Guatemala | Nummer 276 - Juni 1997

Von Stolpersteinen und Perspektiven

Gibt es in Guatemala eine Frauenbewegung?

Eugenia Mijangos, die für das Menschenrechtszentrum CALDH arbeitet, nimmt den Friedensschluß als augenscheinlicher “Lösung des Hauptwi­derspruchs” zum Anlaß, den weiterhin existierenden “Nebenwiderspruch” zu analysieren. Sie ist seit Jahren in Frauenorga­nisationen aktiv und vertritt als Anwältin zahlreiche Verfassungsbe­schwerden zur Einforderung von Frauenrechten in der guatemalteki­schen Gesetzge­bung. Ihr folgender, in der Zeitschrift “Debate” vom 6. Januar 1997 erschienener Text befaßt sich mit dem Zustand der Frauenbewe­gung Guatemalas, ihren Forde­rungen und Perspektiven, und beleuchtet einen Ausschnitt der derzeit auflebenden Diskussionen.

Eugenia Mijangos

Schon die Frage, ob in Gua­temala über­haupt eine Frauen­be­we­gung existiert, führt unter Fe­mi­nistinnen und Mitgliedern der di­versen Frauenorganisatio­nen zu Diskussio­nen. Einige un­ter­stü­tzen wie ich die These, daß be­reits von der Existenz einer Be­wegung ausgegangen werden kann, andere halten diese Fest­stel­lung noch für verfrüht. Es hat in der öffentlichen Debatte schar­fe Kritik an den Frauenor­ga­nisationen gegeben. Der Vor­wurf lautet, sie hätten weder Re­prä­senta­tivität noch eine starke und organisierte so­ziale Basis. Auf diese Kritik erwidere ich: Wir Frauen haben nach wie vor gro­ße Schwierig­keiten, uns Zu­gang zum öffentlichen Raum zu ver­schaffen. Das liegt zum einen an der Kultur der Unter­ordnung, Angst und Abhän­gigkeit und zum anderen an der Ge­ring­schä­tz­ung, die uns schon als kleine Mäd­chen entgegenge­bracht wur­de. Darüberhinaus kön­nen wir nicht einfach an alle sozialen Aus­drucksformen, ins­besondere nicht an die neueren ge­sell­schaft­lichen AkteurInnen wie die In­dígena- oder die Frau­en­be­we­gung, die üblichen Krite­rien an­legen. Jeder Kampf hat sei­ne ei­ge­ne Besonderheit und un­ter­schied­li­che Ausdruckswei­sen.
In den sechziger Jahren, als in den USA die Demonstrationen für die Befreiung der Frau ihren Hö­hepunkt erreichten, also in den radikalsten Anfangszeiten der Bewegung, gab es in Gua­te­ma­la bereits einige Frauen, die sich für diese Themen interes­sier­ten. Ge­meinsam lasen und dis­kutierten wir Texte und such­ten uns eigene Zugänge zur Frau­enproblematik. Wir waren uns damals in die­sen Gruppen da­rüber im klaren, daß wir die Tex­te und Themen, die aus ande­ren Ländern kamen, analysieren muß­ten, ohne dabei unse­ren ei­ge­nen sozialen und historischen Kon­text aus den Augen zu ver­lie­ren.

Feministinnen als “Nestbeschmutzerinnen”

Diese Gruppen wurden in ih­ren Anstren­gungen entmutigt. Ih­nen wurde vorgeworfen, fremde Ide­en zu importieren, die nur das Kli­ma und die etablierten Or­ga­ni­sationsstrukturen störten. Au­ßer­dem, so hieß es, kämpften sie für Dinge, die jetzt nicht vor­ran­gig sei­en, und setzten sich für klein­bür­gerliche Forderun­gen ein. So kam es zur Absorbierung der Teil­neh­merinnen dieser Frau­en­gruppen durch andere Grup­pen, die sich meist den Kampf für so­zioökonomische Ver­besserungen als Hauptziel ge­setzt hatten. Die Forderungen, Käm­pfe und An­liegen der Frau­en wurden zu­rückgestellt. Auch rüc­kten sie in der gesell­schafts­po­litischen Aus­einandersetzung lan­ge hinter das Problem der ge­sell­schaftlichen Spaltung in In­dí­ge­nas und Ladi­nos, das die Auf­merk­samkeit der wichtigsten So­zial­wissen­schaft­lerInnen des Lan­des auf sich zog.
Nach dieser Zeit der “Zu­rück­stel­lung” ha­ben sich in den letz­ten zehn Jahren allmäh­lich Grup­pen, Vereinigungen und Kol­lek­ti­ve gebildet, in denen Frauen ih­re Problematik und For­derungen er­neut zum Aus­druck bringen. Von den ver­schiedensten Stand­punk­ten aus und mit unter­schied­lich­en Ar­beitsweisen widmen sie sich dem Kampf für die Rechte von Frauen. Inzwischen gibt es ver­schieden­ste Zu­sam­men­schlüs­se, darunter einige, die sich als fe­ministisch bezeichnen oder einer breiten Frauen­be­we­gung zuord­nen. Es gibt Gruppen von Gewerkschafterin­nen, an­de­re, die Arbeiterinnen im Haus­halt organisieren, Frauenvereine, Stu­dien­gruppen, studentische Frau­engruppen, Campesinas, Frau­en-Foren innerhalb der In­dí­gena-Bewe­gung, Frauen, die in den Medien arbeiten etc. Bei all die­ser Vielfalt koordinieren sie ge­meinsame Aktionen, Semi­na­re, Workshops und Demon­stra­tio­nen. Ihre Stimme war bei ver­schie­denen gesellschaftspoli­ti­schen Ereig­nissen zu hören. Das sehr breite Spektrum sehe ich als ei­nes der Merkmale unse­rer Be­we­gung und als Teil ihrer Stärke an.

