Ausgabe 246 – Dezember 1994
“Save our State” – “Rettet unseren Staat” lautet das Motto der selbsternannten RetterInnen Kaliforniens. Diesmal geht es weder um religiöse oder psychedelische Untergangsphantasien einer der zahlreichen Sekten des Sonnenanbeterstaates noch um das neueste Erdbebenszenario. Die apokalyptischen Visionen sind demographischer Art: Der US-Bundesstaat Kalifornien, Mitte vorigen Jahrhunderts annektiert, seit den Tagen des Goldrausches Mekka unzähliger Menschen auf der Suche nach der materiellen Erfüllung des American Dreams, schottet sich immer weiter gegen unerwünschte NeueinwanderInnen ab.
57 Prozent der kalifornischen WählerInnen haben der “Gesetzesvorlage 187” zugestimmt. Das rassistische Kalkül des wiedergewählten republikanischen Gouverneurs Pete Wilson ist aufgegangen: Die illegalen EinwandererInnen, denen per Gesetz der Zugang zum öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystem versperrt werden soll, werden zu Sündenbök-ken für die wirtschaftliche Rezession der ehemaligen Boomregion gemacht.
Die US-amerikanischen GegnerInnen des Referendums sprechen ebenfalls von einem Bankrott des kalifornischen Staates, meinen damit aber nicht den wirtschaftlichen Niedergang, sondern die Preisgabe grundlegender humanitärer Maßstäbe. Im Wahlkampf wurde von konservativer Seite immer wieder auf den gesellschaftlichen Kosten herumgeritten, die die ungefähr 800.000 “indocumentados” dem kalifornischen Staat und seinen SteuerzahlerInnen jährlich bereiten. Dabei wurde unterschlagen, daß diese gleichzeitig auch 15 Prozent zum Bruttosozialprodukt beitragen. Vorherrschend war die Doppelmoral, die auch in anderen Teilen der USA die Debatte um die illegalen ArbeitsmigrantInnen aus Lateinamerika bestimmt: So gilt die Beschäftigung illegaler Hausangestellter auch bei US-SpitzenpolitikerInnen als Kavaliersdelikt. Kontrollen entlang des Grenzzauns zu Mexiko werden immer dann zeitweise gelockert, wenn die US-Landwirtschaft gerade mal wieder billige Arbeitskräfte braucht.
Wie in anderen Teilen der USA, ist natürlich der Sieg des republikanischen Kandidaten Wilson auch als Denkzettel für den ungeliebten Präsidenten Clinton zu verstehen. Durch sein halbherziges Lavieren in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik hat Clinton sich zwischen alle Stühle gesetzt. Vor einem solchen Hintergrund wirkte auch die Mobilisierung der Demokratischen Partei gegen die “Proposal 187” nicht sehr überzeugend.
Besonders erschreckend bei der Annahme der “Proposal 187” ist, daß offensichtlich auch viele BewohnerInnen der Schwarzenghettos sowie EinwandererInnen aus Asien oder auch Lateinamerika, die zu den glücklichen BesitzerInnen eines US-Passes zählen, für den Vorschlag gestimmt haben – teilweise aus Furcht vor der Billiglohnkurrenz der illegalen Hispanics auf dem Arbeitsmarkt und angesichts der unzureichenden staatlichen Leistungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Ein Stück weit scheint sich auch bei ihnen das leistungsbetonte Credo des American Dream durchgesetzt zu haben: Die illegalen NeueinwandererInnen sollen nicht das umsonst haben, was die anderen sich mühsam erarbeitet haben. Das Teile und Herrsche funktioniert.
Die Proteste US-amerikanischer Menschenrechtsgruppen, Aktionen auf juristischer Ebene wie die einstweilige Aufhebung des Schulverbots und die angekündigten Verfassungsklagen mögen zwar die schlimmsten konkreten Auswirkungen verhindern. Das ändert jedoch nichts am rassistischen Gesellschaftsklima, das seinen Ausdruck in der Annahme des “Proposal 187” findet.