“Wir schaffen eine neue Realität”
Besetzte Kaffeefinca in Chiapas ermöglicht neue Perspektiven
In dieser Zone, in der die Zapatistische Befreiungsarmee EZLN militärisch nicht präsent ist, haben Campesino-Organisationen verschiedenster politischer Richtungen zahlreiche Ländereien von Großgrundbesitzern besetzt, um dem historischen Ruf der landlosen Bauern nach Grund und Boden Geltung zu verschaffen. Eine dieser Organisationen ist die “Unión de Campesinos y Popular Francisco Villa”, die in 14 Gemeinden der Region Fraylesca aktiv ist. Trotz mehrerer bewaffneter Räumungsversuche durch von Großgrundbesitzern aufgestellte Söldnertruppen sogenannte Guardias Blancas befinden sich weiterhin 9 Fincas unter Kontrolle der Villisten. Als erstem internationalen Journalisten wurde mir am 1. Februar 1995 ein Besuch der seit dem 4. August letzten Jahres besetzten Finca Liquidambar gestattet.
“Wir sind keine Guerilla, sondern eine Campesino-Organisation, die einen unbewaffneten Kampf für ein menschenwürdiges Leben auf eigenem Land führt”, erklärte Eduardo, Führungsmitglied der UCPFV auf unserem Rundgang auf der Finca. “Vielleicht werden wir ökonomisch nicht besser leben, aber in Würde. Sie nannten uns dreckige Indianer. Mit diesen Beleidigungen ist jetzt Schluß.” Unser erster Weg führt uns in das Verwaltungsgebäude, wo ich auf Relikte bekannter und vermeintlich vergangener Zeiten treffe: Eine Wehrmachtsurkunde an der Wand, eine Bismarckbüste auf dem Schrank. Im Bücherregal entdecke ich neben “Die Schlacht von Stalingrad” und Berichten über das “Schicksal der 6. Armee” auch ein Werk des US-amerikanischen Ethnologen Oscar Lewis ” Zeugnisse von armen Mexikanern”. An der Zahlstelle, wo sich die KaffeepflanzerInnen ihren kargen Lohn abholten, prangt ein Aufkleber, der zynischer kaum sein kann: “Dinero en manos del pobre”, übersetzt: “Geld in Händen der Armen – armes Geld.”
Billardtisch und Hausbar
Auf einer Anhöhe, mit Blick über die mindestens 2.000 Hektar umfassende Kaffeeplantage, steht das Haus der Ex-BesitzerInnen. Die Villa “der Reichen”, wie die deutschen Finqueros hier genannt werden, ist von einem Blumengarten umgeben. Hier residierte das Ehepaar Margarita Schimpf und Laurenz Hulders mit ihrem Sohn, bis sie am 4. August letzten Jahres angesichts der rebellierenden Campesinos/as fluchtartig Liquidambar verließen. “Wenn die Reichen in ihr Haus wollen, können sie kommen und mit uns leben. Aber sie werden nicht mehr Land erhalten als wir alle.” Eduardo begleitet mich ins Innere des leerstehenden Gebäudes, dessen luxuriöse Ausstattung den Villistas am Tag der Besetzung die Sprache verschlug: Billard-Salon, Bodybuilding-Center, Hausbar, Weinkeller. “Die Getränke, vor allem Champagner und französische Weine, wurden nach der Besetzung ausgetrunken. Aber jetzt ist auf unserer Finca Alkoholverbot” erklärt Eduardo, “da das Geld der Familien für wichtigere Dinge ausgegeben werden soll.” Vorbei an zwei Swimming-Pools verlassen wir den Herrschaftssitz und betreten die Siedlung der Finca. Während in den wenigen Steinhäusern die Verwalter lebten, waren die KaffeepflückerInnen, in der Erntezeit etwa 2000 Personen, in Baracken untergebracht. “Hühnerställe” wurden diese etwa 120 Quadratmeter großen Holzbauten genannt, in denen ca. 100 Menschen monatelang “wohnten”. Bis vor einem halben