Nicaragua | Nummer 414 - Dezember 2008

Wahlergebnis wie geplant

SandinistInnen gewinnen Kommunalwahlen unangefochten, aber nicht ohne Makel

Der überwältigende Sieg der SandinistInnen bei den Kommunalwahlen vom 9. November ist mit dem Makel bizarrer Unregelmäßigkeiten behaftet. Gewalttätige Zusammenstöße in der Wahlnacht forderten einen Toten und mehrere Verletzte. Schwer beschädigt ist aber auch der Oberste Wahlrat, der eine transparente Auszählung verhinderte. Sieger ist letztlich Präsident Daniel Ortega, der die Kommunalwahlen als Plebiszit über seine bisherige Amtszeit inszenierte.

Ralf Leonhard

Er stand nicht zur Wahl, gewonnen hat er trotzdem. Präsident Daniel Ortega hat seit seiner Rückkehr an die Macht 2007 einiges auf den Weg gebracht: mehrere Sozialprogramme, wie Null-Hunger und Null-Wucher, um die Verarmung, die sich unter den rechtskonservativen Vorgängerregierungen verschärft hat, abzufedern. Gleichzeitig bemüht er sich, die Macht zu zentralisieren und die Voraussetzungen für eine zweite Amtszeit zu schaffen. Dafür wäre eine Verfassungsänderung notwendig. Umso wichtiger war für Ortega eine deutliche Bestätigung seiner Politik durch einen Sieg bei den Gemeindewahlen. Dieser Etappensieg ist ihm gelungen.
In 102 der 146 Gemeinden gewannen die KandidatInnen der Sandinistischen Front der Nationalen Befreiung (FSLN). Besonders wichtig war natürlich die Hauptstadt Managua, wo sich nach offiziellen Angaben der von Ortega aufgestellte ehemalige Boxchampion Alexis Argüello gegen den Liberalen Eduardo Montealegre knapp durchsetzte. Aber auch die meisten Provinzhauptstädte gingen an die SandinistInnen, nämlich Ocotal, Somoto, Estelí, Chinandega, León, Masaya, Rivas (erstmals seit 1990), Boaco, Matagalpa und San Carlos. Die Liberalen eroberten Jinotepe, Juigalpa, Jinotega und Granada und hielten Bluefields an der Atlantikküste
Allerdings bestehen Zweifel an den Resultaten. Zwar war das Komitee von Wahlexperten Lateinamerikas (CEELA) als Beobachter vor Ort, doch weder die Organisation Amerikanischer Staaten, die sonst zu allen Wahlen in Lateinamerika eingeladen wird, noch das bewährte Institut für Ethik und Transparenz oder andere zivilgesellschaftlichen Kräfte Nicaraguas waren zugelassen. In den Wahllokalen selbst waren teilweise nur sandinistische BeisitzerInnen anwesend, weil die Leute der Opposition, die ihre Akkreditierungen vom Obersten Wahlrat in letzter Minute und mit Formfehlern bekommen hatten, ausgeschlossen wurden. Auch im Wahlrechenzentrum blieben die sandinistischen FunktionärInnen unter sich.
In der Hauptstadt erhob der Liberale Eduardo Montealegre Anspruch auf den Sieg. Er berief sich auf die Wahlakte aus den einzelnen Lokalen, deren Ergebnisse allerdings mit den offiziell bekannt gegebenen Resultaten nicht übereinstimmten. Er legte zahlreiche Beispiele vor, nach denen einzelne Akte von der Wahlzelle bis zum Rechenzentrum seltsame Veränderungen erfahren hätten. In einem Wahllokal etwa seien nach seinen Dokumenten 101 Stimmen für die Liberalen und 82 für die FSLN abgegeben worden. Gemeldet wurde dann das umgekehrte Ergebnis. In einem anderen Lokal, wo die Auszählung 95:81 zugunsten der Liberalen ergeben hätte, habe der Wahlrat gar 281:5 für die FSLN registriert. Die Oppositionsallianz unter Führung der Liberal-Konstitutionalistischen Partei von Ex-Präsident Arnoldo Alemán verlangte daraufhin eine Neuauszählung, der Roberto Rivas, der Präsident des Obersten Wahlrates, nur widerwillig zustimmte. Anfechtungen in anderen Gemeinden wolle er allerdings nicht entgegennehmen.
