Angst vor Milei, Wut über Massa

Alberner geht’s (n)immer Mit Mickey Mouse und US-Dollars für Millei (Foto: Gerhard Dilger)

Der Geruch von frischgebackenen Empanadas und Facturas (argentinische Süßwaren) hängt in der Luft. Während sie auf ihren Kaffee warten, diskutieren zwei Bauarbeiter in einer Bäckerei über die Wahlen vom 22. Oktober. Als die Verkäuferin Leandra gefragt wird, was sie von dem Wahlergebnis hält, antwortet sie mit einem knappen „Eh egal, alles scheiße“. Ein Satz wie eine Überschrift für die Stimmung im Land.

Der Wahlsonntag hielt einige Überraschungen parat. Nachdem der ultrarechte Javier Milei von der Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) in den Vorwahlen im August an der Spitze lag, konnte nun der damals Drittplatzierte Sergio Massa von der peronistischen Regierungsallianz Unión por la Patria (Einheit für das Vaterland) deutlich zulegen. Mit 36,61 Prozent der Stimmen konnte er den selbsternannten Anarchokapitalisten in die Schranken verweisen, der lediglich sein Wahlergebnis von knapp 30 Prozent aus den Vorwahlen halten konnte. Für die Stichwahl am 19. November wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet.

Die große Verliererin der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen war die Kandidatin des Mitte-rechts-Bündnisses Patricia Bullrich, die lediglich 23,84 Prozent einheimste. Der aktuelle Gouverneur von Córdoba Juan Schiaretti kam auf knapp sieben Prozent der Stimmen, während die sozialistische Kandidatin Miryam Bregman nur 2,7 Prozent der Stimmen holte.

Die große Frage ist nun, wohin die Stimmen der Kandidat*innen wandern werden, welche nicht in die Stichwahl eingezogen sind. Die sich bereits im Rentenalter befindende Bäckereiverkäuferin Leandra wählte zuletzt sozialistisch. Sie ist sich bei ihrer Entscheidung für die Stichwahl noch sehr unsicher. Sie tendiert allerdings zu Milei, weil sie auf keinen Fall den Peronismus unterstützen möchte. Und das, obwohl Milei als Ultrarechter mit der linksprogressiven Bregman nicht im Ansatz politisch übereinstimmt. Das hat sich in den Fernsehdebatten gezeigt, als sich die beiden hitzig angingen. Dort teilte Bregman dem sich gerne als Löwen inszenierenden Milei mit, dass er nicht mehr als ein „kuschliges Kätzchen der Wirtschaftsmächte“ sei. Ein Großteil der Stimmen sowohl von Bregman als auch von Schiaretti werden Umfragen zu Folge zu Massa wandern, der sich als Zentrumspolitiker inszeniert. Schiaretti distanziert sich zwar von Massa, gehört aber ebenfalls einer peronistischen Strömung an, weshalb seine Wähler*innen eher zu Massa denn zu Milei tendieren dürften.

Vermutlich ausschlaggebend und besonders spannend wird, für welchen Kandidaten sich die Wähler*innen entscheiden, die Patricia Bullrich ihre Stimme gaben. Eine von diesen Wähler*innen ist die 21-jährige Candela. Sie studiert Internationale Beziehungen an der gleichen Privatuniversität, an der auch Milei und Massa ihren Abschluss gemacht haben. Sie wird zwar ihrer Wahlpflicht nachkommen, allerdings ein voto nulo (einen ungültigen Stimmzettel) abgeben, also ungültig abstimmen, um keinen der beiden zu unterstützen. Darauf sei sie nicht stolz, aber sie könne weder Milei noch Massa mit ihren Werten vereinbaren. Wie Candela wird es vielen Wähler*innen schwerfallen, sich für Milei oder Massa zu entscheiden.

Nicht nur Bullrichs Wähler*innen sind gespalten, sondern auch das Bündnis Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wandel) selbst. So sprachen sich der ehemalige Präsident Maurico Macri (2015-2019) und Patricia Bullrich klar für Milei und gegen Massa aus. Dieser repräsentiere laut ihnen den Kirchnerismus, womit auf die Präsidentschaften von Néstor Kirchner (2003-2007) und Cristina Kirchner de Fernández (2007-2015) abgezielt wird, aber auch auf die amtierende Regierung von Präsident Alberto Fernández. Sowohl Macri als auch Bullrich vertreten die Position, ihr Bündnis sei für den Wandel gegründet worden und wenn nun Milei diesen Wandel repräsentiere, sei das immer noch besser als weitere vier Jahre Kirchnerismus. Wobei der Zentrist Sergio Massa innerhalb der peronistischen Unión por la Patria weit weg vom linken kirchneristischen Flügel einzuordnen ist.

„Milei ist wie ein Sprung aus dem Fenster“

Ein Prominenter von Juntos por el Cambio (JxC) folgt Bullrich und Macri nicht: Der bald aus dem Amt scheidende Bürgermeister von Buenos Aires Horacio Larreta, der in den parteiinternen Vorwahlen Bullrich unterlegen war, wird wie Candela weder Massa noch Milei seine Stimme geben. Das werden sicher nicht die beiden einzigen aus dem Mitte-rechts-Lager sein, die Milei für unwählbar halten.

Bullrich winkt für ihre Empfehlung an ihre Wähler*innen bei einem Sieg von Milei nun sogar das Amt der Sicherheitsministerin in dessen Kabinett. Dies wirkte vor kurzem noch wie ein Ding der Unmöglichkeit, denn in der Fernsehdebatte beschimpfte Milei Bullrich noch als „Montonera“ (die Montoneros waren in den 70er Jahren eine linksperonistische Stadtguerrilla), welche „Bomben in Kindergärten“ gelegt hätte. Eigenen Angaben zu Folge gehörte Bullrich allerdings nur der peronistischen Jugendorganisation, nicht aber der Guerillaorganisation an.

Für die Wähler*innen von Bullrich stellt sich die Frage, ob die anti-kirchneristische Haltung oder die Angst vor Milei bei der Wahlentscheidung überwiegt oder als Ausweg zur Abgabe eines leeren Stimmzettels (voto blanco) oder eines ungültigen Stimmzettels (voto nulo) gegriffen wird.

Der gesamte Wahlkampf ist durch das Wechselspiel von Angst und Wut geprägt. Alejandro, der sich selbst als Teil der Oberschicht sieht, hat mehr Angst vor Milei als Wut der aktuellen Regierung gegenüber. „Bei Massa weiß man in etwa, was man bekommt, Milei ist wie ein Sprung aus dem Fenster. Das mag manchmal glimpflich ausgehen, realistisch gesehen wird es das aber nicht.“ Der 64-Jährige ist im Moment an sein Bett gebunden, weil derzeit keine Prothesen importiert werden, wie er sie für sein fehlendes Bein bräuchte. Dennoch macht er für sein persönliches Leid und noch viel weniger für das laut ihm deutlich größere Leid anderer Argentinier*innen nicht die Regierung verantwortlich. Ihm zufolge „ist es für Argentinien immer bergab gegangen, wenn die Rechte an der Macht war“. In seinem Freundeskreis sei er mit dieser Meinung allein, aber momentan habe er sowieso genug Zeit, um dies mit ihnen auszudiskutieren.

Die Regierung schürt die Angst vor den sozialen Konsequenzen der möglichen Wirtschaftspolitik von Milei auch mit konkreten Maßnahmen. So sieht jeder Argentinierin, der*die ein öffentliches Verkehrsmittel nutzt, im Moment den Preis einer Fahrt ohne und mit den aktuellen Subventionen (bei einer einfachen Fahrt 700 statt 59 Pesos, derzeit in etwa 70 und 5,9 Eurocent).

Expert*innen zu Folge lag Massas Wahlerfolg in der ersten Runde vor allem an zwei Punkten. Zum einen präsentierte er sich deutlich staatsmännischer als seine Konkurrenz. Soziologe und Anthropologe Pablo Semán sagte gegenüber CNN: „Was ein Mangel ist, ist auch eine Tugend: Er ist der Chef des Landes und verhält sich auch so.“ Durch Mileis Auftritte mit Motorsäge in der Hand, welche seine Metapher für den radikalen Staatsabbau ist, wurde dieses Image noch verstärkt. Zum anderen trug der „Plan Platita“ Früchte. Dieser bestand aus zahlreichen expansiven Sozialmaßnahmen, um die Konsequenzen der Wirtschaftskrise für die Bevölkerung abzufedern. Der Wirtschaftswissenschaftler Pablo Mira erklärt gegenüber CNN, dass die Wirtschaft zwar nicht boomt, aber auch nicht in eine Abwärtsspirale geraten sei, was unter anderem auf den „Plan Platita“ zurückzuführen sei.

Von der Opposition wurden die sozialpolitischen Maßnahmen als Klientelismus kritisiert. So sieht es auch der 21-jährige Alejo. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie aus der Provinz Entre Ríos. Es sei bei einer Inflation von knapp 140 Prozent eindeutig, dass das aktuelle politische System nicht funktioniere. Dem ersten Akademiker in seiner Familie seien soziale Themen zwar wichtig, allerdings müsse zuerst Reichtum geschaffen werden, bevor umverteilt werden könne. Wegen dieser Überzeugungen hat er sich dazu entschlossen, aktiv Wahlkampf für Milei zu betreiben. Dabei habe er die Erfahrung gemacht, dass nur wenige seine libertären Ansichten teilen, aber die Unzufriedenheit bei vielen so groß sei, dass sie sich dennoch für Milei als Alternative entscheiden. Dass Milei den Klimawandel leugnet und das in Argentinien hart erkämpfte Recht auf Abtreibung wieder in Frage stellt, gefällt ihm zwar nicht, aber dies seien zweitrangige Themen. Auch war er wie zunächst viele andere des harten Kerns von Milei kein Freund der angekündigten Allianz mit Macri und Bullrich. Denn wie Massa seien diese auch Teil der politischen Kaste, welche eigentlich bekämpft werden sollte. Zuletzt zeigte sich Milei allerdings moderat wie noch nie und glich einige seiner Forderungen an die von JxC an. So spricht er sich nun für das öffentliche Gesundheits- und Bildungssystem aus. Zuvor forderte er die Privatisierung und zweifelte sogar das Grundrecht auf Bildung an.

Candela wundert sich vor allem, warum die Lage im Land noch so entspannt ist und es bisher kaum zu Unruhen kam. Das größte Medienecho auf Grund einer Versammlung gab es zuletzt als am Obelisken in Buenos Aires der Rekord der meisten als Spiderman verkleideten Menschen geknackt wurde. Die ausbleibende Mobilisierung der Massen führt Alejandro darauf zurück, dass die Argentinier*innen einfach müde seien. Dabei bezieht er sich auf die weitverbreitete Politikverdrossenheit im Lande.

Ein weiteres wichtiges Thema im Wahlkampf ist die aktuelle Krise in der Benzinversorgung. Lange Wartezeiten, falls es überhaupt Benzin gibt und Bilder von Argentinier*innen die ihr Auto in der Schlange schieben, weil Ihnen der Sprit ausgegangen ist, spielen Milei in die Karten. Dieser versucht schon länger das Narrativ zu etablieren, dass sich Argentinien auf dem Weg zu einem zweiten Venezuela befindet. Die Situation hat sich in großen Teilen des Landes allerdings bereits wieder normalisiert.

