Brot und Spiele

WM und Arbeitskämpfe verbinden Spielerinnen klagen über fehlende Unterstützung der Verbände (Foto: Medios Públicos EP via Flickr (CC BY-SA 2.0))

Es war spannend bis zur letzten Minute: Nach einer knappen 1:0-Führung in der Nachspielzeit gelang der haitianischen Stürmerin Melchie Dumonay ein weiterer Treffer, mit dem sie die chilenische Torhüterin überwand und einen historischen Sieg besiegelte, mit dem sich Haiti zum ersten Mal für die Weltmeisterschaft qualifizierte. Les Grenadières, wie die haitianische Frauen-Nationalelf auch genannt wird, hatten in der Gruppe A des Qualifikationsturniers den dritten Platz belegt und trafen damit im Februar zunächst auf Senegal und dann auf Chile. Nachdem Haiti beide Teams besiegt hatte, war die Teilnahme an der WM für Juli und August gesichert.

Panama musste ebenfalls in einem zusätzlichen Spiel um seine Teilnahme bei der WM kämpfen. Die Nationalelf besiegte Papua-Neuguinea mit Leichtigkeit, bevor sie sich mit einem 1:0-Sieg über Paraguay das letzte Ticket für die Weltmeisterschaft in Neuseeland und Australien sicherte. Auch für Panama ist es die erste Teilnahme an einer WM. Gegenüber der panamaischen Tageszeitung La Prensa äußerte sich die Torschützin Lineth Cedeño glücklich: „Es ist ein sehr wichtiges Tor für das ganze Land, das Tor, das uns zur Weltmeisterschaft bringt.“

Jahrelange Konflikte zwischen dem brasilianischen Fußballverband CBF und den Spielerinnen

Mit Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Jamaika und Costa Rica haben sich fünf weitere Teams aus Lateinamerika und der Karibik direkt für den Wettbewerb qualifiziert. Brasiliens seleção ist mit neun WM-Teilnahmen und Superstars wie Marta, der besten brasilianischen Torschützin aller Zeiten, nicht nur das Team mit den besten Chancen auf den Sieg aus der Region, sondern unter den Favoriten auf den Titel. Die Teilnahme der Brasilianerinnen erfolgt nach jahrelangen Konflikten zwischen dem brasilianischen Fußballverband CBF und den Spielerinnen. Im Jahr 2017 verließen fünf langjährige Spielerinnen die Nationalelf, unter anderem Cristiane, Francielle und Rosana. Sie begründeten den Weggang mit der Entlassung der ersten weiblichen Trainerin Emily Lima und mit ihrer Erschöpfung „durch jahrelange Respektlosigkeit und mangelnde Unterstützung“, wie es damals in einem offenen Brief hieß. Im Jahr 2021 wurde dann der Präsident des CBF, Rogério Caboclo, aufgrund von Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung von seinem Amt suspendiert. Im Jahr 2019 kam Pia Sundhage als neue Trainerin für das Team. Seither trainiert sie die brasilianische Nationalelf der Frauen. Damit wurde der 2017 von den Spielerinnen geäußerte Wunsch nach langfristiger Unterstützung durch den Verband und Beständigkeit im Trainerstab zumindest teilweise erfüllt.

Auch in Kolumbien und Argentinien kam es zwischen Nationalelf und Fußballverband zu Konflikten. Nach der Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich trafen sich alle 23 argentinischen Spielerinnen, um ihre Unzufriedenheit mit der Ausrichtung des Teams unter dem damaligen Trainer Carlos Borrello zu diskutieren. Als Tage später mehrere Schlüsselspielerinnen, darunter Kapitänin Estefanía Banini, für die kommenden Spiele aus dem Kader geworfen wurden, protestierten die Spielerinnen in den sozialen Medien. Banini schrieb, der Grund ihres Ausschlusses liege auf der Hand und hänge mit der zuvor geäußerten Kritik zusammen.

Ähnlich wie Banini wurde 2016 die kolumbianische Mittelfeldspielerin Daniela Montoya, eine der Schlüsselspielerinnen für Kolumbien bei der Weltmeisterschaft 2015, nicht mehr für den Olympia-Kader aufgestellt. Sie hatte öffentlich kritisiert, dass der Verband den Spielerinnen Preisgelder von vergangenen internationalen Turnieren noch nicht ausgezahlt hatte. Drei Jahre später prangerte die kolumbianische Spielführerin Natalia Gaitán zusammen mit anderen Spielerinnen den kolumbianischen Verband wegen mangelnder Unterstützung für das Frauenteam an. Beide Spielerinnen, Banini und Montoya, sind inzwischen in ihre Nationalteams zurückgekehrt.

