Vom Charme und der Falle
Feministische Überlegungen zum Aufstand in Chiapas
Wie kann der Feminismus die Ereignisse von Chiapas beurteilen? Von einem Traum und von einem Standpunkt aus, die sich nicht darauf beschränken, Gleichheit für Frauen innerhalb des bestehenden kulturellen Rahmens zu suchen, der sich auf Aggression, Konkurrenz, Kampf, Kontrolle, Herrschaft, Negation des Anderen (der Anderen) stützt. Sondern vorzuhaben, dieses Geflecht von Bildern voneinander, von uns selbst und von unserem Verhältnis zur Natur zu ändern – von einem Feminismus, der andere Logiken und Ethiken für das Leben sucht?
Für uns ist der Feminismus grundlegend pazifistisch und antikriegerisch. Niemals führt Aggression zu Freiheit und Frieden, auch wenn wir Feministinnen manchmal aggressiv sind. Der Krieg in allen seinen Formen war immer das Rückgrat der Macht, der Ordnung und der Herrschaft des Patriarchats. Vielleicht war deswegen der Krieg immer “Männersache”, auch wenn einige Feministinnen gleiche Rechte für Frauen fordern und dafür kämpfen, zu männlichen Räumen und männlicher Logik zugelassen zu werden, also auch zum Militär: Das sind machistische Räume und machistische Disziplin (kein Platz für Schwache, Feiglinge oder solche, die nicht gehorchen können oder die eine eigene Meinung haben). Haben Sie bemerkt, daß Waffen immer an einen erigierten und ejakulierenden Penis erinnern? …Die Waffen die Gott ihnen gab, wie Subcomandante Marcos sagt?
Feminismus ist antikriegerisch und pazifistisch, obwohl Feminismus grundlegend rebellisch ist, ein großer Akt der Rebellion. Die rebellischte aller Rebellionen. Die sich gegen alle Rechtfertigungen wendet, um den Anderen, die Anderen, die Andere, zu leugnen, die neue Formen des Zusammenlebens zwischen Natur und Kultur sucht. Eine zivilisatorische Rebellion, die von Frauen ausgeht, die aber alle betrifft.
Macht durch eigenen und fremden Tod
Der Krieg in Chiapas ist auch rebellisch und besitzt eine Eigenart gegenüber den offiziellen Kriegen: Er erhebt das Wort gegen diejenigen, die es leugnen. Darin ähneln die Indios den Frauen: Sie sind das Andere, das unsichtbar gemacht wird, verschwiegen wird, bestraft wird und unterdrückt wird. In vielen Analysen über die Situation der Indios könnte das Wort “Indio” durch “Frau” ersetzt werden und umgekehrt. Beide interessieren kaum jemanden. Für die Medien sind sie keine Nachricht, für die Behörden sind sie unsichtbar, für die Mehrheit sind sie sowas wie Minderjährige, die man nicht versteht (Marcos hat viele daran erinnert), die nicht wissen, was sie wollen. Ihre Kultur, ihre Identität ist eine “Andere”, die nichts beiträgt zu “Entwicklung”, “Fortschritt”und “Wissenschaft”, die näher dran ist am “Primitiven”, “Wilden”, “Reproduktiven”, “Natur” als an der “Kultur” und dem “Verstand”.
Die Indios von Chiapas haben gegen die Unsichtbarkeit, die Stille, die Abwertung, die tägliche Verachtung und den täglichen Tod rebelliert. Sie haben gegen die Nicht-Anerkennung des Anderen rebelliert. Aber sie haben mit Waffen, Gewalt und Krieg rebelliert, das heißt mit den Mitteln, die die Situation herbeigeführt haben, die sie bekämpfen. Der Krieg ist der blutige Kampf um die Macht durch den eigenen und fremden Tod. Macht, die auf diese Logik aufbaut, kann sich gleichwertig neben die sie unterwerfende Macht stellen (so war es bei den zentral- und südamerikanischen Guerillas, die diese Gegenmacht letzten Endes nicht durch Waffen auflösen konnten) oder die Übermacht der einen über die anderen erreichen. Im letzten Fall wird der Sieger, unabhängig von seinen “guten Absichten” kurz oder mittelfristig wieder seine Logik den Anderen aufzwingen und damit den Teufelskreis des Systems weiterführen.
