„Wir wollten die Gewalt nicht in den Vordergrund stellen“

Ein Film aus der Perspektive der Mütter Das Kurzmusical Ash Wednesday war auf der Berlinale 2023 zu sehen (Foto: Kleber Nascimento)

Wie kam es dazu, dass Sie diesen Film gemacht haben?

João Pedro Prado: Der Film ist ein bisschen wie ein Kammerspiel. Er basiert auf Geschichten und Situationen aus Vierteln in Rio wie der Maré, wo es für Kinder gefährlich ist, zur Schule zu gehen. Die Idee dazu kam mir während der Pandemie und es war von Anfang an klar, dass wir in Deutschland drehen mussten, weil es im Ausland in dieser Zeit gar nicht möglich war. Das bedeutete, dass wir es mit Brasilianer*innen, die hier leben, machen mussten. 90 Prozent der Beteiligten an diesem Film sind aus der deutsch-brasilianischen Community. Einige sind erst seit einem Jahr hier, andere schon seit Jahrzehnten. Bárbara zum Beispiel schon seit 2001. Ich habe sie kontaktiert, weil ich ein Musical machen wollte, aber selbst keine musikalischen Kenntnisse hatte.

Bárbara Santos: Uriara Maciel, unsere Hauptdarstellerin, war meine Theaterschülerin in mehreren Gruppen, die ich geleitet habe. Sie wusste, dass ich viel mit Klang und Rhythmus arbeite und hat mir dieses Projekt vorgestellt, das ich sofort geliebt habe. Das Konzept zum Drehbuch war schon komplett strukturiert, es fehlte nur die Musik, für die ich verantwortlich sein sollte. Ich fand die Idee sensationell, dass eine Frau in ihrem Haus in der Favela ständig von Eindringlingen heimgesucht wird, die verschiedene Formen von Gewalt ausüben. Ich mochte auch, dass der Fokus trotz allem nicht auf der Gewalt, sondern auf ihrer Perspektive lag.

Das Bild der Favelas in Rio wurde außerhalb Brasiliens auch durch andere Filme geprägt: City of God war 2003 ein Riesenerfolg, Tropa de Elite (Elite Squad) hat 2008 die Berlinale gewonnen. War das ein Einfluss für euch oder wolltet ihr einen Kontrast dazu setzen?

João Pedro Prado: Ein Einfluss nur in der Hinsicht, wie wir es nicht machen wollten (lacht).

Bárbara Santos: Wir wollten einen Film machen, in dem die Gewalt nicht im Vordergrund steht. Wir wollten über die Gewalt sprechen, ihre Auswirkungen im täglichen Leben der Menschen zeigen. Aus der Perspektive eben dieser Menschen, die wir nicht entmenschlichen wollten. Durch die Musik wollten wir auch eine Brecht’sche Distanz, eine Verfremdung der Gewalt schaffen. Damit man als Zuschauer*in auch darüber nachdenken kann, was man da sieht. Nicht nur in Schießereien verwickelt zu sein, die Angst zu spüren. Wir wollten Reflexion wie bei Brecht, der sagte, dass man sein Hirn nicht mit dem Hut am Theatereingang abgeben soll.

João Pedro Prado: Es sollte nicht der Blickwinkel wie in Tropa de Elite sein, wo der Protagonist ein Polizist ist. Bei uns ist die Perspektive die einer Mutter, die dort wohnt. Das sieht man nicht so oft, dass eine Frau im Zentrum dieser Filme über Gewalt in der Favela steht, und auch das macht den Film interessant anzusehen. Wir haben an die Mütter gedacht, die 2020 in Rio de Janeiro nach Polizeieinsätzen gebeugt über den Särgen ihrer getöteten Kinder standen. Uns hat interessiert: Was ist mit diesen Müttern passiert? Was war ihre Geschichte davor und danach? Und warum erzählen wir nicht ihre Geschichte?