Kolumbien und Argentinien liegen auf dem 25. bzw. 28. Platz der Weltrangliste und haben sich aufgrund ihrer hervorragenden Leistungen bei der Copa América 2022 automatisch für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Beide Teams haben bereits an mehreren Weltmeisterschaften teilgenommen und wollen ihre Leistungen verbessern. Las Cafeteras aus Kolumbien waren enttäuscht, dass sie die Teilnahme an der WM 2019 in Frankreich verpassten, nachdem sie 2015 als erstes südamerikanisches Team neben Brasilien ein Spiel bei einer WM gewonnen und die Gruppenphase überstanden hatten. Sie bereiten sich nun darauf vor, den Weltmeistertitel zu erspielen. „Wir wollen dabei sein und um den Weltmeistertitel kämpfen“, so die aktuelle Kapitänin Daniela Montoya gegenüber FIFA.com. Die Mannschaft sei aus erfahrenen und jungen Spielerinnen zusammengestellt worden. „Ich weiß, dass dies unser Moment ist, das Jahr, in dem die kolumbianische Nationalmannschaft an der Spitze stehen wird“, erklärte Montoya weiter.

La Albiceleste nehmen zum vierten Mal an einer Weltmeisterinnenschaft teil. Obwohl sie sich seit Anfang der 2000er Jahre verbessert hat, konnte sie bisher keinen greifbaren Erfolg verbuchen. In Frankreich 2019 holte sie mit zwei Unentschieden ihre ersten Punkte bei einer Weltmeisterschaft. Kapitänin Stefanía Banini sagte im Gespräch mit DSports Radio, dass das Team sich darauf konzentriere „dort gut anzukommen und einige der Spiele zu gewinnen.“

Jamaika und Costa Rica nehmen erst zum zweiten Mal an einer Weltmeisterschaft teil. Costa Rica kehrt dieses Jahr auf die WM-Bühne zurück, nachdem es bei der WM 2019 in Frankreich nicht klappte und ein neuer Tarifvertrag zwischen Spielerinnen und Verband abgeschlossen wurde. Das jamaikanische Team erlebt seinerseits den Höhepunkt seiner Wiedergeburt im Frauenfußball, auch wenn seine Situation prekär bleibt. In den 2000er Jahren stand das Team kurz vor der Auflösung und musste sich aus internationalen Wettbewerben zurückziehen, bis die Sängerin und Tochter von Bob Marley, Cedella Marley, als Investorin einstieg und zudem eine Crowdfunding-Kampagne für das Team startete. Auch nach der zweiten WM-Qualifikation gehen die Probleme jedoch weiter. Am 15. Juni 2023, nur einen Monat vor Beginn des Turniers, veröffentlichten die Spielerinnen einen Brief in den sozialen Medien, in dem sie Veränderungen im jamaikanischen Fußballverband forderten. Sie erklärten, dass sie wiederholt spielten „ohne die vertraglich vereinbarte Bezahlung zu erhalten“, Freundschafts-spiele wegen „extremer Desorganisation“ verpasst hätten und es weiter unklar sei, ob Tage vor der Weltmeisterschaft überhaupt noch ein Trainingslager stattfinden würde.

“Ich kann das derzeitige System nicht mehr unterstützen”

Unruhen zwischen Spielerinnen und Verbänden kommen jedoch auch außerhalb von Lateinamerika und der Karibik vor. Die Kapitänin der französischen Nationalelf Wendie Renard sowie zwei weitere Spielerinnen kritisierten den Verband und kündigten einen Boykott der WM an. Auf Twitter schrieb Renard: „Ich kann das derzeitige System nicht mehr unterstützen, das weit von den Anforderungen der ersten Liga entfernt ist.”. Zwei Wochen später wurde die Trainerin entlassen. Auch das kanadische Team protestierte gegen mangelnde Unterstützung und Lohnungleichheit, in Spanien wollten 15 Spielerinnen nicht für den Nationalkader berufen werden, „bis Situationen, die unseren emotionalen und persönlichen Zustand, unsere Leistung und folglich die Auswahlentscheidungen beeinträchtigen und zu unerwünschten Verletzungen führen könnten, rückgängig gemacht werden“, wie sie in einer Erklärung mitteilten. Drei der 15 unterzeichnenden Spielerinnen nehmen allerdings trotzdem an der bevorstehenden WM teil. Der fehlende Wille der Verbände in den Frauenfußball zu investieren und ihn damit zu professionalisieren, führen dazu, dass viele Spielerinnen sich kurz vor der WM mitten im Arbeitskampf befinden.