Laut dem Meinungsforschungsinstitut AtlasIntel sehen knapp 50 Prozent der Argentinier*innen Sergio Massa direkt in der Verantwortung für diese Krise. AtlasIntel, welches bei den Vorwahlen und den Wahlen am 22. Oktober dem Ergebnis am nächsten kam, sieht zu Redaktionsschluss Milei mit 52 zu 48 Prozent vorne. Andere Umfragen sehen Massa vorne. Viel spricht dafür, dass es eng wird. Spricht man mit Argentinier*innen über das mögliche Resultat, bekommt man häufig ein Sprichwort zu hören: „Verlässt man Argentinien für drei Wochen und kommt wieder, ist alles anders, verlässt man es aber für 30 Jahre und kommt wieder, ist alles gleich.“

Brot und Spiele

WM und Arbeitskämpfe verbinden Spielerinnen klagen über fehlende Unterstützung der Verbände (Foto: Medios Públicos EP via Flickr (CC BY-SA 2.0))

Es war spannend bis zur letzten Minute: Nach einer knappen 1:0-Führung in der Nachspielzeit gelang der haitianischen Stürmerin Melchie Dumonay ein weiterer Treffer, mit dem sie die chilenische Torhüterin überwand und einen historischen Sieg besiegelte, mit dem sich Haiti zum ersten Mal für die Weltmeisterschaft qualifizierte. Les Grenadières, wie die haitianische Frauen-Nationalelf auch genannt wird, hatten in der Gruppe A des Qualifikationsturniers den dritten Platz belegt und trafen damit im Februar zunächst auf Senegal und dann auf Chile. Nachdem Haiti beide Teams besiegt hatte, war die Teilnahme an der WM für Juli und August gesichert.

Panama musste ebenfalls in einem zusätzlichen Spiel um seine Teilnahme bei der WM kämpfen. Die Nationalelf besiegte Papua-Neuguinea mit Leichtigkeit, bevor sie sich mit einem 1:0-Sieg über Paraguay das letzte Ticket für die Weltmeisterschaft in Neuseeland und Australien sicherte. Auch für Panama ist es die erste Teilnahme an einer WM. Gegenüber der panamaischen Tageszeitung La Prensa äußerte sich die Torschützin Lineth Cedeño glücklich: „Es ist ein sehr wichtiges Tor für das ganze Land, das Tor, das uns zur Weltmeisterschaft bringt.“

Jahrelange Konflikte zwischen dem brasilianischen Fußballverband CBF und den Spielerinnen

Mit Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Jamaika und Costa Rica haben sich fünf weitere Teams aus Lateinamerika und der Karibik direkt für den Wettbewerb qualifiziert. Brasiliens seleção ist mit neun WM-Teilnahmen und Superstars wie Marta, der besten brasilianischen Torschützin aller Zeiten, nicht nur das Team mit den besten Chancen auf den Sieg aus der Region, sondern unter den Favoriten auf den Titel. Die Teilnahme der Brasilianerinnen erfolgt nach jahrelangen Konflikten zwischen dem brasilianischen Fußballverband CBF und den Spielerinnen. Im Jahr 2017 verließen fünf langjährige Spielerinnen die Nationalelf, unter anderem Cristiane, Francielle und Rosana. Sie begründeten den Weggang mit der Entlassung der ersten weiblichen Trainerin Emily Lima und mit ihrer Erschöpfung „durch jahrelange Respektlosigkeit und mangelnde Unterstützung“, wie es damals in einem offenen Brief hieß. Im Jahr 2021 wurde dann der Präsident des CBF, Rogério Caboclo, aufgrund von Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung von seinem Amt suspendiert. Im Jahr 2019 kam Pia Sundhage als neue Trainerin für das Team. Seither trainiert sie die brasilianische Nationalelf der Frauen. Damit wurde der 2017 von den Spielerinnen geäußerte Wunsch nach langfristiger Unterstützung durch den Verband und Beständigkeit im Trainerstab zumindest teilweise erfüllt.

Auch in Kolumbien und Argentinien kam es zwischen Nationalelf und Fußballverband zu Konflikten. Nach der Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich trafen sich alle 23 argentinischen Spielerinnen, um ihre Unzufriedenheit mit der Ausrichtung des Teams unter dem damaligen Trainer Carlos Borrello zu diskutieren. Als Tage später mehrere Schlüsselspielerinnen, darunter Kapitänin Estefanía Banini, für die kommenden Spiele aus dem Kader geworfen wurden, protestierten die Spielerinnen in den sozialen Medien. Banini schrieb, der Grund ihres Ausschlusses liege auf der Hand und hänge mit der zuvor geäußerten Kritik zusammen.

Ähnlich wie Banini wurde 2016 die kolumbianische Mittelfeldspielerin Daniela Montoya, eine der Schlüsselspielerinnen für Kolumbien bei der Weltmeisterschaft 2015, nicht mehr für den Olympia-Kader aufgestellt. Sie hatte öffentlich kritisiert, dass der Verband den Spielerinnen Preisgelder von vergangenen internationalen Turnieren noch nicht ausgezahlt hatte. Drei Jahre später prangerte die kolumbianische Spielführerin Natalia Gaitán zusammen mit anderen Spielerinnen den kolumbianischen Verband wegen mangelnder Unterstützung für das Frauenteam an. Beide Spielerinnen, Banini und Montoya, sind inzwischen in ihre Nationalteams zurückgekehrt.

Kolumbien und Argentinien liegen auf dem 25. bzw. 28. Platz der Weltrangliste und haben sich aufgrund ihrer hervorragenden Leistungen bei der Copa América 2022 automatisch für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Beide Teams haben bereits an mehreren Weltmeisterschaften teilgenommen und wollen ihre Leistungen verbessern. Las Cafeteras aus Kolumbien waren enttäuscht, dass sie die Teilnahme an der WM 2019 in Frankreich verpassten, nachdem sie 2015 als erstes südamerikanisches Team neben Brasilien ein Spiel bei einer WM gewonnen und die Gruppenphase überstanden hatten. Sie bereiten sich nun darauf vor, den Weltmeistertitel zu erspielen. „Wir wollen dabei sein und um den Weltmeistertitel kämpfen“, so die aktuelle Kapitänin Daniela Montoya gegenüber FIFA.com. Die Mannschaft sei aus erfahrenen und jungen Spielerinnen zusammengestellt worden. „Ich weiß, dass dies unser Moment ist, das Jahr, in dem die kolumbianische Nationalmannschaft an der Spitze stehen wird“, erklärte Montoya weiter.

La Albiceleste nehmen zum vierten Mal an einer Weltmeisterinnenschaft teil. Obwohl sie sich seit Anfang der 2000er Jahre verbessert hat, konnte sie bisher keinen greifbaren Erfolg verbuchen. In Frankreich 2019 holte sie mit zwei Unentschieden ihre ersten Punkte bei einer Weltmeisterschaft. Kapitänin Stefanía Banini sagte im Gespräch mit DSports Radio, dass das Team sich darauf konzentriere „dort gut anzukommen und einige der Spiele zu gewinnen.“

Jamaika und Costa Rica nehmen erst zum zweiten Mal an einer Weltmeisterschaft teil. Costa Rica kehrt dieses Jahr auf die WM-Bühne zurück, nachdem es bei der WM 2019 in Frankreich nicht klappte und ein neuer Tarifvertrag zwischen Spielerinnen und Verband abgeschlossen wurde. Das jamaikanische Team erlebt seinerseits den Höhepunkt seiner Wiedergeburt im Frauenfußball, auch wenn seine Situation prekär bleibt. In den 2000er Jahren stand das Team kurz vor der Auflösung und musste sich aus internationalen Wettbewerben zurückziehen, bis die Sängerin und Tochter von Bob Marley, Cedella Marley, als Investorin einstieg und zudem eine Crowdfunding-Kampagne für das Team startete. Auch nach der zweiten WM-Qualifikation gehen die Probleme jedoch weiter. Am 15. Juni 2023, nur einen Monat vor Beginn des Turniers, veröffentlichten die Spielerinnen einen Brief in den sozialen Medien, in dem sie Veränderungen im jamaikanischen Fußballverband forderten. Sie erklärten, dass sie wiederholt spielten „ohne die vertraglich vereinbarte Bezahlung zu erhalten“, Freundschafts-spiele wegen „extremer Desorganisation“ verpasst hätten und es weiter unklar sei, ob Tage vor der Weltmeisterschaft überhaupt noch ein Trainingslager stattfinden würde.

“Ich kann das derzeitige System nicht mehr unterstützen”

Unruhen zwischen Spielerinnen und Verbänden kommen jedoch auch außerhalb von Lateinamerika und der Karibik vor. Die Kapitänin der französischen Nationalelf Wendie Renard sowie zwei weitere Spielerinnen kritisierten den Verband und kündigten einen Boykott der WM an. Auf Twitter schrieb Renard: „Ich kann das derzeitige System nicht mehr unterstützen, das weit von den Anforderungen der ersten Liga entfernt ist.”. Zwei Wochen später wurde die Trainerin entlassen. Auch das kanadische Team protestierte gegen mangelnde Unterstützung und Lohnungleichheit, in Spanien wollten 15 Spielerinnen nicht für den Nationalkader berufen werden, „bis Situationen, die unseren emotionalen und persönlichen Zustand, unsere Leistung und folglich die Auswahlentscheidungen beeinträchtigen und zu unerwünschten Verletzungen führen könnten, rückgängig gemacht werden“, wie sie in einer Erklärung mitteilten. Drei der 15 unterzeichnenden Spielerinnen nehmen allerdings trotzdem an der bevorstehenden WM teil. Der fehlende Wille der Verbände in den Frauenfußball zu investieren und ihn damit zu professionalisieren, führen dazu, dass viele Spielerinnen sich kurz vor der WM mitten im Arbeitskampf befinden.

Diese Weltmeisterschaft ist auch in anderer Hinsicht einzigartig. Das Teilnehmerfeld wurde von 24 auf 32 Teams vergrößert, darunter acht Teams, die zum ersten Mal bei einer WM mitspielen. Außerdem garantiert die FIFA erstmals jeder Spielerin, die an der Gruppenphase teilnimmt, ein Preisgeld von umgerechnet mindestens 27.000 Euro. Für Teams, die über die Gruppenphase hinaus kommen, erhöht sich das Preisgeld. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil der Förderung des Frauenfußballs und fällt besonders ins Gewicht, da 29 Prozent der Spielerinnen laut einem Bericht der Organisation FIFPRO „keine Zahlungen von ihren Nationalteams erhalten“.

Andere Verbände können sich ein Beispiel an der Vereinbarung zwischen dem costa-ricanischen Verband und seinen Spielerinnen nehmen. Diese unterzeichneten im April 2022 einen Tarifvertrag. Nach dem Vorbild der Vereinbarung für männliche Fußballer von 2014 wurden Prämien, Zulagen und Grundbedürfnisse für die Spielerinnen festgelegt. So wurde beispielsweise vereinbart, dass sie den gleichen Prozentsatz der von der FIFA gezahlten Einnahmen als Bonus erhalten wie die männlichen Profis.

Auch mit Blick auf die Berichterstattung gibt es positive Neuigkeiten. Mitte Juni unterzeichneten die deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF mit der FIFA eine Vereinbarung über die Übertragungsrechte. Der Vertragsabschluss ließ auf sich warten, da die FIFA beschlossen hatte, die Übertragungsrechte für die Frauen- und Männer-WM getrennt zu verkaufen und sich dann mit dem ursprünglichen Angebot der europäischen öffentlich-rechtlichen Sender nicht zufrieden gab. Wegen der Zeitverschiebung werden alle Spiele nach deutscher Zeit am Vormittag in ARD und ZDF übertragen.

