Editorial | Nummer 321 - März 2001

Gegen die Straflosigkeit

Im August vergangenen Jahres wurden mit Jorge Olivera und Miguel Ángel Cavallo die ersten argentinischen Ex-Militärs wegen Menschenrechtsverbrechen während der Militärdiktatur im Ausland festgenommen. Sie gingen in das seit 1996 von Europa ausgeworfene Netz der universellen Strafverfolgung: Olivera wurde aufgrund französischen Haftbefehls in Italien, Cavallo aufgrund spanischen Haftbefehls in Mexiko verhaftet. Doch damit nicht genug. Im Februar entschied die mexikanische Regierung, Cavallo nach Spanien auszuliefern und schuf damit einen internationalen Präzedenzfall. Erstmals in der Geschichte des Völkerrechts würde ein Menschenrechtsverbrecher wegen der im eigenen Land begangenen Taten durch ein zweites Festnahmeland an ein Drittland ausgeliefert werden.

Diese großen Erfolge auf dem Weg zu einer universellen Bestrafung schwerer Menschenrechtsverletzungen sind undenkbar ohne die Festnahme Pinochets in London am 16. Oktober 1998. Der Fall Pinochet hatte das eindeutige Signal gesetzt: Wo die eigentlich zum Handeln verpflichteten Gerichte eines Staates versagen, können und müssen nach dem so genannten Weltrechtsprinzip die Gerichte anderer Staaten schwere Menschenrechtsverbrechen ahnden. Täter wie Pinochet und Cavallo sind nach einer klassischen Völkerrechtsregel „Feinde der Menschheit“, die in
jedem Land der Welt abgeurteilt werden können, das ihrer habhaft wird.

So weit, so gut. Bei ihrer Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit für die in Argentinien und Chile während der Diktaturzeit begangenen Verbrechen stoßen die überlebenden Opfer und Angehörigen der Ermordeten allerdings auf Widerstände. So wird ihnen vorgeworfen, dass sie auch nach all den Jahren nach dem Ende der Diktaturen noch nicht zur Vergebung bereit seien. Mehr noch: Der Verdacht, es gehe ihnen nicht um Recht, sondern um Rache, wird häufig geäußert. Schließlich wird den Opfern vorgehalten, wie sich denn ein Land versöhnen könne, wenn sich ein Teil der Bevölkerung noch nach Jahrzehnten mit den polarisierenden Ereignissen der Vergangenheit beschäftige.

Übersehen wird bei all diesen Einwänden gegen eine universelle Strafverfolgung argentinischer und chilenischer Menschenrechtsverbrecher, welch schwere Bürde die Straflosigkeit für die Zukunft beider Länder und ihrer Demokratien bedeutet. Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen beinhaltet nichts weniger als die absolute Negierung des Rechtsstaates.

Das Konzept von Wahrheit und Gerechtigkeit durch die Strafgerichtsbarkeit ist außerdem nicht nur eine Frage der Bestrafung der Täter. Vor allem werden so die Leiden der Opfer anerkannt. Für sie ist dies in vielen Fällen ein wesentlicher Bestandteil des Heilungsprozesses, wenn gerade durch eine staatliche Instanz anerkannt wird, dass sie Opfer eines Verbrechens und eben nicht eines Unglücks geworden sind. Menschenrechtsverbrechen sind Staatsverbrechen. Und ihnen den Mantel der mit der staatlichen Autorität verbundenen Legitimität zu entreißen, vermag wirkungsvoll wiederum nur eine staatliche Instanz, und sei es die eines fremden Staates.

Für die Täter schafft die Straflosigkeit ein Klima, in dem das Bewusstsein von der Verwerflichkeit der begangenen Taten oft erst gar nicht ermöglicht wird. Gegen die persönlichen Wahrheiten der Opfer haben sie sich hinreichend abgeschirmt. Erst durch die Wahrheitsfindung auf dem Rechtsweg kann damit der ideologische Panzer der Militärs aufgebrochen werden. Die Welle von Geständnissen ehemaliger Untergebener Pinochets im Zusammenhang mit der Anklageerhebung gegen den Ex-Diktator zeigt etwa, dass es der chilenischen Strafjustiz gelungen ist, ein neues Unrechtsbewusstsein zu schaffen. Auch dies wäre undenkbar ohne die Festnahme Pinochets in London.

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