„WIR KÖNNEN ALLE ETWAS VERÄNDERN!”
Die kolumbianische Songwriterin und Latin-Grammy-Gewinnerin Marta Gómez glaubt an die politische Macht der Musik
Musik über Krieg und Frieden Marta Gómez ist auf Erfolgskurs (Foto: wikimedia.org/ CC-BY-SA 3.0, no changes made)
Bis heute hat Marta Gómez wahrlich keinen Grund, an ihrer Entscheidung zu zweifeln. Bislang zehn veröffentlichte Alben, zwei Latin Grammys, Auftritte auf renommierten Bühnen auf der ganzen Welt – es hätte schlechter laufen können. So einfach wie sie klingen, waren die Dinge auch für die Künstlerin mit der markanten, klaren Stimme nicht immer. Trotz der frühen Einflüsse durch die Größen der lateinamerikanischen Musik wie Silvio Rodríguez, Violeta Parra, Pablo Milanés und Víctor Jara oder den legendären Interpretationen von Mercedes Sosa dauerte es, bis sie ihren eigenen Zugang zum musikalischen Erbe ihres Kontinents fand. „Ich hatte die traditionellen Protestlieder satt. Dieses Bild von einem Mann mit der Gitarre, der von tieftraurigen Dingen singt. Ich trat dem damit entgegen, was mein Herz mir vorgab: Dem politischen und poetischen Song, den ich aus meiner Umgebung kannte, der mir aber auch die Möglichkeiten gab, zu experimentieren und die musikalisch-technischen Vorlieben zu entwickeln, die mir selbst sehr gefallen.” Erst das selbstgewählte musikalische Exil, begonnen mit 20 Jahren mit einem Stipendium der prestigeträchtigen Musikschule von Berklee/USA und bis jetzt durchgehalten (Marta Gómez lebt heute in Barcelona), verhalf ihr zu dem Stil, der sie auszeichnet und der nicht leicht einzuordnen ist. Sie selbst erzählt, wie sie manchmal Buena Vista Social Club als Referenz nutzte, wenn sie ihre Musik vorstellte. Heute, da diese doch sehr ungenaue Einordnung aufgrund ihrer eigenen Bekanntheit nicht mehr nötig ist, versucht sie es mit diesen Worten: „Meine Musik ist Folklore, in Jazz gehüllt, aber nicht tanzbar” und schiebt als Erklärung nach: „Folklore muss nicht immer eine Person in traditioneller Kleidung in ihrem Dorf sein. Natürlich ist das auch Folklore, aber es bedeutet nicht, dass wir sie nicht neu erfinden können.”
Die Erkenntnis, dass Musik gleichzeitig eine international verständliche Sprache und die Transformation der eigenen Herkunft in Wort und Klang sein kann, verhalf ihr während des Studiums im Ausland zur künstlerischen Selbstfindung: „Ich befand mich in Berklee in der Wiege des Jazz und trotzdem war es der perfekte Platz, um die Musik von dem Ort, aus dem ich kam, zu arrangieren”, erzählt die Künstlerin aus Calí. Sie traf hier auf ein multikulturelles Universum, in dem sie lateinamerikanische Folklore in Dialog mit den internationalen Einflüssen an der Akademie setzen konnte.
