Aktuell | Kolumbien | Nummer 550 – April 2020 – Onlineausgabe

„WIR MUSSTEN HIER IMMER KÄMPFEN“

Wie sich ein Bauer erfolgreich gegen den Drogenanbau wehrte

In seiner wechselvollen Geschichte geriet der Osten Kolumbiens mal unter den Einfluss der Revolutionären bewaffneten Kräfte Kolumbiens (FARC) mal unter den der Drogenkartelle und Paramilitärs. Für die ansässige Bevölkerung war das eine Zeit der Rechtlosigkeit zwischen Gewalt und Vertreibung.

Von Darius Ossami

Die weiten Ebenen der ostkolumbianischen Region Meta Begehrt für den Drogenanbau und inzwischen von der Erdölindustrie (Foto: Darius Ossami)

Eliceo Enciso Quevedo lebt in der Gemeinde Los Kioscos im ostkolumbianischen Department Meta, mitten in den weiten Ebenen der Llanos Orientales, die fast nur aus Feuchtsavannen und flachem Weideland bestehen. Meta gilt als gefährliche Gegend. Seit den 1980er Jahren hatten hier mal die FARC-Guerilla, mal verschiedene paramilitärische Verbände das Sagen. Der kolumbianische Staat trieb lediglich Steuern ein und schickte ab und zu die Armee, um den Anschein staatlicher Souveränität zu wahren. Inzwischen sind die Ebenen Ölfördergebiet.

Eliceo Enciso kommt im weißen Pick-up zum Busbahnhof in der Hauptstadt des Bezirks Villavicencio, er trägt ein kariertes Hemd, einen breitkrempigen Hut und einen stattlichen Bauch. Der Toyota und die beiden wortkargen, untersetzten Männer, die darin sitzen, sind vom Staat. Die Männer stellen sich als Washington und El Costeño* vor und haben jeder eine Knarre am Hosenbund. Sie sind seine Personenschützer.

Nach acht Stunden Autofahrt erreicht der Pick-up seine finca. Es ist schwülwarm, die Trockenzeit geht gerade zu Ende. Hühner und Ziegen laufen herum. Das Gebäude ist neu und schlicht, Paramilitärs hatten es vor Jahren in die Luft gesprengt. In der Umgebung gibt es keine Zäune, keine Dörfer oder Strommasten und kaum Bäume ‒ nur spärlich grüne Hügel.

Der 48-jährige „Don Eliceo“, wie er auch respektvoll genannt wird, sieht älter aus, als er ist. Aber nicht nur das harte Landleben hat seine Spuren hinterlassen, sondern auch die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit den bewaffneten Gruppen, dem Staat und der kolumbianischen Justiz. Er hat bereits vier Vertreibungen, mehrere Morddrohungen, Attentatsversuche, niedergebrannte Häuser und Granatenbeschuss hinter sich. Trotzdem ist er immer noch hier. Sein Vater kam 1965 in die Region und kaufte die finca Veladero, wo Eliceo 1971 geboren wurde. Damals war die Gegend nur zu Pferd erreichbar, erst 1977 wurde die erste befestigte Piste gebaut. In der Gemeinde Los Kioscos leben heute etwas über 200 Menschen auf 200.000 Hektar. Der Familie Enciso gehören 18.000 Hektar. Der Vater und seine Nachbarn nutzten die endlosen Weideflächen für die Rinderzucht, Don Eliceos Eltern betrieben zudem ein Restaurant und einen Laden.

Kämpferisch Don Eliceo Enciso Quevedo neben den Resten seiner Farm (Foto: Darius Ossami)

1980 tauchte die 39. Front der marxistischen FARC-Guerilla in der Gegend auf. „Die Guerilla war damals hilfsbereit und respektvoll“, erinnert sich Eliceo. „Sie hat für Recht und Ordnung in dieser Gegend gesorgt, die der Staat aufgegeben hatte.“ Doch ab etwa 1985 begann sie mit dem Drogenhandel und aus der Guerilla sei eine Verbrecherbande geworden, so Don Eliceo. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden in Meta und dem südlich gelegenen Department Guaviare Marihuana, später auch Koka angebaut. Drogenkartelle aus anderen Landesteilen begannen, große Landflächen zu erwerben. Aus ihren privaten Sicherheitsstrukturen gingen ab etwa 1990 die Paramilitärs hervor. Los Kioscos wurde Teil eines strategischen Korridors vom Amazonas-Tiefland bis nach Venezuela. Paramilitärs kauften die Kokablätter von der Guerilla, kristallisierten sie vor Ort in Drogenlaboren und brachten die Kokapaste über mehrere Stationen zu den Kartellen in den Norden. Abwechselnd wurde das Gebiet von der Guerilla oder den Paramilitärs beherrscht.

1993 kam die kolumbianische Armee und nutzte ungefragt das Restaurant und den Laden der Familie Enciso als Militärbasis. Als sie vier Jahre später wieder abzog, kehrte die Guerilla zurück. Sie zündete die nun leerstehenden Gebäude an, konfiszierte 1998 sämtliches Vieh und verlangte ein Schutzgeld von fünf Millionen Pesos – Geld, das die Familie nicht hatte. „Ökonomisch und moralisch am Boden zerstört“, wie Don Eliceo sagt, mussten sie das Land verlassen.

