Kuba | Nummer 297 - März 1999

„Wir müssen die Herausforderung annehmen“

Interview mit dem Generalsekretär der Jungkommunisten, Ernesto González

Ernesto González ist Wissenschaftler und Generalsekretär der Unión de Jóvenes Comunistas (UJC) am Centro de Ingeniería Genética y Biotecnología in Havanna. Der 31jährige arbeitet seit 1991 im biochemischen und nuklearchemischen Forschungsbereich des Instituts. Knut Henkel sprach mit ihm insbesondere über spezielle und generelle Arbeitsbedingungen auf Kuba und ihre gesellschaftliche Bedeutung.

Knut Henkel

Herr González, welche Funktionen haben Sie hier am Institut?

Ich bin seit dem vergangenen Jahr Sekretär der Unión de Jóvenes Comunistas (UJC) in diesem Forschungsinstitut. Meine Aufgabe ist es, die Arbeit des wissenschaftlichen Nachwuchses zu koordinieren und zu kontrollieren. Außerdem stehe ich als Ansprechpartner zur Verfügung. Das sind recht wichtige Aufgaben, da die Leute hier in der Mehrheit jünger als dreißig Jahre sind.
Ein Teil meiner Aufgabe besteht in politischer Arbeit. Wir sind eine sozialistische Gesellschaft, mit einer Partei, mit einem bestimmten ökonomischen System, mit einer Geschichte und bestimmten Prinzipien. Diese Geschichte, diese Werte sind Bestandteil meiner Arbeit und werden u.a. in Veranstaltungen vermittelt. Unser Land hat vielfältige Schwierigkeiten, die auch hier diskutiert und analysiert werden und zwar nicht nur aus der Perspektive des Instituts, sondern auch aus gesellschaftlicher Perspektive.

Hier arbeiten die besten WissenschaftlerInnen Kubas, die besten Nachwuchskräfte im Forschungsbereich. Sind die Arbeitsbedingungen überdurchschnittlich gut und werden vielleicht sogar Dollar-Gehälter gezahlt?

Zuerst einmal werden keine Dollar, sondern Pesos gezahlt und die Gehälter variieren je nach Arbeitsplatz. Allerdings ist es ein Glücksfall für jeden Uniabsolventen, hier einen Job zu bekommen, denn das Zentrum hat einen sehr guten Ruf und die Arbeit bietet eine Perspektive. Zum einen expandieren wir von Jahr zu Jahr und die Umsätze steigen, zum anderen wächst auch der internationale Markt in diesem Sektor. Die Biotechnologie gehört bereits zu den wichtigeren kubanischen Wirtschaftszweigen. Zudem sind die Arbeitsbedingungen exzellent und das wissenschaftliche Niveau ist hoch – hier wird man gefordert und trägt Verantwortung. Wir haben einfach nicht die Schwierigkeiten, die es an anderen Arbeitsplätzen gibt – keine Stromausfälle, keine Materialengpässe und dergleichen. Natürlich können wir nicht aus dem Vollen schöpfen, den wir sind ein armes Land und hier stehen nicht Millionen von Dollar für ein Projekt zur Verfügung, doch wir realisieren unsere Forschungsprojekte und erhalten, was wir brauchen.

Wie sieht’s mit Vergünstigungen, den sogenannten estímulos, aus?

Die Leute müssen sich um den Transport zur Arbeit nicht kümmern, sie werden abgeholt. Es gibt eine Klimaanlage, das sind Bedingungen, die nicht alle Angestellten in Kuba haben. Die guten Arbeitsbedingungen sind also durchaus ein Anreiz, wenn man so will. Dies trifft auch auf das Kantinenessen zu, das sehr gut ist. Außerdem werden wir mit Arbeitskleidung versorgt und von Zeit zu Zeit sogar mit Freizeitkleidung.
Das Institut organisiert hin und wieder Ausflüge an den Strand oder in ein Kabarett – all das sorgt natürlich für Motivation und für ein positives Betriebsklima. Hinzu kommen Fortbildungsprogramme – so kann man hier am Institut zum Beispiel seinen Doktortitel erwerben, Fremdsprachen lernen und vieles mehr. Ein weiterer Arbeitsanreiz sind die Prämien in US-Dollar, die für hervorragende Leistungen ausgeschüttet werden.