Seid ihr in Kontakt mit Leuten, die dort wohnen? Wie ist die Situation jetzt? Hat sich in den letzten Jahren etwas verändert oder ist alles mehr oder weniger gleich geblieben?

Bárbara Santos: Die vier Jahre Bolsonaro waren eine Ausnahmesituation für Brasilien. Da hat sich die Situation wirklich verschlechtert. Ich komme aus Rio de Janeiro. Das war dort die Zeit der schlimmsten Gemetzel aller Zeiten in den Favelas. Als der neue Gouverneur Claudio Castro an die Macht kam, gab es in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit unfassbare Massaker. Und in der Pandemie wurde es noch schlimmer. Die Leute waren zu Hause, schutzlos. Es gab da das Beispiel eines Jungen, auf das wir uns mehr oder weniger mit unserem Film bezogen haben. Der ist auf dem Schulweg gestorben, in seiner Schuluniform. Das sollte eigentlich ein Schutzschild für ihn sein, diese Schuluniform. Von den Polizist*innen hört man oft als Rechtfertigung für Erschießungen: „Der sah aus wie ein Verbrecher!“ Das war der endgültige Beweis, dass es nicht so ist.
Es war eine schreckliche Zeit. Jetzt mit der Regierung Lula herrscht eine enorme Erleichterung, dass nicht alles noch schlimmer wird. Alleine darüber sind die Leute schon glücklich. Es wurde in der Zeit vorher immer, immer schlimmer, es hörte nicht auf, nirgendwo. Unglücklicherweise gibt es in Rio keine große Hoffnung, denn der Gouverneur wurde wiedergewählt. Es gibt da eine politische Logik, dass Sicherheitspolitik sich auf Waffen und Gewalt stützt. Wir wollen dazu beitragen, die Ideen zu entmystifizieren, dass man die Gewalt beendet, indem man die Armen wegschafft. Dass man die Armut beendet, indem man die Armen tötet. Und auch unser Film kann dabei helfen, darüber nachzudenken und diese Diskussion zu transportieren. Deshalb brennen wir auch total darauf, ihn in Brasilien zu zeigen. Damit wir Teil der Diskussion dort werden können.

Haben Sie auch selbst in einer Favela in Rio gewohnt?

Bárbara Santos: Nein, nie. Aber ich habe viel mit dem Theater der Unterdrückten in verschiedenen Favelas von Rio gearbeitet, kenne das Umfeld dort also sehr gut.

Die Regierung Bolsonaro stand auch für kulturellen Kahlschlag, speziell was die Filmförderung betrifft. Was erwarten Sie jetzt von der Regierung Lula auf diesem Gebiet?

João Pedro Prado: Ich erwarte, dass der nationale Fördertopf für audiovisuelle Medien zurückkehrt, dass Institutionen, die Kunst und Kino fördern, zurückkehren und geleitet werden von Menschen, denen Kulturförderung wichtig ist. Der große Knackpunkt ist: Etwas aufzubauen dauert sehr lange, um alles kaputtzumachen, braucht es nur wenige Monate. Brasilien hat zwei Jahrzehnte gebraucht, um zu der Kinogröße zu werden, die es am Ende der Regierungen von Dilma Roussef und Lula war. Und nur wenige Monate Bolsonaro haben gereicht, um das komplett zu zerstören. Er hat aus ideologischen Gründen den größten Teil der Finanzierungsmöglichkeiten abgeschafft. Meine Prognose ist deshalb, dass wir erst in zwei bis drei Jahren wieder brasilianische Filme auf internationalen Filmfestivals sehen werden. Das enthüllt auch die Fragilität unserer Demokratie und unserer Institutionen. Diese Institutionen und deren Finanzierung müssten unabhängig von der Regierung existieren, was unglücklicherweise nicht der Fall ist.

