Von Stolpersteinen und Perspektiven
Gibt es in Guatemala eine Frauenbewegung?
Schon die Frage, ob in Guatemala überhaupt eine Frauenbewegung existiert, führt unter Feministinnen und Mitgliedern der diversen Frauenorganisationen zu Diskussionen. Einige unterstützen wie ich die These, daß bereits von der Existenz einer Bewegung ausgegangen werden kann, andere halten diese Feststellung noch für verfrüht. Es hat in der öffentlichen Debatte scharfe Kritik an den Frauenorganisationen gegeben. Der Vorwurf lautet, sie hätten weder Repräsentativität noch eine starke und organisierte soziale Basis. Auf diese Kritik erwidere ich: Wir Frauen haben nach wie vor große Schwierigkeiten, uns Zugang zum öffentlichen Raum zu verschaffen. Das liegt zum einen an der Kultur der Unterordnung, Angst und Abhängigkeit und zum anderen an der Geringschätzung, die uns schon als kleine Mädchen entgegengebracht wurde. Darüberhinaus können wir nicht einfach an alle sozialen Ausdrucksformen, insbesondere nicht an die neueren gesellschaftlichen AkteurInnen wie die Indígena- oder die Frauenbewegung, die üblichen Kriterien anlegen. Jeder Kampf hat seine eigene Besonderheit und unterschiedliche Ausdrucksweisen.
In den sechziger Jahren, als in den USA die Demonstrationen für die Befreiung der Frau ihren Höhepunkt erreichten, also in den radikalsten Anfangszeiten der Bewegung, gab es in Guatemala bereits einige Frauen, die sich für diese Themen interessierten. Gemeinsam lasen und diskutierten wir Texte und suchten uns eigene Zugänge zur Frauenproblematik. Wir waren uns damals in diesen Gruppen darüber im klaren, daß wir die Texte und Themen, die aus anderen Ländern kamen, analysieren mußten, ohne dabei unseren eigenen sozialen und historischen Kontext aus den Augen zu verlieren.
Feministinnen als “Nestbeschmutzerinnen”
Diese Gruppen wurden in ihren Anstrengungen entmutigt. Ihnen wurde vorgeworfen, fremde Ideen zu importieren, die nur das Klima und die etablierten Organisationsstrukturen störten. Außerdem, so hieß es, kämpften sie für Dinge, die jetzt nicht vorrangig seien, und setzten sich für kleinbürgerliche Forderungen ein. So kam es zur Absorbierung der Teilnehmerinnen dieser Frauengruppen durch andere Gruppen, die sich meist den Kampf für sozioökonomische Verbesserungen als Hauptziel gesetzt hatten. Die Forderungen, Kämpfe und Anliegen der Frauen wurden zurückgestellt. Auch rückten sie in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung lange hinter das Problem der gesellschaftlichen Spaltung in Indígenas und Ladinos, das die Aufmerksamkeit der wichtigsten SozialwissenschaftlerInnen des Landes auf sich zog.
Nach dieser Zeit der “Zurückstellung” haben sich in den letzten zehn Jahren allmählich Gruppen, Vereinigungen und Kollektive gebildet, in denen Frauen ihre Problematik und Forderungen erneut zum Ausdruck bringen. Von den verschiedensten Standpunkten aus und mit unterschiedlichen Arbeitsweisen widmen sie sich dem Kampf für die Rechte von Frauen. Inzwischen gibt es verschiedenste Zusammenschlüsse, darunter einige, die sich als feministisch bezeichnen oder einer breiten Frauenbewegung zuordnen. Es gibt Gruppen von Gewerkschafterinnen, andere, die Arbeiterinnen im Haushalt organisieren, Frauenvereine, Studiengruppen, studentische Frauengruppen, Campesinas, Frauen-Foren innerhalb der Indígena-Bewegung, Frauen, die in den Medien arbeiten etc. Bei all dieser Vielfalt koordinieren sie gemeinsame Aktionen, Seminare, Workshops und Demonstrationen. Ihre Stimme war bei verschiedenen gesellschaftspolitischen Ereignissen zu hören. Das sehr breite Spektrum sehe ich als eines der Merkmale unserer Bewegung und als Teil ihrer Stärke an.
