Nicaragua | Nummer 301/302 - Juli/August 1999

Zwischen Solidarität und interkulturellem Austausch

Warum das Ökumenische Büro immer noch Brigaden nach Nicaragua organisiert

Nach der Wahlniederlage der FSLN 1990 stellte sich für das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit nicht nur die Frage, ob und wie Ländersolidarität noch Sinn hat. Auch ein ganz praktischer Teil der Arbeit des Büros wurde von einigen MitarbeiterInnen zur Disposition gestellt: Die Brigaden nach Nicaragua. Bis zu jenem Zeitpunkt war – selbst wenn auch daran immer wieder Kritik geäußert wurde – ein Grundkonsens über die Mission der Brigaden vorhanden: Die Revolution unterstützen und das wieder aufbauen, was die Contra zerstört hat. Mit diesem Ziel und vor dem allgemeinpolitischen Hintergrund der 80er Jahre gelang es auch jedes Jahr aufs neue, Menschen zu motivieren.

Gabi Fischer

Das Büro hat sich Anfang der 90er Jahre anders als andere Gruppen dazu entschlossen, weiter Brigaden nach Nicaragua zu schicken. Die Brigaden – so die Argumentation – sollten junge Menschen an die Nord-Süd-Problematik heranführen, zu ihrer Politisierung beitragen und im besten Fall ein dauerhaftes politisches Engagement zur Folge haben. Mit ähnlicher Argumentation wurden dann nach Unterzeichnung der Friedensverträge 1992 auch Brigaden nach El Salvador organisiert. Seitdem wurden die Brigaden innerhalb des Büros nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt. Über deren Zielsetzung und das „richtige“ Konzept wird aber immer wieder diskutiert. Im Folgenden soll der Diskussionprozeß der letzten Jahre in groben Zügen nachgezeichnet werden.
Auf den ersten Blick schien diese neue Idee der Brigaden stimmig: Beim Landaufenthalt und der Mitarbeit im Projekt leben die TeilnehmerInnen in den Familien und machen so, mit den Menschen, Erfahrungen eines völlig anderen Alltags. Im Anschluß daran können sie diese Erfahrung in einen Gesamtkontext stellen, indem sie im Rahmen eines Programms Informationen bekommen und Diskussion miterleben.
Mitte der 90er Jahre bestand das Ziel der Brigadearbeit folgerichtig darin, möglichst viele Menschen für das Thema Nicaragua beziehungsweise El Salvador zu gewinnen. Ein Flugblatt aus dem Jahr 1996 trägt den Titel: „Hast Du im Sommer schon was vor?“ Im gleichen Jahr wurden die Brigaden des Ökumenischen Büros in einem Artikel über Jugendreisen in der Süddeutschen Zeitung erwähnt. Ohne größeren Aufwand waren die beiden Gruppen ausgebucht. Die Auseinandersetzung mit den BrigadistInnen über ihre genauen Motivationen, ihre Vorstellungen von dem Land und ihren Kontext standen bei der Vorbereitung nicht im Mittelpunkt. Es wurde versucht, ihnen während der vier Vorbereitungswochen-enden möglichst viele Informationen zu vermitteln, die sie sowohl für den Landaufenthalt als auch vor allem für das Informationsprogramm benötigen würden. Auch das Informationsprogramm stand noch in „alter Tradition“: möglichst viele Gespräche mit verschiedenen Gruppen, möglichst viel mitbekommen, was für die Arbeit in Deutschland wichtig ist.
Bei den Auswertungen der Brigaden mit den BrigadistInnen wurde deutlich: Sie waren überfordert mit all dem, was auf sie eingeströmt war (damit meinten sie sowohl die Fülle an Informationen als auch die Eindrücke des Landes und des Lebens dort). Die meisten von ihnen hatten zu Beginn der Vorbereitung das erste Mal von Nicaragua oder El Salvador gehört.