Bárbara Santos: Bolsonaro hat nicht nur das Kulturministerium abgeschafft, er hat die ganzen Strukturen zerschmettert. Jetzt muss man eine Struktur wiederaufbauen, die gut organisiert war und die er zerstört hat. Der Effekt von Bolsonaro ist so groß, dass er sich auf die Erinnerung auswirkt. In seiner Regierungszeit wurde nicht nur so viel Regenwald durch Brände zerstört, wie nie zuvor, sondern es haben auch noch nie so viele Museen gebrannt. Da ging ganz viel Erinnerung verloren. Deshalb ist es eine große Sache, dass wir jetzt das Kulturministerium zurückhaben. Denn dafür braucht man ein Kulturministerium: Zur Pflege der Erinnerung ans Kino, an die Künste. Es gibt große Hoffnung, das kann ich sagen. Alleine die Zerstörung gestoppt oder auch nur gebremst zu haben, ist eine Riesenerleichterung. Das mag absurd erscheinen, aber so ist es.

REALITÄT SCHLÄGT FIKTION

Klischeehaft Szene aus Heroico (Foto: Teorema)

Im lateinamerikanischen Jahrgang 2023 konnten die nicht-fiktionalen Beiträge besonders überzeugen. Die meisten Preise für einen Film aus Lateinamerika erhielt auf der diesjährigen Berlinale El Eco. Das Werk der salvadorianisch-mexikanischen Filmemacherin Tatiana Huezo ist eine einfühlsame Beobachtung des Lebens einer kleinbäuerlichen Gemeinschaft in der Abgelegenheit der mexikanischen Hochebene. Sie gewann sowohl den Preis für den besten Dokumentarfilm der gesamten Berlinale als auch den Regiepreis der Encounters-Sektion, die neue filmische Visionen auszeichnet. Auch der beste Erstlingsfilm der Berlinale 2023 war eine Doku-Fiktion aus Lateinamerika: Adentro mío estoy bailando (The Klezmer Project; Argentinien/Österreich). Der Film von Leandro Koch und Paloma Schachmann präsentiert eine fiktionale Geschichte in Form einer Dokumentation. Sie handelt von der unterhaltsamen Reise eines jungen Filmemachers und einer Musikerin auf der vergeblichen Suche nach Überresten der Klezmer-Musik in Osteuropa. Sehenswert sind auch die Experimente mit Doku-Fiktionen in anderen Filmen: In O Estranho (Der Fremde; Brasilien) wird die indigene Vorgeschichte des heutigen Flughafens von São Paulo untersucht. In El Castillo (Das Schloss; Argentinien) versuchen eine ehemalige Haushälterin und ihre Tochter ein Landgut inklusive ererbtem schlossähnlichen Gebäude am Laufen zu halten. Bei zwei weiteren dokumentarischen Werken handelt es sich um bemerkenswerte Rückblenden auf die lateinamerikanische Geschichte. The Eternal Memory (Chile) ist eine emotionale Beobachtung der Demenzkrankheit eines chilenischen Politikjournalisten. El Juicio (Der Prozess; Argentinien) schließlich bereitet einen Gerichtsprozess zur Zeit der argentinischen Militärjunta wie einen spannenden Thriller auf.

Die fiktionalen lateinamerikanischen Filme der Berlinale 2023 konnten dieses hohe Niveau leider nicht ganz erreichen: Lila Avilés‘ mexikanischer Wettbewerbsbeitrag Tótem punktete zwar mit authentischer Atmosphäre und schön gefilmten Bildern einer mexikanischen Geburtstagsfeier. Letztlich fehlte aber die inhaltliche Tiefe, um die Berlinale-Jury vollends zu überzeugen. Für einen Bären reichte es nicht. Dafür gewann der Film den Hauptpreis der ökumenischen Jury.