Marta Gómez singt nicht nur, mit ihrer Musik macht sie auch Politik
Es würde Marta Gómez allerdings nicht gerecht, ihre Musik auf die Produktion kultureller Werte zu reduzieren. Die verändernde Kraft der Musik als künstlerische Gabe, die die Herzen bewegen kann, macht aus ihren Liedern auch Werke von politischem Wert. In einem von Konflikten so gebeutelten Land wie Kolumbien ist ihre Bekanntheit auch dadurch gestiegen. Immer mehr Menschen verfolgen ihre Musik und identifizieren sich damit. Die internationale Aufmerksamkeit gewann Gómez vor allem mit „Para la guerra, nada” („Für den Krieg, gar nichts”), eine der aktuell wohl meistgespielten Friedenshymnen. Musikalisch nur auf Gesang und ein paar gezupften Gitarrenakkorden basierend beschreibt der Text von „Para la guerra, nada” all die schönen Dinge, die die Menschheit erfinden könnte, wenn nur die vielen Kapazitäten, die für die Forschung zu Krieg und Kriegstechnologie gebunden werden, frei würden. Das wirkt in Zeiten von ferngesteuerten Drohnenangriffen und Fake News verbreitenden Bot-Armeen unvermeidlich naiv, ist aber genau deshalb so kraft- und wirkungsvoll. Wer kann schon einem Kind eine sinnvolle Antwort auf die Frage geben, warum es Kriege geben soll? Obwohl der Song vor allem in Kolumbien zu einem Erkennungszeichen der Friedensbewegung wurde, schrieb ihn Marta Gómez nicht für ihr Heimatland, sondern anlässlich des Israel-Palästina-Konflikts. „Die Idee kam mir, als ich von dem sogenannten ‘Iron Dome’ in Israel hörte, einem mobilen militärischen Abwehrsystem, das alle in einem Umkreis von 70 km abgefeuerten Raketen zerstören kann. Und ich stellte mir vor, wie viel Zeit, wie viel Energie, wie viel Geld in so ein ausgeklügeltes System geflossen sein musste. Und was man alles mit diesen Ressourcen machen könnte, wenn es keinen Krieg gäbe.” Die Vorstellung ist im wahrsten Sinne entwaffnend. Und übertragbar wohl so ziemlich auf jeden Konflikt weltweit, was Marta Gómez schon bald nach Erscheinen des Songs unter anderem Einladungen zu Veranstaltungen der Friedensbewegung in Kolumbien und Israel bescherte. „Es ist ein Lied, das direkt gegen den Krieg gerichtet ist, und offenbar war das etwas, was momentan gerade sehr gefehlt hat”, erklärt die Sängerin. Und sagt damit nicht nur einiges über den aktuellen Zustand der Welt, sondern auch über den der Popkultur aus. Marta Gómez macht nicht ausschließlich politische Kunst (es gibt auch Kinderlieder und Texte über Blumen und Schmetterlinge von ihr), sieht sich aber dezidiert als politische Künstlerin. Involviert ist sie aktuell zum Beispiel bei der linken politischen Bewegung La Colombia Humana („Das menschliche Kolumbien”). „Meine Funktion auf dieser Welt sehe ich darin, durch meinen Gesang Politik zu machen. Und dabei beziehe ich mich natürlich auf linke Politik, auf den Sozialismus. Das heißt nicht, dass alle diese Meinung teilen müssen. Aber meine Position werde ich auf und neben der Bühne verteidigen, bis zum Ende.” Dass es dabei auch mal Widerspruch von den eigenen Zuhörer*innen gibt, ist dabei kein Problem für sie: „Klar höre ich öfter mal Dinge wie: ‘Ich mag ja deine Musik, aber du solltest dich darauf konzentrieren und das mit der Politik lassen.’ Solchen Leuten sage ich: Es freut mich, dass du meine Lieder magst, du solltest sie auch weiter hören. Wenn dir die Texte nicht gefallen, hör einfach mehr auf die Musik.”