Und jeden Monat ein kleines Wunder

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Hier fing alles an “Die Wiese” in Hessen, auf der die Idee für die Chile-Nachrichten entstand (Foto: Jan-Holger Hennies)

Es war ein sonniger Maientag des Jahres 1973, als sich fünfzehn bis zwanzig junge Leute, die alle erst vor kurzem aus dem aufgeregten politischen Klima Chiles nach Deutschland zurückgekehrt waren, auf einer grünen Wiese unter einem Kirschbaum im Hessischen versammelten, um gemeinsam darüber nachzudenken, wie man durch aufklärende Informationen (Vorträge, Artikel?) und praktische Unterstützung (Fahrräder zum Beispiel?) den unter der schwierigen Situation leidenden Volksmassen und der Regierung der Unidad Popular helfen könnte. Die Stimmung war gut und sogar optimistisch, bedenkt man die meistens schlechten Nachrichten, die über den Atlantischen Ozean kamen: politische Attentate, von extrem rechten Gruppen organisiert, rasch ansteigende Inflation, Versorgungsengpässe an allen Ecken und Enden. Trotzdem konnte sich die muntere Runde nicht vorstellen, daß das »Experiment« einer gründlichen Umwälzung mittels einer gewählten Regierung scheitern könnte. Und so wurde denn ein Komitee »Solidarität mit Chile« gegründet, das es sich zur Hauptaufgabe machte, praktische Hilfe für die im chilenischen Winter noch mehr darbenden Massen zu organisieren. Mehr für die interne Kommunikation des Kreises als für die Aufklärung der westdeutschen Gesellschaft wurde beschlossen, alle 14 Tage ein paar Seiten mit den wichtigsten Informationen aus Chile und Tips in praktischen Fragen zusammenzustellen. Die kurzen Texte sollten »erst einmal« in (West-)Berlin zusammengestellt werden.

Die Anfänge

Am 28. Juni 1973, einem Donnerstag wie immer seither, war es dann so weit. Gegen sieben Uhr abends kamen sechs – oder sieben? – Leute zusammen und planten den Inhalt der Seiten der ersten Nummer: erst einen kurzen Bericht »Über die Ereignisse in Chile«, dann Hinweise auf Informationsmaterial, Veranstaltungen etc., schließlich auch die Namen und Adressen der Beteiligten. Nach der Bohnensuppe, die für Monate zu einer ständigen Einrichtung am Produktionsabend wurde, ging es an die Arbeit, und nach drei Stunden waren alle Texte geschrieben und sorgfältig auf sieben Ormig-Matritzen getippt. Die Nachrichten von einem mißlungenen Putschversuch am Vortag in Chile konnten gerade noch berücksichtigt werden. Am nächsten Morgen wurden von jeder Matritze 50 Abzüge gemacht, sortiert, in Briefumschläge gepackt und zur Post gebracht. Außer den Mitgliedern des Komitees wurden noch ein paar Freunde bedacht, von denen man für die Produktionskosten Spenden erbat, die dann auch schnell und reichlich eintrafen.

Die Existenz dieser Informationsquelle sprach sich schnell herum, und schon bei der fünften Nummer – zwei Monate später – mußten von den Matritzen 200 Exemplare abgezogen werden, um die Nachfrage zu befriedigen. Das war aber auch das Äußerste, was die Matritzen damals hergaben.
Die Zahl der Mitarbeitenden wurde auch ziemlich schnell größer. Bald kamen zehn, fünfzehn, zwanzig Interessierte, um zu helfen. Eine zusätzliche Sitzung an dem bisher »freien« Donnerstag wurde zur Vorbereitung der nächsten Nummer nötig. Natürlich waren alle davon überzeugt, daß der Verfassungsschutz in unseren Reihen mit dabei war; trotzdem wurden die Namen der Beteiligten tapfer abgedruckt. Von der Nummer 3 sollten die chilenischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Weltjugendfestival in (Ost-) Berlin einige Exemplare überreicht bekommen; aber die Volkspolizei am Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße war wachsam und beschlagnahmte die kleine Informationsbroschüre nach länger dauernder Kontrolle des Inhalts. Bei der Rückreise wurden die Exemplare zurückgegeben, denn geschenkt haben wollte die Volkspolizei sie auch nicht.
Ein Versuch, mit den Leuten aus Chile vom Festival eine Informationsveranstaltung in Westberlin zu machen, scheiterte daran, daß das nur gemeinsam mit der FDJW (der Freien Deutschen Jugend Westberlin) möglich gewesen wäre, und die stellte die Bedingung, daß auf einer solchen Veranstaltung nicht diskutiert werden dürfe: Lieber gar keine Veranstaltung als eine unkontrollierte.

Wer heute die Texte der ersten fünf Nummern der CHILE-NACHRICHTEN liest, wird finden, daß sie in aller Klarheit die Unausweichlichkeit eines Putsches der Rechten in Chile aufzeigen. Das war nicht Absicht – im Gegenteil. Beim Diskutieren und Schreiben waren alle mehr oder weniger optimistisch, daß sich das Blatt noch wenden ließe. Es schien zu ungeheuerlich, daß die Welt es wagen sollte, den Putsch gegen eine gewählte Regierung zu dulden.

Umso größer war der Schock, als der Putsch dann am 11. September 1973 doch unternommen wurde. Für die CHILE-NACHRICHTEN bedeutete das sofort eine sehr stark wachsende Nachfrage und die Verarbeitung von immer mehr Nachrichten, Informationen, Solidaritätskundgebungen. Jetzt mußte richtig gedruckt werden. Im November lag die Auflage schon bei 6000 Exemplaren, deren Produktion finanziell wegen reicher Spenden kein Problem war. Die Nummer 10 erschien mit einem erheblich erweiterten Umfang; ein englischer Freund rief danach während einer Redaktionssitzung aus London an: »Ihr seid varrickt! Sixty pages!«

Ende 1973 wurde sehr schnell deutlich, daß die 14-tägige Erscheinungsweise nicht zu halten war. Die kleine Zeitschrift, die nun immer dicker wurde und bald zu Dokumentationszwecken um – zunächst kostenlose – Sonderhefte erweitert wurde, konnte nur noch monatlich hergestellt werden. Studium, Unterricht, Forschung, Schauspiel, kurz: das normale Leben konnte ja nicht völlig der Arbeit an dem Blatt untergeordnet werden.

Das Archiv

Weil sich die Wohnungen der Redaktionsmitglieder mit wichtigen Daten und Dokumenten füllten, die niemand wegwerfen wollte, mußte ein Archiv eingerichtet werden. Ohne die tatkräftige Mithilfe und die Infrastruktur der Evangelischen Studentengemeinde an der Technischen Universität wäre das wohl niemals möglich gewesen. Als gemeinnütziger Verein um das Archiv herum wurde dann bald das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile – Lateinamerika (FDCL) gegründet, dessen Aktivitäten sich später stark ausgeweitet haben.

Je genauer die Informationen über die Menschenrechtsverletzungen durch die Militärjunta, über den verbrecherischen Charakter des Pinochet-Regimes an sich, über die rücksichtslose Wirtschaftspolitik der Chicago Boys und über relativ gute Beziehungen zu wichtigen Figuren aus Wirtschaft und Politik der Bundesrepublik wurden, desto wichtiger empfanden die Redaktionsmitglieder ihre Arbeit im Dienst von Information und Solidarität.

Wachsende Solidarität

Neben den CHILE-NACHRICHTEN (oder über ihnen? oder um sie herum?) war in Westberlin schon gleich nach dem Putsch das Chile-Komitee entstanden, von dem aus Demonstrationen, Proteste und Hilfsaktionen für die nach Berlin gekommenen Flüchtlinge organisiert wurden. Unvergessen bleibt – trotz der zermürbenden Vorverhandlungen mit den Westberliner Kommunisten von der SEW – die große Demonstration der 30.000 am 4. November 1973; unvergessen bleibt auch, wie während der Fußball-WM 1974 beim Spiel Chile gegen Deutschland in der Pause auf dem Platz eine große chilenische Flagge erschien mit der Aufschrift: »CHILE SI – JUNTA NO«.

Natürlich war das Chile-Komitee auch Ort heftiger politischer Debatten, in denen die CHILE-NACHRICHTEN nicht nur gelobt wurden. Die anfangs noch stärker beteiligten Jungsozialisten betrachteten zwar die Zeitschrift mit einer Art altväterlichem Wohlwollen, aber die über weite Strecken tonangebenden Spontis hielten die Redaktion für eher zu wenig radikal und verlangten häufig eine stärkere Berücksichtigung der entschieden revolutionären Strömungen in Chile wie etwa der »Linksrevolutionären Bewegung« (MIR), auch wenn diese Strömungen mit Spontis absolut nichts im Sinn hatten. Am liebsten wäre manchen im Komitee gewesen, wenn die Zeitschrift regelrecht zum Organ des Komitees geworden wäre; da das aber viel Arbeit für die Kontrolleure bedeutet hätte, blieb die Unabhängigkeit der Redaktion immer erhalten. Im Kern war sie ebenso locker organisiert und spontan wie das Komitee. Die Mitarbeit war absolut freiwillig und dazu noch anonym, weil niemand dem chilenischen Geheimdienst die Namen der Mitarbeitenden verraten wollte.

Ideologische Auseinandersetzungen

Ein Komiteeteilnehmer trat immer wieder unbeirrbar für eine Straffung der Arbeit durch klare Organisationsprinzipien ein. Dieser offizielle Abgesandte der Liga gegen den Imperialismus, einer Frontorganisation der maoistischen KPD, fand aber mit seinen Vorschlägen für die Wahl eines Vorstandes und die Einrichtung eines Sekretariats keinerlei Gegenliebe. Die konkurrierenden Maoisten vom KBW ließen sich etwas anderes einfallen. Sie entsandten einen Genossen, nennen wir ihn Fritz, in die Redaktion der CHILE-NACHRICHTEN, wo er sich durch Fleiß und Umsicht Freunde zu machen wußte. Eines Tages erklärte Fritz, er könnte erst einmal drei Wochen lang nicht erscheinen, weil er ein Dokument zu studieren habe. Nach drei Wochen brachte er einen Genossen mit, und beide begannen mit dem Versuch, der Redaktion klarzumachen, daß die CHILE-NACHRICHTEN objektiv der Konterrevolution dienten, weil sie nicht konsequent gemäß der Linie der Volksrepublik China die Dritte Welt – einschließlich Pinochet – gegen den Imperialismus unterstützten. Die beiden KBW-Leute beantragten, alle aus der Redaktion zu entfernen, die der korrekten Linie nicht folgen wollten, unterlagen aber mit zwei gegen achtzehn Stimmen, verschwanden und wurden lange Zeit nicht mehr gesehen, bis Fritz – inzwischen längst geläutert – bei einem sehr vernünftigen Nachbarprojekt im Mehringhof auftauchte.

Konstruktives Chaos

Die eigentliche Arbeit der Redaktion verlief einigermaßen unkoordiniert. Für jede Ausgabe wurde schon damals eine neue Leitung bestimmt. Im übrigen aber blieb alles meistens bis zur letzten Minute offen; deshalb dauerten die Produktionsnächte schon damals bis in die Morgenstunden.

Am chaotischsten war nach einiger Zeit die Finanzlage. Nach dem Putsch in Chile waren sehr viele Abonnementsbestellungen von Personen, Gruppen und Buchhandlungen eingegangen. Aber niemand hatte Zeit, sich um das Eintreiben der Außenstände zu kümmern. Die Zeitschrift stand relativ bald vor dem Ruin, bis jemand auf den Gedanken kam, die Abonnenten einfach zur Bezahlung ihrer Schulden aufzufordern. Darauf ergab sich ein solcher Überschuß, daß beschlossen wurde, den chilenischen Flüchtlingen in Westberlin die Herausgabe einer ähnlichen Zeitschrift in spanischer Sprache für ihresgleichen in Europa anzubieten. Unter den Namen »CHILE COMBATIENTE« und »SI, COMPAÑERO« sind dann auch tatsächlich ein paar Nummern erschienen, bis Parteienstreitigkeiten unter den Flüchtlingsgruppen die Arbeit immer mehr erschwerten. Das Geld hätte auch nicht viel weiter gereicht.