Ausgezeichnet Szene aus Hummingbirds (Foto: I Love You Chingos LLC)

Regelrechte Enttäuschungen waren die mit hohen Erwartungen in der Panorama-Sektion ins Rennen gegangenen Filme Heroico (Mexiko) und Propriedade (Brasilien). Mit zu klischeehaften Darstellungen einer Militärakademie und des Klassenkonflikts zwischen Großgrundbesitzer*innen und Angestellten eines Landguts verpassten sie ihre gut gemeinten Absichten. Stark dagegen war wie in den letzten Jahren die Präsenz Lateinamerikas in der Jugendfilmsektion Generation 14plus. Dort durften sich lateinamerikanische Filme über einen regelrechten Preisregen freuen: So zeichnete die Jugendjury die unkonventionelle Teenie-Komödie Adolfo (Mexiko) mit dem Gläsernen Bären aus: Darin suchen zwei Anti-Held*innen auf ihrem Weg durch die Nacht ein neues Zuhause für einen Kaktus. Die internationale Jury vergab sogar die Preise für den besten Kurz- und Langfilm nach Lateinamerika. Freuen durfte sich die autobiografische Feelgood-Doku Hummingbirds (USA/Mexiko), die das Leben von migrantischen Teenager*innen in der texanischen Grenzstadt Laredo zeigt. Der fiktionale Kurzfilm Infantaria (Brasilien), der Rollenkonflikte von Jungen und Mädchen an der Schwelle vom Kind zum*zur Jugendlichen thematisiert. Bereits letztes Jahr hatte die kolumbianische Doku Alice aus der Sektion Generation innerhalb des Festivals mehrere Preise gewonnen.

Ebenfalls bemerkenswert, wenn auch ohne Auszeichnung, waren die Coming-of-Age-Filme Mutt (Chile/USA/Serbien), Desperté con un sueño (Auch wenn ich nicht viel sage), Almamula (beide Argentinien) und Ramona (Dominikanische Republik). Sie stellen das Erwachsenwerden einfühlsam und aus vielfältigen (Gender-)Perspektiven dar. Sehr positive Überraschungen waren Entdeckungen aus der Sektion Perspektive Deutsches Kino: Hier wurden zwei halbstündige Abschlussarbeiten der Filmakademie Babelsberg mit lateinamerikanischem Blickwinkel präsentiert.

El secuestro de la novia (Die Entführung der Braut) zeigt die Geschichte einer deutsch-argentinischen Trauung in Brandenburg mit reichlich Fremdschäm-Alarms. Das Favela-Musical Ash Wednesday prangert hingegen mit den Methoden des Theaters der Unterdrückten die Polizeigewalt in Rio de Janeiro an. Beide Filme konnten dabei voll überzeugen.

Die nächste Gelegenheit, einen der Filme zu sehen, bietet sich im Sommer bei der Berlinale Open Air in den Freiluftkinos der deutschen Hauptstadt. Und wer die Vorfreude noch steigern möchte: Auf der LN-Homepage gibt es unter www.ln-berlin.de/kultur/film/berlinale Rezensionen aller lateinamerikanischen Filme der Berlinale 2023. Viel Spaß beim Lesen!

Unser kleines Schloss

Die Kühe, mal wieder. Ständig läuft eine weg, verirrt sich, wird krank oder bekommt Junge. Das schafft Justina nicht allein, da muss ihre Tochter Alexia ran. Aber die sitzt wie so oft in ihrem Zimmer und spielt Autorennen am Simulator nach. Nur zum Spaß, wie man zunächst denkt, doch weit gefehlt: Schließlich will sie so bald wie möglich eine ernsthafte Karriere als Fahrerin in der argentinischen Formel 4 starten (ja, die gibt es wirklich). Aber als gute Tochter lässt sie sich irgendwann von ihrer Mutter erweichen und schon bald ist mit den Kühen auch alles wieder in der Reihe.