Dass Musik als einigende Kraft über ideologische Differenzen hinweg Menschen verbinden kann, ist eine der stärksten Überzeugungen von Marta. „Die grundlegende Aufgabe der Kunst ist für mich, dass ich kommunizieren und dadurch Menschen in irgendeiner Form berühren kann. Die menschlichen Gefühle sind bei allen ähnlich. Jeder hat sich schon ein mal verliebt, jeder ist schon einmal verlassen worden. Wer das hört, kann sich damit identifizieren. Wenn ich es schaffe, dass mir ein anderer zuhört und davon bewegt wird, hat meine Musik ihre Funktion erfüllt.” Grenzen zieht sie aber bei den Anlässen, für die sie singt. Logisch, wer Texte über benachteiligte Frauen, Kinder oder Minenarbeiter*innen schreibt, kann schwerlich rechte Politiker wie Uribe in Kolumbien oder Bolsonaro in Brasilien unterstützen. „Auch für das Militär eines Staates könnte ich niemals auftreten. Vor dem Militär habe ich panische Angst. In manchen Ländern, wie Israel, freuen sich die Leute, wenn sie einen Soldaten auf der Straße sehen. In Kolumbien bin ich immer so schnell wie möglich weggelaufen!” Es würde zudem auch nicht zu ihrem Engagement für den Frieden passen, das sie mit ihren Auftritten in von Konflikten betroffenen Ländern verfolgt. „Wenn die Leute dort mir sagen, dass sie glücklich aus meinem Konzert gegangen sind, habe ich viel erreicht. Dass ich im Kontext des Kriegs Frieden vermitteln kann, ist für sich eine große Errungenschaft, die ich sehr schätze.”
Berührungspunkte hat Marta Gómez neben der Friedensbewegung auch mit dem Feminismus, speziell in Lateinamerika. „Es ist ermüdend, dass wir immer noch um so selbstverständliche Dinge wie das Recht auf Abtreibung kämpfen müssen” sagt sie und macht es natürlich trotzdem. Am UNO-Songprojekt „One Woman” war sie genauso beteiligt wie bei den Demonstrationen mit den „Pañuelos verdes” in Argentinien, wo sie auch auf die Madres de la Plaza de Mayo traf. Von denen hat sie eine wichtige Erkenntnis mitbekommen: Für den politischen Wandel sei es nicht so wichtig, wer gerade an der Regierung ist. „Die Madres sind seit Jahrzehnten auf der Straße, egal ob eine Militärdiktatur oder wer auch immer an der Macht war. Und sie haben viel bewirkt. Ihre Erfahrung war: Am Ende bist es du es selbst, die den Unterschied macht! Natürlich hilft es, wenn du von der Politik Unterstützung bekommst.
„Ich habe immer nur für Verlierer gestimmt”
Aber was mich betrifft – ich weiß gar nicht, wie sich das anfühlt! In meinem politischen Leben in Kolumbien habe ich immer nur für Politiker gestimmt, die verloren haben! Trotzdem glaube ich, dass sich im Land durch Basisbewegungen politisch viel verändert hat. Wir haben alle eine große politische Macht, auch wenn wir uns dessen oft gar nicht bewusst sind. In allen Lebensbereichen können wir durch unsere persönliche Einstellung etwas verändern. Wir müssen nur aufwachen und uns dieser Kraft bewusst werden!”
Dass sie selbst dieses Unterfangen aus einer relativ prominenten Position angehen kann, dafür sind Marta Gomez´ Preise und Nominierungen bei den Latin Grammys nicht ganz unwichtig. Zwei hat sie schon gewonnen – einen für die schönste visuelle Gestaltung eines Albums, einen für das beste Album für Kinder. Dieses Jahr ist sie mit ihrem aktuellen Werk „La alegria y el canto” für das beste Folklore-Album nominiert und fühlt sich deswegen zwar geehrt, aber mit 40 Jahren eigentlich noch zu jung dafür. “Diesen Preis geben sie doch normalerweise nur an 90-jährige, die ihr ganzes Leben lang nichts anderes gemacht haben als Folklore – für ihre Ausdauer…”, lacht sie. Am 15. November ist die Preisverleihung, sie gilt als aussichtsreiche Kandidatin. Und wenn es mit dem dritten Award doch nicht klappen sollte – auch nicht so schlimm. Die Schönheit und Wirkung ihrer Musik entfaltet sich schließlich noch auf vielen anderen Ebenen.