Ecuador | Nummer 477 - März 2014

Das Verbrechen Frau zu sein

Der Kampf für das Recht auf Abtreibung

Die ecuadorianische Frauenrechtlerin Anaís Córdova-Paéz schildert die Proteste im Zuge der Neufassung des Strafgesetzes. Die Frauenrechtler_innen kämpfen um die Legalisierung der Abtreibung und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung.

Anais Córdova-Páez, Übersetzung: Katharina Wieland

Entkriminalisierung von Abtreibung bei Schwangerschaft in Folge einer Vergewaltigung – diese Mindestforderung formulierten Frauenrechtsbewegungen zur Aktualisierung des Abtreibungsgesetzes. Dies erfolgte im Zuge der Überarbeitung des Strafgesetzes durch das ecuadorianische Parlament im vergangenen Herbst. Nach dem Abtreibungsgesetz, das in seiner heutigen Fassung seit 70 Jahren existiert, ist eine Abtreibung zulässig, wenn eine geistig behinderte Frau vergewaltigt wurde oder wenn generell das Leben der Frau gefährdet ist. In Ecuador wird jedoch jede Stunde ein Mädchen oder eine Frau vergewaltigt, häufig im engeren Familienkreis, wo die Vergewaltigung nicht angezeigt wird oder nicht ans Licht kommt.
Das Recht der Frau auf Selbstbestimmung über ihren Körper und ihre Lebensziele ist seit jeher wichtigste Forderung ecuadorianischer Frauenrechtler_innen gewesen. Ihre Aktionen reichen von politischen Vorschlägen in den Bereichen Gesundheit und Gewalt über Medienkampagnen bis hin zur Entwicklung eigener Informationsstrukturen. Ein Beispiel dafür ist das Notfalltelefon „Sichere Abtreibung“ des Colectiva Salud Mujeres („Kollektiv Gesundheit Frauen“). Hier können sich Frauen zu medikamentöser Abtreibung sowie zu Verhütungsmitteln beraten lassen.
Den Höhepunkt der vergangenen Jahre erreichte die Arbeit der Frauenrechtler_innen am 10. Oktober 2013, als im ecuadorianischen Parlament die mögliche Neufassung des Strafgesetzes debattiert wurde und der Zivilgesellschaft die Möglichkeit gegeben wurde, Reformen anzustoßen. Zu den Novellierungen gehörten unter anderem die Forderungen der Frauenrechtsbewegung: Darunter die Entkriminalisierung von Abtreibung nach Vergewaltigung. Diese Forderungen wur­den von zwei Frauenrechtlerinnen vor der parlamentarischen Vollversammlung vorgetragen, während andere auf den oberen Rängen warteten und schließlich nackt demonstrierten.
Die Parlamentarier_innen ließ das nicht unberührt, die Reaktionen waren höchst unterschiedlich: die Sicherheitskräfte wussten nicht, wie sie mit den nackt demonstrierenden Frauen umgehen sollten, 24 Parlamentarier_innen sprachen sich für die Nichtverfolgung von Abtreibung aus. Drei Tage lang war die Debatte wichtigstes Gesprächsthema in der Nationalversammlung, der Presse und in der Bevölkerung. Die Frage der Freiheit körperlicher Selbstbestimmung wurde neu aufgeworfen.
Am Abend der Debatte äußerte sich Präsident Rafael Correa öffentlich dazu und betonte, dass er als gläubiger Katholik Abtreibung nicht legalisieren könne. Solange er Präsident sei, werde es nicht dazu kommen. Die Frauenrechtler_innen bezeichnete er als „schlecht erzogen“ und – um jeglicher Möglichkeit der Veränderung Einhalt zu gebieten – drohte er mit seinem Rücktritt, falls seine Partei diesen Forderungen nachgeben sollte. Somit stellte er erneut seinen Autoritarismus, sein konservatives Denken und seinen Machismus zur Schau.
In dem beständigen Kampf seit den 1930ern um das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Frau in Ecuador und ganz Lateinamerika werden höchst unterschiedliche Haltungen angetroffen. Sexuelle Gesundheit hat in Lateinamerika viele verschiedene Nuancen und das Recht auf freie Entscheidung über die eigene Fortpflanzung ist ein Mittel zum Wählerfang oder dient der Zurschaustellung von Macht. Die Beispiele sind divers.