“Entwicklung” um die Menschheit zu zerstören
Der patriarchale Liberalismus hat “den Weg der EZLN-Guerilla” kritisiert, mit der Begründung daß “Gewalt nie der Weg sein kann”. Aber das ist eine heuchlerische Kritik, weil ihre Logik und Ethik selbst die der Gewalt sind. Das Patriarchat hat nicht nur die schlimmsten Formen der Armut hervorgebracht, der Unterwerfung, der Zerstörung und des Todes, sondern es hat auch aus der “Entwicklung” ein Mittel zur Zerstörung der Menschheit gemacht. Die Technik ist nicht zum Genießen des Lebens gemacht, sondern zur Kontrolle und Gehorsam durch die Drohung mit Zerstörung und Tod. Das Patriarchat kritisiert die Gewalt nur dann, wenn sie vom Anderen kommt, wenn sie die Herrschaft der einen über die anderen in Frage stellt. Wenn aber Gewalt angewandt wird, um ihre eigene Logik und Herrschaftsformen durchzusetzen, wird sie unsichtbar gemacht. Es gibt nicht einmal das Bewußtsein über diese Essenz von Gewalt, die das patriarchale System am Leben hält. Innerhalb dieser Logik ist es sehr logisch, mit Gewalt und Krieg zu antworten. Der Aufstand von Chiapas hat das Spiel mitgespielt: Wenn die zerstörerische Macht ausschlaggebend für das Recht ist, dann gibt es kein Recht ohne eine Gegenmacht: “Frieden ist nur möglich, wenn es zwischen den Parteien ein Gleichgewicht von tödlicher Macht gibt”. Der Zweck heiligt die Mittel.
Aber die feministische Kritik greift die Grundlagen dieser beiden Delirien grundlegender und radikaler an. Egal ob von den Mächtigen oder den Entmachteten: Im Namen des Gemeinwohls bleiben die Freiheit und das Leben immer außen vor. Im Gegensatz zu den Rebellionen innerhalb des patriarchalen Systems sucht der Feminismus eine andere Dimension des Zusammenlebens. Dabei ist eine Ethik gesucht, die eben nicht davon ausgeht, daß der Zweck die Mittel heiligt, denn der Gegensatz von Form und Inhalt ist eine der Grundlagen des herrschenden Systems.
Der patriarchale Diskurs der EZLN
Jede Handlung sagt mehr als ihr verbaler Diskurs. Jede Handlung produziert explizite und implizite Symbole und Muster davon, was als möglich und wünschenswert angesehen wird. Ein kultureller (oder gegenkultureller) Diskurs situiert sich dadurch, daß er Werte schafft, indem er Gefühle, Wünsche und Aktionen verbindet. Wir finden den allgemeinen Diskurs der EZLN in zweierlei Hinsicht äußerst patriarchal.
Erstens festigt er die Auffassung, daß Gewalt nur mit Gewalt bekämpft werden kann, und daß Gewalt legitim ist, wenn sie von den Entmachteten und Unterdrückten angewandt wird. Dagegen haben wir Feministinnen schon viel gesagt. Zweitens hat die EZLN mit der gleichen Ethik, die sie zu bekämpfen vorgibt (die der ökonomischen und politischen nationalen und internationalen Macht) vorsätzlich die Rechtfertigung gesucht, um zu töten und zu sterben. Ihre Taktik, eine formale Kriegserklärung abzugeben, ein Gebiet unter ihre militärische Kontrolle zu bringen, in dem ein Alltag gelebt wird, Militäruniformen zu erlangen, zu verteilen und zu präsentieren, traditionelle militärische Strukturen und Posten einzuführen usw. – mit all diesen Mitteln hat die EZLN Respekt vor den Regeln des “modernen” Patriarchats gezeigt, die entwickelt wurden, um die schrecklichen Konsequenzen seiner kriegerischen Obsessionen zu verharmlosen (die sogenannte Genfer Konvention); der Respekt sollte dazu führen, nach den gleichen Regeln als “kriegsführende Macht” anerkannt zu werden. Nach den herrschenden Kriterien ist das ohne Zweifel “eine sehr intelligente Taktik”, aber für uns bedeutet das die Anerkennung des Systems des Todes und der Ausrottung, indem die “Notwendigkeit und Gültigkeit” betont wird, den Kriegswahnsinn zu regeln und sich in sie einzuordnen.
Politik als Feld des Pragmatismus
In seinen spezifischen Aspekten erscheint der Diskurs der EZLN nicht so vereinfachend, sondern viel komplexer. Darum hat er eine weitverbreitete Sympathie geweckt. Dennoch muß der Diskurs genauer und aus feministischer Sicht analysiert werden.