Mitte der siebziger Jahre wurde deutlich, daß Chile zwar einen besonders krassen Fall der Kombination von autoritärer Militärherrschaft und ultraliberaler Wirtschaftspolitik bedeutete, daß aber die anderen südamerikanischen Länder diesem Beispiel immer stärker folgten. In Uruguay hatten die Militärs die Herrschaft fast gleichzeitig übernommen. Brasilien und Peru waren schon Militärdiktaturen gewesen.
Spätestens mit dem Putsch in Argentinien 1976 wurde deutlich, daß es sich um eine allgemeine Tendenz handelte, für die sich nun die Redaktion der CHILE-NACHRICHTEN interessieren mußte. Das Ergebnis waren immer mehr Artikel über Chiles Nachbarländer, bis dann irgendwann die Entscheidung anstand, den Inhalt und den Titel grundsätzlich zu erweitern. Wie jede der grundsätzlichen Veränderungen in der Geschichte der Zeitschrift war auch diese heiß umkämpft; aber mit Nummer 51 und dem Beginn des fünften Jahrgangs im Sommer 1977 war es dann soweit. Von jetzt ab hieß das Blatt LATEINAMERIKA NACHRICHTEN; der Name CHILE-NACHRICHTEN hielt sich noch elf Jahre als Untertitel und erscheint nur noch ganz schamhaft im Impressum. Die CHILE-NACHRICHTEN sind Teil der Geschichte geworden. Heute arbeiten in der Redaktion junge Leute, die noch nicht geboren waren, als der Name CHILE-NACHRICHTEN schon begraben wurde. Das gilt es zu feiern.

Alte Texte neu gelesen – dieser Text erschien zum 25. Jubiläum der in LN 289/290 (Juli/August 1998) und wurde in der Jubiläumsausgabe 588 zu 50 Jahren LN erneut abgedruckt.

50 Jahre Lateinamerika Nachrichten

„Amerika den Amerikanern“ formulierte der US-amerikanische Präsident James Monroe vor 200 Jahren und meinte doch nur „Lateinamerika den USA“. Der Aufstieg der USA zur neuen Hegemonialmacht in Lateinamerika vollzog sich in wenigen Jahrzehnten, schon Anfang des 20. Jahrhunderts war der Kontinent fest in den Händen der USA.
Auch die Gründung der Lateinamerika Nachrichten vor nunmehr 50 Jahren verdankt sich, zumindest indirekt, dieser Doktrin. Die Rolle der USA bei der wirtschaftlichen Destabilisierung der Unidad Popular-Regierung in Chile und beim Militärputsch gegen Präsident Salvador Allende mag heute längst nicht mehr allen bekannt sein. Für die Aktiven des Komitees „Solidarität mit Chile“, die am 28. Juni 1973 die erste Ausgabe der Chile-Nachrichten (seit Nummer 51: Lateinamerika Nachrichten) produzierten, war der Kampf gegen den US-Imperialismus jedoch ein wichtiges Motiv für ihr politisches und journalistisches Engagement.
Der Diktator ging, die Lateinamerika Nachrichten blieben. Nur mäßig konnte uns zu unserem Silberjubiläum im Jahre 1998 der Abgang von Augusto Pinochet erfreuen: Den Oberbefehl über die chilenischen Streitkräfte tauschte er damals mit einem Senatorenposten auf Lebenszeit. Und auch sonst boten uns eher die Kontinuität der eigenen Arbeit, denn die Verhältnisse in Lateinamerika Anlaß zu Optimismus.
Das waren überhaupt komische Zeiten damals, als sich das Jahrtausend dem Ende zuneigte. Die Zauberworte Neoliberalismus und Globalisierung bestimmten die Regierungspolitik in fast allen Ländern des Kontinents. Fast: Wie ein gallisches Dorf trotzte nur Kuba den Römern, die damals in Washington residierten. Und als ob auch er als Kind in einen Zaubertrank gefallen wäre, zeigte sich Fidel Castro Jahrzehnt um Jahrzehnt unschlagbar: In der westlichen Hemisphäre hält er noch heute den Rekord für die längsten Ansprachen – unterbrechen ließ er sich meist nur, wenn auf der Zuckerinsel mal wieder der Strom abgestellt wurde. Vor Yankees hatte er nur auf dem Baseball-Platz Respekt, die Blockade konnte Kuba nicht in die Knie zwingen (für jüngere LeserInnen: die USA versuchten bis nach der Jahrtausendwende, Kuba durch Wirtschaftsblockade und politische Isolierung in die Knie zu zwingen – was sich ja bekanntlich erst änderte, als vor fünfzehn Jahren die kurz zuvor eingebürgerte Ex-Präsidentin Brasiliens, Benedita da Silva, ins Weiße Haus gewählt wurde).
Lange Zeit war Politik ja eine Angelegenheit korrupter Männer, die mit Militärs kungelten und Phantasie nur zeigten, wenn sie für ihre Wiederwahl mal wieder eine Verfassungsänderung durchsetzten – in Peru durfte damals nur noch zum Präsidenten gewählt werden, wer japanische Vorfahren, und in Argentinien, wer syrische Vorfahren hatte. Brasilien konnte nur regieren, wer Großgrundbesitzer war und ein Soziologie-Diplom sein eigen nannte.
Die Wende in Lateinamerika brachten bekanntlich die ZapatistInnen und die Landlosenbewegung MST. Der erste Präsident mit Skimütze in Mexiko und die Vergabe eines Landtitels an die letzte landlose Bäuerin in Brasilien – das waren bewegende Momente, die auch uns wieder optimistisch in die Zukunft blicken ließen.
Denn während unsere Freunde und Freundinnen in Lateinamerika die Verhältnisse zum Tanzen brachten, wurde es in Deutschland immer eisiger. Die Grünen stritten mal wieder, ob es der Bevölkerung zuzumuten sei, den Benzinpreis um drei Prozent zu erhöhen, während Joschka Fischer als Verteidigungsminister den Parteiausschluß von Jürgen Trittin verlangte, weil der sich noch immer weigerte, an den wöchentlichen öffentlichen Rekrutengelöbnissen vor dem Reichstag teilzunehmen.
Grund zur Freude hatten wir erst wieder, als Jamaica 2006 Fußballweltmeister wurde und Berti Vogts durchsetzte, daß Gras endlich auch in Deutschland legalisiert wird. Die Cannabis-Pflanze statt dem Bundesadler auf der Schwarz-Rot-Goldenen Flagge und „Keine Macht für niemand“ von den Scherben als Nationalhymne – das hat sich vor 25 Jahren niemand in der Redaktion zu träumen gewagt. Auch nach 50 Jahren Lateinamerika Nachrichten – wir machen weiter: „Get up, stand up for your rights“.

Alte Texte neu gelesen – dieses Editorial erschiet in LN 289/290 (Juli/August 1998) und wurde in der Jubiläumsausgabe 588 zu 50 Jahren LN erneut abgedruckt.

Es muss nicht immer Klezmer sein

Foto: Nabis Filmgroup, Nevada Cines

Eine Dokumentation über jüdische Musik in Osteuropa von zwei jungen argentinischen Filmemacher*innen – das klingt zunächst einmal ungewöhnlich. Und tatsächlich ist es alles andere als konventionell, was Leandro Koch und Paola Schachmann mit ihrem Debüt Adentro mío estoy bailando (englischer Titel: The Klezmer Project) vorlegen. Allerdings auf andere Weise, als man es nach dem Lesen der Kurzbeschreibung vermuten würde.

Schon zu Beginn des Films gibt es eine Überraschung: Eine tiefe Männerstimme, die sich selbst als „den Satan“ bezeichnet, liest auf Jiddisch aus dem Off eine über 100 Jahre alte Geschichte vor. Darin geht es um Yankel, den Gehilfen eines Totengräbers, der sich in die Tochter des örtlichen Rabbiners verliebt. Mit dem Geschehen auf der Leinwand hat das zunächst einmal überhaupt nichts zu tun: Dieses beginnt mit einer jüdischen Hochzeit in Argentinien. Auf der lernen sich der Hochzeitsfilmer und die Klarinettistin der dort spielenden Klezmer-Band kennen und verlieben sich ineinander. Nach und nach löst sich aber die anfängliche Verwirrung und es zeigt sich: Das verliebte Pärchen ist das Regisseur*innen-Duo des Films, das sich in der Folge separat auf Fahrten nach Osteuropa begibt. Paloma macht für ihre Musikstudien zu Klezmer-Musik eine Forschungsreise nach Rumänien. Und auch Leandro entwickelt an Klezmer Interesse, er begleitet zunächst ein Musiker-Duo auf eigene Kosten auf ihrer Europatournee nach Österreich. Sodann zieht er dort mit einem befreundeten Fernsehproduzenten einen Dokumentarfilmauftrag für den Sender ORF an Land. Er soll Klezmer-Bands in Österreich, der Slowakei und der Ukraine filmen. Sein heimlicher Beweggrund für die Reise ist jedoch ein ganz anderer: Er hat keine Lust, monatelang von Paloma getrennt zu sein und macht sich Hoffnungen, im benachbarten Rumänien wieder mit ihr zusammenzutreffen. Währenddessen weist die Geschichte des jiddischen Erzählers, die zwischendurch weiter aus dem Off zu hören ist, immer mehr unverkennbare Parallelen zu Leandros Abenteuer auf. Denn auch Yankel reist seinem Schwarm hinterher und schafft es mit Überredungskunst, andere Menschen davon zu überzeugen, ihn dabei zu begleiten oder gar zu finanzieren.

Adentro mio estoy bailando entpuppt sich als filmisches Überraschungsei. Wer eine Doku über Klezmer erwartet hat, sieht sich schon bald getäuscht: Klezmer-Bands, das wird dem ahnungslosen Leandro und auch dem geleimten ORF-Team ziemlich schnell klar, sind in Osteuropa heute so gut wie ausgestorben. Dafür wird der Film immer mehr zu einer Mischung aus Selbstfindungstrip, Geschichtsstunde und Anschauungsunterricht über die Mühen des Dokumentarfilmens. Und das ist ein Glück, vor allem aufgrund des sympathisch-naiven Leandro Koch. Der lässt die Zuschauer*innen genauso an seinen romantischen Ups und Downs teilhaben wie an den Diskussionen mit seinem immer ungeduldiger werdenden Produzenten. Missmutig reibt der ihm Drehpläne unter die Nase, von denen nicht ein einziger eingehalten wurde. Immerhin ist Leandros Lernkurve beachtlich: Sein vergebliches Suchen nach Klezmer-Bands macht er mit interessanten Geschichtsexkursen über die heute fast ausgestorbene jiddische Kultur und deren schwieriges Verhältnis zum Zionismus wieder wett. Und ganz auf Musik verzichten muss der Film selbstverständlich auch nicht: In allen Städten, die das Filmteam besucht, geben Musiker*innen hörenswerte Einlagen zum Besten. Es ist nur eben leider kein Klezmer dabei…

Leandro Kochs Dokumentation wird so zu einem unterhaltsamen Lehrstück fürs Scheitern als Chance. Man merkt dem Film zwar an, dass einige Szenen nachgedreht wurden, was dann (wie die Vertragsunterschrift beim ORF) auch mal etwas gestellt und verwirrend wirken kann (Was ist echt? Was nur gespielt?). Trotzdem bleibt Adentro mío estoy bailando aber ein Filmerlebnis aus frischer und unbekümmerter Perspektive und darf sich dank der innovativen Verknüpfung mit der jiddischen Off-Erzählung nun auch über die Auszeichnung als bester Erstlingsfilm der Berlinale freuen.