© Mayra Bottero / Gema Films, Sister Productions

Der argentinische Regisseur Martín Benchimol hat sich mit El Castillo (Das Schloss) an eine Doku-Fiktion gewagt, die trotz des denkbar einfachen Settings wirklich gut funktioniert. Die frühere Haushälterin Justina hat ein schlossähnliches Landhaus von der Vorbesitzerin, die sie bis zu ihrem Tod gepflegt hat, vererbt bekommen. Nun ist sie zusammen mit der halbstarken Alexia (vom Vater fehlt jede Spur) Herrscherin über ein Gebäude im Hundertwasser-Stil, mit nicht weniger als 6 Badezimmern, üppigem Grundbesitz und einem ganzen Streichelzoo süßester Tiere. Allerdings liegt das Anwesen mitten im Nirgendwo, was zumindest Alexia nicht wirklich stillsitzen lässt: Es zieht sie nach Buenos Aires. Denn eine Rennfahrerinnen-Karriere und auch ein Sozialleben abseits von Videochats mit Freund*innen oder Fernsehen mit Mama und der herumwuselnden Tierherde wird es für sie nur dort geben können.

El Castillo ist abseits seiner hochsympathischen Hauptdarstellerinnen deshalb so ein interessanter Film, weil er einen Fall von Veränderung der feudalen Besitzverhältnisse dokumentiert. Dass eine frühere Haushälterin mit indigenen Wurzeln wie Justina ein Haus mit Grundbesitz von ihrer früheren Arbeitgeberin vererbt bekommt, dürfte in Lateinamerika auch heute noch die absolute Ausnahme darstellen. Doch die Hoffnung ist trügerisch, denn das früher bestimmt schmucke Schlösschen war bereits bei der Übergabe eine ziemliche Bruchbude. Durch klaffende Löcher im Dach regnet es in die Wohnung, die vielen schönen Bäder bringen wegen defekter Wasserleitungen nicht viel und laufende Kosten und Grundsteuern fressen das kleine Budget von Justina und Alexia auf. Als Einnahmequellen sind die Vermietung von Zeltplätzen für Angler auf dem Gelände oder der Verkauf der immer weniger werdenden Kühe und Einrichtungsgegenstände nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und so ist Justina, obwohl besitzend, nach wie vor eine Gefangene ihrer früheren Arbeitgeberin. Denn die hat ihr eingeschärft, das Anwesen ja nicht zu verkaufen, sondern schön so weiterzupflegen, wie sie es zuvor auch schon ihr ganzes Leben – nur gegen Bezahlung – getan hat. Als wäre das nicht genug, lädt sich die Sippe der Verstorbenen in schöner Regelmäßigkeit auch noch selbst zu Familienfesten auf das Schlösschen ein (natürlich ohne zu bezahlen), genießt die Annehmlichkeiten in den noch vorzeigbaren Räumen und lässt sich wie eh und je von Justina bedienen. Ein weiterer Grund, warum Alexia, die eine kaum verhohlene Wut auf den unverschämten Clan schiebt, ihre Pläne vorantreibt, das Weite zu suchen. Martín Bechamel ist mit El Castillo ein höchst unterhaltsames Porträt zweier unverhoffter Grundbesitzerinnen gelungen, bei dem er Gefühl für Situationskomik und kreative Inszenierung zeigt (bei schlechtem Wetter lässt er das Schlösschen wie ein verwunschenes Geisterhaus wirken). Dabei sind die Geschichte und auch die Hauptdarstellerinnen identisch mit der Realität. Die Szenen mit der Großfamilie wurden allerdings mit Schauspieler*innen (die Familie des Regisseurs) nachgedreht. Dabei tut die Feelgood-Atmosphäre dem Filmgenuss sichtlich gut, verdeckt aber den Blick auf eine bittere Realität, die Benchimol zum Schluss etwas unter den Tisch fallen lässt: Ohne schnell eine verlässliche Einkommensquelle zu finden, steht das baufällige Schloss und mit ihm seine Besitzerinnen vor einer höchst ungewissen Zukunft.

