Film | Nummer 453 - März 2012

Widerstand im Soja-Meer

Der Film Raising Resistance zeigt, wie der Anbau von Soja das ländliche Leben in Paraguay zerstört und wie dies Widerstand provoziert

Thilo F. Papacek

„Als ich nach dem Schwimmen zur Schule ging, konnte ich noch sehen“, erzählt der junge Silvio Peralta. „Doch schon während des Unterrichts konnte ich die Bücher nicht mehr sehen.“ Anfangs glaubte ihm niemand, doch als er dann gegen Bäume lief, ließ man ihn von Zuhause abholen. „Jetzt bin ich blind und kann so vieles, was ich früher konnte, nicht mehr machen. Und das nur wegen dieser verdammten Gifte.“ Seine Mimik verrät die Trauer um sein verlorenes Augenlicht.
Silvio Peralta ist mit seinen Freunden im Bach geschwommen, der nahe seines kleinen Dörfchens in Paraguay fließt, so wie es Generationen vor ihm schon getan hatten. Doch nun kann man sich nicht mehr einfach so im Wasser abkühlen. Die Großgrundbesitzer_innen, die auf den riesigen Feldern rings um das Dorf Soja anbauen, holen von diesem Flüsschen Wasser, um es mit Glysophat anzureichern und über ihren Feldern zu versprühen. Die Kisten, in denen das extrem aggressive Herbizid transportiert wird, lassen sie offen am Bach stehen, wo es das Wasser verseucht. Silvio Peralta hat es am schlimmsten erwischt, er ist nun blind.
Der Film Raising Resistance zeigt die kleinen Landwirte Paraguays bei ihrem Kampf ums Überleben. Dörfer mit kleinen Landwirten wie das von Silvio Peraltas Eltern gibt es immer weniger. Zu oft müssen die Kleinbäuerinnen und -bauern ihr Land aufgeben. Die Flächen werden dann von Großfarmer_innen aufgekauft, die dann mit großen Maschinen Soja auf ihnen produzieren. Die fortschreitende industrielle Landwirtschaft macht den Kleinbäuerinnen und -bauern dann den Garaus: Durch den Einsatz von Glysophaten auf den riesigen Sojafeldern wird deren Ernte vernichtet. Im schlimmsten Fall werden die Kinder vergiftet. Immer häufiger kommen in Südamerika Kinder mit Missbildungen zur Welt, was direkt auf den wachsenden Anbau von gentechnisch modifiziertem Soja beruht. Durch die Vergiftung der Landschaften werden die Kleinbäuerinnen und -bauern regelrecht vertrieben, was dann der Expansion der industriellen Landwirtschaft schließlich noch mehr Raum bietet.
Doch gegen dieses Phänomen wächst der Widerstand. Und der Film Raising Resistance beobachtet diesen Konflikt. So sieht man Geronimo Arevalos auf seinem kleinen Stückchen Land. Drumherum stehen Bäume, es wachsen neben Melonen und Maniok eine Vielzahl anderer Feldfrüchte, keine Monokulturen wie bei den Großfarmer_innen. „Da, in etwa 200 Metern, beginnt ein Sojafeld.“ Geronimo zeigt in eine Richtung. „In 1.500 Metern das nächste.“ Rundherum liegen die Felder. Geronimos Farm ist „eine Insel im Soja-Meer“, wie er es selbst nennt. Wenn die Gifte gesprüht werden, trägt der Wind sie auch auf seine Ernte. Später im Film sieht man ihn auf einem riesigen Soja-Feld: „Hier stand einmal ein Dorf,“ erklärt er. Sein eigener Ort soll nicht so enden. Deshalb wehrt er sich gegen die Zerstörung seiner Heimat – und organisiert Widerstand gegen das „verdammte Soja“. Das Feld, auf dem einmal ein Dorf stand, wird von Geronimo und seinen Leuten besetzt. Früher standen überall in der Gegend Bäume, erinnert sich eine Kleinbäuerin, eine Gefährtin von Geronimo, die in dem Film erzählt.
