Ecuador | Nummer 342 - Dezember 2002

Wahl zwischen „Arm und Reich“

Multimillionär oder Ex-Oberst: Ecuador wählte am 24. November seinen neuen Präsidenten

Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im Oktober stoßen in der Stichwahl zwei Welten aufeinander: Der Bananenmulti Alvaro Noboa, Inbegriff eines neoliberalen Wirtschaftskurses, und Lucio Gutiérrez, linksorientierter Ex-Militär mit Rebellionsvergangenheit, mussten sich am 24. November der Wahl stellen. Gutiérrez, der in Umfragen vor dem zweiten Wahlgang deutlich in Front lag, könnte für einen politischen Salto in Ecuador sorgen, der ein Phänomen auf dem Kontinent fortsetzt: Die Linke im Aufwind.

Tommy Ramm

Die Überraschungen machen im südamerikanischen Superwahljahr auch vor Ecuador nicht halt. Bei 34 Prozent Wahlenthaltung – Rekord unter den Ländern, in denen Wahlpflicht herrscht – gewann am 20. Oktober der 45-jährige Ex-Oberst Lucio Gutiérrez in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen mit 20,5 Prozent der Stimmen. Eine Woche vor der Stichwahl am 24. November hatte er beste Chancen, seinen Siegeszug fortzusetzen. Umfragen sahen ihn mit rund 18 Prozent vor seinem Kontrahenten Alvaro Noboa, dem wahrscheinlich reichsten Mann des Landes.
Mit exzessiven Kampagnenausgaben, die derzeit von der Wahlkommission überprüft werden, kaufte sich der Bananenmulti Noboa regelrecht den zweiten Platz. Auf 1,2 Milliarden US-Dollar wird dessen Vermögen geschätzt, wovon er im Wahlkampf gönnerhaft einen Bruchteil unter die arme Bevölkerung verteilt hatte. Noboa ist Besitzer von 170 Firmen, unter ihnen der riesige Bananenkonzern Bonita. Ihm gehört eine Bank, eine Fluglinie und 34 Frachtschiffe. Dennoch wisse er zu unterscheiden, was seine Firmen sind und was dem Staat gehöre, erklärte der Bananenmulti gewissenhaft in Interviews. Recht glauben will ihm das niemand. Für den Einzug in die Stichwahl ließ sich Noboa von Anhängern und Angestellten in einer seiner Firmen feiern. Politik lässt sich halt nicht immer vom Geschäft trennen. Für Noboa ist Politik Geschäft. Dass auf seinen Bananenplantagen Kinder schuften müssen und er laut einem Bankkunden nicht Präsident aller EcuadorianerInnen sein könne, wenn seine eigene Banco del Litoral Kredite mit 19 Prozent Zinsen verleihe, sei nach Noboa eine Frage von Angebot und Nachfrage.

“Arm gegen Reich“

Mit Noboa und Gutiérrez treffen zwei Personen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein können: Noboa ist die Hoffnung der Eliten und Gewinner der Dollarisierung. Gutiérrez vertritt die Armen und stellt die sozialen Belange in den Vordergrund. Analysten proklamierten die Stichwahl daher nicht zu Unrecht als Urnengang von „Arm gegen Reich“. Wer die Mehrheit bildet, steht außer Frage. Von zwölf Millionen EcuadorianerInnen leben 71 Prozent unter der Armutsgrenze. Nur Bo-livien und Nicaragua stehen im kontinentalen Vergleich schlechter da. Ein verarmtes Potenzial, dass Gutiérrez als deren Hoffnungsträger nicht nur im Oktober nutzen konnte, sondern bereits vor zwei Jahren.
Aufmüpfige Militärs unter Führung von Gutiérrez und Indígenas des mächtigen Dachverbandes CONAIE zettelten am 21. Januar 2000 eine Rebellion gegen die Politik der Ausgrenzung und des Sparkurses bei Sozialausgaben an, die jedoch in einem Armeekomplott mündete (siehe LN 308). Zwar konnte der damalige Präsident Jamil Mahuad aus dem Amt gedrängt werden, doch sein Vizepräsident Gustavo Noboa wurde mit Hilfe einer elitetreuen Militärspitze in den Präsidentenpalast gehievt. Gutiérrez landete wegen Anstiftung zur Rebellion für mehrere Monate im Knast. Erst eine Amnestie ermöglichte ihm den Beginn seiner politischen Laufbahn. Umso bemerkenswerter war nun sein Etappenerfolg auf institutionellem Weg in so kurzer Zeit.