Ein breites Spektrum …

Wollte ich versuchen, die Frau­enbewegung in Guatemala den verschiedenen Strömungen in­nerhalb des Feminismus zuzu­ord­nen – so­zialistisch, radikal, neo­liberal etc. -, so herr­schen mei­ner Meinung nach sozialisti­sche Forderungen vor. Denn die Mehr­heit der Gruppen kämpft für Reformen des Staates, der Poli­tik, der Gesetze, für eine wei­terge­hende Demokratisie­rung, für eine Verbesse­rung der Le­bensbedingungen und der staat­lichen Dienstleistungen für die Bevölkerung im Allgemeinen und für Frauen im Besonde­ren, so­wie für die gesellschaftliche Trans­formation, die auch zur Um­setzung ge­schlechts­spe­zi­fi­scher Forderun­gen notwendig ist.

… mit sozialistischem Akzent …

Die wichtigsten Forderungen und Aufga­ben, die wir hier in Gua­temala verfolgen, sind so breit gefächert wie die Frau­en­grup­pen unterschiedlich sind: Ei­ni­ge Frauen ar­beiten an der Durchsetzung von Reformen im Bil­dungssystem, um Stereo­type in der Erzie­hung zu beseiti­gen und für Frauen einen größe­ren Zu­gang zur Bildung zu errei­chen. Über verschiedene Aktio­nen wird der Ver­such unter­nom­men, die Bedingungen des Bil­dungs­angebotes an die soziale und kulturelle Realität insbeson­de­re der Familien in ländli­chen Ge­genden anzupassen. Andere Grup­pen setzen sich für die Ab­schaf­fung von diskri­minierenden Ge­setzen oder einzelner Para­gra­phen ein, wofür sie Gesetze­s­ent­wür­fe vorlegen oder rechtli­che Schrit­te gegen sol­che Ge­setze un­ternehmen. Andere ar­beiten in der Betreuung von mißhandelten Frau­en, be­mühen sich, auf Poli­tik und Alltag über­all dort ein­zu­wir­ken, wo Gewalt gegen Frauen aus­geübt wird. Wie­der andere or­ganisieren Frauen, die als Haus­angestellte oder in den Ma­qui­la-Betrieben arbeiten.

… und doch elitär?

Dennoch herrscht bei be­stimm­ten Volksor­ganisationen im­mer noch die Meinung vor, die Forderungen der Frauen stell­ten bis zu einem gewissen Grad eli­täre Probleme dar. Der Wi­der­stand und die Kritik, auf die die Be­wegung trifft, beruhen also auf der Un­kenntnis der so­zialen, wirt­schaftlichen und kulturellen Rea­lität der Frauen. Im Laufe der Ge­schichte gibt es immer wieder Be­wegungen mit bestimmten grup­penspezifischen Forde­run­gen, die eine Marginali­sierung und Dis­kriminierung er­leiden. Auf der Suche nach men­sch­li­che­ren und gerechteren Le­bens­for­men für alle sind aber gerade die­se Bewe­gungen notwendig, denn auch durch sie wird eine all­mähliche Entwick­lung des sozio­ökono­mischen Sy­stems er­reicht.
Die Bedeutung und Notwen­dig­keit ihrer Arbeits- und Orga­ni­sationsformen ist unbe­streitbar. Zum einen sind sie aus der Mar­gi­nalisierung, Unterordnung und Aus­beutung entstanden, die die ver­schiedenen Frauen tag­täglich er­leben. Außerdem sind sie eine wich­tige Voraussetzung dafür, daß die Frauen ein Selbst­ver­ständ­nis als soziale Gruppe er­rei­chen und ihr Selbstwertge­fühl und Selbstvertrauen stärken. Denn das herrschende kul­turelle Sys­tem er­zieht Frauen dazu, für an­dere zu le­ben. Jetzt aber be­gin­nen sie, sich gegen dieses Sy­stem zu be­haup­ten, das die Ent­frem­dung vom eigenen Körper, das “FÜR AN­DERE ZU SEIN”, als natür­lich ansieht, das Frauen in der häus­lichen Enge einsperrt, und das den Glauben, einer min­der­wer­tigeren Kategorie von Mensch anzugehören, ver­stärkt.
Frau­en werden- wie auch an­de­re “neue gesellschafliche Ak­teur­Innen” – immer mehr zu ei­nem Teil der sozialen Bewe­gung. Manchmal ignoriert, manch­mal sogar grausam ange­grif­fen, verschiedentlich mit Spott emp­fangen oder auch nur aus programmatischer Nützlich­keit oder wegen entsprechender Auf­lagen der internationalen Hilfs­organisatio­nen akzeptiert, sind sie dennoch da und werden trotz allem und überall stärker.

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