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Etwas Altes, Etwas Neues, Etwas Geliehenes, Etwas Blaues

© Jacob Sauermilch

„Ja es fühlt sich komisch an, aber wichtig ist, wie es aussieht!“, mit dieser Idee vom Leben sehen sich der deutsche Fred (David Bruning) und die argentinische Luisa (Rai Todoroff), die eine harmonische und gleichberechtige Beziehung führen, auf einmal konfrontiert, als ihre Eltern zur Hochzeit anreisen. Der mittellange Film El secuestro de la novia der deutsch-argentinischen Regisseurin Sophia Mocorrea, der Teil der Sektion Perspektive Deutsches Kino ist, zeigt in vier Kapiteln mit Witz und Ironie die Gelähmtheit, welche durch die Erwartungen anderer ausgelöst wird. Die Kapitel sind nach den Hochzeitstraditionen Algo Viejo (Was Altes), Algo Nuevo (Was Neues), Algo Prestado (Was Geliehenes) und Algo Azul (Was Blaues) benannt, wodurch auf die konventionellen Denkmuster angespielt wird. Nahaufnahmen und lange Szenen der Zweisamkeit von Fred und Luisa zeigen die eigentliche Nähe und Vertrautheit der beiden. Das langsame Eindringen der Eltern in ihre Beziehung wird gleich zum Anfang am Berliner Flughafen angedeutet, wo auf Grund der Tatsache, dass ungefragt das Brautkleid und sämtlicher Hochzeitskram mitgebracht wurden, kein Platz mehr im Auto für Fred ist.

Das Aufeinandertreffen der Eltern in der deutschen Vorstadt wird durch den Fokus auf den Gartenzaun unterstrichen und dem „doch so schönen, geerbten Haus“, in das Luisa und Fred einziehen sollen. Denn darin sind die Elternteile sich einig: „Wenn erstmal die Kinder kommen, braucht ihr Platz“. Die Absurdität der Erwartungen der anderen an sie wird durch sprachliche Mittel unterstützt und durch mehrere Szenen dargestellt. Das von Luisa ausgesuchte Brautkleid wird durch das mitgebrachte ersetzt und zeigt auf charmante Art und Weise, wie ihre Familie ihre eigenen Vorstellungen von einer schönen Braut hat. Auch Fred wird nicht gehört und von den Vorstellungen der Schwiegereltern überhäuft, so dass sich Fred und Luisa auf ihrer eigenen Hochzeit gemeinsam im Klo verstecken müssen, um sich Champagner trinkend über den Wahnsinn ihrer Eltern auszutauschen.

© Jacob Sauermilch

Die beiden lassen durch die Kapitel hinweg vieles über sich ergehen, doch kippt die Stimmung im letzten Kapitel bei der Brautentführung, da Fred abgefüllt wird und Luisa unangenehme Fragen auf der Wache über sich ergehen lassen muss. Die Distanz, die sich zwischen Ihnen aufgebaut hat, endet im Morgengrauen auf einem Feld, wo sie sich durch Handschellen verbunden im Hochzeitsoutfit wiederfinden. Durch die langen Nahaufnahmen der Blicke und Gesichter, gibt der Film den Zuschauer*innen Zeit, die Gefühle nachzuempfinden und die Gelähmtheit zu fühlen, in der sich die beiden wiederfinden.

Der Film zeichnet sich durch die authentische schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarsteller*innen aus, mit denen man sich automatisch identifiziert. Die Monologe der Eltern spiegeln uns allen bekannte Aussagen wider und gewinnen dadurch an Witz, dass sie unverfälscht mit einer Beiläufigkeit wiedergegeben werden.

Mit diesem Abschlussfilm ihres Studiums an der Filmuniversität Babelsberg präsentiert Sophia Mocorrea ein Narrativ, welches berührt und zeigt mit Originalität die Absurdität von Konventionen auf, mit denen wir uns doch alle immer wieder konfrontiert sehen.

LN-Bewertung: 5/5 Lamas

HÖRBUCH MIT DIASHOW

Foto: © Jeronimo Rodriguez

Bewertung: 3/5

Dieser Film, es lässt sich nicht anders sagen, ist ein ziemlich harter Brocken. Nach den ersten Aufnahmen von Hauseingängen und Reklametafeln, zu denen im chilenischen Film El Veterano (Der Veteran) der Beginn einer Geschichte erzählt wird, mag man noch an ein Stilmittel zum Einstieg denken. Doch schon bald wird klar: Viel anderes als unbelebte Gebäude- und Häuserfassaden, menschenleere Plätze und Straßen sowie weitgehend unbewegte Natur wird den Augen in den nächsten anderthalb Stunden auf der Leinwand nicht geboten. Umso wichtiger ist es, mit den Ohren aufmerksam dabeizubleiben. Denn die fiktive Geschichte, die Regisseur Jerónimo Rodríguez im Hintergrund dazu einspricht, ist durchaus interessant.