Wundermittel US-Dollar

Ecuador gilt laut einer Studie des Instituts „Internationale Transparenz“ nach Paraguay als das Land, das auf dem Subkontinent am stärksten unter der Korruption zu leiden hat. Rund zwei Milliarden US-Dollar verschwinden jährlich in den Kanälen staatlicher Institutionen. Bei einem Bruttosozialprodukt von rund 13,9 Milliarden US-Dollar laut Analysten genug, um den unterfinanzierten Haushalt bei Bildung und Gesundheit zu sanieren.
Als einzig probates Mittel zur Bekämpfung der seit 1998 anhaltenden Wirtschaftskrise, das vehement durch den Internationalen Währungsfond IWF gefordert wurde, galt die Einführung des US-Dollar. Dieser kursiert seit März 2000 als offizielles Zahlungsmittel in Ecuador. Die Rebellion unter Gutiérrez konnte ihn nicht verhindern. Wirtschaftsstrategen erhofften sich mit dem US-Dollar neue Anreize für Investoren, ein Stoppen der Hyperinflation und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum durch Finanzmarktstabilität.
Von Erholung ist jedoch kaum etwas zu spüren: Zwar kann sich das Land auf ein statistisches Wachstum von knapp fünf Prozent berufen, doch die erdrückenden und steigenden Auslandsschulden von 14,3 Milliarden US-Dollar lassen keinen Raum für staatliche Investitionspolitik. Über 31 Prozent der Exporteinnahmen müssen für den Schuldendienst abgestellt werden. Das Land exportiert alle Rohstoffe, die es zu bieten hat, auf Kosten der Umwelt und Bewohner, um Devisen ins Land zu bekommen. Besonders Erdöl.
Die Inflation konnte gedrosselt werden, trotz Dollareinführung ist sie dennoch weit höher als in den USA. Mitte 2002 lag sie bei 10 Prozent. Die Folge: mehr Armut durch rasant steigende Preise, Abbau von Subventionen, keine Absatzmöglichkeiten für inländische Firmen im Ausland und weitere Verschuldung des Staates, um die Gehälter im öffentlichen Dienst zahlen zu können. Die Preise haben sich in den letzten zwei Jahren teils verfünffacht, die Lebenshaltungskosten entsprechen in bestimmten Sektoren bereits US-Niveau.
„Wir wollen, dass diejenigen, welche die wirtschaftliche Macht haben, verstehen. Wenn es keinen sozialen Ausgleich gibt, wird das Land wie ein sinkendes Schiff untergehen. Dann versinkt alles, davor werden sich auch die Reichen nicht retten können“, sagte vor gut einem Jahr Gutiérrez kämpferisch. Die Bevölkerung ergreift die Flucht. Monatlich, so wird geschätzt, kehren rund 20.000 EcuadorianerInnen ihrem Land den Rücken in Richtung Europa oder den USA. Rund 12 Millionen Menschen leben in Ecuador, auf rund zwei Millionen Menschen soll die Auslandsgemeinde, die sich mit Billigjobs durchschlägt, bereits angewachsen sein.
Dennoch gehört diese Gemeinde zum größten Wirtschaftszweig: Jährlich überweisen die AussiedlerInnen über 1,5 Milliarden US-Dollar ins Land, um ihre Familien etwas zu unterstützen. Für Gutiérrez ein soziales Desaster: „Kinder müssen ohne ihre Väter aufwachsen, weil sie im Ausland wie Sklaven schuften müssen. Die Familien werden zerstört. Dank der Ungerechtigkeiten, Korruption und fehlender Beschäftigung.“