Für kubanische Verhältnisse sind dies traumhafte Arbeitsbedingungen, denn hier gibt es genau das, was viele Jugendliche nicht haben – Perspektive. Viele Jugendliche fühlen sich vom Staat alleingelassen, weil der ihnen nichts anzubieten hat außer Niedriglohnjobs, von denen man nicht leben kann. Deswegen ziehen viele Jugendliche es vor, auf eigene Rechnung zu arbeiten, sich mit kleinen Geschäften auf der Straße über Wasser zu halten oder kriminell zu werden. Dies ist ein Problem für die kubanische Gesellschaft, genauso wie die zunehmende Prostitution und Korruption. Wie lassen sich diese unerwünschten Phänomene, die mit der Legalisierung des US-Dollar in Kuba eng verknüpft sind, beseitigen?

Hinter diesen Erscheinungen stecken viele Ursachen. Aber zuerst einmal glaube ich nicht, daß sie auf die gesamte kubanische Jugend zutreffen. Ich gehöre zu denjenigen die glauben, daß wir über unsere Arbeit weiterkommen, uns verbessern und prosperieren werden.
Aber natürlich kenne ich diese Phänomene, es gibt sie und wir müssen uns damit beschäftigen, denn sie zeigen, daß hier etwas ins Ungleichgewicht geraten ist.

Was könnte man den Jugendlichen denn anbieten? Es gibt nicht genug Arbeitsplätze für diejenigen, die hochqualifiziert sind und eine universitäre Ausbildung haben. Außerdem sind die Jugendlichen, die nichts mehr vom Staat erwarten, doch kaum zu erreichen?

Die Probleme haben viele unterschiedliche Ursachen, unter anderem auch historische. Aber sie hängen eben auch eng mit der wirtschaftlichen Krise zusammen, die wir nun seit 1991 durchleben.
Eine der Ursachen liegt in unserem Ausbildungssystem. Die ganze Bevölkerung hat die Möglichkeit zu studieren und anschließend eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen. Wir haben dabei jedoch vergessen, daß wir auch Tischler, Maurer oder Bauern brauchen. Denn Kuba ist nun einmal kein Industrieland, sondern ein Land, das in erster Linie von seinen Rohstoffexporten, wie dem Zucker, dem Tabak oder dem Nickel abhängt.
Mit der Garantie auf einen Arbeitsplatz ist es nicht getan, denn man muß auch die Interessen und Vorlieben eines Arbeitssuchenden berücksichtigen. Es fehlt in Kuba nicht an Arbeit, Arbeit gibt es im Überfluß – in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder, eines der weniger populären Beispiele, bei der Polizei. Aber kaum jemand will dort arbeiten, da die Perspektiven fehlen. Jedermann will hoch hinaus, Karriere machen, doch mit der wirtschaftlichen Krise ist auch dies nicht mehr möglich, denn viele Fabriken sind geschlossen und der Staat kann die Wünsche der Universitätsabgänger kaum mehr erfüllen. Zwar kann er noch einen Arbeitsplatz anbieten, doch entspricht dieser oftmals nicht mehr den Erwartungen.
Zudem gibt es auch mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt – ein wissenschaftliches Zentrum sucht sich eine Arbeitskraft aus vielen Bewerbern aus. Genauso gibt es mittlerweile Universitätsabgänger, die gar keinen staatlichen Arbeitsplatz wollen, die lieber in einem paladar (privates Kleinrestaurant) oder auf eigene Rechnung arbeiten, weil sie so augenblicklich mehr verdienen können.

Wenn ein Arzt es vorzieht als Taxifahrer oder Kofferträger im Tourismussektor zu arbeiten, weil er dort mehr Geld verdient, dann ist doch das Ende der Fahnenstange erreicht. Dann schaut die Regierung quasi zu, wie die Errungenschaften der Revolution vergeudet werden. Und, im Ernst, mit dem kubanischen Durchschnittslohn von etwa 210 Pesos kann doch niemand über die Runden kommen, wo soll denn die viel beschworene Arbeitsmotivation herkommen?

