Mexiko | Nummer 245 - November 1994

Vom Charme und der Falle

Feministische Überlegungen zum Aufstand in Chiapas

Wenn es um soziale Konflikte irgendwo in Lateinamerika geht, heißt es jetzt schnell: “Das wird das zweite Chia­pas”. “Chiapas” als allgemeines, großes und klares Konzept scheint interessanter als die widersprüchliche Situation im mexi­kanischen Süden. Über die Flüchtlinge aus dem “befreiten” Gebiet” will niemand etwas wissen, er­zählte die mexikanische Journalistin Rosa Rojas bei ei­nem Besuch in Berlin. Alle wollen mit Marcos reden und vergessen darüber das mühsame Reden mit denen, die nicht Spanisch sprechen. Marcos soll sei­nen Glanz be­halten, und sich weiter geniale Kommuniques ausdenken. Aber schon droht der Marcos-Kult den Blick auf die nicht so glanz­vollen Anderen in Chiapas zu vernebeln. Auf die, die immer unsichtbar waren: die Indígenas und vor allem die indianischen Frauen. Vernebelt von der Macht der Waffen scheinen auch die linken Köpfe, in denen für die Präsidentschaftswahlen im August niemals mit einem Ergebnis gerechnet wurde, das sich kaum von dem “vor Chiapas” erwarteten unterscheidet. Auch in Mexiko gibt es nur wenig kritisch hinterfragende Blicke auf die EZLN: Einer davon ist der feministische. Aus langer Er­fahrung mit den Linken und Guerillas des Kontinents und ihrem Verhältnis zu Frauenrechten sind es die Femini­stinnen, die in dem Aufstand auch die Gefahr eines Rück­falls in alte Politikmuster sehen. Wir dokumentieren die leicht ge­kürzte Einleitung der in Mexiko-Stadt erschei­nenden feministischen Zeitschrift “La Correa”, die ganz dem Aufstand in Chiapas gewidmet ist und die Diskussion der Auto­rinnen wiedergibt.

Übersetzung: Karin Gabbert

Wie kann der Feminismus die Ereignisse von Chiapas beurteilen? Von einem Traum und von einem Standpunkt aus, die sich nicht darauf beschränken, Gleichheit für Frauen innerhalb des be­stehenden kulturellen Rahmens zu su­chen, der sich auf Aggression, Konkur­renz, Kampf, Kontrolle, Herrschaft, Ne­gation des Ande­ren (der Anderen) stützt. Sondern vorzu­haben, dieses Ge­flecht von Bildern von­einander, von uns selbst und von unserem Verhältnis zur Natur zu ändern – von einem Feminis­mus, der andere Logiken und Ethiken für das Leben sucht?
Für uns ist der Feminismus grundlegend pazifistisch und antikriegerisch. Niemals führt Aggression zu Freiheit und Frie­den, auch wenn wir Feministinnen manchmal aggressiv sind. Der Krieg in allen seinen Formen war immer das Rückgrat der Macht, der Ordnung und der Herrschaft des Patriarchats. Viel­leicht war deswegen der Krieg immer “Männersache”, auch wenn einige Femi­nistinnen gleiche Rechte für Frauen for­dern und dafür kämpfen, zu männlichen Räumen und männlicher Logik zugelas­sen zu werden, also auch zum Militär: Das sind machistische Räume und ma­chistische Disziplin (kein Platz für Schwache, Feiglinge oder solche, die nicht gehorchen können oder die eine ei­gene Meinung haben). Haben Sie be­merkt, daß Waffen immer an einen eri­gierten und ejakulierenden Penis erin­nern? …Die Waffen die Gott ihnen gab, wie Subcomandante Marcos sagt?
Feminismus ist antikriegerisch und pazi­fistisch, obwohl Feminismus grundle­gend rebellisch ist, ein großer Akt der Rebellion. Die rebellischte aller Rebel­lionen. Die sich gegen alle Rechtferti­gungen wendet, um den Anderen, die Anderen, die Andere, zu leugnen, die neue Formen des Zusammenlebens zwi­schen Natur und Kultur sucht. Eine zivi­lisatorische Rebellion, die von Frauen ausgeht, die aber alle betrifft.