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Erschütternd wie ein Spielfilm

Am 9. Dezember des Jahres 1985 widerfuhr den Kläger*innen gegen die abscheulichen Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur Gerechtigkeit. Nach einem über 6-monatigen Verfahren, dem sogenannten Prozess gegen die Juntas (Juício a las Juntas), verurteilte zum ersten Mal eine Demokratie selbst, die vorherigen Verbrechen der Diktatur im eigenen Land.

© Memoria Abierta

Bereits im vergangenen Jahr lief mit Argentina 1985 ein fiktionalisierter Film über den Prozess (mit Superstar Ricardo Darín in der Hauptrolle) auf dem Filmfestival in Venedig. Um die filmisch-dokumentarische Aufarbeitung der Verurteilung der Militärjunta hat sich nun Regisseur Ulises de la Orden verdient gemacht. Er vollendete die Mammutaufgabe, aus 530 Stunden Videomaterial der Gerichtsverhandlungen einen dreistündigen Dokumentarfilm zu destillieren. Der Vergleich mit dem emotionalen Argentina 1985 ist interessant. Denn El Juicio kommt ohne Interviews, ohne Off-Kommentar und fast ohne musikalische Untermalung aus. Das klingt im Zusammenhang mit der Länge erst einmal trocken. Dennoch steht er dem Spielfilm an Dramatik kaum nach, denn Regisseur de la Orden ist auch ohne diese Mittel eine packende und erschreckende Bestandsaufnahme über die Zeit der argentinischen Militärdiktatur gelungen. Zum einen liegt das an der gekonnten Montage des Filmes. De la Orden lässt die Zeug*innen und Anwälte als Gegenspieler*innen auftreten und legt ihre Strategien und Charaktere offen. Durch die sehr emotionalen Zeug*innenaussagen und das kalte und zynische Verhalten der angeklagten Militärs, das sich in Habitus und Argumentation ausdrückt, bleibt diesbezüglich nichts im Unklaren. Selten waren Gut und Böse so deutlich erkennbar, wie in diesem Prozess. Während die Opfer der Diktatur im Zeug*innenstand teils unter Tränen von unfassbaren Unmenschlichkeiten und Gräueltaten berichten, sehen die Angeklagten ihnen abschätzig zu, Zeitung lesend und Kette rauchend (Zigaretten waren 1985 im Gerichtssaal noch allgegenwärtig). Mehr und mehr fügt sich dabei ein Mosaik des Grauens aus den sieben Jahren der argentinischen Militärregierungen zwischen 1976 und 1983 zusammen.

Kindsentführungen, Gefangennahmen, Raub, Folter, Zwangsarbeit, Verschwindenlassen, kaltblütiger, massenhafter Mord: Zu jedem dieser Verbrechen sagt im Film mindestens ein*e Zeug*in in einer Deutlichkeit vor Gericht aus, die keinen Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Aussagen lassen. Die Reaktion der Militärs: Gleichgültigkeit, Rechtfertigungen, sogar Unschuldsbeteuerungen. Man habe „christliche Werte gegen Marxisten“ verteidigen müssen, sehe sich einer „Inquisition“ und „Nürnberger Prozessen“ ausgesetzt, könne sich nicht erinnern, auf „menschliche Ziele“ geschossen zu haben oder nicht. Die Zeug*innen beklagen weinend, dass die Massengräber ihrer Kinder nicht einmal wieder zugeschaufelt worden seien – die Angeklagten beschweren sich, dass sie im Gerichtssaal auf zu schlechten Plätzen sitzen würden. Besser als sie selbst hätte niemand ihre kalte Grausamkeit und Weltfremdheit illustrieren können. Symbolisch dafür steht auch das Duell der Anwälte der beiden Parteien – der engagierte Julio Cesar Strassera (Anklage) gegen den schmierigen Juan Maria Orgeira (Verteidigung) – auf das Regisseur de la Orden den Film mehrfach fokussiert.

El juicio ist ein hervorragend geschnittener Dokumentarfilm über einen Prozess, der auch 40 Jahre nach Ende der Militärdiktatur nichts von seiner Relevanz verloren hat. Die Statements der gefolterten, entführten, ihres Hab und Guts und ihrer Kinder beraubten Menschen im Zeug*innenstand sind erschütternd und wegen der Ungeheuerlichkeit der geschilderten Verbrechen teils schwer zu ertragen. Wer sich dennoch auf die drei Stunden Dokumentation einlässt, bekommt ein eindrucksvolles Zeitdokument zu sehen, das in allen Facetten zeigt, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben. Dabei nimmt El juicio emotional so mit, dass man sich am Ende den Zuschauer*innen im Gerichtssaal anschließen möchte. Diese erhoben sich – obwohl eigentlich untersagt – geschlossen von ihren Sitzen, und klatschten laut Beifall, nachdem Chefankläger Strassera sein Schlussplädoyer beendet hatte. Seine letzten Worte lauteten: „¡Nunca mas!“ – „Nie wieder!“

Triggerwarnung: Drastische verbale Schilderungen von Gewalt und sexuellen Übergriffen

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Schweigen ist Gold

Foto: Marcelo Iaccarino

„Kannst du nicht mal 10 Sekunden still sein?“ Felipe ist genervt. Eigentlich will er mit seiner Großmutter über seinen verstorbenen Vater reden, von dem alle mehr zu wissen scheinen als er selbst. Doch seine abuela, die er wie auch seine Mutter nur mit Vornamen anspricht, schweift immer wieder ab. Wenn sie es aber nicht schafft, über das Wesentliche zu sprechen, zieht Felipe ihr Schweigen vor.

Im Film Desperté con un sueño (deutscher Titel: Auch wenn ich nicht viel sage) des argentinischen Regisseurs Pablo Solarz geht es viel um die Relevanz des Unausgesprochenen. Felipe, ein Junge an der Schwelle zur Pubertät, lebt in La Paloma, einem kleinen Küstenort in Uruguay. Dort tut er die Dinge, die man eben tut in seinem Alter: Mit Freunden abhängen, Hip-Hop hören, an den Strand gehen. Aber er liebt auch das Theater und träumt von einer Schauspielkarriere. Trotz offensichtlicher Begabung spürt er, dass seine Mutter diesen Weg nicht gutheißen würde, auch wenn sie nicht sagt, warum. Deshalb schmiert Felipe sich seine Kleidung nach den Proben seiner Jugendtheatergruppe mit Matsch ein. Dadurch sieht es aus, als käme er direkt vom Fußballtraining – ein perfektes Alibi, das niemals hinterfragt wird. Die Verschlossenheit seiner Mutter beantwortet er so mit seinem eigenen Geheimnis. Und die Welt der Erwachsenen, an die Felipe sich annähert, verliert für ihn mit jeder unbeantworteten Frage an Geborgenheit.

Desperté con un sueño ist eine glaubhafte Darstellung eines Jungen auf der Suche nach seiner Identität, die für Kinder und Jugendliche genauso empfehlenswert ist wie für Erwachsene. Der Film wird getragen vom eindringlichen Spiel seines Hauptdarstellers Lucas Ferro. Der verkörpert Felipe mit so großer Präsenz und Ernsthaftigkeit, dass er oft reifer erscheint als viele ältere Menschen um ihn herum. Aber auch Regisseur Solarz, der selbst eine kleine, aber wichtige Rolle im Film übernimmt, schafft es, mit warmen und stimmigen Bildern Atmosphäre zu schaffen und die Zuschauer*innen in Felipes Gefühlswelten mitzunehmen. Nicht alles wird am Ende aufgeklärt und einige Figuren (speziell Felipes Mutter) hätten in der nur 75-minütigen Geschichte noch mehr Raum verdient. Aber vielleicht ist ja auch das Teil der Botschaft des Films: Nicht alles muss mit Worten gesagt werden, Schweigen und Reflexion können die wirklich wichtigen Dinge oft besser bewusst machen als zielloses Gerede.

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Unser kleines Schloss

Die Kühe, mal wieder. Ständig läuft eine weg, verirrt sich, wird krank oder bekommt Junge. Das schafft Justina nicht allein, da muss ihre Tochter Alexia ran. Aber die sitzt wie so oft in ihrem Zimmer und spielt Autorennen am Simulator nach. Nur zum Spaß, wie man zunächst denkt, doch weit gefehlt: Schließlich will sie so bald wie möglich eine ernsthafte Karriere als Fahrerin in der argentinischen Formel 4 starten (ja, die gibt es wirklich). Aber als gute Tochter lässt sie sich irgendwann von ihrer Mutter erweichen und schon bald ist mit den Kühen auch alles wieder in der Reihe.

© Mayra Bottero / Gema Films, Sister Productions

Der argentinische Regisseur Martín Benchimol hat sich mit El Castillo (Das Schloss) an eine Doku-Fiktion gewagt, die trotz des denkbar einfachen Settings wirklich gut funktioniert. Die frühere Haushälterin Justina hat ein schlossähnliches Landhaus von der Vorbesitzerin, die sie bis zu ihrem Tod gepflegt hat, vererbt bekommen. Nun ist sie zusammen mit der halbstarken Alexia (vom Vater fehlt jede Spur) Herrscherin über ein Gebäude im Hundertwasser-Stil, mit nicht weniger als 6 Badezimmern, üppigem Grundbesitz und einem ganzen Streichelzoo süßester Tiere. Allerdings liegt das Anwesen mitten im Nirgendwo, was zumindest Alexia nicht wirklich stillsitzen lässt: Es zieht sie nach Buenos Aires. Denn eine Rennfahrerinnen-Karriere und auch ein Sozialleben abseits von Videochats mit Freund*innen oder Fernsehen mit Mama und der herumwuselnden Tierherde wird es für sie nur dort geben können.

El Castillo ist abseits seiner hochsympathischen Hauptdarstellerinnen deshalb so ein interessanter Film, weil er einen Fall von Veränderung der feudalen Besitzverhältnisse dokumentiert. Dass eine frühere Haushälterin mit indigenen Wurzeln wie Justina ein Haus mit Grundbesitz von ihrer früheren Arbeitgeberin vererbt bekommt, dürfte in Lateinamerika auch heute noch die absolute Ausnahme darstellen. Doch die Hoffnung ist trügerisch, denn das früher bestimmt schmucke Schlösschen war bereits bei der Übergabe eine ziemliche Bruchbude. Durch klaffende Löcher im Dach regnet es in die Wohnung, die vielen schönen Bäder bringen wegen defekter Wasserleitungen nicht viel und laufende Kosten und Grundsteuern fressen das kleine Budget von Justina und Alexia auf. Als Einnahmequellen sind die Vermietung von Zeltplätzen für Angler auf dem Gelände oder der Verkauf der immer weniger werdenden Kühe und Einrichtungsgegenstände nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und so ist Justina, obwohl besitzend, nach wie vor eine Gefangene ihrer früheren Arbeitgeberin. Denn die hat ihr eingeschärft, das Anwesen ja nicht zu verkaufen, sondern schön so weiterzupflegen, wie sie es zuvor auch schon ihr ganzes Leben – nur gegen Bezahlung – getan hat. Als wäre das nicht genug, lädt sich die Sippe der Verstorbenen in schöner Regelmäßigkeit auch noch selbst zu Familienfesten auf das Schlösschen ein (natürlich ohne zu bezahlen), genießt die Annehmlichkeiten in den noch vorzeigbaren Räumen und lässt sich wie eh und je von Justina bedienen. Ein weiterer Grund, warum Alexia, die eine kaum verhohlene Wut auf den unverschämten Clan schiebt, ihre Pläne vorantreibt, das Weite zu suchen. Martín Bechamel ist mit El Castillo ein höchst unterhaltsames Porträt zweier unverhoffter Grundbesitzerinnen gelungen, bei dem er Gefühl für Situationskomik und kreative Inszenierung zeigt (bei schlechtem Wetter lässt er das Schlösschen wie ein verwunschenes Geisterhaus wirken). Dabei sind die Geschichte und auch die Hauptdarstellerinnen identisch mit der Realität. Die Szenen mit der Großfamilie wurden allerdings mit Schauspieler*innen (die Familie des Regisseurs) nachgedreht. Dabei tut die Feelgood-Atmosphäre dem Filmgenuss sichtlich gut, verdeckt aber den Blick auf eine bittere Realität, die Benchimol zum Schluss etwas unter den Tisch fallen lässt: Ohne schnell eine verlässliche Einkommensquelle zu finden, steht das baufällige Schloss und mit ihm seine Besitzerinnen vor einer höchst ungewissen Zukunft.