Dem linken Spektrum zuzuordnende lateinamerikanische Regierungen zeigen sich fortschrittlich, sobald es aber um Frauenrechte geht, tritt eine andere Realität zu Tage. In Mittelamerika richten Staat und Kirche gemeinsam über die Entscheidung jeder einzelnen Frau und predigen Enthaltsamkeit als öffentlich gewünschte Politik. Dementsprechend wird die Frauenbewegung in dieser Region verfolgt.
In Mexiko hingegen hat der Kampf der Feminist_innen dazu geführt, dass 2011 Schwangerschaftsabbrüche im Hauptstadtdistrikt in allen Fällen entkriminalisiert wurden. In den meisten anderen Bundesstaaten des Landes bleibt Abtreibung jedoch weiterhin illegal. In Kolumbien wurden 2006 Schwangerschaftsabbrüche nach Vergewaltigung nur auf Grund des Drucks der Wähler_innen legalisiert. In Bolivien hingegen werden die Entscheidungen durch Abgeordnete und Regierungsmitglieder selbst vorangetrieben.
2013 wurde in einer Studie des ecuadorianischen Gesundheitsministeriums herausgefunden, dass unsichere Abtreibung an zweiter Stelle bei den Todesursachen von Frauen in Ecuador steht. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation treibt in Ecuador alle vier Minuten eine Frau ab. Häufig nutzen Frauen dabei höchst unsichere Methoden: Sie lassen sich mehrmals Treppen oder kleine Abhänge hinunter stoßen bis sie bluten, sie benutzen Nähnadeln um die Gebärmutter zu reizen oder führen sich Rattengift durch die Scheide ein, um starke Blutungen zu verursachen. Viele von ihnen sterben möglicherweise daran. Demgegenüber ist das Colectiva Salud Mujeres mit dem Notfalltelefon zur sicheren Abtreibung eine eigenständige Alternative, die vielen Frauen das Leben rettet und es ihnen ermöglicht, gut informiert eine Entscheidung zu treffen. Diese Möglichkeit sollte von staatlicher Seite allen Frauen garantiert werden.
Ecuador hat internationale Menschenrechtsvereinbarungen unterzeichnet und sich diesen verpflichtet. Internationale Organisationen fordern, dass Ecuador seine Gesetze reformiert. Und dennoch werden Frauen, die abtreiben, weiterhin gesellschaftlich und rechtlich kriminalisiert und das aus einer moralischen Laune seitens eines konservativen Teils der Gesellschaft, der sich im Diskurs des Präsidenten noch bestätigt sieht. Dabei vertritt dieser nicht einmal die Meinung der Mehrheit der ecuadorianischen Bevölkerung: 65 Prozent der Ecuadorianer_innen befürworten die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Folge einer Vergewaltigung. Außerdem ist es unverantwortlich gegenüber den ecuadorianischen Frauen, ihnen von staatlicher Seite dieses Recht abzusprechen und sie wegen Abtreibung strafrechtlich zu verfolgen – ob dieser nun eine Vergewaltigung vorausgegangen ist oder nicht, da diese Entscheidung allein der Frau überlassen sein sollte. Der Prozess hat zu einer nationalen Debatte rund um das Thema Abtreibung geführt. Sie sollte dazu dienen zu zeigen, dass Abtreibung weit verbreitet ist und trotz Illegalität ein legitimes Mittel für Frauen ist, die selbstbestimmt entscheiden wollen. Frauen über Sexualität und ihre Rechte aufzuklären ist Ziel der Frauenbewegungen, zwar ohne staatliche Unterstützung, aber doch mit Rückhalt in der Zivilgesellschaft. Wenn die Legalisierung per Gesetz nicht funktioniert, dann doch vielleicht in den Köpfen.

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