrieben und vergeben werden. Allein 20 der Konzessionsblöcke überlappen mit 11 weniger stark geschützten Gebieten des nationalen peruanischen Naturschutzsystems. Als einzige Gebiete sind Nationalparks der höchsten Schutzstufe sowie nationale und historische Heiligtümer komplett von Öl- und Gasaktivitäten ausgenommen, so eine Studie US-amerikanischer Universitäten über Öl- und Gasprojekte im westlichen Amazonien aus diesem Jahr. Diese umfassen eine Fläche von zwölf Prozent des peruanischen Amazonasgebietes. Doch „ausgenommen“ ist selbst hier relativ. Erst im letzten Jahr sollte die Kernzone des Nationalparks Bahuaja-Sonene in der Region von Madre de Diós per Gesetz um 20 Prozent (rund 200.000 Hektar) beschnitten werden – zugunsten der Erweiterung einer Konzessionsfläche und verbunden mit der weiteren Gefahr, dass eine Zone hoher Biodiversität illegal agierenden Holzfällern und MinenarbeiterInnen anheim fällt. Nach massiven Protesten aus Peru und der internationalen Gemeinschaft kassierte die Regierung den Gesetzesvorschlag. Einblick in das Denken der Regierung gab der damalige Energieminister Juan Valdivia, für den die Gegner des Vorschlages Leute, die den wirtschaftlichen Fortschritt des Landes verhindern wollen. Flächen für die Erkundung von Öl- und Gasvorkommen überlappen jedoch nicht nur mit Gebieten des peruanischen Naturschutzgebietssystems. Nahezu alle aktiven Konzessionen überdecken registrierte und titulierte Landflächen von indigenen Gemeinden im Amazonasgebiet. Weitere 17 Blocks überkreuzen sich mit Gebieten, in denen indigene Gruppen und Völker in freiwilliger Isolierung leben.
Aus den sich überlagernden Nutzungsansprüchen resultieren gezwungenermaßen Nutzungskonflikte. Die Bevölkerung in den für Erdöl- und Erdgasexploration ausgewiesenen Gebieten wird an den Planungen weder beteiligt noch adäquat informiert. Die vorherige, freie und informierte Befragung der betroffenen indigenen Gemeinschaften, welche die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) fordert, hat Peru noch immer nicht umgesetzt. Es ist jedoch bereits seit 1994 Unterzeichner des Abkommens. Nutzungskonflikte resultieren jedoch auch aus fehlender Kohärenz der Politik staatlicher Behörden und der fehlenden Koordination zwischen ihnen. Zu diesem Schluss kommt die peruanische Ombudsstelle für Menschenrechte (Defensoria del Pueblo) in einem Bericht aus dem letzten Jahr. Dort untersuchte sie die im Jahr 2007 von PeruPetro ausgeschriebenen Konzessionen im Hinblick darauf, wie sie mit Gebieten des ANP und Schutzzonen für indigene Gruppen überlappen. Angestoßen wurde die Untersuchung, nachdem Presse und zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen aus Peru darauf aufmerksam machten, dass elf der 18 ausgeschriebenen Konzessionen derartige Nutzungskonflikte produzieren würden. So sind PeruPetro und das übergeordnete Energieministerium der Meinung, dass eine endgültige genaue Abgrenzung erst notwendig sei, bevor die unterirdischen Ressourcen wirklich ausgebeutet werden sollen. Hingegen verweist die dem Landwirtschaftsministerium zugeordnete Naturschutzbehörde INRENA darauf, dass sie nach dem Naturschutz-Gesetz bereits frühzeitig einbezogen werden muss, auch um der peruanischen Verfassung Folge zu leisten. Diese setzt zwar auf die Entwicklung Amazoniens als ausdrückliches Ziel, verweist aber auch auf den notwendigen Schutz der Biodiversität als Rahmenbedigung. Die Ombudsstelle stütze in ihren abschließenden Empfehlungen die Position der nationalen Naturrschutzbehörde hinsichtlich einer frühzeitigen Einbeziehung.
Seit einigen Jahren führt die nationale Ombudsstelle für Menschenrechte auch monatliche Statistiken über soziale Konflikte im Land. Zu beobachten ist hier eine Zunahme der umweltbezogenen Konflikte, von denen landesweit knapp 50 Prozent indigene Gemeinschaften betreffen. Es sind Konflikte, die genau deshalb entstehen, weil die von Projekten betroffenen lokalen Gemeinschaften vorher nicht gefragt werden. Jedoch müssen sie letztlich einbezogen werden. Denn mit der Konzession erwirbt ein Unternehmen noch keine Landrechte und ist daher auf Abkommen mit den Eigentümern der beanspruchten Landfläche angewiesen, um zumindest Nutzungsrechte zu erwerben. Genau hier lagert doppeltes Konfliktpotenzial. Der Staat kann zum Einen diese Nutzungsrechte für die Unternehmen im Zweifelsfall per Enteignung durchsetzen, denn ihm gehören per Verfassung die Rohstoffe im Untergrund. Um ihre Interessen durchzusetzen, besteht die Strategie von Unternehmen oftmals in der Spaltung von Gemeinden und sozialen Strukturen. Geld fließt an ausgewählte Personen, unternehmensnahe Organisationen werden aufgebaut. Lokale soziale Konflikte sind in der Regel die Folge.
Nicht nur die unterirdischen Ressourcen Amazoniens sind im Blick. Das zeigen zahlreiche Dekrete, wie jenes zum Wald- oder Bodengesetz, welche die Regierung in der ersten Jahreshälfte auf der Grundlage der Umsetzung des Freihandelsabkommens mit den USA erließ. Sie wurden direkt und ohne jegliche Konsultation verabschiedet. Dazu war die Exekutive vom Parlament Ende 2007 ermächtigt worden. Ein mehrwöchiger Streik in drei Amazonasregionen im August dieses Jahres führte letztlich zur Rücknahme zweier Dekrete, die InvestorInnen den Landerwerb von indigenen Gemeinden erleichtert hätten. Nach wie vor in der Diskussion ist jedoch ein Dekret, das es erlaubt, die Landnutzung zugunsten von Unternehmen für die Erkundung und Ausbeutung von Rohstoffen zu ändern – und dies, ohne dass die/der LandeigentümerIn vorher zustimmen muss. Das zuständige Ministerium würde einfach die Genehmigung geben. Knapp 40 der Dekrete bestehen fort und betreffen die indigenen Gemeinden und Gruppen des Landes. Sie werden – in typischer Weise – mit VertreterInnen der indigenen Gruppen momentan an einem so genannten Runden Tisch nachverhandelt. 15 Tage sind dazu Zeit. Das Ziel der Regierung scheint aber klar. Sie will die bestehenden Dekrete weiter durchbringen.
Bei allem Druck auf Amazonien in Peru: Der im November in der neuen Regierung bestätigte Umweltminister Antonio Brack setzt sich vor allem für den Schutz der Wälder in Amazonien ein. Es sollen vor allem internationale Mittel genutzt werden, um Waldschutz und Klimaschutz zu verbinden. Für das Umweltministerium reklamiert er die Entscheidungshoheit für Fälle, in denen Waldflächen zu landwirtschaftlichen Flächen umgewidmet werden sollen.
// Mathias Hohmann