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Zwischen dem Mythos von Bestrafung und Heilung

Nino lebt mit seiner Familie in Santiago del Estero, Argentinien. Im Alter von vierzehn Jahren ist er dabei, seine Sexualität zu erforschen. Weil er nicht der Norm entspricht, wird er Opfer homophober Angriffe. Um ihn vor Ausschluss und Häme zu schützen, beschließen seine Eltern, die Stadt vorübergehend zu verlassen und die ganze Familie zieht in den Forstbetrieb, in dem sein Vater arbeitet.

Foto: © Tu Vas Voir

In seinem neuen Zuhause inmitten eines dunklen, feuchten Waldes hat Nino Schuldgefühle wegen seiner sexuellen Begierden und weil er das Leben seiner Familie aus den Fugen gebracht hat. Seine 16-jährige Schwester Natalia, die sich von ihren Freund*innen entfremdet hat, verzeiht ihm nicht. Estela, seine Mutter, will Nino wieder auf den rechten Weg bringen und organisiert seine Konfirmation in der örtlichen Kirche. Die Predigten des Pfarrers verstärken Ninos Schuldgefühle, da ihm weisgemacht wird, dass das, was er fühlt und tut, in den Augen Gottes nicht richtig ist.

In dieser ländlichen Umgebung, in der sich Mythos und Religion vermischen, entdeckt Nino die Legende von Almamula, einem in den Bergen lebenden Wesen, das diejenigen entführt, die verwerfliche sexuelle Handlungen begangen haben.  Diese Entdeckung hilft ihm dabei den Kreislauf von Sünde, Bestrafung und Heilung des “cuerpo-territorio” (der in das Territorium verflochtene Körper) zu verstehen. Der Druck der bevorstehenden Konfirmationszeremonie belastet Nino, gleichzeitig wächst seine Faszination für die Almamula, die seine vermeintlichen Sünden an- und auf sich nehmen würde. In einem Prozess des Widerstands und der Suche nach Selbstbestimmung findet Nino in der Almamula die Möglichkeit der Rettung. Um ihr näher zu kommen, betet er zu ihr und geht ihr in den Wald entgegen. Die Schädigung des Waldes spielt in der Handlung zwar eine untergeordnete Rolle, bringt zugleich jedoch symbolisch eine zweite Ebene der Sünde ein: Die des Extraktivismus als Versündigung gegen die Erde. Diese zieht keine äußere, göttliche Strafe nach sich, sondern eine innere, den Verlust der Seele.

Regisseur Juan Sebastián Torales entwickelt einen absolut glaubwürdigen Familienkontext, in dem der Vater abwesend ist und seine Rolle in der extraktivistisch-kapitalistischen Gesellschaft erfüllt, die religiöse Mutter die mentale Belastung und Verantwortung für das moralische Gerüst der Familie trägt, während die Tochter ihren verborgenen, aber rebellischen Weg zur Emanzipation ihres Körpers erkundet.  In diesem Sinne fängt der Regisseur in seinem Debütfilm ein Spektrum sexueller Spannungen ein, das sowohl nachvollziehbar als auch anschaulich ist. Die filmische Besetzung mit den Schauspielern Cali Coronel, María Soldi (Eltern), Nicolás Díaz und Martina Grimaldi (Kinder) als Familienmitglieder lässt uns eine echte Dynamik spüren, die gleichzeitig konservativ und befreiend ist.

Obwohl das Übernatürliche in der Handlung eine starke Präsenz hat, setzt der Film nicht auf Spezialeffekte, sondern konzentriert sich auf realistische Aufnahmen, die mit kleinen Überraschungsmomenten gespickt sind. Die vom Regisseur geschaffene Atmosphäre lädt uns ein, Teil des Mythos zu werden, in dem die Existenz der Almamula oder der Mulaánima uns zu Überschreitungen provoziert und anregt und uns – jenseits der christlichen Dualismen – gleichzeitig bestraft und erlöst.

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Berührende Komödie

An der Zigarette ziehend, noch ein letzter Zug, eilt Arturo, selbst gespielt vom argentinischen Regisseur Martín Shanly, in die Kirche. Ist es seine eigene Hochzeit? Nein, die seiner besten Freundin. Ein Voiceover von Arturo beschreibt diesen Tag, den 30. März 2020, als den wahrscheinlich schrecklichsten Tag seines Lebens. Dieser Tag leitet die Zuschauer*innen durch den Film und lässt durch Rückblicke in die 2010er-Jahre nach und nach die sozialen Beziehungen, familiären Verhältnisse und Verluste des Protagonisten erkennen.

© Un Puma

Im Mittelpunkt dieser Komödie, die in der Sektion Forum läuft, stehen die Fehltritte, die den 30-jährigen Arturo durch sein Leben begleiten. Es tut fast weh, ihm dabei zu zusehen, in welche Situationen er sich begibt. In verschiedenen Episoden – wie die für seinen trans Mitbewohner bedeutende Busreise nach Patagonien oder dem überwältigenden Theaterstück seiner Schwägerin – spielen Teile seines Lebens selbst eine tragende Rolle.  Darin wird klar, dass Arturo ein guter und loyaler Freund, Bruder und Sohn ist, der versucht mit dem Alltag klar zu kommen, der sich aber doch immer wieder fehl am Platz fühlt. Fragen die sein Leben betreffen, nerven ihn und lösen Stress aus. Rückblicke auf Situationen mit seiner Mutter und seiner rebellierenden Schwester zeigen, dass jede auf ihre Art mit einem gemeinsam erlittenen Verlust im Jahr 2012 kämpfen und trotz der kleinen Anfeindungen eine tiefe familiäre Wärme und Zuneigung besteht. Der Höhepunkt des Films ist der Abend der Hochzeit, wo bei Arturo durch die unerwartete Begegnung mit seinem Ex-Freund sämtliche Gefühle von Verletzlichkeit und Einsamkeit hochkommen.

Ein eher abgedroschenes Thema, könnte man vielleicht denken: Ein Mann in der Quarterlife Crisis, der nichts auf die Reihe bekommt. Aber Martín Shanly kritisiert auf berührende Weise den gesellschaftlichen Diskurs, der sagt, dass du nur etwas wert bist, wenn du dich schneller und effizienter weiterentwickelst und schafft dadurch sehr viel mehr Tiefgang, als vielleicht zu Anfang erwartet.

Interessant ist die Kameraführung: Durch das Herauszoomen verlässt man Situationen oder Perspektiven verändern sich auf einmal. Emotionsgeladene Szenen folgen schnell auf langsame Erzählungen über den beiläufigen Ablauf des Alltags, was eine*n die Irrungen von Arturo nachvollziehen und aufwühlend empfinden lässt. Man nimmt selbst die Rolle von Arturo ein und identifiziert sich mit seiner Verwirrung, man empfindet aber gleichzeitig auch Mitgefühl und Fremdschämen.

Arturo a los 30 hat einen verwirrenden Plot, der langsam an Klarheit gewinnt. So auch Arturo, der sich zum Ende des Films im Sommer 2020 mitten in der Pandemie befindet und bemerkt, dass er nicht der einzige ist, der mit dem Leben struggelt. Dem Regisseur ist es gelungen, einen berührenden Film zu entwerfen, welcher einiges Schmunzeln, aber auch bittere Tränen auslöst.

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Dann lieber Kafka lesen

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Dieser erste Satz von Franz Kafkas Verwandlung gehört in seiner Präzision nicht ohne Grund zu den berühmtesten Sätzen der Literaturgeschichte. Im Gesicht der Qualle, dem zweiten Langfilm der argentinischen Regisseurin Melisa Liebenthal, hört sich das so an: “Mein Gesicht hat sich verwandelt, das ist mein Problem!” Einigermaßen trotzig antwortet dies die Hauptfigur Marina einer Ärztin, die sie aus diesem Grund aufgesucht hat. Vor einem Monat habe es eine Schwellung gegeben, nachdem diese abgeklungen sei, sähe ihr Gesicht völlig anders aus.

Im Kleinen zeigt diese erste Szene schon das gesamte Grundproblem des Filmes: Auf die wirklich interessanten Aspekte dieser Verwandlung wird verzichtet. Nachdem Marina (Rocío Stellato) nun schon mehr als einen Monat mit dem „neuen Gesicht” lebt, sind der erste Schrecken und Schock scheinbar bereits gewichen und haben einer allgemeinen Verweigerungshaltung Platz gemacht. Offenbar ist sie nach der Verwandlung zu ihren Eltern und ihrer Großmutter zurückgekehrt, wollte ihrem Partner so verändert nicht begegnen, hat sich aus Arbeit und sozialen Medien zurückgezogen. Der Rest ist ein Mäandern durch alle möglichen Szenen ohne jeden Spannungsbogen: eine belanglose Affäre, Ölmalerei, verschiedene Untersuchungen und ein Ende, das die Betrachtenden vollkommen ratlos zurücklässt. Dazwischen gibt es immer wieder (sehr) lange Einstellungen von Tieren im Zoo und deren Interaktionen mit Besucher*innen, die wohl irgendwie mit dem Zitat von Rilke in der ersten Einstellung zusammenhängen müssen: „Mit allen Augen sieht die Kreatur das Offene.“

Ja, auch Tiere haben ein Gesicht, wer hätte das gedacht. Und ja, beim Tier wie beim Menschen lassen sich über bestimmte Ankerpunkte die Strukturen des Gesichtes erfassen. Immer wieder werden diese im Verlauf des Films mit einfacher Computergrafik in grünen Linien und Punkten gezeigt, ohne tatsächlich zur Handlung oder zur Filmästhetik beizutragen. Überflüssig anzumerken, was Liebenthal alles aus dieser Geschichte hätte machen können, vor allem angesichts der Brisanz der zunehmenden Gesichtserkennung, aber auch was die Fragen der Identität im Blick der anderen angeht. So bleibt der Film in der Handlung, dem Spiel der Hauptfigur und auch in seinen filmischen Mitteln vor allem eines: flach.