Zuerst fiel darin auf, daß das neoliberale ökonomische Modell als unhaltbar bezeichnet wird, daß es nicht das ist, als was es die Regierung verkauft. Daß es ein Modell ist, das trotz seiner wunderbaren makroökonomischen Erfolgszahlen mindestens 40 Millionen MexikanerInnen ausschließt und das trotz seiner “Demokratie”-Versprechen diese nur für einige wenige möglich macht. Diese Informationen sind überhaupt nicht neu, aber der neo-zapatistische Aufstand gibt ihnen eine neue Dimension, die darüber hinausgeht, sie nur immer wieder zu benennen. Wir meinen das Recht, gegen das zu rebellieren, was uns verletzt und uns verschwinden läßt.
Mit dem Fall der Mauern und der patriarchalen Utopien ist das Ende dieses Jahrhunderts an eine große Hoffnungslosigkeit gelangt, an das Fehlen von zivilisatorischen Perspektiven, an eine absolute Relativierung von Gut und Böse und gleichzeitig an vertiefte fundamentalistische Moralvorstellungen, an eine verstärkte Gleichförmigkeit und Gleichmacherei, die jede reale Diversität, jede tiefgehende Kommunikation erdrückt. Mit der immer größeren Parzellierung des Wissens und des Verhältnisses zum Leben und zur Welt verstärkt sich auch das Gefühl der Unmöglichkeit von Utopien. Dadurch ist die Politik zu einem Feld des Pragmatismus geworden. Auf der einen Seite schien es, als ob die Rebellion ihren Sinn verloren hätte, daß es nur möglich sei, unter der mathematischen Kalkulation des Machbaren zu agieren, nur kurzfristig zu handeln ohne den Bezug zum Wünschenswerten zu messen, ohne an eine wünschenswerte Zukunft zu denken, ohne die Phantasie anzuspornen, da ja schon alles wünschenswerte gescheitert war. Auf der anderen Seite gab es eine verbreitete Praxis, daß nur die Methoden, Formen und Spielräume, die innerhalb des Systems gegeben werden, Fortschritt und Wandel erlauben – es war nicht möglich, aus der Legalität auszuscheren.
Rebellion wieder denkbar
Ein großer Teil der Sympathie und des Erstaunens über die EZLN läßt sich darauf zurückführen, daß sie die Möglichkeit zur Rebellion wiedererweckt hat. Aber darüber hinaus hat sie das Recht wiederhergestellt, die Differenz einzufordern, sich der Gesetze der Unterdrücker zu entziehen, die Würde auf anderen Wegen auszudrücken. Das Recht, eigene Alternativen auszuprobieren, das Recht anzuzweifeln, was als Gut gegeben ist, oder was als Wert alles andere ausschließt. In anderen Worten hat die EZLN eine Hoffnung für die Differenz, die Vielfältigkeit geweckt. Das sind Elemente, die feministischer Phantasie Nahrung geben.
Dann ist da noch der explizite Diskurs der EZLN, der in den Kommuniques zu uns gelangt ist und den wir sehr glaubwürdig finden. Das steht in Verbindung mit dem oben Gesagten, da ein Teil der zivilisatorischen Hoffnungslosigkeit mit der fehlenden Kommunikation zwischen Politik und Individuen zu tun hat. Der Aufstand begann ohne eine absolute Wahrheit oder eine messianische Sprache im Stil eines Sendero Luminoso. Der Vorschlag war nicht, eine einzige für alle gültige Macht zu installieren, weil die EZLN explizit betonte, nicht die Macht übernehmen zu wollen. Sie erkannten die Pluralität an und redeten und interpretierten nur von sich selbst aus, nicht im Namen von anderen. Das ist ohne Zweifel neu und viel demokratischer als die traditionellen politischen Diskurse, damit unterscheiden sie sich von den Guerillas des Kontinents. Aber diese Haltung verliert sich von dem Augenblick der Verhandlungen mit der Regierung.
Die ausschließende Macht der Waffen
Bei den Verhandlungen zeigte sich wieder einmal der traditionelle, formale, selektive und männliche Stil, Politik zu machen: Zwei Kräfte, die als solche nicht das Ganze repräsentieren, verhandeln untereinander das Schicksal von allen. “Alle” können mehr oder weniger sein, aber zumindest in Chiapas gibt es da diejenigen, die die EZLN unterstützen, diejenigen, die gegen sie sind, und diejenigen, die auf keiner Seite stehen. Und unter diesen letzten beiden sind nicht nur Viehzüchter und Kaziquen. “Alle” sind die Vielfalt dieser Region. Ein nicht repräsentativer Frieden schließt nur die ein, die die Macht der Waffen besitzen (die offiziellen oder die aufständischen) und ist damit der Wille, keinen Frieden zu erreichen. Das Schicksal einer Region und vielleicht auch der ganzen Nation (denn es ist nur wenig bekannt geworden darüber, was tatsächlich verhandelt wurde) gehört in die Hände der Vielfalt und nicht nur in die Hände derjenigen, die Waffen haben und durch diese Macht zeitweilig die ewig Mächtigen herausfordern können.
