
„Das war für mich interessant und neu, dass es diese vielen Verbindungen zwischen Argentinien und Deutschland gab“, erzählt die deutsche Comicautorin Birgit Weyhe im Verlagsgespräch über ihre neue Graphic Novel Schweigen. Für manche LN-Leser*innen mögen diese Verbindungen vielleicht gar nicht so neu sein. Schließlich flohen nicht nur deutsche Juden und Jüdinnen nach Argentinien, sondern auch etliche Nazi-Größen, SS- und Wehrmachtsangehörige fanden dort nach 1945 einen sicheren Hafen. Wenige Jahrzehnte später profitierte die deutsche Wirtschaft von der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983), deren Menschenrechtsverletzungen die guten Geschäfte nicht störten.
Von diesen Verbindungen erzählt Schweigen. Und mögen sie vielleicht nicht ganz neu sein, so ist die Art, wie sie hier wiedergegeben und gezeichnet werden, umso interessanter. Im Mittelpunkt stehen die Lebensgeschichten zweier Frauen: Die deutsche Jüdin Ellen Marx floh mit 17 Jahren vor dem Holocaust nach Buenos Aires. Später, unter der argentinischen Militärdiktatur, verschwindet ihre Tochter Nora. Der zweite Handlungsstrang folgt Elisabeth Käsemann, die sich − in den Studierendenbewegungen der 1960er Jahre in der BRD politisiert − ab 1969 in den Armenvierteln von Buenos Aires in Basisorganisationen und Suppenküchen engagiert. Nach dem Militärputsch gerät sie als Linke ins Visier der Militärführung, wird 1977 verhaftet, verschleppt, gefoltert und schließlich ermordet. Das Leid der beiden Frauen zeichnet Weyhe besonders stark: mal explizit, mal verschwommen, mal in einem großen Wirrwarr. Die schlimmsten Erfahrungen werden in schlichten Detailaufnahmen geschildert. Das voluminöse Buch, dessen Seiten mit Zeichnungen in Schwarz, Rot und allerlei Grau- und Brauntönen koloriert sind, verleiht fast das Gefühl, in einem Archiv zu stöbern. Auch wirkt das so, weil Weyhe zwischen den persönlichen Erfahrungen von Ellen Marx, Elisabeth Käsemann, ihren Familien und Freund*innen Kapitel eingestreut hat, die den politischen Kontext in Argentinien und Deutschland sehr anschaulich erklären. Mit politischen Plakaten, Symbolen und bekannten historischen Fotos werden die Situation deutsch-jüdischer Emigrant*innen in Argentinien, die Politisierung bundesdeutscher Studierender in den 60er Jahren und der Peronismus erklärt.
Die Art und Weise, wie die geteilte Geschichte Deutschlands und Argentiniens erzählt wird, zeigt, wie sich bundesdeutsche Regierungen, Behörden und Unternehmen durch ihr jahrzehntelanges Schweigen und Vertuschen der grausamen Verbrechen mitschuldig gemacht haben. Zum anderen wird deutlich, wie wichtig die Rolle der damals aufkeimenden Menschenrechts- und Solidaritätsbewegungen im Kampf gegen dieses Schweigen war.
Die erdrückende Stille, die die Fragen der Angehörigen von Verschwundenen unbeantwortet lässt, zieht sich in dominierendem Schwarz durch alle vier Abschnitte des Comics. So werden die verschiedensten Facetten des Schweigens sichtbar – vom Schweigen über die NS-Verbrechen bis hin zum Schweigen der Angehörigen von Verschwundenen in Argentinien. So kann Ellen Marx, deren Tochter verschwunden ist, nur öffentlich für Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen. Aber mit ihrer eigenen Familie verbleibt sie in der Einsamkeit des Schweigens – das Reden über den persönlichen Verlust ist einfach zu schwer.


