Natürlich ist dies ein Widerspruch, das ist richtig. Die Löhne sind sehr niedrig, vielleicht auch zu niedrig, um über die Runden zu kommen. Wir müssen unsere Wirtschaft effizienter organisieren, Rohstoffe sparen, produktiver produzieren und auf diesem Wege neue Perspektiven schaffen. Das ist eine Herausforderung und unsere Jugend muß diese Herausforderung annehmen. Natürlich müssen wir uns mit den Problemen auseinandersetzen, darüber reden. Es klafft eine immense Lücke zwischen den Erwartungen und der wirtschaftlichen Situation des Landes. Und es gibt einen evidenten Widerspruch zwischen denen, die auf eigene Rechnung oder in einem Tourismusbetrieb arbeiten und jenen, die eine Ausbildung hinter sich haben und in einem staatlichen Betrieb arbeiten. Hier im Institut gibt es einen recht hohen Lohn, aber das ist nicht überall so und die Schere zwischen den unterschiedlichen Einkommen geht weiter auseinander.

Aber warum wird denn nicht das Basislohnniveau erhöht, um dem weitverbreiteten Diebstahl am staatlichen Arbeitsplatz zu begegnen?

Natürlich kommt es vor, daß Produktionsmaterialien und Produkte aus staatlichen Warenhäusern verschwinden, aber um pauschal die Löhne heraufzusetzen fehlt es schlichtweg an der notwendigen Produktivität. Wie sollen wir das bezahlen?

Wo sehen Sie denn Lösungsansätze. Dies sind doch Fragen, die in Kuba viel zu wenig diskutiert werden, den Alltag der Bevölkerungsmehrheit jedoch stark prägen?

All diese Fragen und gerade diejenigen, die mit der Zukunft der kubanischen Jugend zu tun haben, wurden auf dem Kongreß der UJC im Dezember diskutiert…

…hinter verschlossenen Türen, nicht gerade transparent. Weder in der kubanischen Presse noch im Radio oder Fernsehen wurde breit darüber berichtet. Mehr als zwei, drei Sätze am Schluß eines Artikels waren darüber nicht zu lesen, das ist ein bißchen wenig, oder nicht? Fehlt es an Vertrauen, die Probleme zu benennen, die jeder kennt und die auf der Straße schließlich diskutiert werden? Macht sich die Organisation damit denn nicht unglaubwürdig?

Ich habe vom 7. – 11.12.98 an dem Kongreß teilgenommen. Dort wurden alle diese Themen diskutiert und es stimmt, es war kein offener Kongreß, sondern ein Kongreß, um intern über all diese Probleme offen und unbefangen zu diskutieren, um sich auf die Suche nach Lösungen zu begeben, Fehler und Versäumnisse zu analysieren und daraus zu lernen.
Es stimmt, die Diskussionsthemen sind nicht veröffentlicht worden, einige, weil sie diskret behandelt werden sollten, andere aus Gründen, die ich Ihnen nicht erklären kann.

Ist das denn das richtige Konzept – eine Berichterstattung über den Kongreß der kommunistischen Jugend ohne über die Probleme eben dieser Jugend zu berichten? Schließlich weiß jede und jeder in Havanna von den Razzien gegen organisierte und unorganisierte Prostitution, die seit September stattfinden und es war klar, daß dieses Thema auch auf dem Kongreß diskutiert wurde. Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, weshalb darüber nichts nach außen dringt. Welches Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit steckt dahinter – ist das nicht eher ein Eigentor?