Der Widerspruch zwischen der Zusammensetzung der Brigaden, den Erwartungen des Büros und den Erwartungen der ProjektpartnerInnen wurde irgendwann unerträglich groß. Die BrigadistInnen waren überfordert; das Büro war enttäuscht über fehlende Begeisterung und mangelndes Engagement von seiten der BrigadistInnen. Und den ProjektpartnerInnen (dies trifft vor allem für Nicaragua zu) fiel es zunehmend schwer, von der Revolution zu schwärmen und von der Verantwortung, die man immer noch dem Volk gegenüber trage, und dabei in vollkommen teilnahmslose und fragende Gesichter zu blicken.
Aufgrund der Tatsache, daß in der Vorbereitung zu wenig auf die Vorstellungen und Motivationen der BrigadistInnen eingegangen wurde, ergaben sich beim Aufenthalt selbst zum Teil Effekte, mit denen im Büro zunächst nur sehr schwer umgegangen werden konnte: Die TeilnehmerInnen empfanden die Gruppen in Nicargua oder El Salvador oftmals als lächerlich, Stereotypen wurden nicht aufgebrochen (was eigentlich das Ziel gewesen wäre), sondern verstärkten sich oft noch. Das Bild der „glücklichen Armen“ wurde romantisiert oder die „faulen Nicas“ an der Baustelle zitiert. Diese Erfahrungen machten deutlich: aus der Idee der Solidaritätsbrigaden mußte nun die Vorstellung eines interkulturellen Austausches erwachsen.
Dabei ist das geographische Ziel Nicaragua oder El Salvador nicht mehr so ausschlaggebend. Für das Büro lag es natürlich nahe, an diesen beiden Ländern festzuhalten. Es wollte diesen interkulturellen Austausch fördern, dabei allerdings gezielt die politische Geschichte des Landes, der einzelnen Gruppen und der Menschen in den Vordergrund stellen. Durch die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte und das gleichzeitige Einbeziehen der Situation in der BRD und der persönlichen Situation der BrigadistInnen war nun potentiell die Basis für eine gemeinsame Auseinandersetzung gegeben.
Seit dem letzten Jahr hat sich die Diskussion um das Brigadekonzept dahingehend gewendet, nicht mehr möglichst viele Menschen für die Brigaden zu gewinnen, sondern Menschen mit konkreten Ideen, Wünschen, Zielen, die möglicherweise bereits in politischen Gruppen in der BRD aktiv sind, um so einen Austausch mit nicaraguanischen oder salvadorianischen Gruppen, die zu ähnlichen Themen arbeiten, zu ermöglichen. Während der Vorbereitungszeit informieren sich die BrigadistInnen über relevante Themen in Deutschland. Im Vordergrund stand nun, daß politisches Engagement hier immer mit der persönlichen Betroffenheit der einzelnen zusammenhängt. Damit schafft man den TeilnehmerInnen einen Freiraum für eine politische Auseinandersetzung und Debatte, den sie sonst in den meisten Fällen nicht haben. Selbstbestimmt sollen die TeilnehmerInnen über die inhaltliche und organisatorische Gestaltung, zum Beispiel die Anzahl der Gespräche pro Tag, des Informationsprogramms entscheiden.
All das zusammen bedeutet eine arbeitsintensive Vorbereitung. Seit zwei Jahren hat sich eine Gruppe von ehemaligen BrigadistInnen zusammengefunden, die die Brigaden mit vor- und nachbereiten und auch das Konzept ständig hinterfragen und zu verbessern versuchen. In diesem Jahr wurde den Brigaden ein Thema gestellt, um Menschen aus konkreten Zusammenhängen anzusprechen. Diese Rückbesinnung auf den politischen Anspruch der Brigaden spiegelt sich im Flugblatt wider: „Die herrschenden Verhältnisse ins Wanken bringen“ steht über einem Foto, auf dem BrigadistInnen eine Steinmauer umstürzen. In diesem Jahr haben sich trotz intensiver Werbung noch weniger InteressentInnen gefunden. Es wird nur eine Brigade nach El Salvador fahren.

