Film | Nummer 332 - Februar 2002

Zugedröhnt und abgedichtet

Der Film Piñero des Exilkubaners Leon Ichaso

Anja Witte

Slam Poetry, Trash Art, fixen, abziehen, rauben, auf der Straße leben und darüber schreiben: Miguel Piñero hieß der Mann und sein Leben währte nur kurze 42 Jahre.
Der exilkubanische Regisseur Leon Ichazo liefert in seinem Film Piñero die Biographie eines New Yorker Gangsterpoeten puertoricanischer Herkunft. Wegen mehrfacher Raubüberfälle und Drogenhandel für mehrere Jahre in Sing Sing eingeknastet, begann er im Gefängnis, über sein Leben zu schreiben. Sein Theaterstück Short Eyes wurde erfolgreich am Broadway aufgeführt und später sogar verfilmt.
In Piñero wird die Geschichte eines gesellschaftlichen Außenseiters, eines kaputten Typen voller Widersprüche erzählt: ein abgerissener Junky, der in seinen Drogenexzessen ein ums andere Mal zusammenbricht und zugleich ein Poet mit scharfer Zunge, der sich durch seine Begabung selbst im Gefängnis Respekt zu verschaffen weiß. Sein Leben scheint aus einer Kette brutaler Überfälle zu bestehen. Um an Geld zu kommen, ist es egal, ob Miguel Piñero schmierigen Dealern Geld und Heroin abzieht, oder seinem Freund, einem Lehrer, der ihn großzügig bei sich übernachten lässt, die Wohnung ausräumt und dessen Möbel auf der Straße verkauft. Andererseits schenkt er einem alten Ehepaar ein großes Bündel Geldscheine, damit sie ihr Lädchen vor der Pleite retten können. Der Lehrerfreund, der Piñero trotz allem schätzt, kommt auf die glorreiche Idee, das „Nuyorican Poet Café“ zu gründen. In der verrauchten Untergrundkneipe trifft sich die Szene der Slam Poetry Artisten und Musiker, und hier blüht auch Benjamin Bratt in der Rolle des Piñero richtig auf. Auf der Bühne rezitiert er mit Leib und Seele seine Gedichte und zieht, mit dunklen Locken, Bart und Barett zur Che-Guevara-Pop-Ikone stilisiert, seine Show ab. Auf den Kunstbegriff „Nuyorican“ angesprochen, faucht Piñero, er sei halb Puertoricaner und halb New Yorker und jede seiner Hälften sei authentischer als seine bürgerliche Umwelt.
Die Freundin Sugar, gespielt von der bildhübschen Talisa Soto, die erfreulich oft in schwarzer Unterwäsche herum tanzt, bringt ihre Beziehung zu Piñero mit den Worten: „Alles was du willst, Mikey. Ich bin deine Hure,” auf den Punkt. Weder Gefängnisaufenthalt noch Erfolg und Anerkennung als Künstler können Piñero beeinflussen. Sein Leben kennt keinerlei Entwicklung außer dem körperlichen Verfall. Der Dichter und Dealer bleibt beim Leben auf der Straße. Mit Heroin und Koks wird Lyrik produziert, und mit viel Alkohol arbeitet er konsequent an seiner Leberzirrhose, der er 1988 schließlich erliegt. Freunde verstreuen seine Asche in den Straßen der Lower East Side. Soweit erkennbar ist dies ungefähr der Plot des Films.
Regisseur Ichazo ist vollständig auf seinen Helden fixiert: Es gibt fast keine Kameraeinstellung, deren Mittelpunkt nicht Piñero ist. Die anderen Charaktere bleiben infolgedessen erheblich blasser, als sie es verdient hätten. Unübersehbar ist das Bestreben des Regisseurs, eine männliche Kultfigur zu schaffen. Dabei ist fraglich, ob ein Charakter, der zwar Widersprüche aufweist, aber keine Entwicklung durchläuft, dafür überhaupt geeignet ist. Der Regisseur scheint sich der Eindimensionalität seines Helden bewusst zu sein. Schlichtes lineares Erzählen hätte diese grundlegende Schwäche sofort deutlich gemacht. So griff der Regisseur zu filmtechnischen Mätzchen. Zahlreiche Wechsel zwischen Schwarzweiß- und Farbfilm bleiben ohne erkennbaren Grund. Der ganze Film besteht aus einem Übermaß an sinnlosen Zeitsprüngen, zusammenhängende Szenen werden zerschnipselt und willkürlich über den ganzen Film verstreut. Der Handlungsstrang lässt sich nur erahnen, wenn man aus Farbe und Tiefe der Augenringe den ungefähren Abstand zum Ableben Piñeros errechnet. Ein kaputtes Leben als Scherbenwelt zu zeigen, ist durchaus legitim. Eine Story durch die Häckselmaschine zu ziehen und als Film zu präsentieren, um über eine nicht vorhandene Tiefe hinweg zu täuschen, ist allerdings ärgerlich. Um mit Piñero zu sprechen: „Can you dig it?“

Piñero; Regie: Leon Ichazo; USA/Cuba 2001; Schwarzweiß/Farbe; 95min. Der Film wird im Panorama der Berlinale (6.-17.2.2002) gezeigt.

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