Macht durch eigenen und fremden Tod
Der Krieg in Chiapas ist auch rebellisch und besitzt eine Eigenart gegenüber den offiziellen Kriegen: Er erhebt das Wort gegen diejenigen, die es leugnen. Darin ähneln die Indios den Frauen: Sie sind das Andere, das unsichtbar gemacht wird, verschwiegen wird, bestraft wird und unterdrückt wird. In vielen Analysen über die Situation der Indios könnte das Wort “Indio” durch “Frau” ersetzt werden und umgekehrt. Beide interessieren kaum jemanden. Für die Medien sind sie keine Nachricht, für die Behörden sind sie unsichtbar, für die Mehrheit sind sie sowas wie Minderjährige, die man nicht versteht (Marcos hat viele daran erin­nert), die nicht wissen, was sie wollen. Ihre Kultur, ihre Identität ist eine “Andere”, die nichts beiträgt zu “Entwicklung”, “Fortschritt”und “Wissenschaft”, die näher dran ist am “Primitiven”, “Wilden”, “Reproduktiven”, “Natur” als an der “Kultur” und dem “Verstand”.
Die Indios von Chiapas haben gegen die Unsichtbarkeit, die Stille, die Abwer­tung, die tägliche Verachtung und den täglichen Tod rebelliert. Sie haben gegen die Nicht-Anerkennung des Anderen re­belliert. Aber sie haben mit Waffen, Ge­walt und Krieg rebelliert, das heißt mit den Mitteln, die die Situation herbeige­führt haben, die sie bekämpfen. Der Krieg ist der blutige Kampf um die Macht durch den eigenen und fremden Tod. Macht, die auf diese Logik aufbaut, kann sich gleichwertig neben die sie un­terwerfende Macht stellen (so war es bei den zentral- und südamerikanischen Guerillas, die diese Gegenmacht letzten Endes nicht durch Waffen auflösen konnten) oder die Übermacht der einen über die anderen erreichen. Im letzten Fall wird der Sieger, unabhängig von sei­nen “guten Absichten” kurz oder mittel­fristig wieder seine Logik den Anderen aufzwingen und damit den Teufelskreis des Systems weiterführen.
“Entwicklung” um die Menschheit zu zerstören
Der patriarchale Liberalismus hat “den Weg der EZLN-Guerilla” kritisiert, mit der Begründung daß “Gewalt nie der Weg sein kann”. Aber das ist eine heuchlerische Kritik, weil ihre Logik und Ethik selbst die der Gewalt sind. Das Patriarchat hat nicht nur die schlimm­sten Formen der Armut hervorgebracht, der Unterwerfung, der Zerstörung und des Todes, sondern es hat auch aus der “Entwicklung” ein Mittel zur Zerstörung der Menschheit gemacht. Die Technik ist nicht zum Genießen des Lebens ge­macht, sondern zur Kontrolle und Ge­horsam durch die Drohung mit Zerstö­rung und Tod. Das Patriarchat kritisiert die Gewalt nur dann, wenn sie vom An­deren kommt, wenn sie die Herrschaft der einen über die anderen in Frage stellt. Wenn aber Gewalt angewandt wird, um ihre eigene Logik und Herr­schaftsformen durchzusetzen, wird sie unsichtbar gemacht. Es gibt nicht einmal das Bewußtsein über diese Essenz von Gewalt, die das patriarchale System am Leben hält. Innerhalb dieser Logik ist es sehr logisch, mit Gewalt und Krieg zu antworten. Der Aufstand von Chiapas hat das Spiel mitgespielt: Wenn die zer­störerische Macht ausschlaggebend für das Recht ist, dann gibt es kein Recht ohne eine Gegenmacht: “Frieden ist nur möglich, wenn es zwischen den Parteien ein Gleichgewicht von tödlicher Macht gibt”. Der Zweck heiligt die Mittel.
Aber die feministische Kritik greift die Grundlagen dieser beiden Delirien grundlegender und radikaler an. Egal ob von den Mächtigen oder den Entmachteten: Im Namen des Gemeinwohls bleiben die Freiheit und das Leben immer außen vor. Im Gegensatz zu den Rebel­lionen innerhalb des patriarchalen Sy­stems sucht der Feminismus eine andere Dimension des Zusammenlebens. Dabei ist eine Ethik gesucht, die eben nicht da­von ausgeht, daß der Zweck die Mittel heiligt, denn der Gegensatz von Form und Inhalt ist eine der Grundlagen des herrschenden Systems.