LN-Bewertung: 1/5 Lamas

Etwas Altes, Etwas Neues, Etwas Geliehenes, Etwas Blaues

© Jacob Sauermilch

„Ja es fühlt sich komisch an, aber wichtig ist, wie es aussieht!“, mit dieser Idee vom Leben sehen sich der deutsche Fred (David Bruning) und die argentinische Luisa (Rai Todoroff), die eine harmonische und gleichberechtige Beziehung führen, auf einmal konfrontiert, als ihre Eltern zur Hochzeit anreisen. Der mittellange Film El secuestro de la novia der deutsch-argentinischen Regisseurin Sophia Mocorrea, der Teil der Sektion Perspektive Deutsches Kino ist, zeigt in vier Kapiteln mit Witz und Ironie die Gelähmtheit, welche durch die Erwartungen anderer ausgelöst wird. Die Kapitel sind nach den Hochzeitstraditionen Algo Viejo (Was Altes), Algo Nuevo (Was Neues), Algo Prestado (Was Geliehenes) und Algo Azul (Was Blaues) benannt, wodurch auf die konventionellen Denkmuster angespielt wird. Nahaufnahmen und lange Szenen der Zweisamkeit von Fred und Luisa zeigen die eigentliche Nähe und Vertrautheit der beiden. Das langsame Eindringen der Eltern in ihre Beziehung wird gleich zum Anfang am Berliner Flughafen angedeutet, wo auf Grund der Tatsache, dass ungefragt das Brautkleid und sämtlicher Hochzeitskram mitgebracht wurden, kein Platz mehr im Auto für Fred ist.

Das Aufeinandertreffen der Eltern in der deutschen Vorstadt wird durch den Fokus auf den Gartenzaun unterstrichen und dem „doch so schönen, geerbten Haus“, in das Luisa und Fred einziehen sollen. Denn darin sind die Elternteile sich einig: „Wenn erstmal die Kinder kommen, braucht ihr Platz“. Die Absurdität der Erwartungen der anderen an sie wird durch sprachliche Mittel unterstützt und durch mehrere Szenen dargestellt. Das von Luisa ausgesuchte Brautkleid wird durch das mitgebrachte ersetzt und zeigt auf charmante Art und Weise, wie ihre Familie ihre eigenen Vorstellungen von einer schönen Braut hat. Auch Fred wird nicht gehört und von den Vorstellungen der Schwiegereltern überhäuft, so dass sich Fred und Luisa auf ihrer eigenen Hochzeit gemeinsam im Klo verstecken müssen, um sich Champagner trinkend über den Wahnsinn ihrer Eltern auszutauschen.

© Jacob Sauermilch

Die beiden lassen durch die Kapitel hinweg vieles über sich ergehen, doch kippt die Stimmung im letzten Kapitel bei der Brautentführung, da Fred abgefüllt wird und Luisa unangenehme Fragen auf der Wache über sich ergehen lassen muss. Die Distanz, die sich zwischen Ihnen aufgebaut hat, endet im Morgengrauen auf einem Feld, wo sie sich durch Handschellen verbunden im Hochzeitsoutfit wiederfinden. Durch die langen Nahaufnahmen der Blicke und Gesichter, gibt der Film den Zuschauer*innen Zeit, die Gefühle nachzuempfinden und die Gelähmtheit zu fühlen, in der sich die beiden wiederfinden.

Der Film zeichnet sich durch die authentische schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarsteller*innen aus, mit denen man sich automatisch identifiziert. Die Monologe der Eltern spiegeln uns allen bekannte Aussagen wider und gewinnen dadurch an Witz, dass sie unverfälscht mit einer Beiläufigkeit wiedergegeben werden.

Mit diesem Abschlussfilm ihres Studiums an der Filmuniversität Babelsberg präsentiert Sophia Mocorrea ein Narrativ, welches berührt und zeigt mit Originalität die Absurdität von Konventionen auf, mit denen wir uns doch alle immer wieder konfrontiert sehen.

LN-Bewertung: 5/5 Lamas

Arriesgada fragilidad

En el arte de tapa de Nómade se ve el rostro de la cantante, compositora e improvisadora Lucía Boffo multiplicado por nueve. Nueve facetas de la misma persona, nueve formas de acercarse a ese mismo ser. Como las nueve canciones que componen el álbum.
Nómade es el disco más arriesgado de la cantante, no por la complejidad compositiva, sino por el grado de exposición personal. Cada una de las canciones es un micro-universo en el que desnuda sentimientos y emociones como nunca lo había hecho. Es una mirada hacia adentro que invita a conocerla en su intimidad, a explorar los paisajes en los que creció, y la música que la atravesó; música que hoy define su estilo, tan personal como particular. Si “Quiero que me encuentres parece un homenaje encubierto a Spinetta, y en “Volvernos canción se escucha, difuminada y a lo lejos, una posible melodía drexliana, en “Mensajes transatlánticos”, “Lenga” o “Cerremos el telón”, la impronta del folclore argentino es determinante. También en “Desaparecer”, en donde incluso la música urbana tiene su lugar. El lenguaje jazzístico y por sobre todo la improvisación son, desde luego, elemento omnipresente. Y el coqueteo con el impresionismo francés casi que también. Especialmente en “Los ojos”, la canción que quizá más remita a trabajos anteriores, junto al pianista Andrés Marino.
En una época de escucha fragmentada, Nómade insiste en la unidad. El disco abre con una especie de manifiesto en clave de lo que vendrá: composiciones enmarcadas en el tan inmenso como escurridizo término canción; y termina con “Cerremos el telón”, a la vez síntesis de un vínculo que se desmorona y final del álbum. En el medio pasa de todo.
La voz, el piano y la guitarra son la columna vertebral de las canciones que integran el disco. Y a éstos se le suman arreglos de cuerdas y vientos, (contra)bajo, sintetizadores y efectos. Sin embargo, como era de esperarse, la voz en la música de Lucía Boffo sigue siendo el elemento estelar. Y no sólo por la calidad interpretativa y el evidente dominio técnico, sino porque la cantante deja muy en claro que ésta, una vez despojada de las palabras, es un instrumento como cualquier otro. Ella improvisa con la misma naturalidad con la que habla. O respira.
El nomadismo es movimiento, transformación, constante habitar nuevos espacios. En ese ir y venir hay abandono, pero también acumulación infinita de recuerdos, experiencias y encuentros. Nómade fue creado y producido entre Ushuaia, Buenos Aires y Berlín, y eso se escucha en los paisajes evocados, en las historias y en su gente. Y qué gente. Quique Sinesi, Violeta García, Ingrid Feniger, Daniel Schnock e Juan Ignacio Sueyro son algunes de les músiques que intervienen en esos micro-mundos. Nada mal para un debut. Porque Nómade es el primer disco solista de Lucía. Ahora, si los rumores son ciertos y tenemos suerte, es el primero de varios.

SELBSTBESTIMMT AUS DEM GEFÄNGNIS

Fotos: Grace Perviu

Es funkt, raucht und knallt. In einer alten Werkhalle in der Straße Atuel in Buenos Aires wird aus Stahl ein kleiner Wasserturm gebaut. Männer mit Tattoos und Narben im Gesicht laufen herum, schneiden und schweißen Metallstangen zusammen. Die Werkhalle ist alt, etwas heruntergekommen, der Boden schwarz vor Dreck, doch an der Wand ganz hinten im Raum erstrahlt die Wandmalerei einer zerbrochenen Eisenkette, daneben der Name: Zweigorganisation der Freigelassenen und ihrer Familien, Teil der Bewegung der Ausgeschlossenen Arbeiter*innen.

Gleich daneben steht eine der wenigen Frauen. Nora Calandra wirkt trotz ihrer kleinen Figur imposant, ihr Auftreten selbstsicher. Bei ihrer Ankunft in der Werkhalle wird sie freudig begrüßt, man kennt und mag sich.

Die Menschen verbindet eine abgesessene Gefängnisstrafe, manche nur ein paar Jahre, andere über ein Jahrzehnt. Es sind Geschichten der Armut, aber auch die Suche nach Adrenalin, die sie in Haft gebracht haben. Der Ausweg führt über Lohnarbeit, Freundschaften und gegenseitige Hilfe. Und das alles finden sie hier, in dieser einfachen Halle.

Sie war vor mehr als vier Jahren Ausgangspunkt für die genossenschaftliche Bewegung ehemaliger Gefangener, die gemeinsam aus dem Zirkel der Gewalt ausbrechen wollten. Sie schufen zuerst für sich und dann für andere eine neue Realität. Heute wollen sie die staatliche Resozialisierungspolitik mitgestalten.

José Ruiz

Alles begann vor etwa vier Jahren mit José Ruiz. Der kleine stämmige Mann saß über zehn Jahre im Gefängnis. Weshalb, das soll hier nicht stehen. Zu häufig hole ihn seine Vergangenheit in Gesprächen ein. Ruiz sitzt hinter seinem Bürotisch in einem einfachen Haus in Pilar, einem ärmeren Vorstadtort von Buenos Aires. Es war das Grundstück seiner Familie, doch mit der Zeit wurde es zum zentralen Treffpunkt für ehemalige Gefangene, die sich in verschiedenen Genossenschaften organisieren.

In der Vorstadt arbeiten rund 20 Personen. Es gibt Schweißereien, Schreinereien, Bäckereien und Recyclingstationen, die von Ex-Gefangenen als Genossenschaften geführt werden. Man arbeitet gemeinsam und verteilt am Ende der Woche den Gewinn gleichmäßig.

„Es geht um die Hilflosigkeit, die du hast, wenn du aus dem Gefängnis kommst“, sagt Ruiz. Denn wer in Argentinien aus dem Gefängnis freikommt, sei auf sich allein gestellt. Die ehemaligen Häftlinge fänden keine Arbeit, keine Wohnung, keinen Anschluss. Meist kämen sie in eine zerrüttete Familie zurück. Oft zerbrächen sie unter der Last, eine Person im Gefängnis zu begleiten, denn aufgrund korrupter Gefängnisdirektoren müssten sich meist die Familien um die Verpflegung des Häftlings kümmern, so Ruiz. Versorgende werden während der Zeit im Gefängnis zu Versorgten. Man wird zur Last und bekommt dies nach der Freilassung zu spüren. Die Rückkehr zur Kriminalität ist bei vielen der einfachste Ausweg. Staatliche Hilfeleistungen zur Wiedereingliederung gibt es kaum. Da kaum Menschen aus dem Zirkel der Gewalt ausbrechen, wächst die eingesperrte Bevölkerung stetig. Zum Jahreswechsel 2019/2020 waren laut offizieller Statistik 100.634 Personen in staatlicher Gefangenschaft, 75 Prozent mehr als noch zehn Jahre zuvor. Und so sitzen derzeit in Argentinien pro 100.000 Personen 243 in einem Gefängnis, in Deutschland liegt die Zahl bei 69.

José Ruiz erlebte all dies am eigenen Leib. Er suchte Hilfe bei der Lokalverwaltung, doch mehr als Lebensmittelpakete konnten sie ihm nicht geben. Er hatte kurzzeitig einen guten Job, bis er seinen Strafregisterauszug nachreichen sollte, „sie sahen mich an, fragten warum ich gelogen hatte, und warfen mich raus“, erzählt der heute 39-Jährige. Er begann zu stehlen und kam ein weiteres Mal ins Gefängnis.

Noch während seiner zweiten Gefangenschaft begann Ruiz mit Freunden T-Shirts zu bedrucken und an Unternehmen zu verkaufen – mit einem Handy übernahm er aus der Zelle den Vertrieb, die schon freigelassenen Kollegen die Produktion. In der Werkstatt Atuel bot man den ehemaligen Häftlingen erstmals eine Werkstatt an. Noch im Gefängnis verdiente er Geld und konnte seinen Mitgefangenen regelmäßig einen Grillabend spendieren. Als er schließlich freikam, kam er direkt in einen geregelten Arbeitsalltag und hatte bereits ein Einkommen.