Diese Weltmeisterschaft ist auch in anderer Hinsicht einzigartig. Das Teilnehmerfeld wurde von 24 auf 32 Teams vergrößert, darunter acht Teams, die zum ersten Mal bei einer WM mitspielen. Außerdem garantiert die FIFA erstmals jeder Spielerin, die an der Gruppenphase teilnimmt, ein Preisgeld von umgerechnet mindestens 27.000 Euro. Für Teams, die über die Gruppenphase hinaus kommen, erhöht sich das Preisgeld. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil der Förderung des Frauenfußballs und fällt besonders ins Gewicht, da 29 Prozent der Spielerinnen laut einem Bericht der Organisation FIFPRO „keine Zahlungen von ihren Nationalteams erhalten“.

Andere Verbände können sich ein Beispiel an der Vereinbarung zwischen dem costa-ricanischen Verband und seinen Spielerinnen nehmen. Diese unterzeichneten im April 2022 einen Tarifvertrag. Nach dem Vorbild der Vereinbarung für männliche Fußballer von 2014 wurden Prämien, Zulagen und Grundbedürfnisse für die Spielerinnen festgelegt. So wurde beispielsweise vereinbart, dass sie den gleichen Prozentsatz der von der FIFA gezahlten Einnahmen als Bonus erhalten wie die männlichen Profis.

Auch mit Blick auf die Berichterstattung gibt es positive Neuigkeiten. Mitte Juni unterzeichneten die deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF mit der FIFA eine Vereinbarung über die Übertragungsrechte. Der Vertragsabschluss ließ auf sich warten, da die FIFA beschlossen hatte, die Übertragungsrechte für die Frauen- und Männer-WM getrennt zu verkaufen und sich dann mit dem ursprünglichen Angebot der europäischen öffentlich-rechtlichen Sender nicht zufrieden gab. Wegen der Zeitverschiebung werden alle Spiele nach deutscher Zeit am Vormittag in ARD und ZDF übertragen.

DAS SPIEL DES RASSISMUS GEWONNEN

Kuss von Legende zu Legende Der Streetartkünstler Luis Bueno lässt Pelé in seiner Reihe Pelé Beijoqueiro so manche Persönlichkeit küssen (Foto: Second-Half Travels via Flickr , CC BY-NC 2.0)

Es war ein Mittwoch im Februar 1958, als aus einem Jungen aus den Armutsvierteln im Bundesstaat São Paulo der König des größten Landes in Lateinamerika wurde. Pelé – so der Spitzname, der dem 17-Jährigen vom FC Santos nur aus Spott verpasst worden war, weil er als Kind den Namen eines Spielers seines Lieblingsteams falsch aussprach – nahm an diesem Tag America Rio de Janeiro im Alleingang auseinander und wurde geadelt. Auf den Thron hob ihn Nelson Rodrigues, Theaterschriftsteller und das, was man heute wohl einen unverbesserlichen Fußball-Nerd nennen würde. Seine regelmäßige, vor Polemik und Pathos triefende Kolumne in der Sportzeitschrift Manchete Esportiva trug am nächsten Tag den Titel:„Seine Hoheit Pelé“. Und wie ein echter König gab der Junge aus Santos den Titel nie wieder ab. Es waren andere Zeiten im Fußball, vor allem in Brasilien. Dass ein Schwarzer Spieler von einem Weißen Journalisten als König bezeichnet wurde, war außergewöhnlich in einem Land, das die Monarchie und mit ihr die Sklaverei gerade erst 70 Jahre hinter sich gelassen hatte. Zwar wurden Schwarze Fußballer in den 1950er Jahren geduldet und bestäubten sich nicht mehr, wie noch 20 Jahre zuvor, das Gesicht mit Reismehl, um als Weiße durchzugehen. Aber Niederlagen des Nationalteams wurden der „Unreife“ und „Disziplinlosigkeit“ vor allem der Schwarzen Spieler zugeschrieben: Ihnen fehle im Vergleich mit den Europäern die Widerstandsfähigkeit.