Bei den SandinistInnen der ersten Stunde, die sich von Ortega längst getrennt haben, herrscht Alarmstimmung. Die Dichterin Giaconda Belli wundert sich in einem Kommentar, wie es eine Partei, die vor zwei Jahren bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gerade einmal 38 Prozent Zustimmung erreichte, plötzlich landesweit 60 Prozent Unterstützung erhalten könne, was auch in Widerspruch zu den Umfragen stehe.
Dora María Téllez, deren Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) ebenso wie die Konservative Partei wegen angeblicher Formfehler gar nicht zu den Wahlen zugelassen war, sprach in einem Interview von einem „barbarischen Stimmenraub“. Sie fürchtet, dass Ortegas Machtrausch nur „durch einen neuen Krieg“ zu bremsen sei. Wenn man das vermeiden wolle, müsse die Zivilgesellschaft sich gegen die diktatorischen Ambitionen des Präsidenten organisieren.
WählerInnen, die mit ihrem sandinistischen Bürgermeister eigentlich zufrieden sind, die zentralistische Machterweiterung des Ehepaars Ortega aber ablehnen, standen bei den Wahlen vor einem Dilemma.
Politisch riskant war indes die Entscheidung von MRS-Chef Edmundo Jarquín, dessen Leute ja nicht antreten durften, die jeweils aussichtsreichsten KandidatInnen gegen die FSLN zu unterstützen, egal ob sie der Liberalen Allianz, der Liberal-Konstitutionalistischen Partei oder der konservativen Allianz für den Wandel angehören. Parteiintern hat das zu einer Spaltung geführt. Der linke Flügel der MRS unter Mónica Baltodano verweigerte sich dieser Zusammenarbeit mit den traditionellen Gegnern der sandinistischen Idee und rief zur Abgabe ungültiger Stimmen auf.
Ortega und seine First Lady Rosario Murillo überließen nichts dem Zufall. Seit Wochen waren sie landauf, landab unterwegs, wenn es irgendetwas zu verteilen gab, seien es Schecks des Null-Hunger-Programms, Häuser eines Wohnbauprojekts oder von Venezuela gespendete Kochherde. Immer dabei war auch Boxchampion Alexis Argüello. Wer in den Genuss solcher Güter kommen will, tat allerdings gut daran, den „Bürgerbeteiligungskomitees“ (CPC) beizutreten. Diese haben mit Basispartizipation wenig zu tun. Es sind administrative Parallelstrukturen, die von den jeweiligen FSLN-ParteisekretärInnen getragen werden. Schon Monate vor dem Wahlkampf, auf dem FSLN-Parteitag Ende Februar, nahm Ortega allen KandidatInnen das Versprechen ab, sich im Fall ihrer Wahl den Entscheidungen der CPC zu unterwerfen. Das führe, so KritikerInnen, zur Unterhöhlung der in der Verfassung verankerten Gemeindeautonomie, einer Errungenschaft der sandinistischen Revolution. Denn unter Diktator Anastasio Somoza war die Autonomie der Kommunen aufgehoben worden.
Als die SandinistInnen 1990 abgewählt wurden, blieben neben mächtigen Basisorganisationen einige Gemeinden in sandinistischer Hand. Diese konnten aufgrund der Gemeindeautonomie eine gewisse Unabhängigkeit erobern. Ausländische Organisationen konnten auf diesem Wege gewachsene Strukturen an der Regierung vorbei erhalten. Dass jetzt die BürgermeisterInnen an die Kandare genommen werden, fügt sich in das Bild der autoritären Amtsführung. Ebenso wie die Übernahme der Frauenorganisation AMNLAE, die sich eine gewisse Unabhängigkeit erkämpft hatte, durch die FSLN. Eine Spaltung war die Folge. Ortega scheint das billigend in Kauf zu nehmen.
// Ralf Leonhard

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