Versorgende werden im Gefängnis zu Versorgten

Nach einiger Zeit bot die MTE Ruiz an, sich innerhalb der Basisorganisation um die ehemaligen Gefangenen zu kümmern. Die MTE ist ursprünglich aus Kartonsammler*innen entstanden, die sich gegen staatliche Verfolgung und für bessere Arbeitsbedingungen im Jahr 2001 zusammenschlossen. Heute ist es eine genossenschaftliche Bewegung, in der sich prekarisierte Arbeiter*innen vereinen und gemeinsam produzieren – auf dem Land, im Recycling, beim Nähen oder Schreinern.

Ruiz erzählt, dass sie sich dafür entschieden, eine Zweigorganisation zu gründen, organisatorisch getrennt von den anderen Genossenschaften. Denn, so Ruiz, „Freigelassene haben andere Bedürfnisse, du kommst psychologisch total kaputt aus dem Gefängnis und brauchst unbedingt eine spezielle Begleitung“. In ihrem Weg werden sie eng von Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und Sozialwissenschaftler*innen betreut. So zum Beispiel die Mitglieder der Bäckereigenossenschaft im Nebenraum. Hortensia Fleitas, eine Sozialarbeiterin sitzt neben den streitenden Mitgliedern.

Sie ist da, um bei der Lösung von Problemen und Konflikten zu helfen, aber auch für Alltägliches, wie das Beantragen eines Personalausweises. Ruiz schätzt diese Arbeit sehr. Auch weil viele Gefangene sehr individualistisch aus der Haft kommen „im Gefängnis kümmerst du dich um dich selbst, die Gemeinschaft hat keine Bedeutung“. Er meint die „Akademiker sollen begleiten, helfen und unterstützen, aber leiten tun wir, wir wissen am besten was wir brauchen“. Im Gegensatz zu vielen anderen sozialen Projekten, sollen hier die Betroffenen selbst entscheiden.

Die Erzählungen sind geprägt von Männern. Doch auch die Anzahl an FLINTA* in argentinischen Gefängnissen wächst stetig. Die argentinische Behörde für die Wahrung der Menschenrechte von Inhaftierten sprach im Jahr 2021 von 4.526 „Frauen, Trans und Travesti“, die in argentinischen Gefängnissen einsaßen. Doppelt so viel wie noch 20 Jahre zuvor. Mehr als ein Drittel sitzen wegen Drogendelikten ein, ein weiteres Viertel wegen Diebstahls. Viele Frauen erleben sexualisierte Gewalt, innerhalb oder außerhalb des Gefängnisses. Weiterhin sind sich Expert*innen darin einig, dass gefangene Frauen unter einem noch größeren gesellschaftlichen Ausschluss leiden als Männer.

Nora Calandra

Nora Calandra war eine von ihnen. Die Mittvierzigerin sitzt im Innenhof der Werkstatt von Atuel und betont, sie erzähle ihre Geschichte. Sie betont, es sei ihre Geschichte da sie nicht über Intimitäten und Probleme anderer sprechen möchte. Es fällt vielen schwer, über ihre Erlebnisse zu reden. Noch weniger wolle man, dass sie weitererzählt werden.

Calandra versuchte als alleinerziehende Mutter durch Kleinkriminalität ihre Kinder durch den Alltag zu bringen. Im Jahr 2010 wurde sie erwischt und kam ins Gefängnis. Plötzlich war sie eingesperrt und allein. Calandra erzählt: „Am Eingang eines Gefängnisses für Männer stehen die Frauen Schlange für den Besuch, beim Eingang eines Frauengefängnisses stehen auch nur Frauen, aber viel weniger. Die Männer sind in beiden Fällen abwesend.“ Calandra wollte nicht, dass ihre Kinder und ihre Mutter sie im Gefängnis besuchen. Sie sollten ihre Mutter von außerhalb in Erinnerung behalten, ohne Gitter und herabwürdigende Leibesvisitationen. Nur ihr damaliger Partner kam sie hin und wieder besuchen.

Während der Haft wird Calandra schwanger und bringt im Jahr 2012 ihr drittes Kind zur Welt – angekettet an das Bett. Laut argentinischem Gesetz dürfen gefangene Mütter ihre Kinder während der ersten vier Lebensjahre bei sich haben. „Ich entschied mich, mein Kind zwei Jahre bei mir zu behalten, danach sollte es in Freiheit leben.“ Die erneute Mutterschaft veränderte ihren Blick auf die eigene Zukunft. Sie wollte von nun an für ein besseres Leben für sich und ihre Mitmenschen kämpfen, sagt Calandra. Im Jahr 2016 kam sie aus dem Gefängnis. Alles hatte sich in den sechs Jahren Haft verändert: „Meine Töchter waren keine Kinder mehr“, sagt Calandra und schweigt kurz. Sie meint, es sei eine Freiheit ohne Werkzeuge zum Leben gewesen. Sie und viele andere wussten nicht, wie man Geld verdienen oder wo man leben solle. Von diesem Moment an begann sie, sich für die Rechte von gefangenen Frauen zu engagieren. Im Jahr 2018 lernte sie Ruiz kennen, sie begannen, gemeinsam zu arbeiten.

Calandra sieht im Vergleich zu Ruiz einen wichtigen Unterschied für das Leben nach der Haft: „Die Männer sagen immer: Die richtige Arbeit würde ein Leben in Würde ermöglichen. Aber so einfach ist es nicht.“ Für Frauen sei Lohnarbeit nicht alles. Es gehe häufig um intrafamiliäre Gewalt oder Probleme bei der Sorgearbeit. Wie könne man alles unter einen Hut bringen?

Es wäre die Aufgabe eines Sozialstaates hier einzuspringen, doch das macht er nicht. Calandra sagt, dies sei ein Grundproblem: „Dort, wo der Staat fehlt, springen Drogenbanden ein, und der Kreis der Kriminalität schließt sich.“ Denn der Staat sei bei den Armen nur strafend unterwegs: „Die Frau aus dem Armenviertel erscheint im Auge der Staatsgewalt, sobald sie straffällig wird, vorher nicht“, meint Calandra.

Ruiz und Calandra erzählen beide, wie wichtig es war, dass sie während ihrer Gefängniszeit Zugang zu Bildung hatten. Es waren Studierende und einzelne engagierte Professor*innen, die mit ihnen zu arbeiten begannen. Dort lernten sie, dass ihre Strafe der Entzug von Freiheit war, die Gewalt, das Fehlen von Lebensmitteln und andere Schikanen im Gefängnis verstießen hingegen gegen ihre Grundrechte. Heute gibt es im ganzen Land Initiativen, die ihre Erfahrung kopieren. Ruiz und Calandra sind zu Koordinator*innen dieser riesigen Organisation geworden. Sie wächst täglich weiter, neue Werkstätten werden eröffnet und bereits bestehende erweitert.

Längst arbeiten die beiden auch mit staatlichen Behörden zusammen. Einzelne Gemeinden stellen Grundstücke und Lagerhallen zur Verfügung oder kaufen die Produktion auf und stellen damit die Finanzierung sicher. Ruiz erzählt, dass sie mittlerweile auch mit Gefängnissen zusammenarbeiten und dort erste Genossenschaften gründen: „Es gibt eine große Nachfrage, die Gefangenen wollen etwas lernen und arbeiten.“ Das erwirtschaftete Geld geht in diesen Fällen direkt an die Familien der Gefangenen.

Mit dieser Initiative werde eine Lücke geschlossen, meint Ruiz: „Wir holen die Gefangenen direkt aus dem Gefängnis ab, bringen ihnen dort einen Job bei und im Moment der Freilassung werden sie von einer Genossenschaft außerhalb des Gefängnisses übernommen.“ Dadurch gebe es weniger Gefahr, dass sie nach Wiedererlangung ihrer Freiheit in alte Muster zurückfielen.

Das Ziel der Organisation ist ein Gesetz, das die Resozialisierung, so wie es die Genossenschaftler*innen umsetzen, formalisiert und auf Landesebene bei der Umsetzung unterstützt. Auch wenn die Organisation aus der Not geboren ist, sind sich die Ex-Häftlinge einig, dass sie es besser machen als der Staat es machen könnte. Dieser sollte lieber nur unterstützend wirken.

Die Organisation, so Calandra, sei ein Paradebeispiel für ganz Lateinamerika. Vor kurzem war sie in Kolumbien und stellte ihre Arbeit dort vor. „Die Genossinnen waren fasziniert, denn so etwas gibt es dort nicht.“

WELTEN VERKNÜPFEN


Córdoba 2019. Plötzlich ist Nacha Vollenweider zurück in der Heimat. Hinter ihr liegen sechs Jahre in Hamburg und eine gescheiterte Ehe. In Córdoba ist der Himmel — anders als in Hamburg — zwar immer blau, doch fällt ihr die Rückkehr schwer. Denn die Gründe für diese sind traurig: 2016 ging Vollenweiders Frau Chini in das brasilianische Bélem do Pára, um Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten. Dort nahm das Ende ihrer Beziehung seinen Anfang — und an dieser Ehe hing Vollenweiders Aufenthaltstitel in Deutschland. Als sie auf der Straße ein Vogelhaus findet, aus dem ein riesiger schwarzer Vogel erscheint, kriegt Nacha zunächst panische Angst. Nach der Scheidung wird dieser aber zugleich ein Symbol für den Aufbruch, zurück nach Rio Cuarto in der Provinz Córdoba.

Während sie auf ihrem alten Fahrrad durch die bekannten Straßen streift, wird sie unweigerlich von ihrer Familiengeschichte in den Bann gezogen. Die Getreidemühle, die ihr deutschstämmiger Urgroßvater übernahm, liegt längst in Ruinen. Sie stöbert in seinen Büchern aus der Zeit des ersten Weltkrieges, eine von Rassismus und Antisemitismus strotzende Kolonialliteratur, in der sie Parallelen zu den erstarkenden rechtsextremen Bewegungen des Deutschlands der Gegenwart erkennt. Ihre 97-jährige Großmutter erzählt bei einigen Mate vom Peronismus, der wiederum deren eigene Ehe scheitern ließ. „Peronismus versteht kein Mensch. So wie die Liebe“, denkt sich die Autorin.

Der in schlichtem, aber eindringlichem Schwarz-Weiß gezeichnete Comic Zurück in die Heimat springt mühelos zwischen den Zeitebenen und Welten hin und her. Dabei ist er viel mehr als nur autobiographisch: Immer wieder werden wie zufällig über Personen und Orte Verbindungen hergestellt, seien es die Überlebenskünstler*innen, die in Argentinien dem ständigen Kreislauf der Wirtschaftskrisen trotzen, oder Heiligenfiguren der brasilianischen Religion Umbanda. Die Schlangen vor den Lebensmittelläden in Córdoba erinnern Vollenweider nicht nur an die Hyperinflation 1989 und die Krise 2001 in Argentinien, sondern auch an das Deutschland der Zwischenkriegszeit. Zurück in die Heimat endet mit einer Reise durch Argentinien. Erneut hängt alles zusammen: Wie eine riesige Wunde klafft eine Lithiummine in einem Tal auf. Was in Europa für vermeintlich saubere Antriebe sorgen soll, zerstört im Globalen Süden die Natur.

Zurück in die Heimat erzählt, trotz des traurigen Anlasses der Rückkehr und einer stets mitschwingenden Nostalgie, auf eine schöne und gut verständliche Weise von Einwanderung, Entwurzelung und wirtschaftlicher Unsicherheit, die die argentinische Gesellschaft prägen, aber auch von Familie, Liebe und Freundschaft. Dabei gelingt der Zeichnerin mit beeindruckender Leichtigkeit die Verknüpfung der „privaten“ mit politischen Themen, zwischen Hoffnungen, Erwartungen und Machtverhältnissen im Globalen Norden und Süden, der Transfer zwischen den verschiedenen Welten, von denen ihr keine mehr eine Heimat bieten kann.

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