Auch Clemente Busanello erinnert sich gut an diese Zeit. Das war vor Jahrzehnten. Damals war er gerade aus Brasilien nach Paraguay gekommen. „Wir haben die ganzen Bäume umgesägt. Das war viel Arbeit“, erzählt er. Doch es habe sich gelohnt. Inzwischen besitzt er riesige Flächen, auf denen Soja wächst. Den Widerstand dagegen versteht er nicht. „Das sind Leute mit einem ganz niedrigen kulturellen Niveau. Wenn die Land besetzen und es erhalten, wissen die doch gar nichts damit anzufangen!“ Er sieht sich als einen Macher, einen, der Fortschritt und Wohlstand nach Paraguay brachte. Inzwischen ist er reich geworden, sogar sehr reich. Doch das sieht er als den gerechten Lohn für die Risiken und harte Arbeit, die er auf sich genommen hat.
Valirio Eichelberger ist noch nicht so weit, aber es ist sein Ziel, dorthin zu kommen. Auch er ist aus Brasilien gekommen – vor 29 Jahren, als er 13 Jahre alt war, mit seinem Vater. Sein Lebensmittelpunkt ist Paraguay, dennoch wird er von vielen als Fremder betrachtet. Er hat die kleinere Farm, die er von seinem Vater geerbt hatte, verkauft, um im weiter westlichen San Pedro eine größere zu ersteigern. EIchelberger hat kein großes Haus, keinen ganzen Fuhrpark wie etwa Clemente Busanello. Um seinen einzigen Traktor zu bezahlen, musste er eine Hypothek aufnehmen. „Ich muss das Soja säen, so oder so. Ansonsten verliere ich alles“, erzählt er, während er vor seiner Hütte sitzt. Im Hintergrund hört man die Rufe der Campesinos, die sein Feld besetzt haben, um die Aussaat zu verhindern. Es sieht so aus, als sei auch für ihn das Soja ein Fluch.
Es ist die große Leistung des Films Raising Resistance, dass er die verschiedenen Sichtweisen auf den Soja-Anbau darstellt, ohne zu werten. Die Menschen kommen zur Sprache, mit Empathie werden ihre Interessen gezeigt. Den Zuschauer_innen wird klar, dass das, was ein Großfarmer wie Busanello macht, falsch ist. Doch der Film spricht dies nicht aus, er macht auch Busanellos Position verständlich und verteufelt niemanden. Auch Sojabäuerinnen und -bauern, zumal kleinere wie Eichelberger, können Opfer des Sojabooms sein.
Ebenso wie auf die komplexe Situation in Paraguay, geht der Film auch auf die weltweite Verstrickung des Soja-Anbaus ein. Er zeigt Interviews mit Wissenschaftlern, die die Herbizide und die genmanipulierten Sojasorten entwickelt haben und beleuchtet deren Motivation. Auch die Verbindung der boomenden industriellen Landwirtschaft mit der internationalen Finanzwelt wird thematisiert. In einem Interview kommt auch der Manager eines Schweizer Investmentfonds mit seiner Sicht auf den Soja-Boom zur Sprache. Im Film wird deutlich, wie sehr auch unser Konsumverhalten in Europa mit der verheerenden Situation in Paraguay zusammenhängt.
Wie bei allen guten Dokumentarfilmen gibt es ruhigere Passagen, in denen einfach Bilder gezeigt werden. So kann die/der Zuschauer_in auch zur Ruhe kommen und über das, was da gezeigt wird, nachdenken. Dies ist wohl auch Ziel dieses Films. Und es ist ein wichtiger Film, der Bettina Borgfeldt, David Bernet und ihrem Team gelungen ist. Denn die Zerstörung der Lebensgrundlage der Menschheit durch die industrielle Landwirtschaft schreitet immer weiter voran. Oder in den Worten von Geronimo: „Es kann sein, dass wir die letzte Generation von Bauern in Paraguay sind.“

Raising Resistance // Bettina Borgfeld und David Bernet // Deutschland/Schweiz 2011 // 84 Minuten // Der Film ist über den Pandora Filmverleih erhältlich // Über die Internetseite www.raising-resistance.info kann man eine Filmvorführung für den eigenen Wohnort erbitten.

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