Jahr waren hier die Zustände Wirklichkeit, die B. Traven in seinem Buch “Die Rebellion der Gehenkten” beschreibt. Neben der kleinen Kapelle, im Zentrum der Siedlung, befand sich die “Tienda de Raya”. In diesem Laden konnten die Campesinos ihre Fichas, statt Geld für die geleistete Arbeit ausgegebene Wertmarken, gegen Kleidung, Werkzeuge und billigen Fusel eintauschen. Für den Arbeitstag, der von 5 bis 20 Uhr dauerte, erhielten die KaffeearbeiterInnen Marken im Gegenwert von 8 Pesos, die Frauen unter ihnen weniger. Das portionierte Essen – Tortillas, Bohnen und Kaffee – wurde vom Lohn abgezogen. Medizinische Versorgung gab es in Liquidambar für die Peones nicht. Allerdings konnten diejenigen, die in der Nähe über eine kleine Parzelle Land verfügten, Kredite für den Kauf der Medikamente bei den Finca-BesitzerInnen aufnehmen. Als Gegenleistung mußten den Deutschen die Besitztitel überlassen werden. Durch diese Methode haben sich über die Hälfte der BewohnerInnen des in der Nähe von Liquidambar gelegenen Ortes Nueva Palestina verschuldet. Was mit den Menschen passierte, die über keine “Reserven” verfügten, läßt ein im Wald der Finca angelegter Friedhof vermuten. Holzkreuze ohne Namen und ohne Daten symbolisieren das Ende der Leidenswege zerschundener TagelöhnerInnen. Eduardo erklärt: “Hier sind diejenigen begraben, die ohne Familien gekommen waren, zum Großteil Guatemalteken, Nicaraguaner und Salvadorianer. Diesen illegalen Wanderarbeitern wurden bei Arbeitsbeginn von den Verwaltern die Papiere abgenommen, um Auflehnungen, vor allem gegen Betrug bei den Lohnzahlungen, vorzubeugen.” Falls es doch zu Protesten gegen die Verhältnisse kam, oftmals am arbeitsfreien Sonntag, wenn die Campesinos ihr Leid im Suff ertränkten, wurden sie von Aufpassern in das Gefängnis der Finca geworfen. Die folgende Geldstrafe wurde vom Lohn abgezogen. Diese Zustände sind jetzt vorbei.
Arbeit unter Selbstverwaltung
Es ist Abend geworden, die KaffeepflückerInnen bringen die Bohnen von den Feldern. Zum ersten Mal in ihrem Leben arbeiten die Menschen in Liquidambar unter Selbstverwaltung. Die Ernte ist gut und der Kaffeepreis gestiegen. Während der Tageslohn vor der Besetzung bei 8 Pesos lag, werden jetzt zwischen 60 und 100 Pesos (ca. 12 bis 20 US-Dollar) ausgezahlt, je nach gepflückter Menge Kaffee. Da die Produktionsanlage nicht wie in vielen anderen Fincas von den Ex-BesitzerInnen sabotiert wurde, läuft der Wasch- und Trocknungsvorgang relativ reibungslos. Auch beim Verkauf des zum größten Teil organischen Kaffees gibt es keine Probleme – nicht mehr. Die Boykottversuche der Großgrundbesitzer sind in dieser Region gescheitert, da sich die Kaffee-Aufkäufer das lukrative Geschäft nicht entgehen lassen wollen. Allerdings werden die Villistas in Liquidambar höchstens die Hälfte des reifen Kaffees ernten können. Das liegt vor allem daran, daß es die UCPFV ablehnt, fremde Leute einzustellen. Eduardo: “In den von uns besetzten Fincas sind die Arbeits- und Lebensformen unterschiedlich. Hier in Liquidambar wird alles kollektiv verwaltet und bearbeitet. Alle Menschen, die hier arbeiten, sind Mitglieder der Kooperative. Wir bezahlen uns, Männern und Frauen, die gleichen Löhne, das Essen ist für alle umsonst, und die Häuser – die Baracken werden nicht bewohnt – stehen den Familien zur Verfügung.”