Das alles sollte beim Weltturnier in Schweden 1958 besser werden. Um des gefühlten Mentalitätsproblems Herr zu werden, engagierte die Führung des brasilianischen Fußballverbands einen Psychologen und in der Startformation befand sich neben zehn Weißen nur noch der Superstar Didi. Der musste allerdings schon allein deshalb spielen, weil der einzige Ersatzmann für seine Position ebenfalls Schwarz war. Auf der Bank: Pelé und Garrincha, zwei Namen, die die Fußballwelt in den nächsten 15 Jahren in Angst und Schrecken versetzen sollten. Die Erkenntnis, dass ein Fußballspiel nicht durch die Hautfarbe entschieden wird, setzte sich bei Trainer Vicente Feola aber schließlich doch noch durch. Als Brasilien vor dem letzten Gruppenspiel mit dem Ausscheiden konfrontiert war, stellte er Pelé und Garrincha auf. Brasilien gewann die restlichen vier Spiele dieser WM und wurde auch wegen der sechs Tore von Pelé zum ersten Mal Weltmeister.

Der Rest ist Geschichte. Mit Pelé und Garrincha gemeinsam auf dem Platz sollte die Nationalelf, die Seleção, in den nächsten acht Jahren kein einziges Spiel mehr verlieren. Brasilien stieg mit Pelé zum Rekordweltmeister auf und er selbst wurde zum überragenden Spieler des Weltfußballs. Acht-Monats-Präsident Jânio Quadros ernannte ihn 1962 gar offiziell zum nationalen Kulturgut. Dadurch untersagte er Pelé per Gesetz für zehn Jahre einen Wechsel ins Ausland, in dem vergeblichen Versuch, seine eigenen Popularitätswerte vor dem totalen Verfall zu retten. Pelé akzeptierte diese eigentlich unerhörte Beschneidung seiner Persönlichkeitsrechte klaglos und gab an, er sei „glücklich, weiter für Santos zu spielen“.

Das passte ins Bild von Pelés Umgang mit der Autorität. Seine auch weltweit immer größer werdende Popularität nutzte er, wenn überhaupt, nur sehr vorsichtig, um sich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse Schwarzer oder gar gegen die 1964 beginnende Militärdiktatur einzusetzen. Es gibt Fotos, die ihn gemeinsam mit den Diktatoren Geisel und Medici zeigen. Äußerungen, wonach durch harte Arbeit auch Schwarze den Aufstieg schaffen könnten, kamen in der politisierten Black Community Brasiliens nicht gut an – die strukturelle Diskriminierung war allgegenwärtig. Sein Mitspieler Paulo Cezar Caju, der mit Pelé 1970 Weltmeister wurde, warf ihm vor, er benehme sich „wie ein unterwürfiger Schwarzer, der alles akzeptiert und gegen nichts kämpft“. Andere verglichen Pelé mit der brasilianischen Frucht Jabuticaba: Eine Art Kirsche, die außen schwarz, aber innen weiß ist und einen schwer verdaulichen Kern hat.

Pelé war sich bewusst, dass zu klare öffentliche Positionierungen seine Karriere gefährden könnten

Um die Position von Pelé zu verstehen, hilft ein Zitat der Historikerin Ynaê Lopes dos Santos: „Pelé wusste genau, wie er als Schwarzer Mann das Spiel des Rassismus in Brasilien spielt. Und er hat es gewonnen. Es war das Ergebnis einer sehr intelligenten Lektüre davon, wie das Land Brasilien funktioniert.“ Von klein auf war Pelé mit härtestem Rassismus, strukturell wie direkt, konfrontiert. Wie für unzählige brasilianische Kinder seiner Zeit bestanden seine ersten Fußbälle aus mit Zeitungspapier ausgestopften Socken. Seine erste weiße Freundin wurde von ihrem Vater öffentlich verprügelt, als dieser von ihrem Verhältnis erfuhr. Bei einer weiteren Beziehung zu einer Weißen – Pelé war zu diesem Zeitpunkt schon ein bekannter Fußballstar – durfte er immer nur in Begleitung eines Familienmitglieds seiner Freundin mit ihr ins Kino gehen. Bevor er als König gefeiert wurde, hatte er sich schon jahrelang in Stadien und Medien rassistisch beschimpfen lassen müssen. „Wenn ich wegen jedem Affenlaut unterbrochen hätte, hätte ich kein einziges Spiel zu Ende bringen können“, erzählte er vor zwei Jahren in einem Fernsehinterview. Auch dafür wurde er kritisiert, denn heutzutage gilt die Regel, dass ein Match bei anhaltenden rassistischen Schmährufen abgebrochen werden muss.