Der patriarchale Diskurs der EZLN
Jede Handlung sagt mehr als ihr verbaler Diskurs. Jede Handlung produziert ex­plizite und implizite Symbole und Muster davon, was als möglich und wünschens­wert angesehen wird. Ein kultureller (oder gegenkultureller) Diskurs situiert sich dadurch, daß er Werte schafft, in­dem er Gefühle, Wünsche und Aktionen verbindet. Wir finden den allgemeinen Diskurs der EZLN in zweierlei Hinsicht äußerst patriarchal.
Erstens festigt er die Auffassung, daß Gewalt nur mit Gewalt bekämpft werden kann, und daß Gewalt legitim ist, wenn sie von den Entmachteten und Unter­drückten angewandt wird. Dagegen ha­ben wir Feministinnen schon viel gesagt. Zweitens hat die EZLN mit der gleichen Ethik, die sie zu bekämpfen vorgibt (die der ökonomischen und politischen natio­nalen und internationalen Macht) vor­sätzlich die Rechtfertigung gesucht, um zu töten und zu sterben. Ihre Taktik, eine formale Kriegserklärung abzugeben, ein Gebiet unter ihre militärische Kontrolle zu bringen, in dem ein Alltag gelebt wird, Militäruniformen zu erlangen, zu verteilen und zu präsentieren, traditio­nelle militärische Strukturen und Posten einzuführen usw. – mit all diesen Mitteln hat die EZLN Respekt vor den Regeln des “modernen” Patriarchats gezeigt, die entwickelt wurden, um die schrecklichen Konsequenzen seiner kriegerischen Ob­sessionen zu verharmlosen (die soge­nannte Genfer Konvention); der Respekt sollte dazu führen, nach den gleichen Regeln als “kriegsführende Macht” aner­kannt zu werden. Nach den herrschenden Kriterien ist das ohne Zweifel “eine sehr intelligente Taktik”, aber für uns bedeu­tet das die Anerkennung des Systems des Todes und der Ausrottung, indem die “Notwendigkeit und Gültigkeit” betont wird, den Kriegswahnsinn zu regeln und sich in sie einzuordnen.
Politik als Feld des Pragmatismus
In seinen spezifischen Aspekten er­scheint der Diskurs der EZLN nicht so vereinfachend, sondern viel komplexer. Darum hat er eine weitverbreitete Sym­pathie geweckt. Dennoch muß der Dis­kurs genauer und aus feministischer Sicht analysiert werden.
Zuerst fiel darin auf, daß das neoliberale ökonomische Modell als unhaltbar be­zeichnet wird, daß es nicht das ist, als was es die Regierung verkauft. Daß es ein Modell ist, das trotz seiner wunder­baren makroökonomischen Erfolgszah­len mindestens 40 Millionen Mexikane­rInnen ausschließt und das trotz seiner “Demokratie”-Versprechen diese nur für einige wenige möglich macht. Diese In­formationen sind überhaupt nicht neu, aber der neo-zapatistische Aufstand gibt ihnen eine neue Dimension, die darüber hinausgeht, sie nur immer wieder zu be­nennen. Wir meinen das Recht, gegen das zu rebellieren, was uns verletzt und uns verschwinden läßt.
