Von Cristóbals Colón zu Uncle Sams Dollar
El Salvador beschließt Dollarisierung
In weniger als einer Woche war der Spuk vorbei. In einer Fernsehansprache verkündete Präsident Francisco Flores Ende November seine Absicht, den Wechselkurs des US-Dollar zum Colón gesetzlich festzuschreiben und die US-Währung als Rechnungseinheit im Finanzsystem einzuführen. Wenige Stunden danach – auch angesichts einer vernetzten Welt verdächtig schnell – meldeten sich das US-Finanzministerium, die Interamerikanische Entwicklungsbank, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds zu Wort. Deren einhellige Unterstützung des Vorhabens kann niemanden überraschen. Weniger als eine Woche später peitschte die Rechte das Gesetzesdekret im Dringlichkeitsverfahren durch das Parlament. Am 31. Dezember 2000 wird El Salvador seine monetäre Hoheit an den Onkel im Norden delegieren.
Schleichende Dollarisierung seit 1992
Was nun gesetzlich festgeschrieben wurde, ist keineswegs neu. Seit 1992 ist der salvadorianische Colón ein Fels in der Brandung von Abwertungen. Trotz erheblich höherer Inflation in El Salvador als in den USA blieb der Wechselkurs konstant. Vor allem bei Importgütern und internationalen Unternehmen hat sich bereits eine Quasi-Dollarisierung eingebürgert. Viele Familien werden regelmäßig mit den grünen Scheinen aus dem Norden beglückt: Mehr als eine Million im Ausland lebende SalvadorianerInnen werden allein dieses Jahr rund 1,3 Milliarden US-Dollar an ihre Familien überweisen.
Vom überbewerteten Colón haben vor allem die Importunternehmen und die Banken profitiert. Erstere, da die importierten Waren gegenüber den lokal gefertigten Produkten tendenziell immer billiger wurden. Und letztere, da sie sich an der Zinsdifferenz in den vergangenen Jahren auf Kosten der KreditnehmerInnen gnadenlos bereichern konnten. Auslandskredite in US-Dollar für bis zu sieben Prozent Jahreszins konnten ohne das Risiko einer Abwertung zu Zinssätzen zwischen 16 (für Häuser) und bis zu 36 Prozent (für Kreditkarten) verliehen werden. Ein einträgliches Geschäft.
Die Panik eben dieses Finanzsektors vor einer drohenden Abwertung des Colón, den vor allem die lokale Industrie und die Exportsektoren wie die Kaffeeproduzenten und die Maquila-Industrie forderten, dürfte für Präsident Flores ein Hauptgrund gewesen sein, den seit acht Monaten fertigen Vorschlag aus der Tasche zu ziehen. Das hochspekulative Finanzsystem befindet sich seit längerer Zeit in der Krise. Bankübernahmen und internationale Allianzen verhinderten bislang Probleme im Stil von Mexiko und Venezuela, wo der Bevölkerung immense Kosten in Höhe von mehreren Prozentpunkten des Bruttosozialproduktes aufgehalst wurden, um die Kosten der ineffizienten und teilweise kriminellen Handlungsweise der Bankiers aufzufangen. Einzig im Falle des eher auf internen Streitigkeiten der herrschenden Klasse beruhenden Konkurses des Kreditinstituts Credisa hat sich der salvadorianische Staat zur Übername der Konkurskosten von mehr als 100 Millionen US-Dollar (das entspricht knapp einem Prozent des Bruttosozialproduktes) bereit erklärt.