So zeigen der Krieg und seine Folgen eine Konfrontation, die nichts zu tun hat mit der Diversität und Pluralität, auch wenn diese zum Diskurs und den ehrlichsten Absichten einer der beiden Parteien gehören. Früher oder später kann der Teufelskreis neu beginnen.
“Wer hat das Recht zu entschuldigen?”
Ein zweiter Aspekt des Diskurses der EZLN ist vielversprechender und weiterführender. Von den traditionellen Politikern gelangt ein flacher, phantasieloser, wiederholender, demagogischer und linearer Diskurs zu uns, in dem sich niemand wiederfindet. Ein Diskurs, der sich nicht an das tägliche Leben richtet und der implizit und symbolisch nichts sagt und sich explizit nur an die Initiierten richtet. Der Diskurs des CCRI (Comité Clandestino Revolucionario Indígena) und besonders die Komuniques des Subcomandante Marcos haben viele Menschen angesprochen. Ihr literarischer Charakter, vielleicht ein bißchen rethorisch und theatralisch, aber mit einer ständigen Verbindung zwischen Verstand und Gefühlen, hat meistens den Alltag berührt, die Fragen, Schmerzen und Hoffnungen des unzufriedenen Individuums; ein Diskurs, der ohne Angst und gegen alle Gewohnheit vom persönlichen Standpunkt aus spricht und auf diese Weise nicht nur informiert, sondern kommuniziert und in Dialog tritt, der witzig ist und sogar ironisch. In diesem Sinn hat er Menschen aus Fleisch und Blut berührt.
Von einer Logik und einer symbolischen Ordnung aus, die nicht feministisch ist, hat er uns eine Lektion erteilt, von der wir lernen können. Diese Art von Kommunikation war die feministische Utopie von Kommunikation, die sich verloren hat, weil wir irrtümlich glaubten, daß wir nur dann gehört werden, wenn wir die Sprache des Anderen sprechen. Die Sprache hat uns Frauen niemals benannt, und als wir lernten uns zu stammeln, begannen wir, den Diskurs nachzuahmen, den wir ändern wollten. Wir sind zu Spezialistinnen in Frauenthemen geworden, mit einer Sprache, die nicht mehr kreativ ist, mit symbolischen Codes, die die männliche Vorstellungswelt unterstützen und nichts Neues schaffen, die näher an den Sozialwissenschaften sind als am alltäglichen Leben.
Vier Fragen
Trotz seiner neuen und kreativen Aspekte und trotz all seiner Alternativen und trotz allem was wir von der EZLN lernen können: Wir Feministinnen wissen, daß das Patriarchat viele ursprünglich schöne Utopien hervorgebracht hat (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Internationalismus, etc.), aber alle sind gescheitert, weil sie die interne Logik nicht angegriffen haben. Und vom Augenblick an, in dem die EZLN ihre Alternative auch innerhalb dieser Logik plaziert hat, und außerdem vom Krieg aus, müssen wir doch ein paar Fragen stellen:
Erstens: Sollen wir so naiv sein, zu glauben, daß der Aufstand für die Regierung überraschend kam? In einem so militarisierten Staat wie Chiapas: Wie sollte das Militär nicht über die Pläne der EZLN informiert sein? Ist es möglich, daß in einem so umfassenden Gebiet sieben- bis zehntausend Personen unterwegs sind, ohne daß die Regierungskräfte es merkten? Wenn der Aufstand so gefährlich für die Regierung war, warum haben sie ihn kommen lassen?
Zweitens: Woher werden die Zapatistas finanziert? Zwar hat die EZLN keine großen oder modernen Waffenbestände, aber die sie hat, inclusive die über tausend Uniformen, kosten viel Geld, und dieses kommt offensichtlich nicht aus den leeren Beuteln der hungernden Aufständischen.