Ich kann Ihre Position verstehen. Allerdings hat es immer mal wieder Berichte in der Zeitung der kommunistischen Jugend, der Juventud Rebelde, gegeben. Zwar nicht im Vorfeld des Kongresses, aber über Prostitution ist immer wieder berichtet worden. Es sind Interviews mit den vollständigen Namen der Personen veröffentlicht worden und es ist auch viel darüber diskutiert worden.
Im Vorfeld des Kongresses haben wir zudem mit den Verantwortlichen aus dem Tourismussektor darüber diskutiert, wie damit besser umgegangen werden kann. Auf dem Kongreß wurde auch über die zunehmende Prostitution, die steigende Kriminalität, die Probleme mit den paladares, den Selbständigen und den Bauernmärkten diskutiert.
In der Presse gab es Berichte darüber, aber es stimmt, daß nicht jeden Tag berichtet wurde und nicht alle Probleme zur Sprache kamen.

Die Berichterstattung beschäftigte sich in erster Linie damit, aufzuzählen, wer sich alles auf dem Kongreß sehen ließ. Erst in den letzten beiden Sätzen wurden dann einige der diskutierten Probleme angerissen. Das hat doch keinen Wert, oder sind Sie da anderer Meinung?

Natürlich fehlt eine fundierte Berichterstattung, doch das hängt auch mit der periodo especial zusammen und der Frage wie man mit Konflikten umgeht, ob man sie darstellt oder nicht.
Noch einige Worte zum Tourismus: Augenblicklich ist der Tourismus die Lokomotive der kubanischen Wirtschaft, aber mit dem Tourismus kamen und kommen auch viele negative Einflüsse. Auf die Nachteile des Tourismusbooms waren wir nicht vorbereitet. Zwar werden sie oberflächlich betrachtet durch seine Vorteile ausgeglichen, insbesondere der schnellen Amortisierung der Investitionen. Wir sind allerdings auf die Gewinne aus dem Tourismus angewiesen. Wir brauchen die Devisen, um Nahrungsmittel zu kaufen und um zu investieren – in eine bessere Zukunft.

Die Regierung hat jahrelang den Sextourismus nach Kuba toleriert und ist letztlich diesbezüglich dem dominikanischen Beispiel gefolgt, statt sich zu bemühen ein anderes Tourismuskonzept zu entwerfen – eines ohne halbnackte Mädchen auf den Prospekten und abseits vom derzeit geförderten Alles-Inklusive-Tourismus-Konzept, das sich in Kuba mehr und mehr durchsetzt. Wie erklärt sich das?

Wir haben uns vielleicht tatsächlich zu wenig um andere Tourismuskonzepte gekümmert, andererseits sind wir ein kleines Land, das eben nicht die Zeit hatte, sich lange Gedanken zu machen. Der Tourismus war ein Rettungsanker und dabei wurde die nötige Förderung auf hohem Niveau vernachlässigt. Andererseits fehlt es uns natürlich auch an Erfahrung. Es gab vorher keine Tourismusindustrie und wir haben anfangs nur auf die Besucherzahlen geschielt, statt auf die Rentabilität. Da sind bestimmt Fehler gemacht worden. Aber die Strategie hängt nicht allein von uns ab, sondern eben auch von den internationalen Partnern aus Spanien, Italien oder Kanada. Wir müssen uns jedoch neu orientieren, denn unsere Art des Tourismus kann nicht die des Sextourismus sein.

Aber läuft die Förderung der Prostitution nicht direkt über die Hotels…

Gerade dagegen kämpfen wir ja derzeit an. Das ist auf dem Kongreß diskutiert und kritisiert worden und das muß sich ändern. Es darf nicht sein, daß kubanische Frauen von Touristen wie Kubanern als Sexsymbol betrachtet und diskriminiert werden. Wenn kubanische Frauen in kubanischen Hotels vermittelt werden, muß das Personal komplett ausgetauscht werden, das ist mittlerweile beschlossen worden.

Wer soll das denn kontrollieren? Oftmals steckt die Belegschaft doch unter einer Decke, weil dadurch ein paar Dollar extra zu verdienen sind und die Polizei wird so schlecht bezahlt, daß einige Dollar sie schnell zum Schweigen bringt.

Auch dem möchte ich nicht widersprechen und es wird nicht so einfach sein, diese negativen Einflüsse zu beseitigen. Doch wir gehen bereits dagegen vor, der erste Schritt ist gemacht und weitere werden folgen.

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