Nummer 373/374 - Juli/August 2005 | Regionale Integration

Zum Scheitern verurteilt

Ecuador und der Freihandelsvertrag mit den USA

Seit Mai des vergangenen Jahres verhandeln die Vereinigten Staaten einen neuen ihrer zahlreichen Freihandelsverträge: diesmal mit Peru, Kolumbien und Ecuador. Wegen des Stillstands in den Verhandlungen über die gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA (Área de Libre Comercio de las Américas), ist die Strategie der USA nun, den Süden des amerikanischen Kontinents mit bilateralen Freihandelsverträgen in ihre Handelspolitik einzubinden. Die drei Länder, die nun ihren Vertrag mit den USA aushandeln, weisen in den Grundzügen ähnliche wirtschaftliche, soziale und politische Strukturen auf. Die Chancen, Risiken und möglichen Probleme, die ein Freihandelsvertrag mit den USA nach sich zieht, werden am Beispiel Ecuadors deutlich.

Arne Schweinfurth

Im Jahr 1991 verabschiedete der US-amerikanische Kongress den Andean Trade Preference Act (ATPA), in dem den Andenländern (unter diesen auch Ecuador) bestimmte Zollvorteile eingeräumt wurden. 2001 wurde dieses Abkommen durch den bis 2006 befristeten Andean Trade Promotion and Drug Erradication Act ersetzt, der darauf abzielt, Drogenanbau und -handel zu bekämpfen und in den Andenländern Anreize zu schaffen, sich auf „alternative“ Produkte zu konzentrieren und in die USA zu exportieren.
Durchaus mit Erfolg: der Wert der ecuadorianischen Exporte in die USA ist seit 1991 von rund 1,4 auf knapp 3,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2004 gestiegen. Da scheint es auf den ersten Blick auf der Hand zu liegen, den Handel mit der nordamerikanischen Wirtschaftsmacht in einen rechtlichen Rahmen zu gießen und an klare Regeln zu binden. Die zunehmende Abhängigkeit der Andenländer vom US-amerikanischen Exportmarkt birgt jedoch neben steigenden Exporten auch Gefahren. Und es muss bedacht werden, dass Ecuador exportiert zwar derzeit rund 400 verschiedene Produkte in die USA, sich 98 Prozent des Wertes konzentriert sich dabei aber auf nur 50 Produkte.

Schlechte Perspektiven

Die wichtigsten ökonomischen Stützen Ecuadors bilden neben den Erdölvorkommen des Landes die Landwirtschaft und der Industriesektor. Der Ölsektor trägt rund 12 Prozent zum Bruttoinlandprodukt des Landes bei. Etwa 40 Prozent der ecuadorianischen Gesamtexporte bestehen aus Erdöl oder dessen Derivaten.
Für den Industriesektor hätte die Unterzeichnung eines Freihandelsvertrages mit den USA spürbare Folgen: Die Unternehmen Ecuadors würden mit den großen Industrieunternehmen der Vereinigten Staaten in direktem Wettbewerb stehen. Dabei zeichnet sich der ecuadorianische Industriesektor durch eine enorm niedrige Wettbewerbsfähigkeit aus Im. „Growth Competetiveness Index“ des World Economic Forum belegt Ecuador mit dem 90. von 104 Plätzen einen der letzten Ränge. Der Index misst den Zustand einer Volkswirtschaft und deren mittel- und längerfristige Wachstumsperspektiven.
Als Gründe werden niedrige Produktivität im und fehlende Investitionen angeführt. Im liberalisierten Wettbewerb unter einem Freihandelsabkommens könnte es für etliche Unternehmen schwer werden, sich zu behaupten. Circa 70 Prozent der Industrie in Ecuador setzt sich aus kleinen und mittleren Unternehmen zusammen, die durch ansteigende Importe aus den wettbewerbsfähigeren USA bedroht werden könnten. So sind negative Entwicklungs- und Beschäftigungseffekte absehbar, die Stärkung der Exportkraft hingegen eher fraglich.

Subsistenzwirtschaft
bedroht

Landwirtschaft und Fischerei spielen im ökonomischen Gefüge Ecuadors eine entscheidende Rolle. Dort werden rund 20 Prozent der gesamten Exportprodukte des Landes hergestellt. Zudem beschäftigen diese Sektoren 30 Prozent der ökonomisch aktiven Bevölkerung Ecuadors. Eine Öffnung des US-amerikanischen Marktes für die Landwirtschafts- und Fischereiprodukte der ecuadorianischen Agroindustrie brächte für gewisse Produkte sicherlich einen Schub. Profitieren könnten Produzenten von Garnelen und Thunfisch zum einen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Bananen, Ananas, Schnittblumen und Broccoli zum anderen. Abgesehen von den enormen ökologischen Kosten, die eine Ausweitung des Exportes dieser Produkte mit sich bringen würde, sind diese erstens schon in großem Umfang auf dem US-amerikanischen Markt vertreten und stellen zweitens bei weitem nicht den gesamten landwirtschaftlichen Sektor dar.
Gerade in der zentral-ecuadorianischen Sierra spielt der kleinbäuerliche Anbau von Kartoffeln und Mais eine enorm wichtige Rolle für die ländliche Bevölkerung: Für die Familien und die kleinen Betriebe bildet er dort meist die einzige Einnahme- und Ernährungsquelle. Dass Mais und Kartoffeln aus den kargen Böden der Sierra kaum mit hoch subventionierten Produkten der weiten Anbauflächen in den Vereinigten Staaten konkurrieren können, ist offensichtlich.

Eigene Wirtschaft stärken

Eine ausführliche Studie des UN-Ablegers CEPAL (Comisión Económica para América Latina y el Caribe) über den Einfluss des Freihandelsvertrages auf den ecuadorianischen Agrarsektor kommt daher zu dem Schluss, dass unter anderem Produkte wie Kartoffeln und Mais aus dem Freihandel ausgenommen werden müssten. Die harte Position der USA in diesem Punkt kennt man aus den Verhandlungen der WTO.
Für eine wenig entwickelte, unterfinanzierte und hoch verschuldete Volkswirtschaft wie die Ecuadors ist freier Handel mit der größten Wirtschaftmacht der Welt eine Herausforderung, an der sie ihren Voraussetzungen nach scheitern muss. Wollte Ecuador sowohl in ökonomischer als auch sozialer Hinsicht von einem Freihandelsabkommen mit den USA profitieren, wäre ein wichtiger Schritt, die Verhandlungen gewissenhafter zu führen und die wissenschaftlichen Warnungen nicht in den Wind zu schlagen.
Ursprünglich hoffte die ecuadorianische Regierung ebenso wie die Perus und Kolumbiens, die Verhandlung des Abkommens innerhalb eines Jahres komplett abschließen zu können. Ein wenig überstürzt, nimmt man die Verhandlungen der USA mit Mexiko und Chile als Vergleich: sie dauerten 16, respektive 10 Jahre.
Konsequent wäre die Ausklammerung zahlreicher „sensibler“ Produkte aus dem Freihandelsabkommen, wie es die Interimsregierung nach dem Sturz des Präsidenten Gutiérrez angekündigt hatte. Ein partieller Schutz der einheimischen Wirtschaft vor übergroßen US-amerikanischen Einfuhren und einem Wettbewerb, den sie auf Grund ihrer Strukturen nicht gewinnen kann.
Zunächst sollte Ecuador die Binnenwirtschaft und Binnennachfrage auf stärkere Füße stellen. Nur dann kann das Land im Wettbewerb mit anderen Volkswirtschaften bestehen.


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