Kolumbien | Nummer 384 - Juni 2006

Wir verkörpern die Angst der Unternehmen

Interview mit Gewerkschafterinnen der kolumbianischen Blumenindustrie

Kolumbiens Blumenindustrie ist eine der größten weltweit und beschäftigt rund 90.000 Menschen, etwa 75.000 von ihnen sind Frauen. Obwohl die gewerkschaftliche Organisation in Kolumbien gesetzlich geschützt ist, sind Angehörige von Gewerkschaften harter Repression ausgesetzt. Um einen effektiveren Schutz durchzusetzen, haben sich verschiedene Einzelgewerkschaften zu dem Dachverband Untraflores zusammengeschlossen. Aidé Silva, Argenis Bernal, Gloria Romero und Helena Bustos arbeiten im Blumensektor und sind Funktionärinnen von Einzelgewerkschaften und Ultraflores. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihnen über die harten Arbeitsbedingungen, die Schwierigkeiten gewerkschaftlicher Organisation und die Möglichkeiten internationaler Solidarität.

María Fernanda Agudelo

Ihr gehört unabhängigen Gewerkschaften unterschiedlicher Unternehmen an. Jede davon ist Teil von Untraflores. Wie haben sich die einzelnen Gewerkschaften gegründet und wie haben die Unternehmen darauf reagiert?

Aidé: Ich persönlich wurde, eine Woche nach Gründung unserer Gewerkschaft Sintraflores, plötzlich außerhalb der Firma bei einem Subunternehmen eingesetzt. Dort musste ich sechs Monate lang Kartoffeln schälen. Man kürzte uns auch die Unterstützung für das Essen in der Kantine und wir konnten bis heute keinen Vertrag mit der Firma unterzeichnen, trotz zahlreicher Petitionen. Nach vier Jahren sind wir nur noch sechs Frauen von ehemals 27 Gründerinnen und wir arbeiten fast ausschließlich von zu Hause. Wir gehen von Haus zu Haus und erläutern, wie wichtig es ist, sich der Gewerkschaft anzuschließen.
Unser Dachverband Untraflores wurde im Mai 2001 gegründet. Seitdem wurden 20 ArbeiterInnen entlassen und viele andere sind Opfer von Verfolgung am Arbeitsplatz geworden.

Gloria: Bei meiner Gewerkschaft Sintrapacna haben sich vor allem ArbeiterInnen aus der Blumenweiterverarbeitung zusammen geschlossen. Grund war die ständig zunehmende Arbeitsbelastung. Schon bei der Gründung war der Druck seitens des Unternehmens sehr groß. Viele ließen sich abschrecken. Wir haben mit 27 Leuten angefangen, gleich am nächsten Tag wurden fünf davon zur Unternehmensleitung zitiert. Daraufhin zogen sich drei aus Angst aus der Gewerkschaft zurück. Im Ausgleich hatte man ihnen angeboten, sie von der schwarzen Liste der gewerkschaftlich organisierten Personen zu streichen, die innerhalb der Unternehmen kursiert. Wir konnten allerdings in den zwei folgenden Wochen 200 von 600 ArbeiterInnen der Firma für uns gewinnen.
Gleichzeitig hat das Unternehmen jedoch eine vertikale Gewerkschaft gegründet, mit der sie einen selbst ausgearbeiteten Tarifvertrag abschloss. Dieser enthält auch illegale Klauseln. Einer Person, die dem Tarifvertrag beigetreten ist und trotzdem gewerkschaftlich aktiv wird ohne die Firma spätestens zwei Tage vorher darüber zu informieren, kann beispielsweise ohne Begründung gekündigt werden. Wir haben einen Prozess angestrengt, um gegen diese Klausel zu klagen.
Den ArbeiterInnen wird momentan eine Bonifikation von circa 12 Euro angeboten, damit sie den Vertrag unterschreiben. Die gewerkschaftlich Organisierten werden hingegen in allen möglichen Bereichen diskriminiert und benachteiligt. Uns wurde die Bonfikation und die fünfminütige Frühstückspause abgezogen. Wir werden in isolierten Bereichen eingesetzt und ich selbst zum Beispiel darf nicht an Versammlungen teilnehmen. Es gibt auch spezielle Tätigkeiten, wie die Müllverarbeitung, für die nur Gewerkschaftsmitglieder eingesetzt werden. Vielen von uns wurde auch die Möglichkeit genommen, Überstunden zu machen oder an Feiertagen zu arbeiten. Das Unternehmen will nicht mit uns sprechen und behauptet, die Gewerkschaft sei kein Verhandlungspartner, da ihre Gesetzmäßigkeit anfechtbar sei.