Die Verwirrung kommt nach dem Einsatz

Die AktivistInnen der Vorbereitungsgruppe sind der Meinung, man könnte viel aus den Brigaden machen, wenn man genug Zeit für Vor- und Nachbereitung hätte. Genug Zeit, um Konzepte und Methoden zu erarbeiten, wie man Menschen gewinnen kann. Als wesentlich erachten sie, ein geeignetes Konzept für die Nachbereitung zu entwickeln. Die Festschreibung von Stereotypen beispielsweise oder die Verwirrung, die bei vielen nach der Brigade entsteht, müssen im Anschluß an die Reise aufgearbeitet werden.
Eines muß man sich also eingestehen, auch wenn es manchen „alten Hasen“ im Büro schwerfällt: Brigaden sind nicht mehr Teil einer klassischen politischen Arbeit, sondern fallen eher unter das Raster pädagogischer Jugendbildungsarbeit. Daß dies einen großen Aufwand erfordert, dürfte einleuchten.
Die Krise der Mittelamerika-Solidarität macht diese Aufgabe nicht unbedingt leichter. Wie soll sich eine Jugendliche für die Nicaragua-Arbeit interessieren, wenn man sich innerhalb der Nica-Arbeit selbst ständig die Frage stellt, ob Ländersoliarbeit noch sinnvoll ist und es wahrscheinlich schwierig zu definieren ist, worin diese Ländersoliarbeit genau besteht? Wie kann man BrigadistInnen zu politischer Arbeit motivieren, wenn die Solidaritätsarbeit selbst immer mehr den Weg der Nichtregierungs-Entwicklungshilfe geht? Wie soll sich eine Jugendliche mit einer anderen Geschichte und einer anderen Denkweise in einen Arbeitskreis hineinfügen wollen, dessen Zusammensetzung sich in den letzten zehn Jahren nur geringfügig geändert hat?

Die Autorin war bis 1997 El Salvador-Referendum im Ökumenischen Büro

KASTEN:
Solidaritätsbrigaden nach Mittelamerika

Auch im nächsten Sommer wird das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit Solidaritätsbrigaden nach Nicaragua und El Salvador organisieren.

Die Brigaden halten sich fünf Wochen lang in Nicaragua oder El Salvador auf. Das Programm hat zwei Schwerpunkte: Zum einen soll Solidarität durch die Brigadenarbeit praktisch werden, indem ein Projekt finanziell unterstützt wird und die BrigadistInnen sich an der Projektdurchführung beteiligen. Die TeilnehmerInnen leben in dieser Zeit in Familien der Gemeinde oder Kooperative auf dem Land. Bei der Projektmitarbeit geht es nicht um karitative Hilfe, sondern um die Unterstützung emanzipativer Organisationen. Das Zusammenarbeiten und -leben soll ermöglichen, daß ein Austausch über Lebenserfahrungen, gesellschaftliche Realitäten und die jeweilige politische Arbeit stattfindet. Zum anderen treffen sich die BrigadistInnen während eines Informationsprogramms mit Organisationen aus diversen Sektoren, die sich mit verschiedenen Themen befassen – Frauenorganisationen, Menschenrechtsorganisationen, Kooperativenverbände, Gewerkschaften.
Die Brigaden werden gemeinsam mit den Partnerorganisationen des Ökumenischen Büros in Nicaragua und El Salvador organisiert und durchgeführt. In El Salvador ist dies der Socorro Luterano (Lutherisches Hilfswerk). Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit des Socorro ist die Unterstützung von Basisorganisationen auf dem Land. Für eine bestimmte Zeit werden die Organisationen vom Socorro Luterano in ihrer Arbeit begleitet, um mit ihnen eine Infrastruktur aufzubauen, die es möglich macht, organisiert Veränderungen anzugehen.
In Nicaragua ist der Projektpartner das Movimiento Comunal in Matagalpa, eine Basisorganisation, die sich der Bereitstellung von Infrastruktur in marginalisierten Stadtteilen und Gemeinden sowie der Förderung von Prozessen der Selbstorganisation widmet.
Wen sucht das Büro für die Brigaden?
Für die Solidaritätsbrigaden werden keine SpezialistInnen benötigt. Teilnehmen können Leute, die
* Interesse an einer Zusammenarbeit mit Menschen haben, die an Verbesserungen ihrer Situation und der Veränderung von politischen und sozialen Rahmenbedingungen arbeiten
* Lust haben, sich mit einer Gruppe an vier Wochenendseminaren auf die Reise vorzubereiten, sie zu organisieren und dabei viel zu diskutieren
* bereit sind, bis zur Brigade soviel spanisch zu lernen, daß es für die Alltagskommunikation ausreicht
* etwa 2.000 DM aufbringen können (Flug, Unterkunft, Verpflegung, Taschengeld)