Kontinentalbündnis gegen Auslandsverschuldung

Seine Ziele stellt Gutiérrez in einen internationalen Kontext. Denn die Probleme Ecuadors sind nicht hausgemacht, eher Folge internationaler Wirtschaftspoltik. Eine Lösung will er deswegen nicht nur im nationalen Rahmen suchen, sondern in einer kontinentalen Kraftanstrengung herbeiführen. Auf dem Ersten Weltsozialforum in Porto Alegre versuchte er Ideen zu sammeln, in Mexiko beobachtete er den Marsch der Zapatistas in die Hauptstadt. Gutiérrez setzt sich für ein kontinentales Bündnis ein, „das einen globalen Vorschlag gegen die Auslandsschulden der lateinamerikanischen Länder umfasst“. Dies würde Neuverhandlungen unter besseren Gesichtspunkten ermöglichen, so seine Anschauungen. Unterstützung wurde ihm aus Kolumbien zuteil. Die dortige linke parlamentarische Bewegung Polo Democrático forderte Gutiérrez, Lula und Chávez in einem Brief Anfang November auf, eine Schuldenbank einzurichten, welche die Zahlungs-modalitäten der drei Länder neu definieren soll. Auf rund 751 Milliarden US-Dollar werden die Schulden Lateinamerikas veranschlagt, knapp die Hälfte davon tragen Brasilien, Ecuador und Venezuela.
Obwohl er inzwischen hoffähig ist, deuten die politischen Aussagen und Ziele des ehemaligen Militärs Gutiérrez auf Konfrontation hin. Was unter den ärgsten Feinden bereits jetzt das Bild eines kubatreuen Kommunisten heraufbeschwört. Alvaro Noboa konzentrierte seinen Wahlkampf auf diese Angst: „Die Menschen haben die Wahl zwischen einem gefährlichen Kommunisten und mir, der Arbeitsplätze und Stabilität verspricht“, so der Multimillionär. Eine Schmutzkampagne sollte im November folgen: Der Sprecher von Noboa bezichtigte Gutiérrez der Misshandlung seiner Frau. Gutiérrez selber wies diese Anschuldigungen ab und klagte Noboa des Versuchs an, Dokumente zu fälschen, um ihn als Oberst des illegalen Waffenhandels mit der kolumbianischen FARC-Guerilla zu überführen.
Gutiérrez ruft mit einem „entpolitisierten Programm“, dessen Inhalt bisher reichlich wenig definiert ist, zwar zur Einheit auf, doch Konfliktpunkte kristallisieren sich heraus. Er gilt als klarer Gegner des Plan Colombia, der zur ernsten Gefahr für Ecuador werden könnte. „Ein großes Morden“ sieht er hinter den Militärplänen, die im Nachbarland Kolumbien mit US-Unterstützung durchgeführt werden. Eine Bekämpfung des Drogenanbaus kann er darin nicht erkennen, sondern allein eine Methode zur Erhaltung der US-Hegemonie. Die Folgen für sein Land seien weitreichend: „Neben den Tausenden Vertriebenen, welche durch die Besprühungen ihr Land Richtung Ecuador verlassen, kommen auch die Drogenhändler.
Wenn in Kolumbien die Bedingungen für Kokafelder und Labore nicht mehr gegeben sind, werden sie hier weiter machen. Deswegen bringt die Strategie der Drogenbekämpfung nichts als Tote und weitere soziale Verschärfung“, so Gutiérrez, der eine Einbindung seines Landes in den benachbarten Krieg strikt ablehnt. Die Gründe für den kolumbianischen Konflikt haben nach seiner Sicht einen sozialen Hintergrund, was ihm langfristig den Groll aus Washington im Falle eines Wahlsieges einbringen könnte. Dort gilt die Guerilla als terroristische Vereinigung.
Dennoch zeigte sich die US-Regierung nach dem Überraschungserfolg von Gutiérrez ungewohnt sprachlos, obwohl er auch die US-Militärbasis Manta, an der nördlichen Pazifikküste gelegen, in Frage stellt. Dort sind mehrere hundert US-Soldaten und private US-Söldner ansässig, die den Luftraum der Region überwachen und von dort Sprüheinsätze zur Kokafeldervernichtung an der kolumbianisch-ecuadorianischen Grenze fliegen. „Die Basis wurde unter nicht verfassungskonformen Bedingungen vereinbart. Weder der Präsident mit seiner Unterschrift noch das Parlament mit einer Abstimmung haben die Stationierung von US-Truppen legitimiert. Wir wurden damit in einen Krieg involviert, der nicht unserer ist“, so Gutiérrez.