Argenis: Wir mussten unsere Treffen für die Gründung der Gewerkschaft heimlich abhalten. Trotzdem kam eines Tages eine der Aufsichtspersonen zu mir an meinen Arbeitsplatz und sagte mir, dass er sich Sorgen mache, da er über Material verfüge, das belege, dass sich in der Firma eine subversive Gruppe gebildet habe. Er habe Angst, es könne etwas passieren. Da fühlte ich mich bedroht und machte das bekannt.

Ihr arbeitet seit zwölf Jahren oder länger im Blumensektor. Welche Veränderungen hat eure Arbeit erfahren und welchen Gefahren sind ArbeiterInnen im Blumensektor heute ausgesetzt?

Helena: Ich arbeite im Anbau. Wir behandeln die Blume vom Aussäen bis zum Schneiden. Durch die Einführung von Fließbandarbeit müssen wir mittlerweile einen oder zwei Monate lang die gleiche Tätigkeit ausführen. Wenn zum Beispiel gerade Blumen geschnitten werden müssen, dann machen wir das von 6.30 bis 17 Uhr. Dies bringt bei vielen gesundheitliche Probleme mit sich, zum Beispiel Sehnenscheidentzündungen durch die sich ständig wiederholende Handbewegung, mit der wir mindestens 280 Blumen pro Stunde schneiden. Weiterhin sind wir der Begasung mit Pestiziden ausgesetzt. Daraus ergeben sich unter anderem Gesundheitsprobleme wie Bronchitis, Asthma und Hautreizungen. Die Mindeststandards in punkto Arbeitssicherheit werden vielfach nicht beachtet. Beispielsweise wird die Zeit nicht eingehalten, die vergehen muss, bis eine Person nach einer Begasung mit Pestiziden die Anbaufläche wieder betritt.

Aidé: Vor zehn Jahren hatten wir ArbeiterInnen noch nicht so viele Krankheiten. Früher kümmerte sich jede Arbeiterin um circa 30 Pflanzreihen und war für die Blumen während des ganzen Wachstumsprozesses zuständig. Die ArbeiterInnen führten verschiedene Tätigkeiten aus und mussten sich ständig unterschiedlich bewegen. Heute spezialisieren die Unternehmen eine Arbeiterin nur noch auf einen Arbeitsschritt, so dass wie am Fließband gearbeitet wird. Für die Unternehmen bedeutet das natürlich einen großen Gewinn, da so die Produktivität gesteigert wird. Früher haben wir durchschnittlich 180 Blumen pro Stunde geschafft, heute sind es je nach Sorte fast 350.
Viele ArbeiterInnen mit gesundheitlichen Schwierigkeiten landen bei einem privaten Gesundheitsdienst, der sie wiederum an die Berufsrisikoversicherung verweist. Diese beurteilt, ob es sich um eine arbeitsbedingte Krankheit handelt. Meistens entscheidet sie sich dagegen und spricht von allgemeinen Leiden wie Rheuma und schlimmstenfalls davon, dass die Krankheit psychologische Ursachen habe. So weigern sich diese Einrichtungen, Verantwortung zu übernehmen. Wenn eine Krankheit als nicht arbeitsbedingt eingestuft wird, müssen die ArbeiterInnen Einspruch einlegen. Das kann sich lange hinziehen. Ein Problem zieht das andere nach sich, denn die Unternehmen können ArbeiterInnen entlassen, die mehr als 180 Tage ausfallen. Wird die Krankheit als nicht arbeitsbedingt eingestuft, wird den ArbeiterInnen im Krankheitsfall außerdem nur 66,5 Prozent ihres Lohns fortgezahlt. Eine unserer Hauptforderungen ist somit die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Gloria: Ich arbeite in der Blumenweiterverarbeitung. Hier fallen die meisten Überstunden an. Die ganze Zeit wird überwacht, ob wir die Durchschnittsstückzahl – 50 Sträuße pro Stunde – einhalten. In der Hauptsaison, zum Beispiel für den Valentinstag, arbeiten wir bis zu 36 Stunden am Stück.