Nähere Infos gibt es beim: Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V., Pariser Str. 13, 81667 München, Tel.: 089-4485945, e-mail: oeku-buero@link-m.de

KASTEN:
Das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. München

Das Ökumenische Büro wurde 1983 von einer Gruppe angehender SozialpädagogInnen und GewerkschafterInnen aus München gegründet. Das Hauptziel bestand darin, durch Arbeitsbrigaden der Solidarität mit dem sandinistischen Nicaragua einen konkreten Ausdruck zu verleihen. Seitdem besteht das Büro als Anlaufstelle für Menschen aus München und Umgebung, die sich mit der Nord-Süd-Problematik auseinandersetzen und sich zwischen Theorie und Praxis politisch engagieren wollen.
Heute liegen unsere Arbeitsschwerpunkte in den Ländern Nicaragua, El Salvador und Mexiko. Länderübergreifend beschäftigen wir uns mit Menschenrechtsproblemen und der Situation in den Maquilas (Freie Produktionszonen / Billiglohnfabriken) auch in Honduras, Guatemala und Costa Rica.
In der BRD leistet das Büro Informationsarbeit zur sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation sowie zu aktuellen Entwicklungen in den Ländern Mittelamerikas und in Mexiko. Wir halten Kontakte zu JournalistInnen, machen Infostände und geben Broschüren mit Schwerpunktthemen sowie ein vierteljährlich erscheinendes Infoblatt heraus. Zusätzlich veranstalten wir Seminare und Vorträge, oft mit Gästen aus unseren Schwerpunktländern.
In Mittelamerika und Mexiko arbeiten wir mit Organisationen zusammen, die durch emanzipatorische Ansätze Prozesse in Gang setzen wollen, um die herrschenden Verhältnisse zu ändern. Diese direkte Unterstützung unserer Partner erfolgt auf verschiedenen Wegen:
* Einmal jährlich organisieren wir sogenannte Brigaden, die im Artikel beschrieben werden.
* Wir suchen nach finanzieller Unterstützung für Projekte, die unsere Partnerorganisationen vor Ort verwirklichen. Die Projekte unterstützen die marginalisierte Mehrheit in Mittelamerika und Mexiko dabei, sich der Ursachen ihrer Situation bewußt zu werden und selbst nach Lösungen zur Änderung der Verhältnisse zu suchen.
* In Diskussionen und durch den permanenten Austausch analysieren wir gemeinsam die Beziehungen zwischen Nord und Süd und suchen nach Strategien, um die Verhältnisse zu verändern.
* In unregelmäßigen Abständen laden wir Gäste aus Mittelamerika ein, damit sie selbst ihre Arbeit, ihre Analysen, ihre Vorstellungen der Öffentlichkeit hier bekanntmachen können.
* Wir versuchen, die Belange unserer Partner, sowohl in der deutschen als auch der mittel-amerikanischen Öffentlichkeit, bekannt zu machen, suchen von Fall zu Fall die Unterstützung von PolitikerInnen, Gewerkschaften und Kirchen und rufen zu Urgent Actions mit Protestbriefen auf. gegen Menschenrechtsverletzungen auf.

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