Jahrzehntelange Auseinandersetzungen mit bewaffneten Gruppen und dem Staat haben Spuren hinterlassen

Er erwarb eine andere finca. Sein neuer Nachbar damals wurde verdächtigt, der Guerilla geholfen zu haben: „Die Paramilitärs wollten ihn umbringen. Aber sie waren schlecht informiert und kamen zu mir. Sie haben mir das ganze Haus abgebrannt!“ Eliceo, der bei dem „Besuch“ nicht da war, fuhr anschließend in die nächstgelegene Stadt, wo die Paramilitärs damals ein Büro hatten, und forderte eine Entschädigung. Doch stattdessen verprügelten sie ihn und drohten, ihn und seine Familie umzubringen. Don Eliceo musste die Reste seiner finca verkaufen und zog an die Küste.

Perfide Mittel Für den Drogenanbau wurden Lebensgrundlagen zerstört (Foto: Fundaciòn Enciso)

Erst Ende 2006 kehrte er nach Veladero zurück. Diesmal wurde er von der Guerilla in Ruhe gelassen, denn er kannte den Anführer. Doch bald darauf kehrten die Paramilitärs zurück, sie hießen nun antisubversive Revolutionsarmee Kolumbiens (ERPAC). Die ERPAC bestand aus rund 1000 Kämpfern, die sich bei der offiziellen Auflösung der Paramilitärs 2006 nicht demobilisieren ließ und die Llanos Orientales kontrollierte. Offiziell kämpfte die Truppe gegen die Guerilla und hatte gute Verbindungen zur Armee, andererseits arbeitete sie im Drogenhandel mit den FARC zusammen. Neben dem Drogenhändler „Loco“ Barrera war Cuchillo der Kommandant des ERPAC. Eliceo kannte ihn: „Sein Vater hat mit meinem Vater zusammengearbeitet, sie waren Viehzüchter. Die Söhne waren beim Militär und haben danach die Paramilitärs organisiert.”

Drogenkartelle aus anderen Landesteilen begannen große Landflächen zu erwerben

2008 rief die ERPAC die Landwirte aus der Gegend zusammen, um sie dazu zu bringen, Koka anzupflanzen. Einigen Bauern gefiel die Idee, aber Eliceo, dessen Wort Gewicht hatte, sagte vor allen Leuten: „Ich werde kein Koka anpflanzen, da kann man nur verlieren. Ich mache da nicht mit.“ Kurz darauf, am 15. Dezember 2008, wurde Eliceo zum dritten Mal vertrieben. Man zitierte ihn zu einem Treffen von angeblichen Farmern. Dort angekommen war er jedoch der Einzige aus der Gegend; die bewaffneten Männer, die sich als neue Besitzer der fincas in der Nachbarschaft vorstellten, kamen aus dem Norden Kolumbiens – Strohmänner von „Loco“ Barrera, glaubt Eliceo. Der Anführer einer paramilitärischen Einheit, der mit dem Vorgehen seines Chefs nicht einverstanden war, überbrachte ihm telefonisch eine schlechte Nachricht: „Cuchillo hat den Befehl gegeben, dich umzubringen. Sieh zu, dass du wegkommst, morgen früh werden sie bei dir sein”. Don Eliceo und seine Familie rafften ihre Sachen zusammen und flüchteten Hals über Kopf. Der Überbinger der Nachricht wurde später erschossen.

Millionen Menschen wurden in Kolumbien Opfer von Vertreibung

Anfang 2009 zeigte Eliceo die militärischen Schulungszentren und Drogenlabore der ERPAC bei der Staatsanwaltschaft an. Tatsächlich führten daraufhin Armee, Antidrogenpolizei und der Inlandsgeheimdienst DAS zwei Razzien durch, an denen Eliceo selbst teilnahm. Am Abend der zweiten Razzia bekam Don Eliceo einen Anruf: „Der Anrufer sagte: ‚Hören Sie, Enciso: Man hat sieben Milliarden Pesos (1,6 Mio. Euro) bezahlt, damit die Operation abgebrochen wird und Sie sollen als Kanonenfutter dort gelassen werden. Es gibt einen Bus, steigen Sie da ein und hauen Sie von dort ab!’“ Das Geld soll an einen damals sehr hohen Befehlshaber gegangen sein, dessen Namen Eliceo nicht veröffentlicht sehen will. Die Aktion wurde abgebrochen, Cuchillo blieb unbehelligt. Kurz darauf entging Don Eliceo knapp einem Mordkomplott, in das ein bestechlicher Staatsanwalt verwickelt war. Er musste wieder fliehen und versteckte sich in Bogotá. „Das war der Moment, in dem ich am meisten Angst hatte“, sagt Eliceo und ringt nach Fassung. „Die Paramilitärs hatten es so sehr auf mich abgesehen, weil ich praktisch derjenige war, der den Widerstand anführte. Und sobald die Anführer aus der Gegend vertrieben sind, taucht merkwürdigerweise ein multinationaler Konzern auf.” Die Ölfirma Pacific Rubiales begann Anfang 2009 mit den Probebohrungen, auch auf dem Gebiet der Encisos.