Aber der Finanzsektor hat mit hohen Zahlungsrückständen in der Kreditsparte zu kämpfen. Tausende von vorfinanzierten Mittelschichtshäusern stehen unverkauft und leer, KreditkartenbesitzerInnen erklären sich zahlungsunfähig und kleine und mittlere Unternehmen schließen ihre Läden unter der Zinslast. Dazu kommt, dass der Kaffeepreis im Keller liegt. Statt der notwendigen 120 US-Dollar pro Zentner werden derzeit auf dem Weltmarkt nur knapp 80 US-Dollar gezahlt. Einzig die Weltmarktfabriken (Maquilas) boomen und nach der kürzlich von den USA erweiterten Textilquote werden allerorts neue Freihandelszonen aus dem Boden gestampft. Aber gerade deren Betreiber beklagen sich über die hohen lokalen Produktionskosten im Vergleich nicht nur zu Nicaragua und Honduras, sondern auch zu Mexiko – weshalb auch sie eine Abwertung der lokalen Währung forderten. Genau diese Abwertung aber hätte den Finanzsektor wohl teilweise in den Ruin getrieben, da für die Begleichung der Dollarkredite nun plötzlich erheblich mehr Colones notwendig gewesen wären.
Die Banken reagierten auf die drohende Abwertung des Colón mit dem Vorschlag, die Zinsen zu senken. Die drei staatlichen Kreditinstitute kündigten eine Senkung ihrer Kreditzinsen an. Dieses Ansinnen wurde von den potentiellen Nutznießern wie der Baubranche, dem Finanzsektor, lokalen Unternehmen und gemeinen HypothekenabzahlerInnen unterstützt.
Die Pistole von Ex-Vizepräsident Merino
Nach der kühnen Ankündigung von Präsident Flores mussten noch die notwendigen Stimmen im Parlament her. Dort verfügt die regierende „Republikanisch Nationalistische Alianz“ (ARENA) nach dem Ausschluss eines Abgeordneten nunmehr über ein Drittel der Stimmen. Die FMLN stellte sich quer und betonte, vor allem das einseitige Vorpreschen der Exekutive sei kein akzeptables Handlungsmuster. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, die Währungshoheit ohne jede Diskussion aufzugeben. Die Drohungen, Verfassungsklage einzureichen und die Dollarisierung im Falle eines Wahlsieges rückgängig zu machen, dürften dagegen eher zahnlose Drohungen sein. Immerhin wurde die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes von namhaften JuristInnen angezweifelt, einer Position, der auch ein Teil der politischen Mitte nach gewissem Lavieren folgte. Schließlich verschafften die Christdemokraten und die ehemaligen Militärs der „Partei der Nationalen Versöhung“ (PCN) der Regierung aber doch die nötige Mehrheit. Eine soziale Opposition konnte sich angesichts der kurzen Zeitspanne kaum formieren.
Hier kam die Pistole des Ex-Vizepräsidenten Merino, heute Fraktionsvorsitzender der PCN, ins Spiel. Sturzbesoffen fand er nach einer feucht-fröhlichen Nacht im September nicht nach Hause und bedrohte stattdessen einen Nachtwächter mit der Waffe. Die alarmierte Polizei empfing er mit mehreren Pistolenschüssen, eine Polizistin wurde verletzt. Wahrlich kein würdiges Verhalten für eine Person seines Ranges: die Aufhebung der parlamentarischen Immunität schien mehr oder minder beschlossen zu sein, bis ARENA, zwei Tage vor Bekanntmachung des Dollarisierungsvorschlages, ihre Unterstützung für die Überführung von Merino an die zuständigen Gerichte mit konfuser Argumentation zurückzog und die PCN im Gegenzug der Dollarisierung zur Mehrheit verhalf.
Linke Bremsen werden gelockert
Aber nicht nur dies. In eben jener Parlamentssitzung wurde mit der großen Kelle angerührt. So wurde auch der Verkauf der bis dato noch im Staatsbesitz verbliebenen 25 Prozent der Telefonaktien beschlossen. Und um nicht weiter auf internationale Kredite angewiesen zu sein, hat die Regierung angekündigt, weiter auf Privatisierungen zu setzen.
