Kolumbien | Nummer 241/242 - Juli/August 1994

“Zweites Leben” mit Geld von der Drogenmafia?

Schon vor Amtsantritt gerät der frischgewählte kolumbianische Präsident Samper ins Zwielicht

Laut eigenen Angaben wußte Ernesto Samper Pizano schon mit sechs Jahren, daß er eines Tages kolumbianischer Präsident werden würde. 38 Jahre später war es dann so weit: Am 19. Juni besiegte der Kandidat der Liberalen Partei im zweiten Wahlgang mit einem knappen Vorsprung von 120.000 Stimmen seinen konservativen Gegenspieler Andrés Pastrana Arango. Mit fast 60 Prozent war die Beteiligung an der Stichwahl fast doppelt so hoch wie beim ersten Urnen­gang. Anderthalb Monate vor der geplanten Amtseinführung am 7. August droht Samper über eine publizistische Briefbombe zu stolpern: Kolumbiani­schen Medien wurde ein Tonbandmitschnitt zugespielt, der ihn und Pastrana als Gehaltsempfänger der Drogenmafia outen soll. Der gewählte Präsident – korrupt wie viele seiner PolitikerkollegInnen oder Opfer einer raffinierten Me­dienkampagne?

Bettina Bremme

Eine Anmerkung vorweg: Bei der Recher­che für ein Porträt des auf internationalem Parkett nicht allzu bekannten Politikers stolperten die LN über so viele Wider­sprüchlichkeiten in den biographischen Angaben, daß man fast meinen könnte, es handele sich bei dem pragmatischen Mu­sterkarrieristen Samper um eine rätsel­hafte Gestalt.
1950 geboren, stammt Samper laut dpa aus “einfachen Verhältnissen”, nach An­gaben der taz aus einer “Politikerfamilie”. Erst 25jährig, nach anderen Angaben als 29jähriger stieg Ernesto Samper 1978 nach Beendigung seines Jura- und Öko­nomiestudiums zum Präsidenten des Ver­bandes der Finanzinstitute ANIF auf. Er­stes Aufsehen erregte er wenig später durch seine linksliberalen Wirtschafts­analysen und kritischen Kommentare. Unter anderem plädierte er für eine Frei­gabe des Haschischkonsums – ein Um­stand, auf den er heute ähnlich ungern an­gesprochen wird wie Bill Clinton auf sein Kiffen zu Studentenzeiten.
Seine politische Bilderbuchkarriere be­gann 1981: In den folgenden Jahren war er unter anderem Generalsekretär der Li­beralen Partei, Botschafter Kolumbiens bei den Vereinten Nationen und Chef ei­nes Forschungsinstitutes seiner Partei. Ab 1986 vertrat er die Liberalen im Senat.
1989 trafen ihn auf dem Flughafen von Bogotá 17 Kugeln, die – je nach Interpre­tation – aus dem Gewehrlauf eines Recht­sextremen oder eines Drogenkillers vom Medellín-Kartell stammten. Fast wie durch ein Wunder überlebte der Schwer­verletzte das Attentat. Zu Beginn seines “zweiten Lebens”, wie Samper selbst die Phase nach der Genesung bezeichnet, holte ihn der liberale Präsident Gaviria als Minister für wirtschaftliche Entwicklung in sein Kabinett. Später wurde er als Bot­schafter nach Spanien entsandt.
Kapitalismus mit sozialem Antlitz?
Während des Wahlkampfes ging Samper in einigen Punkten auf Distanz zu der neoliberalen Kahlschlagpolitik seines Parteifreundes Gaviria. “Ich werde den sozialen Kapitalismus einführen”, ver­sprach er vollmundig. Unter anderem plä­dierte er gegen eine weitere Privatisierung staatlicher Großunternehmen. Durch ge­zielte staatliche Investitionen in die Infra­struktur sollen mehr als eine Million neue Arbeitsplätze entstehen. Ebenso kündigte er den Bau von Sozialwohnungen an.
Im Bereich Drogenpolitik wird erwartet, daß Samper die Linie seines Vorgängers im großen und ganzen beibehält.
In Sachen Guerilla verkündete Samper, die Aufstandsbekämpfung verschärfen zu wollen, gleichzeitig aber zum Dialog be­reit zu sein – “aber nur, wenn der Gegner zu schießen aufhört”. Im Klartext bedeutet dies die Forderung nach einem einseitigen Waffenstillstand – ein alter Streitpunkt, an dem auch in den letzten Jahren schon im­mer Verhandlungen gescheitert sind.
Auf parlamentarischer Ebene sind Sam­pers Startbedingungen nicht schlecht. So kann er auf eine liberale Mehrheit im Se­nat und im Repräsentantenhaus zurück­greifen, wo ein Großteil der Abgeordneten aus seinen Gefolgsleuten besteht. Ande­rerseits ist er wie alle seine Vorgänger mit einem starken parteiinternen Filz und Kli­entelismus konfrontiert, der seine politisch Bewegungsfreiheit erheblich einschränken dürfte.
Wird ein Tonband zum Fallstrick?
Am 22.Juni. wurde verschiedenen kolum­bianischen Medien ein Tonbandmitschnitt zugespielt. Als die Bänder kurz darauf in mehreren Fernsehsendungen vorgespielt wurden, erwartete die bereits vom Fiasko der kolumbianischen WM-Fußballmann­schaft gebeutelte Nation eine weitere Ne­gativsensation: Die Aufzeichnungen do­kumentierten Gespräche zwischen dem Journalisten Alberto Giraldo, der bekann­termaßen als Mittelsmann des Cali-Kar­tells tätig ist, und den Wahlkampfmana­gern von Samper und Pastrana. Wenn das Material authentisch ist, würden sich die bereits vorher kursierenden Gerüchte be­wahrheiten, wonach der Wahlkampf bei­der Präsidentschaftskandidaten von der Drogenmafia gesponsort worden wäre. In den Tonbandgesprächen ist von 3,7 Mil­lionen Schmiergeld für Samper und 2,5 Millionen für Pastrana die Rede. Giraldo, der seine Tätigkeit für die Drogenmafia eingestanden hat, erklärte mittlerweile, seine damaligen Bestechungsversuche seien ohne Erfolg geblieben.
Mittlerweile hat die Oberstaatsanwalt­schaft, die pikanterweise von Sampers Vorgänger Gaviria als zu nachsichtig ge­genüber den Drogenkartellen beschimpft wurde (siehe Artikel), die Ermittlungen übernommen. Für die Liberale und die Konservative Partei handelt es sich laut El Pais bei der Veröffentlichung der Ton­bänder um einen “angekündigten Skan­dal”, von dem sie bereits eine Woche vor­her Kenntnis hatten. Zwar hat Samper selbstverständlich seine Verwicklung in den Skandal dementiert, gleichzeitig wurde aber in der Öffentlichkeit mit Stau­nen registriert, daß er und seine Partei die Verbreitung des kompromittierenden Materials fast tatenlos hinnahmen. Steht dem Präsidenten in spe das Wasser schon bis zum Hals?
Wenn sich die Verdächtigungen als be­rechtigt herausstellen sollten, wird das “zweite Leben” Sampers um ein berufli­ches Highlight ärmer: Vor der Wahl hatte er angekündigt, er werde das Präsidenten­amt nicht antreten, wenn ihm Geschäfte mit Drogenhändlern nachgewiesen wür­den.

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