Mit dem Fall der Mauern und der patri­archalen Utopien ist das Ende dieses Jahrhunderts an eine große Hoffnungs­losigkeit gelangt, an das Fehlen von zivi­lisatorischen Perspektiven, an eine ab­solute Relativierung von Gut und Böse und gleichzeitig an vertiefte fundamen­talistische Moralvorstellungen, an eine verstärkte Gleichförmigkeit und Gleichmacherei, die jede reale Diversi­tät, jede tiefgehende Kommunikation erdrückt. Mit der immer größeren Par­zellierung des Wissens und des Verhält­nisses zum Leben und zur Welt verstärkt sich auch das Gefühl der Unmöglichkeit von Utopien. Dadurch ist die Politik zu einem Feld des Pragmatismus geworden. Auf der einen Seite schien es, als ob die Rebellion ihren Sinn verloren hätte, daß es nur möglich sei, unter der mathemati­schen Kalkulation des Machbaren zu agieren, nur kurzfristig zu handeln ohne den Bezug zum Wünschenswerten zu messen, ohne an eine wünschenswerte Zukunft zu denken, ohne die Phantasie anzuspornen, da ja schon alles wün­schenswerte gescheitert war. Auf der anderen Seite gab es eine verbreitete Praxis, daß nur die Methoden, Formen und Spielräume, die innerhalb des Sy­stems gegeben werden, Fortschritt und Wandel erlauben – es war nicht möglich, aus der Legalität auszuscheren.
Rebellion wieder denkbar
Ein großer Teil der Sympathie und des Erstaunens über die EZLN läßt sich dar­auf zurückführen, daß sie die Möglich­keit zur Rebellion wiedererweckt hat. Aber darüber hinaus hat sie das Recht wiederhergestellt, die Differenz einzu­fordern, sich der Gesetze der Unter­drücker zu entziehen, die Würde auf an­deren Wegen auszudrücken. Das Recht, eigene Alternativen auszuprobieren, das Recht anzuzweifeln, was als Gut gegeben ist, oder was als Wert alles andere aus­schließt. In anderen Worten hat die EZLN eine Hoffnung für die Differenz, die Vielfältigkeit geweckt. Das sind Elemente, die feministischer Phantasie Nahrung geben.
Dann ist da noch der explizite Diskurs der EZLN, der in den Kommuniques zu uns gelangt ist und den wir sehr glaub­würdig finden. Das steht in Verbindung mit dem oben Gesagten, da ein Teil der zivilisatorischen Hoffnungslosigkeit mit der fehlenden Kommunikation zwischen Politik und Individuen zu tun hat. Der Aufstand begann ohne eine absolute Wahrheit oder eine messianische Spra­che im Stil eines Sendero Luminoso. Der Vorschlag war nicht, eine einzige für alle gültige Macht zu installieren, weil die EZLN explizit betonte, nicht die Macht übernehmen zu wollen. Sie erkannten die Pluralität an und redeten und interpre­tierten nur von sich selbst aus, nicht im Namen von anderen. Das ist ohne Zwei­fel neu und viel demokratischer als die traditionellen politischen Diskurse, da­mit unterscheiden sie sich von den Gue­rillas des Kontinents. Aber diese Hal­tung verliert sich von dem Augenblick der Verhandlungen mit der Regierung.
Die ausschließende Macht der Waffen
Bei den Verhandlungen zeigte sich wie­der einmal der traditionelle, formale, selektive und männliche Stil, Politik zu machen: Zwei Kräfte, die als solche nicht das Ganze repräsentieren, verhandeln untereinander das Schicksal von allen. “Alle” können mehr oder weniger sein, aber zumindest in Chiapas gibt es da diejenigen, die die EZLN unterstützen, diejenigen, die gegen sie sind, und dieje­nigen, die auf keiner Seite stehen. Und unter diesen letzten beiden sind nicht nur Viehzüchter und Kaziquen. “Alle” sind die Vielfalt dieser Region. Ein nicht repräsentativer Frieden schließt nur die ein, die die Macht der Waffen besitzen (die offiziellen oder die aufständischen) und ist damit der Wille, keinen Frieden zu erreichen. Das Schicksal einer Region und vielleicht auch der ganzen Nation (denn es ist nur wenig bekannt geworden darüber, was tatsächlich verhandelt wurde) gehört in die Hände der Vielfalt und nicht nur in die Hände derjenigen, die Waffen haben und durch diese Macht zeitweilig die ewig Mächtigen herausfor­dern können.
So zeigen der Krieg und seine Folgen eine Konfrontation, die nichts zu tun hat mit der Diversität und Pluralität, auch wenn diese zum Diskurs und den ehrlich­sten Absichten einer der beiden Parteien gehören. Früher oder später kann der Teufelskreis neu beginnen.
“Wer hat das Recht zu entschuldigen?”