Drittens: Es ist wahr, daß Verhandlungen zwischen Kriegsparteien stattfinden müssen, aber gibt es in diesem Konflikt nur zwei Parteien? Sind nur diejenigen Partei, die Waffen haben und die Macht zu töten und zu sterben? Warum werden die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt? Die Gesellschaft, die sich unglaublich dafür eingesetzt hat, daß die Massaker gestoppt werden, daß Menschenrechte respektiert werden, daß Solidarität mit den Aufständischen gezeigt wurde hätte dabeisein müssen. Warum wissen wir nicht einmal, worüber verhandelt wird, was angeboten wird und was geopfert wird? Wir verstehen, daß die Regierung alle Anstrengungen unternimmt, um dies als einen lokalen Konflikt darzustellen, aber nicht mal auf lokaler Ebene wird der Frieden nur zwischen zwei Kräften hergestellt werden. Die zivile Gesellschaft hat auch in vielen Formen gekämpft, und die CCRI gibt vor, all diese Formen anzuerkennen. Aber warum hat dieser Kampf keinen Wert mehr, wenn es um Verhandlungen und Abkommen geht? Ist er nur die Unterstützung der Nachhut für den Krieg? Dies ist nicht nur das Problem der EZLN, auch wenn die Guerilleros im Augenblick die Macht haben, zu relativ gleichen Bedingungen zu verhandeln. Das ist auch ein Problem der Gesellschaft, die an hierarchische Politikformen gewöhnt ist, in der immer irgendwer die anderen repräsentiert, wo man/frau nicht fähig ist, sich selbst zu repräsentieren. Hat das nur mit traditioneller Politik zu tun?
Viertens: Ist es möglich, ein konkrete demokratische pluralistische Alternative in einer Gesellschaft aufzustellen, die so autoritär ist wie die chiapanekische? Der Autoritarismus ist in Chiapas nicht im Alleinbesitz der Kaciquen und Reichen. Alle Konflikte in dieser Region wurden mit Gewalt “gelöst”. In Chiapas gibt es über 25.000 aus ihren Gemeinschaften ausgestoßene Indios. Die Grundlage der Beziehungen sind Intoleranz, das einzige Gesetz ist “Du bist mit mir oder gehst oder stirbst.” Können wir in diesem Rahmen an Worte glauben, bloß weil sie schön klingen oder etwas versprechen?
Das revolutionäre Frauengesetz der EZLN
Es ist uns schwer gefallen, das Revolutionäre Frauengesetz der EZLN zu bewerten. Allgemein ist es sicher kein feministisches Programm, da es nur einige Frauen-Forderungen aufstellt und kein Vorschlag für die ganze Gemeinschaft aus der kritischen und bewußten weiblichen Sicht ist. Aus unserer städtischen, westlichen und erleuchteten Sicht und dadurch daß die indianischen Frauen fast unsichtbar sind und der Krieg sie jetzt buchstäblich unerreichbar gemacht hat, ist es fast unmöglich zu beurteilen, ob das Gesetz ein Produkt eines Prozesses unter den Frauen gegenüber patriarchalen und gewalttätigen Sitten und Gewohnheiten ist, oder ob die FührerInnen sich etwas ausgedacht haben, um die Frauen in die traditionell männlichen Aufgaben zu integrieren und ein Bild von interner Demokratie abzugeben. Denn mittlerweise haben grundlegende feministische Forderungen die meisten sozialen Bewegungen erreicht. Die verbale Wertschätzung von Frauen in Zeiten von Kriegen hat schon Tradition in der Geschichte von Guerillas oder in starken nicht-kriegerischen Konflikten, ohne daß sich dadurch die tatsächlichen Lebensbedingungen von Frauen verbessert hätten.
Daß sich Frauen aussuchen sollten, ob und wen sie heiraten, ist wahrscheinlich das revolutionärste der Gesetze, jedenfalls wenn es nicht nur auf dem Papier steht. Es wäre deshalb so revolutionär, weil es die Bürden und kulturellen Traditionen von Herrschaft und Verfügung über den Körper und die Lust von Frauen angreifen würde.
Die Beteiligung von Frauen in regulären oder irregulären Kriegsapparate erscheint uns überhaupt kein Gewinn. Ob es Guerilleras oder Soldatinnen gibt, ändert die Kriege nicht, und zusätzlich bezieht es die Frauen in die grundlegenden Institutionen der Herrschaft, die der Gewalt und des Todes mit ein. Das Bild einer Frau in Militäruniform mit einer Waffe ist für uns nicht ästhetisch. Das Bild sagt, daß Frauen auch gelernt haben zu töten. Und das ist das hoffnungsloseste aller Angebote.