El Veterano erzählt – im wahrsten Sinne des Wortes – als essayistischer Dokumentarfilm von den beiden Filmemachern Gabriel und Julio. Diese machen sich auf die Suche nach Spuren von Thomas Maney, einem ehemaligen Soldaten der US-Armee, der im Süden Chiles als Priester einer evangelischen Glaubensgemeinschaft tätig war. Gerüchteweise soll er im zweiten Weltkrieg der Pilot des Flugzeugs gewesen sein, das die Atombombe über Hiroshima abgeworfen hat. Es entwickelt sich, allerdings weitgehend nur vor dem geistigen Auge, eine Schnitzeljagd zwischen verschiedenen Schauplätzen in Chile und den Vereinigten Staaten, die nicht nur einiges an Informationen über den mysteriösen Priester, sondern auch über das Verhältnis der beiden Filmemacher ans Licht bringt. Darüber hinaus erfahren die Zuhörer*innen Wissenswertes über die chilenische Geschichte und erhalten philosophische Denkanstöße. Zum Schluss schlägt die Erzählung noch einen Bogen zu den Protesten von 2019 gegen die chilenische Regierung. Die Schauplätze dazu liefert Rodríguez visuell, alles andere muss auf Basis des Gehörten in der Vorstellung stattfinden. Ein Hörbuch mit Diashow, wenn man so will.

Vermutlich werden nicht alle Menschen für eine solch spezielle Art des Filmemachens Verständnis aufbringen. Der cineastische Wert ist tatsächlich überschaubar: Ohne Ton würde wohl niemand das Geschehen freiwillig länger als zehn Minuten verfolgen. Trotzdem kann es sich lohnen, sich auf El Veterano einzulassen, denn die Idee dahinter funktioniert. Die eingesprochene Geschichte hat durchaus literarische Qualität und es erfordert Konzentration, beim Zuhören den Faden nicht zu verlieren. Zu hektische Bewegung auf der Leinwand wäre dabei kontraproduktiv. Und die Reflexionen von Jerónimo Rodríguez, der den Film als One-Man-Show selbst produziert hat (Regie, Drehbuch, Produktion, Kamera, Schnitt – alles aus einer Hand), würden bei der Darstellung durch Schauspieler*innen verloren gehen. Die Bilder von karger Landschaft, prachtvollen und schlichten Hauseingängen oder kleinen Läden und Universitätsgebäuden sind dagegen hilfreich zur Unterstützung der Vorstellungskraft. Insofern ist El Veterano kein Film für das durchschnittliche Kinoerlebnis. Wer aber akzeptiert, für eine gute Erzählung nur visuelle Anregungen statt einer kompletten Darstellung der Ereignisse zu bekommen, wird das Kino trotzdem nicht unzufrieden verlassen.

ABSURD IST ANSICHTSSACHE


Isabella Pereira, Pedro Ribeiro, Jonata Vieira in Três Tigres Tristes (Foto: © Cris Lyra)

Bewertung: 4/5

Mit der Corona-Pandemie kreativ umzugehen, fällt vielen Filmemacher*innen auch zwei Jahre nach ihrem Beginn nicht leicht. COVID wird im Kino weitgehend ignoriert, selbst Masken sind auf der großen Leinwand kaum zu sehen. Umso interessanter, wenn jemand den Mut hat, den Elefanten im Raum – also das Virus – nicht nur zu thematisieren, sondern sogar für sein Anliegen zu nutzen. Dem brasilianischen Filmemacher Gustavo Vinagre ist das mit seinem queeren Tagtraum Três Tigres Tristes (Drei traurige Tiger) gelungen und er hatte offensichtlich auch noch großen Spaß daran. Belohnt wurde er dafür auf der Berlinale 2022 mit dem Teddy Award für den besten queeren Spielfilm.