Pelé war sich immer bewusst, dass zu klare öffentliche Positionierungen seine einzigartige Karriere gefährden könnten. Widerstand hätte sein sportliches und gesellschaftliches Vorankommen verzögert, vielleicht sogar verhindert. Deshalb erduldete er alle Beleidigungen und Diskriminierungen klaglos und zahlte dort zurück, wo ihm niemand etwas anhaben konnte: auf dem Fußballfeld. Der Vorwurf, er hätte sich sozialem Engagement und politischen Äußerungen zeitlebens verweigert, wird ihm allerdings nicht gerecht. Ganz abgesehen von der Vorbildfunktion, die er für Millionen Schwarze Menschen in Brasilien und der ganzen Welt bis heute erfüllt, brachte er bei einigen Gelegenheiten eine klare politische Haltung zum Ausdruck. Das prominenteste Beispiel ist seine Absage, auf Druck der Militärs die WM 1974 zu spielen, worauf ihm die Diktatur eine würdige Abschiedsfeier zu seinem Karriereende verweigerte. Bekannt ist auch das ikonische Foto, auf dem er sich 1984 in einer Favela mit Hut und einem mit den riesigen Buchstaben Diretas Já! (Freie Wahlen jetzt!) bedruckten Trikot des Nationalteams Seleção für die Titelseite der Sportzeitschrift Placar ablichten ließ, womit er die Kampagne zur Beendigung der Militärdiktatur unterstützte. Und schließlich hielt er 1995 im brasilianischen Kongress eine Rede, in der er mit deutlichen Worten einen höheren Anteil Schwarzer Abgeordneter in der Kammer forderte. Im Ausland war Pelé ohnehin eine gefeierte Symbolfigur der Schwarzen Bewegung. Als Bob Marley Brasilien besuchte, trug er Pelés Trikot mit der Nummer 10. Und bei seiner Totenwache im Stadion von Santos sagte der ivorische Konsul Tibe bi Gole Blaise: „Afrika hat einen großen Sohn verloren!“

GUTES BEISPIEL, SCHLECHTES BEISPIEL

Zu Besuch bei den „Kämpfern“ Der Fußballverein Aucas ist ein Raum der ärmeren Menschen – aber vor allem der Männer (Foto: Luis Herrera R.)

Wenn man vergessen kann, unter welchen Umständen die jüngsten Spiele stattfanden, funktioniert der Sport als eine Art Ablenkung ohne tiefere politische Bedeutung. Doch selbst wenn man die zahllosen Menschrechtsverletzungen rund um die WM in Katar ignoriert, passieren in der Fangemeinde Dinge, die Bände über die politischen Realitäten im Fußball sprechen. Die homofeindlichen Gesänge ecuadorianischer Fans während des Eröffnungsspiels sind dafür das perfekte Beispiel. Deswegen leitete die FIFA, auch wenn es fast ironisch klingt, ein Disziplinarverfahren gegen den ecuadorianischen Fußballverband ein.

In einem der Videos, die im Netz kursieren, sieht man im Fanblock Ecuadors Hunderte gelb gekleideter Fans, die undeutlich einen Text grölen. Obwohl dieser in den meisten Aufnahmen in den lauten Stadiongeräuschen untergeht, erkennt man etwas von der letzten Strophe. Es bedarf keiner besonders ausgeprägten Vorstellungskraft, um die homofeindlichen Ausdrücke zu identifizieren – ich habe viele dieser Gesänge selbst miterlebt und erfahren, wie oft das Wort maricón als Beleidigung gegenüber schwulen Menschen benutzt wird. Die ecuadorianischen Fans bei der WM nutzten ihre homofeindlichen Gesänge, um alten Gegnern eins auszuwischen. Aber so etwas geschieht nicht nur bei wichtigen Turnieren. Ob im Stadion oder gar während eines „freundlichen“ Spiels unter Nachbarn, sind solche Beschimpfungen im Fußball kein Einzelfall.