Aidé: Im Jahr 2003 erlitten 384 ArbeiterInnen schwere Vergiftungen. Die meisten von ihnen wurden in die Notaufnahme der umliegenden Krankenhäuser gebracht. Obwohl die betroffenen ArbeiterInnen nicht der Gewerkschaft angehörten, hat Untraflores Nachforschungen anstellen lassen. Wir haben Klage beim Sozialministerium eingereicht. Dadurch konnten wir erreichen, dass die Firma sich für die Vergiftungen verantworten und eine Geldstrafe zahlen musste.

Argenis: Ich habe Rückenprobleme. Das steht auch in meinen Akten. Trotzdem werden mir Aufgaben übertragen, die ich nicht ausführen kann. Zweimal wurde ich schon sanktioniert, da ich meine Arbeit nicht bewältigen konnte – obwohl ich gebeten hatte, mir eine andere Tätigkeit zuzuweisen. Eine Sanktion bedeutet, dass der Lohn von zwei Tagen abgezogen wird.

Welche internationale Unterstützung erwartet ihr?

Aidé: Wir fordern keinen Boykott. Wir wollen die potentiellen Akteure im Blumensektor sensibilisieren. Dazu zählen unter anderem die Käufer, die Gewerkschaften und NGO. Es geht uns darum, bessere Arbeitsbedingungen und die Wahrung der Menschenrechte zu garantieren. Dies ist das Ziel internationaler Initiativen wie dem Flower Label Program (FLP). Das Programm verleiht ein Siegel, das garantieren soll, dass die Unternehmen, die es erhalten, auf allen Ebenen die internationalen Standards erfüllen.
Die Sache mit den Siegeln ist aber ein bisschen konfus. Wir nennen das Ganze den Krieg der Siegel. Es genügt meiner Meinung nach nicht, dass es Gütesiegel gibt. Das ist nur ein Schritt. Wichtiger ist, dass den ArbeiterInnen die Möglichkeit zugestanden wird, sich in unabhängigen Gewerkschaften zu organisieren, und dann erst auf ein Gütesiegel zu spekulieren. Unsere Erfahrung in Kolumbien zeigt, dass die Forderung des Käufers nach einem Gütesiegel nur eine Seite ist. Die andere Seite ist die gängige Praxis: die Überprüfungen werden nur zu Beginn durchgeführt, später nicht mehr regelmäßig und von verschiedenen Personen. So habe ich eine Firma besichtigt, die eigentlich das Siegel des FLP hatte. Meine erste Frage war, warum es dort keine Gewerkschaft gab, denn das war eigentlich eine wesentliche Voraussetzung, um das Siegel zu erhalten. Man antwortete mir, dass eine Gewerkschaft nicht nötig sei. Heute weiß ich, dass Gewerkschaften die Angst der Unternehmen verkörpern, dass die eigenen ArbeiterInnen ständig interne Überprüfungen durchführen und nicht nur auf PrüferInnen warten, die seltener und immer angekündigt kommen. Eine effektive Kontrolle erfordert ein Zusammenwirken der Unternehmen, der unabhängigen Gewerkschaften und der externen PrüferInnen auf nationaler und internationaler Ebene. Nur so kann die Güte des Siegels wirklich garantiert werden.

Helena: Für Kolumbien und die kolumbianischen Exporteure ist es sehr wichtig, welches Bild von der Blumenindustrie international verbreitet wird. Deshalb hat die Vereinigung der Blumenanbauer die Kampagne für das Siegel “Flor Verde” (Grüne Blume) unterstützt. Es handelt sich hierbei allerdings um ein selbstverantwortlich angelegtes Siegel, das lediglich die Produktion hinsichtlich des Umweltschutzes regelt. Es werden keine Festlegungen über die Arbeitsbedingungen getroffen.

Gloria: Uns interessiert zum Beispiel auch, dass in Deutschland mehr Blumen aus Kolumbien verkauft werden. Wenn die KäuferInnen und VertreiberInnen hier ein Siegel fordern und die Firmen dafür unter anderem die Existenz von Gewerkschaften ermöglichen müssen, dann werden die Firmen auf die bestehende vertikale Gewerkschaft oder den Arbeitgeberverband verweisen. Daher wäre es für uns bedeutsam, dass man Gewerkschaften fordert, die Untraflores angehören. Das ist schließlich der Zusammenschluss der unabhängigen Gewerkschaften, die gemeinsam kämpfen und sich gegenseitig stärken, bis eines Tages alle ArbeiterInnen des Blumensektors organisiert sind.

Übersetzung: Katharina Wieland

Mehr Informationen über die Blumenkampagen und Spendenkonto: DGB Bildungswerk – Nord-Süd-Netz: www.nord-sued-netz.de oder www.fian.de

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