Kredit oder Konfrontation

Ob er die Stärke besitzt, die USA im Falle der Militärbasis zu Neuverhandlungen zu zwingen oder sie gar schließen zu lassen, bleibt abzuwarten. Denn von den Beziehungen zu den USA, die den IWF und die Weltbank politisch dominieren, hängt das Schicksal Ecuadors ab. Das Land braucht dringend Geld, wenn es seinen Schuldenzahlungen und der Haushaltskonsolidierung nachkommen will. Der Rahmen für Gutiérrez in Sachen politischer Neuausrichtung ist daher äußerst eng. Anfang Oktober ließ der IWF Verhandlungen für einen neuen Kredit platzen, nachdem immer unsicherer wurde, wer die Wahlen gewinnen würde. Der Fonds erlaubte sich die Dreistheit zu fordern, mit allen Kandidaten Vorgespräche über wirtschaftliche Programme zu führen. Ein Wahltipp des IWF blieb aber aus, nachdem der bis dato treue Präsident Gustavo Noboa dem Ansinnen eine Abfuhr erteilte. Der IWF zog sich zurück, ein Kredit von 240 Millionen US-Dollar kam nicht zustande.
Für Gutiérrez bleiben nur wenige Alternativen. „Keine weitere Verschuldung“, ließ er allerdings nach dem Wahlsieg verlauten. So bliebe ihm jedoch nur ein Schuldenmoratorium, womit die bisher geleisteten Kredite nicht zurück gezahlt würden. Eine Konfrontation mit der internationalen Finanzwelt, an der Ecuador Ende der neunziger Jahre wirtschaftlich zerbrochen war, wäre vorprogrammiert.
Will er neue internationale Kredite, kommen die USA ohne Zweifel ins Spiel. Gutiérrez wird sich im Falle der US-Basis Manta und der Unterstützung des Plan Colombia die Zähne ziehen lassen müssen. Und dieses Szenario erscheint wahrscheinlicher, nachdem auch Gutiérrez eingestanden hat, dass in dem fragilen Moment des Landes an der Dollarisierung nicht gerüttelt werden dürfe. Es bedürfe ausländischer Investoren, deren US-Dollar und niedriger Produktionskosten im Land, meint Gutiérrez. Solange diese jedoch nicht kommen, müsste wohl auch er auf Anleihen zurück greifen. Bei einem Besuch in Washington und Miami Anfang November versuchte er, Vertrauen zu gewinnen. Er sei kein Kommunist, auch kein Chavist. Diese Bedenken wolle er ausräumen. Ob er auf einen Konfrontationskurs in Sachen US-Basis geht, ist daher ungewiss. Doch mit Lula in Brasilien, Chávez in Venezuela und Gutiérrez in Ecuador könnte eine neue Epoche beginnen, welche der permanenten Schuldenfalle lateinamerikanischer Länder einen Ausweg zeigt.

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