Editorial | Nummer 325/326 - Juli/August 2001

Kriegsverbrecher Kissinger

Ein Gespenst geht um in den Büros und Anwesen ehemaliger Diktatoren, kalter Krieger, Kriegsverbrecher und Völkermörder. Es ist das Gespenst des internationalen Strafrechts. Die weltweite Entwicklung hin zu einer universalen Rechtssprechung, die mit der Festnahme des chilenischen Ex-Diktators Pinochet im Herbst 1998 einen wichtigen Impuls erfahren hatte, hat in den letzten Wochen einige Wendungen genommen. Während die jüngste Entscheidung der chilenischen Justiz, Pinochet wegen fortgeschrittenen Altersschwachsinns eine Gerichtsverhandlung zu ersparen, ihn und seine Anhänger aufatmen lässt, müssen andere weiter bangen. Der Fall, der die größte Aufmerksamkeit erregt, ist der des Slobodan Milosevic, der sich als erstes ehemaliges Staatsoberhaupt vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten soll. Allen voran die USA loben diesen „Meilenstein in der internationalen Rechtssprechung“.

Die USA als Vorreiter einer Globalisierung der Menschenrechtspolitik? Weit gefehlt. Als Bedingung für die bis heute ausstehende Ratifizierung der Gründungserklärung des Internationalen Strafgerichtshofes fordern sie eine Garantie, dass es in keinem Fall zu Prozessen gegen US-amerikanische Staatsbürger kommen werde. Dahinter stecken neben der altbekannten Doppelmoral der Supermacht konkrete Sorgen um eine mögliche Aufarbeitung der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die den USA zur Last gelegt werden. Eine der lautesten Stimmen in der breiten Front der Ablehnung, gehört einem, der selbst eine Menge zu befürchten hätte: Henry Kissinger. Er war unter drei verschiedenen Präsidenten die zentrale Figur der amerikanischen Außenpolitik zwischen 1967 und 1977 und vereinigte zeitweise die Posten des Außenministers, des Nationalen Sicherheitsberaters und die des Vorsitzenden des 40 Comittee in Personalunion.

Der britische Journalist Christopher Hitchens hat nun mit dem Buch „The Trial of Henry Kissinger“ eine Anklageschrift veröffentlicht, in der alle nach internationalem Srafrecht relevanten Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zusammengetragen sind, für die Kissinger direkt verantwortlich gemacht werden kann. Im ersten Teil seines Werkes untermauert Hitchens den Vorwurf, dass Kissinger durch die Hintertreibung von Friedensverhandlungen im Jahr 1968 den Vietnam-Krieg um vier Jahre verlängert habe, um dem Präsidentschaftskandidaten Nixon eine bessere Ausgangsposition bei den Wahlen im selben Jahr zu verschaffen. Der zweite Teil beinhaltet eine ausführliche Beweisführung für Kissingers Verwicklung in der aktiven Unterstützung von rechtsgerichteten Militärregimes und Umsturzversuchen in Chile, Bangladesch, Indonesien, Zypern und Griechenland. So wurde zum Beispiel die Entführung und Ermordung des chilenischen Generals René Schneider im Jahr 1970, die Teil einer Zwei-Wege- Strategie zur Verhinderung der Amtsübernahme Salvador Allendes war, mit Geld und Waffen ausgeführt, die von Kissinger bewilligt worden waren.

Kissinger selbst sieht in der Behandlung Pinochets in Großbritannien einen gefährlichem Präzedenzfall und warnt vor einer „Tyrannei der Gerichte“. Seine Sorgen werden angesichts des umfangreichen Belastungsmaterials gegen ihn nachvollziehbar. Als er sich Ende Mai in Paris aufhielt, wurde er in seinem Hotel durch den Besuch von französischen Kriminalbeamten überrascht, die ihm die Vorladung eines Pariser Untersuchungsrichters überreichten, der den Tod von fünf Franzosen während der chilenischen Militärdiktatur untersucht. Die unglaubliche Anmaßung der französischen Justiz wurde empört zurückgewiesen und als politisches Komplott bezeichnet.

Auch in Südamerika fühlen sich neuerdings Vertreter der Justiz ermutigt, US-amerikanische Staatsbürger herauszufordern. In Chile und Argentinien werden die Möglichkeiten geprüft, Kissinger als Zeuge bei der Aufklärung von Menschenrechtsverbrechen während der Militärdiktaturen vorzuladen. Ein internationaler Prozess gegen Henry Kissinger bleibt auf Grund seiner mächtigen Verbündeten in Wirtschaft und Politik so unwahrscheinlich wie ein Wechsel in Washingtons Geringschätzung ausländischer Gerichtsbarkeiten. In der viel gepriesenen internationalen Rechtsprechung werden auch weiterhin mindestens zwei Maßstäbe gelten.

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