Depot von Paramilitärs entdeckt Auf Hinweis von Don Eliceo (Foto: Fundaciòn Enciso)

Millionen Menschen wurden in Kolumbien Opfer von Vertreibungen. Mit dem 2011 verabschiedeten Gesetz 1448 soll ihnen ihr Land zurückgegeben werden. Eliceo machte 2012 als einer der Ersten davon Gebrauch, doch auch das erwies sich als harter Kampf. Ausgerechnet ein Strohmann von „Loco“ Barrera, trat mit gefälschten Papieren als Eigentümer seiner Finca auf. Der Richter ermittelte gegen Eliceo wegen „Verabredung zu einer schweren Straftat“. In dieser Zeit starb sein Vater an einem Herzinfarkt. Erst nach fünf Jahren und einem zermürbenden Rechtsstreit, bekam Eliceo seine Farm zurück. Er zeigt auf die Reste seines alten Hauses, aus dem er Ende 2008 flüchten musste. „Als ich zurückkam, war es völlig zerstört.“
Eliceo lebt heute wieder auf seiner Farm ‒ allerdings ohne seine Frau und seine Kinder, welche aus Sicherheitsgründen woanders leben. Seine Schwestern und Cousins konnten auch zurückkehren. Cuchillo soll angeblich auf der Flucht vor der Polizei ums Leben gekommen sein. „Loco“ Barrera sitzt mittlerweile in Haft, aber seine Strohmänner leben immer noch auf mehreren der Nachbarhöfen, und immer noch sichern Bewaffnete den Drogenkorridor. Die 39. Front der FARC wollte sich im Rahmen des Friedensvertrags mit der Regierung 2016 nicht entwaffnen lassen und gehört nun zu den Dissidenten. Don Eliceo erhielt wieder eine Todesdrohung und flüchtete mit Frau und Kindern kurzzeitig in die Stadt. Kurz darauf landeten zwei Granaten auf seinem Gelände.

Der aufreibende Kampf hat auch bei dem stets kämpferischen Eliceo Spuren hinterlassen. Müde sagt er: „Wenn ich gehe, werden meine Schwestern auch nicht kämpfen. Sie haben Angst. Und auch die anderen Landwirte würden aufgeben; auch deshalb habe ich diesen Typen unser Land nicht überlassen. Zumindest diese Gegend hier haben wir sauber gekriegt. Die illegalen Gruppen haben sich zurückgezogen, wir sind die Drogenlabore losgeworden. Das Ziel ist jetzt: nicht zu verlieren, was wir erreicht haben.“ Eliceo versucht juristisch die Enteignung der Strohmänner zu bewirken. Doch Im Department Meta, sagt er, arbeiten Staatsanwaltschaft, Armee und Polizei oft gemeinsam mit den örtlichen Paramilitärs zusammen.

Aber Don Eliceo ist nun nicht mehr der „kleine“ Bauer von früher. Er ist jetzt ein landesweit vernetzter Menschenrechtsaktivist und hat einflussreiche Kontakte nach Bogotá. „Deswegen“, sagt er, „haben sie ein bisschen Respekt vor uns und deshalb sind wir noch am Leben.“ Aber jetzt, wo die bewaffneten Gruppen abgezogen sind, muss Eliceo sich gegen die Regierung behaupten, welche hohe Steuern verlangt, aber keine Kredite gewährt – und gegen die Ölfirma, die jetzt Frontera Energy heißt und legal auf Don Eliceos Land vorgedrungen ist. Weil der damalige Präsidenten Álvaro Uribe 2009 ein Gesetz verabschieden lies, das die Öl- und Bergbauindustrie zum öffentlichem Interesse erhob, sind Landbesitzer verpflichtet, Rohstoffabbau und Infrastrukturmaßnahmen gegen eine Entschädigung zuzulassen. Zum Schutz der Anlagen ist sogar das Militär auf dem Gebiet der Firma stationiert.

Im Januar 2020 hat Eliceo den Fund eines paramilitärischen Depots angezeigt. Einen Monat später brannte das Gelände einer seiner fincas ab. Trotzdem wurde am 6. März nach vier Jahren überraschend sein Personenschutz widerrufen, seine Leibwächter Washington und El Costeño abgezogen. Mitte März durchsuchten Polizei und Militär seine Finca, im Auftrag der Ölfirma, wie er sagt. Die Encisos sollen 80 Prozent ihrer Ländereien an Frontera Energy abtreten. Mit juristischen Mitteln und seinem Netzwerk will er sich weiter wehren – und mit einem Dokumentarfilmprojekt. „Es ist schwierig, aber nicht unmöglich“, gibt er sich zum Abschied kämpferisch: „Wir nehmen den Kampf auf!“

*Namen geändert

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