Nach eigenen Angaben sind über 1000 Familien in der UCPFV organisiert, überwiegend in der Region Fraylesca. Die UCPFV existiert seit über vier Jahren, ist jedoch erst bei den Besetzungen von Liquidambar am 4. August und Prusia am 7. September letzten Jahres öffentlich unter diesem Namen aufgetreten. Eduardo: “Unsere ersten Aktionen waren die Besetzungen der Fincas Salvador Urbina und Agua Piedra Blanca am 16. Februar 1991. In den folgenden drei Jahren, wir nennen sie Etappe des Widerstandes und der Reifung, mußten wir lernen, mit für uns neuen Situationen fertigzuwerden. Räumungen, Festnahmen, Morde an unseren Mitgliedern durch Guardias Blancas, Wiederbesetzungen wechselten einander ab. In dieser Region ist die Repression gegen sich organisierende Campesinos/as durch die traditionell enge Verflechtung von GroßgrundbesitzerInnen, PolitikerInnen der seit über 60 Jahren regierenden PRI und dem Polizeiapparat besonders ausgeprägt. So wurden am 5. September Roberto H. Paniagua, ein für die Interessen der Campesinos/as ein-getretener Politiker der PRD, und am 30. Oktober 1994 ein Mitglied der UCPFV von Pistoleros der Finqueros ermordet. Eduardo: “Wir schaffen eine neue Realität, gegen die Unterdrükkung durch Guardias Blancas und Polizei. Dabei können wir nur auf unsere eigene Stärke, die unbewaffnete Organisierung, vertrauen.” Die blutigen Erfahrungen, die die Villistas machen mußten, erschweren die von ihnen angestrebten Legalisierungen der besetzten Fincas. Das Mißtrauen gegenüber den staatlichen Stellen sitzt tief. Ein nicht genauer definiertes Angebot des Gouverneurs, ihnen im Tausch gegen Liquidambar 1500 Hektar Land in einem anderen Landkreis zur Verfügung zu stellen, lehnte die UCPFV ab. Eduardo: “Wir wissen nicht, wo diese 1500 Hektar sein sollen. Dieses zu akzeptieren hieße, das Land den dortigen Campesinos wegzunehmen. Wir wollen keine andere Finca, sondern das Land, das seit Generationen von uns bearbeitet wird.”
Die Mütze bleibt drüber
Die Zukunft der von der UCPFV besetzten Finca ist ungewiß. Der Bruch des mit der EZLN ausgehandelten Waffenstillstandes durch die mexikanische Regierung läßt auch ein gewaltsames Vorgehen gegen die rund 700 in Chiapas enteigneten Ländereien befürchten. Verschiedene Großgrundbesitzervereinigungen haben die Existenz einer 700 Mann starken Armee von Guardias Blancas bestätigt. Jorge Constantino Kanter, Präsident der regionalen Landbesitzerunion, wurde am 30. Januar auf einer Pressekonferenz deutlich: “Wenn in 30 Tagen die besetzten Fincas nicht geräumt sind, werden wir selber die Initiative ergreifen. Unsere Aktionen werden sich speziell gegen Führer von Campesino-Organisationen richten.” In der Region Freylesca operiert nach Presseangaben das Todesschwadron “Frente Tiburcio Fernandez”, benannt nach dem Anführer der Konterrevolution in dieser Region während der 20er Jahre. Angesichts dieser Bedrohungen ist es verständlich, daß die Villistas weder ihre Namen nennen, noch sich ohne Gesichtsschutz fotografieren lassen.