In diesem Kontext spiegelt Fankultur gesellschaftliche Verhältnisse wider und verdeutlicht, warum Fußball eben doch politisch ist. Wenn Fans solche Ausdrucksformen benutzen, sagt dies viel über deren Haltung gegenüber queeren Menschen aus – und über die Diskriminierungspraktiken, die hinter diesen Beleidigungen stehen. In einem Land, das noch viel dafür tun muss, die Rechte der LGBTQAI+-Community zu gewährleisten, sollten solche Gesänge nicht einfach überhört werden. In vieler Hinsicht ist Fußball und Fankultur von einer cis-männlichen Dominanz geprägt. Auch wenn es in den vergangenen Jahren Fortschritte gegeben hat, werden queerfeindliche Ausdrucksformen weiterhin geduldet, verharmlost oder zumindest nicht kritisch hinterfragt.

In solchen Räumen wird durch derartige Ausdrucksformen festgelegt, wer dazugehört und wer ausgegrenzt wird. Als Frau habe ich mich nicht immer willkommen gefühlt in dieser Kultur der Hinchada (Fußballgemeinde); als junges Mädchen empfand ich sie als bedrohlich. Lauter Männer, die sich betrinken, während sie den Fernseher oder die Spieler auf dem Feld anbrüllen – was soll da schon schief gehen? Später war ich davon überzeugt, dass Fankultur, wie andere männerdominierte Räume, dazu dient, toxisches männliches Verhalten zu reproduzieren.

Doch wann immer die schlechten Beispiele drohen, alles Gute am Fußball zu überschatten, gibt es jemanden, der einen doch noch an das Gute in der Fankultur glauben lässt. Für mich ist das mein Vater, mit dem ich zwei der WM-Spiele Ecuadors per Skype angeschaut habe. Und auch wenn ich nicht glaube, dass mein Vater das Politische am Fußball sieht, liefert er mir ein gutes Beispiel für die positive Kraft der Fangemeinde.

Mein Vater ist schon Zeit seiner Jugend leidenschaftlicher Fußballfan. Besonders schwärmt er von einem Stadion im Süden seiner Heimat Quito, wo er als junger Mann mit brennender Leidenschaft seine Mannschaft Aucas anfeuerte. Im Süden der Stadt lebten in den 1970er-Jahren vor allem Arbeiter*innenfamilien, während die urbane Elite, die früher im Zentrum lebte, begann, in den nördlichen Teil der Stadt zu ziehen. Mein Vater erzählt im Zusammenhang mit seiner Liebe für den Aucas-Fußballverein auch von seinen Erfahrungen mit der Armutsdiskriminierung, die entlang dieser geographischen Aufteilung der Stadt verlief.

In seinen Anfangsjahren war Aucas eine kraftvolle Mannschaft und der Verein wirtschaftlich stark. Aber seit ich mich erinnern kann, war er ein Fußballverein des Südens der Stadt, ein Verein der einfachen Leute. Über die Jahre hinweg verschlechterte sich die Mannschaft und spielte oft in der dritten Liga. Im Jahr 2017 stieg Aucas zum ersten Mal wieder auf.

Seinen größten Erfolg feierte der Verein im Oktober 2022 mit seiner Qualifikation für die Copa Libertadores de America für 2023. Für die Stadtviertel Quitos, die von der Politik traditionell am wenigsten beachtet werden, fühlte es sich wie ein Wunder an. Der Sieg hat bis heute eine symbolische Kraft und sorgte, wenn auch nur begrenzt, für die Sichtbarkeit der Aucas-Fans.

Für meinen Vater und viele andere schafft der Verein einen Raum für Menschen, die sich dem Klassismus in der Gesellschaft entgegenstellen, indem sie ihrem Team den Rücken stärken. Sie besuchen das Stadion auch mit dem Gefühl der Zugehörigkeit, inmitten einer Gesellschaft, von der sie oft diskriminiert werden. Umso passender ist in diesem Kontext der Name des Vereins. Aucas kommt aus dem Kichwa und bedeutet „Kämpfer“.

Und wenn der Erfolg einer Fußballmannschaft die Kraft besitzt, dem Klassismus einer Gesellschaft den Kampf anzusagen, könnte aus diesem guten Beispiel nicht noch etwas Besseres erwachsen? Nämlich ein sicherer Raum, an dem alle, die sonst Diskriminierung erleben, dieses stärkende Gemeinschaftsgefühl genießen können.

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