Bislang hatte die FMLN über die Bewilligung der Auslandskredite ein starkes Mitspracherecht über die Verwendung dieser Gelder. So hatte die Frente zum Beispiel angekündigt, die Kredite für die „Modernisierung“ des Wasserwesens, in denen die Privatisierung impliziert war, nicht zu bewilligen. Äußerungen von Vertretern der Regierungspartei lassen darauf schließen, dass es damit nun vorbei sein dürfte. Konsequenterweise kündigte die Frente dann auch an, sich aus den so genannten Konzertationsgesprächen, die auf Initiative des Präsidenten eingeführt worden waren, zurückzuziehen, da über die wirklich relevanten Angelegenheiten sowieso nicht gesprochen werde.
Die Auswirkungen der Dollarisierung sind noch nicht eingehend analysiert worden. Allerdings ist von einem kurzfristigen Preisanstieg auszugehen, da die UnternehmerInnen bei der Umrechnung und Fixierung von Preisen kaum abrunden werden. Die diesbezüglich besonders „beliebten“ Busbesitzer haben denn auch bereits angekündigt, dass die städtischen Busse künftig statt umgerechnet 17 Cents runde 20 kassieren wollen, was einer Erhöhung von 18 Prozent gleichkommt.
Vorgezogenes Wahlkalkül?
Dem zu erwartenden allgemeinen Preisanstieg dürfte ein positiver Effekt durch die etwas niedrigeren Zinsen gegenüberstehen. Doch in den Genuss dieser lindernden Umstände kommt natürlich nur jene Minderheit, die überhaupt Zugang zu Krediten hat. In diesem Sinne dürfte es sich um einen Versuch der ARENA handeln, die schwindende Mittelschicht wieder für sich zu gewinnen, die vor allem in den Städten entscheidend für die Wahlgewinne der Linken war.
Das Kalkül der Regierung dürfte außerdem sein, dass die Zinssenkung zu einer Wiederbelebung der Wirtschaft führt und damit die Basis für einen erneuten Sieg in der Präsidentschaftswahl 2004 geschaffen werden könnte, während die mit der Dollarisierung verbundenen Preiserhöhungen bereits genügend weit zurückliegen werden. Die großen Unbekannten in diesem Spiel sind die Nachbarländer. Guatemala und Honduras haben ihre Währungen gegenüber dem Dollar in den vergangenen drei Jahren um 30 bis 50 Prozent abgewertet — und damit auch gegenüber dem Colón. In Mexiko war dasselbe Phänomen zu beobachten und im Vorfeld der Amtsübernahme von Fox wurde die Abwertung erneut zum Thema. Wenn der Freihandelsvertrag zwischen Mexiko, Guatemala, Honduras und El Salvador tatsächlich von den Parlamenten ratifiziert werden sollte, dann wird der salvadorianische Markt gegenüber Ländern offen sein, die ihre Währungen abwerten und damit ihre Exporte verbilligen können. In einem solchen Fall wäre der Absatz der einheimischen Produktion mittelfristig noch schwieriger, sprich kaum noch möglich.
Diesbezüglich sprechen die argentinisch-brasilianischen Beziehungen Bände. Nach der brasilianischen Abwertung des Real wurde der argentinische Markt, mit dem am Dollar fixierten Peso, von brasilianischen Waren, die mit einem Mal um die Hälfte billiger waren, überschwemmt, was den Mercosur in eine tiefe Krise stürzte.
Was eine Beschränkung der Erwerbsmöglichkeiten in der Maquila-Industrie und im Import- und Dienstleistungssektor für die ländliche Bevölkerung und den informellen Sektor bedeutet, ist in seinem gesamten Ausmaß noch schwer vorstellbar. Vielleicht sind ja die mehr als eine Million SalvadorianerInnen im Ausland – davon ein Großteil Kriegsflüchtlinge – nur die Vorboten der kommenden Welle von „Freihandels- und Dollarisierungsflüchtlingen“, die versuchen werden, die neue Mauer am Río Grande zu überwinden.