Ein zweiter Aspekt des Diskurses der EZLN ist vielversprechender und wei­terführender. Von den traditionellen Politikern gelangt ein flacher, phanta­sieloser, wiederholender, demagogischer und linearer Diskurs zu uns, in dem sich niemand wiederfindet. Ein Diskurs, der sich nicht an das tägliche Leben richtet und der implizit und symbolisch nichts sagt und sich explizit nur an die Initiier­ten richtet. Der Diskurs des CCRI (Comité Clandestino Revolucionario In­dígena) und besonders die Komuniques des Subcomandante Marcos haben viele Menschen angesprochen. Ihr literari­scher Charakter, vielleicht ein bißchen rethorisch und theatralisch, aber mit ei­ner ständigen Verbindung zwischen Ver­stand und Gefühlen, hat meistens den Alltag berührt, die Fragen, Schmerzen und Hoffnungen des unzufriedenen Indi­viduums; ein Diskurs, der ohne Angst und gegen alle Gewohnheit vom persön­lichen Standpunkt aus spricht und auf diese Weise nicht nur informiert, son­dern kommuniziert und in Dialog tritt, der witzig ist und sogar ironisch. In die­sem Sinn hat er Menschen aus Fleisch und Blut berührt.
Von einer Logik und einer symbolischen Ordnung aus, die nicht feministisch ist, hat er uns eine Lektion erteilt, von der wir lernen können. Diese Art von Kom­munikation war die feministische Utopie von Kommunikation, die sich verloren hat, weil wir irrtümlich glaubten, daß wir nur dann gehört werden, wenn wir die Sprache des Anderen sprechen. Die Sprache hat uns Frauen niemals benannt, und als wir lernten uns zu stammeln, be­gannen wir, den Diskurs nachzuahmen, den wir ändern wollten. Wir sind zu Spe­zialistinnen in Frauenthemen geworden, mit einer Sprache, die nicht mehr kreativ ist, mit symbolischen Codes, die die männliche Vorstellungswelt unterstützen und nichts Neues schaffen, die näher an den Sozialwissenschaften sind als am alltäglichen Leben.
Vier Fragen
Trotz seiner neuen und kreativen Aspekte und trotz all seiner Alternativen und trotz allem was wir von der EZLN lernen können: Wir Feministinnen wis­sen, daß das Patriarchat viele ursprüng­lich schöne Utopien hervorgebracht hat (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Internationalismus, etc.), aber alle sind gescheitert, weil sie die interne Logik nicht angegriffen haben. Und vom Au­genblick an, in dem die EZLN ihre Al­ternative auch innerhalb dieser Logik plaziert hat, und außerdem vom Krieg aus, müssen wir doch ein paar Fragen stellen:
Erstens: Sollen wir so naiv sein, zu glau­ben, daß der Aufstand für die Regierung überraschend kam? In einem so militari­sierten Staat wie Chiapas: Wie sollte das Militär nicht über die Pläne der EZLN informiert sein? Ist es möglich, daß in einem so umfassenden Gebiet sieben- bis zehntausend Personen unterwegs sind, ohne daß die Regierungskräfte es merk­ten? Wenn der Aufstand so gefährlich für die Regierung war, warum haben sie ihn kommen lassen?
Zweitens: Woher werden die Zapatistas finanziert? Zwar hat die EZLN keine großen oder modernen Waffenbe­stände, aber die sie hat, inclusive die über tausend Uniformen, kosten viel Geld, und dieses kommt offensichtlich nicht aus den leeren Beuteln der hun­gernden Aufständischen.
