„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Dieser erste Satz von Franz Kafkas Verwandlung gehört in seiner Präzision nicht ohne Grund zu den berühmtesten Sätzen der Literaturgeschichte. Im Gesicht der Qualle, dem zweiten Langfilm der argentinischen Regisseurin Melisa Liebenthal, hört sich das so an: “Mein Gesicht hat sich verwandelt, das ist mein Problem!” Einigermaßen trotzig antwortet dies die Hauptfigur Marina einer Ärztin, die sie aus diesem Grund aufgesucht hat. Vor einem Monat habe es eine Schwellung gegeben, nachdem diese abgeklungen sei, sähe ihr Gesicht völlig anders aus.
Im Kleinen zeigt diese erste Szene schon das gesamte Grundproblem des Filmes: Auf die wirklich interessanten Aspekte dieser Verwandlung wird verzichtet. Nachdem Marina (Rocío Stellato) nun schon mehr als einen Monat mit dem „neuen Gesicht” lebt, sind der erste Schrecken und Schock scheinbar bereits gewichen und haben einer allgemeinen Verweigerungshaltung Platz gemacht. Offenbar ist sie nach der Verwandlung zu ihren Eltern und ihrer Großmutter zurückgekehrt, wollte ihrem Partner so verändert nicht begegnen, hat sich aus Arbeit und sozialen Medien zurückgezogen. Der Rest ist ein Mäandern durch alle möglichen Szenen ohne jeden Spannungsbogen: eine belanglose Affäre, Ölmalerei, verschiedene Untersuchungen und ein Ende, das die Betrachtenden vollkommen ratlos zurücklässt. Dazwischen gibt es immer wieder (sehr) lange Einstellungen von Tieren im Zoo und deren Interaktionen mit Besucher*innen, die wohl irgendwie mit dem Zitat von Rilke in der ersten Einstellung zusammenhängen müssen: „Mit allen Augen sieht die Kreatur das Offene.“
Ja, auch Tiere haben ein Gesicht, wer hätte das gedacht. Und ja, beim Tier wie beim Menschen lassen sich über bestimmte Ankerpunkte die Strukturen des Gesichtes erfassen. Immer wieder werden diese im Verlauf des Films mit einfacher Computergrafik in grünen Linien und Punkten gezeigt, ohne tatsächlich zur Handlung oder zur Filmästhetik beizutragen. Überflüssig anzumerken, was Liebenthal alles aus dieser Geschichte hätte machen können, vor allem angesichts der Brisanz der zunehmenden Gesichtserkennung, aber auch was die Fragen der Identität im Blick der anderen angeht. So bleibt der Film in der Handlung, dem Spiel der Hauptfigur und auch in seinen filmischen Mitteln vor allem eines: flach.
LN-Bewertung: 1/5 Lamas