Editorial | Nummer 282 - Dezember 1997

Editorial Ausgabe 282 – Dezember 1997

Seit mehr als 24 Jahren, fast so lange wie diese Zeitschrift existiert, ist General Augusto Pinochet Oberbefehlshaber des chilenischen Heeres, und seine Taten vor allem waren es, die zuerst die Chile-Nachrichten, dann die Lateinamerika-Nachrichten für lange Zeit beschäftigt haben. Jetzt steht endlich fest, daß er im Alter von nun 82 Jahren entlassen werden soll – allerdings erst in vier Monaten.
Gewöhnlich werden Generäle in aller Welt im Alter von 55 bis 60 Jahren aus dem Dienst am Vaterland entlassen. Nach einem Wort des Ex-Bundesverteidigungsministers Wörner liegt da die „Knackigkeitsgrenze“. Pinochets Ausdauer im Amt wurde möglich, weil er sehr bald nach seinem Amtsantritt mit seinen militärischen Kollegen und einem Polizeigeneral einen sehr blutigen Putsch gegen die Regierung der Unidad Popular unter Präsident Salvador Allende unternahm, sich mit Geschick an die Spitze manövrierte und bald das Amt des Staatspräsidenten usurpieren konnte. Für diese Kombination der Ämter des Präsidenten und des Oberkommandierenden wurde extra der sonst in der Welt nicht übliche Rang eines Generalhauptmanns mit fünf Sternen geschaffen, ein Rang, der nach diesen Erfahrungen wohl nie mehr einem General zukommen wird.
Am 11. März 1990, also nach mehr als 16 Jahren, mußte Pinochet nach den selbstgesetzten Regeln das Präsidentenamt an einen vom Volk gewählten Politiker abtreten. Diese Regeln sicherten ihm aber gleichzeitig weiterhin einen beherrschenden Einfluß: Er blieb Oberbefehlshaber des Heeres und als solcher Mitglied des einflußreichen Rats der Nationalen Sicherheit. Von ihm designierte Senatoren und ein ausgeklügeltes Wahlrecht verschoben die Mehrheitsverhältnisse im Parlament stets zu seinen Gunsten. Eine Aburteilung der Verbrechen der Diktatur war schon deshalb nicht möglich, weil an eine Aufhebung des schon 1978 dekretierten Amnestiegesetzes unter diesen Umständen nicht zu denken war. Im Zweifelsfall genügte es Pinochet, einen kleinen Trupp von Soldaten in voller Ausrüstung im Zentrum der Hauptstadt erscheinen zu lassen, um die ganze Nation zum Zittern zu bringen.
Trotz der Entdeckung immer neuer geheimer Massengräber unterblieb die Ahndung der Menschenrechtsverletzungen ebenso wie jede ernsthafte demokratische Reform der autoritär geprägten Verfassung. Der Concertación, der Regierungskoalition, in der vor allem die Christdemokratische und die Sozialistische Partei zusammenarbeiteten, erschien es als der sicherste Weg, für Ausgleich und Versöhnung einzutreten und den allgemeinen Konsens zur Maxime zu erheben.
Wie weit die Unterwürfigkeit bisweilen geht, zeigt beispielsweise die Anerkennung, die Verteidigungsminister Edmundo Pérez Yoma im Namen des Präsidenten Eduardo Frei dem Oberbefehlshaber Pinochet bei der feierlichen Benennung von dessen Nachfolger zollte: „Die Würde, mit der er (Pinochet) seine hohen Pflichten bei diesem historischen institutionellen Übergang erfüllt hat, stellt für alle, die den öffentlichen Dienst wählen, ein Beispiel an Verantwortlichkeit dar.“
Anlaß zu stolzem Auftrumpfen kann Pinochet auch in der Tatsache sehen, daß dieselben Parteien, die in den achtziger Jahren die neoliberalen Umwälzungen aufs heftigste kritisiert hatten, nun die Kontinuität der Wirtschaftspolitik um fast jeden Preis propagieren, um das dynamische Wachstum trotz seiner hohen sozialen und ökologischen Kosten nicht zu gefährden. Chile wurde plötzlich zum „Modell“ für Lateinamerika, und Pinochet betrachtet sich als denjenigen, der den Grundstein dafür gelegt hat.
In der Verfassung ist vorgesehen, daß Präsidenten nach sechs Jahren Amtszeit automatisch das Recht haben, einen Sitz im Senat für den Rest ihres Lebens einzunehmen. Von dort aus kann Pinochet, umgeben von der ihm getreuen Senatsmehrheit, weiter mitmischen. Außerdem sorgt seine parlamentarische Immunität dafür, daß jeder Versuch, ihm zu seinen Lebzeiten in Chile den Prozeß zu machen, zum Scheitern verurteilt ist. So wird er uns bis zum bitteren Ende erhalten bleiben.

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