Drittens: Es ist wahr, daß Verhandlun­gen zwischen Kriegsparteien stattfinden müssen, aber gibt es in diesem Konflikt nur zwei Parteien? Sind nur diejenigen Partei, die Waffen haben und die Macht zu töten und zu sterben? Warum werden die Verhandlungen hinter verschlosse­nen Türen geführt? Die Gesellschaft, die sich unglaublich dafür eingesetzt hat, daß die Massaker gestoppt werden, daß Menschenrechte respektiert werden, daß Solidarität mit den Aufständischen ge­zeigt wurde hätte dabeisein müssen. Warum wissen wir nicht einmal, worüber verhandelt wird, was angeboten wird und was geopfert wird? Wir verstehen, daß die Regierung alle Anstrengungen un­ternimmt, um dies als einen lokalen Kon­flikt darzustellen, aber nicht mal auf lo­kaler Ebene wird der Frieden nur zwi­schen zwei Kräften hergestellt werden. Die zivile Gesellschaft hat auch in vielen Formen gekämpft, und die CCRI gibt vor, all diese Formen anzuerkennen. Aber warum hat dieser Kampf keinen Wert mehr, wenn es um Verhandlungen und Abkommen geht? Ist er nur die Un­terstützung der Nachhut für den Krieg? Dies ist nicht nur das Problem der EZLN, auch wenn die Guerilleros im Augenblick die Macht haben, zu relativ gleichen Bedingungen zu verhandeln. Das ist auch ein Problem der Gesell­schaft, die an hierarchische Politikfor­men gewöhnt ist, in der immer irgendwer die anderen repräsentiert, wo man/frau nicht fähig ist, sich selbst zu repräsentie­ren. Hat das nur mit traditioneller Poli­tik zu tun?
Viertens: Ist es möglich, ein konkrete demokratische pluralistische Alternative in einer Gesellschaft aufzustellen, die so autoritär ist wie die chiapanekische? Der Autoritarismus ist in Chiapas nicht im Alleinbesitz der Kaciquen und Reichen. Alle Konflikte in dieser Region wurden mit Gewalt “gelöst”. In Chiapas gibt es über 25.000 aus ihren Gemeinschaften ausgestoßene Indios. Die Grundlage der Beziehungen sind Intoleranz, das einzige Gesetz ist “Du bist mit mir oder gehst oder stirbst.” Können wir in diesem Rahmen an Worte glauben, bloß weil sie schön klingen oder etwas versprechen?
Das revolutionäre Frauengesetz der EZLN
Es ist uns schwer gefallen, das Revolu­tionäre Frauengesetz der EZLN zu be­werten. Allgemein ist es sicher kein fe­ministisches Programm, da es nur einige Frauen-Forderungen aufstellt und kein Vorschlag für die ganze Gemeinschaft aus der kritischen und bewußten weibli­chen Sicht ist. Aus unserer städtischen, westlichen und erleuchteten Sicht und dadurch daß die indianischen Frauen fast unsichtbar sind und der Krieg sie jetzt buchstäblich unerreichbar gemacht hat, ist es fast unmöglich zu beurteilen, ob das Gesetz ein Produkt eines Prozesses unter den Frauen gegenüber patriarcha­len und gewalttätigen Sitten und Ge­wohnheiten ist, oder ob die FührerInnen sich etwas ausgedacht haben, um die Frauen in die traditionell männlichen Aufgaben zu integrieren und ein Bild von interner Demokratie abzugeben. Denn mittlerweise haben grundlegende femi­nistische Forderungen die meisten so­zialen Bewegungen erreicht. Die verbale Wertschätzung von Frauen in Zeiten von Kriegen hat schon Tradition in der Ge­schichte von Guerillas oder in starken nicht-kriegerischen Konflikten, ohne daß sich dadurch die tatsächlichen Lebens­bedingungen von Frauen verbessert hätten.
Daß sich Frauen aussuchen sollten, ob und wen sie heiraten, ist wahrscheinlich das revolutionärste der Gesetze, jeden­falls wenn es nicht nur auf dem Papier steht. Es wäre deshalb so revolutionär, weil es die Bürden und kulturellen Tra­ditionen von Herrschaft und Verfügung über den Körper und die Lust von Frauen angreifen würde.
Die Beteiligung von Frauen in regulären oder irregulären Kriegsapparate er­scheint uns überhaupt kein Gewinn. Ob es Guerilleras oder Soldatinnen gibt, än­dert die Kriege nicht, und zusätzlich be­zieht es die Frauen in die grundlegenden Institutionen der Herrschaft, die der Gewalt und des Todes mit ein. Das Bild einer Frau in Militäruniform mit einer Waffe ist für uns nicht ästhetisch. Das Bild sagt, daß Frauen auch gelernt haben zu töten. Und das ist das hoffnungslose­ste aller Angebote.

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