Ein breites Spektrum …
Wollte ich versuchen, die Frauenbewegung in Guatemala den verschiedenen Strömungen innerhalb des Feminismus zuzuordnen – sozialistisch, radikal, neoliberal etc. -, so herrschen meiner Meinung nach sozialistische Forderungen vor. Denn die Mehrheit der Gruppen kämpft für Reformen des Staates, der Politik, der Gesetze, für eine weitergehende Demokratisierung, für eine Verbesserung der Lebensbedingungen und der staatlichen Dienstleistungen für die Bevölkerung im Allgemeinen und für Frauen im Besonderen, sowie für die gesellschaftliche Transformation, die auch zur Umsetzung geschlechtsspezifischer Forderungen notwendig ist.
… mit sozialistischem Akzent …
Die wichtigsten Forderungen und Aufgaben, die wir hier in Guatemala verfolgen, sind so breit gefächert wie die Frauengruppen unterschiedlich sind: Einige Frauen arbeiten an der Durchsetzung von Reformen im Bildungssystem, um Stereotype in der Erziehung zu beseitigen und für Frauen einen größeren Zugang zur Bildung zu erreichen. Über verschiedene Aktionen wird der Versuch unternommen, die Bedingungen des Bildungsangebotes an die soziale und kulturelle Realität insbesondere der Familien in ländlichen Gegenden anzupassen. Andere Gruppen setzen sich für die Abschaffung von diskriminierenden Gesetzen oder einzelner Paragraphen ein, wofür sie Gesetzesentwürfe vorlegen oder rechtliche Schritte gegen solche Gesetze unternehmen. Andere arbeiten in der Betreuung von mißhandelten Frauen, bemühen sich, auf Politik und Alltag überall dort einzuwirken, wo Gewalt gegen Frauen ausgeübt wird. Wieder andere organisieren Frauen, die als Hausangestellte oder in den Maquila-Betrieben arbeiten.
… und doch elitär?
Dennoch herrscht bei bestimmten Volksorganisationen immer noch die Meinung vor, die Forderungen der Frauen stellten bis zu einem gewissen Grad elitäre Probleme dar. Der Widerstand und die Kritik, auf die die Bewegung trifft, beruhen also auf der Unkenntnis der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Realität der Frauen. Im Laufe der Geschichte gibt es immer wieder Bewegungen mit bestimmten gruppenspezifischen Forderungen, die eine Marginalisierung und Diskriminierung erleiden. Auf der Suche nach menschlicheren und gerechteren Lebensformen für alle sind aber gerade diese Bewegungen notwendig, denn auch durch sie wird eine allmähliche Entwicklung des sozioökonomischen Systems erreicht.
Die Bedeutung und Notwendigkeit ihrer Arbeits- und Organisationsformen ist unbestreitbar. Zum einen sind sie aus der Marginalisierung, Unterordnung und Ausbeutung entstanden, die die verschiedenen Frauen tagtäglich erleben. Außerdem sind sie eine wichtige Voraussetzung dafür, daß die Frauen ein Selbstverständnis als soziale Gruppe erreichen und ihr Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen stärken. Denn das herrschende kulturelle System erzieht Frauen dazu, für andere zu leben. Jetzt aber beginnen sie, sich gegen dieses System zu behaupten, das die Entfremdung vom eigenen Körper, das “FÜR ANDERE ZU SEIN”, als natürlich ansieht, das Frauen in der häuslichen Enge einsperrt, und das den Glauben, einer minderwertigeren Kategorie von Mensch anzugehören, verstärkt.
Frauen werden- wie auch andere “neue gesellschafliche AkteurInnen” – immer mehr zu einem Teil der sozialen Bewegung. Manchmal ignoriert, manchmal sogar grausam angegriffen, verschiedentlich mit Spott empfangen oder auch nur aus programmatischer Nützlichkeit oder wegen entsprechender Auflagen der internationalen Hilfsorganisationen akzeptiert, sind sie dennoch da und werden trotz allem und überall stärker.