Gustavo Vinagre ist erst 35 Jahre alt, kann aber schon auf einen beeindruckenden cineastischen Output verweisen. Die meisten seiner zwölf Filme beschäftigen sich mit queerem Leben und Lifestyle in und um São Paulo. Auch Três Tigres Tristes spielt in der brasilianischen Megastadt. Seine Protagonist*innen sind Pedro, Jonata und Isabella, die einen Tag durch deren Außenbezirke streifen und dabei allerhand Alltägliches und Absurdes erleben. Was genau dabei normal ist und was nicht, bleibt dem Urteil der Zuschauer*innen überlassen – die Drei nehmen die Dinge meist gelassen und mit einer Prise Humor. Anders geht es vermutlich auch gar nicht, denn die Stadt und ganz Brasilien befinden sich mitten in einer Pandemie. Allerdings geht es hier nicht um das, wonach es aussieht. Denn die Virusinfektion im Film ist zwar nicht weniger tödlich als COVID-19, führt aber im Gegensatz dazu zu massivem Gedächtnisverlust. Und so muss sich Jonata jedes Mal neu am Empfang anmelden, wenn er das Gebäude seines (gleichaltrigen) Onkels Pedro betritt. Und Ghosting (Kontaktabbruch ohne Ankündigung) beim Daten bekommt eine ganz neue Dimension, wenn das Gegenüber sich gar nicht mehr erinnern kann, wer man eigentlich ist.

Neben dem eleganten Umgang mit dem Thema Corona spielt Três Tigres Tristes auch geschickt mit den Konzepten Normalität und Außenseitertum. Der Sexarbeiter Pedro, die Drag Queen Jonata und die trans* Frau Isabella leben nicht nur an der Peripherie der Großstadt, sondern auch der Gesellschaft. Doch sie halten zusammen und treffen bei ihrem Spaziergang auf Verbündete: eine Sammlerin, die mit ihren Objekten sprechen kann („Den Namen hat mir dein Rucksack verraten!“), ein haarloses Meerschweinchen, eine YouTuberin, die nach Models für ihr Makeup sucht. Heiße Eisen wie Diskriminierung, HIV (Jonata ist positiv) oder Einsamkeit im Alter packt Três Tigres Tristes dabei angenehm beiläufig an, ohne sie zu sehr zu problematisieren. Vinagre benutzt dafür oft (Galgen-)Humor, der auch mal ins Absurde rutschen kann – wenn es so etwas wie Absurdität überhaupt gibt in einer Welt, in der jede*r ein Päckchen zu tragen hat oder irgendeinen Spleen versteckt oder offen auslebt. Lange Zeit funktioniert der unterhaltsame Stadtspaziergang, der gar nicht so traurigen Drei so wirklich hervorragend. Erst gegen Ende übertreibt es der Film mit etwas zu ausgedehnt-freakigen Performances, die nicht unbedingt nötig gewesen wären. Dennoch ist Três Tigres Tristes ein vergnüglich-melancholischer Trip durch das queere São Paulo geworden, der Gelassenheit in harten Zeiten verströmt.

MUTIGES KINO FÜR SCHWIERIGE ZEITEN

Wenn dir das Leben Limetten gibt – mach Caipirinha daraus! So könnte der Jahrgang 2022 der lateinamerikanischen Berlinale-Filme beschrieben werden. Denn wo viele Filmemacher*innen verschämt eine cineastische Realitätsverweigerung der Corona-Pandemie betrieben (Masken waren so gut wie nie auf den Festival-Leinwänden zu sehen), jammerten die Vertreter*innen des Cine Latino nicht, sondern gingen stattdessen offensiv und kreativ mit der Thematik um. Die argentinische Komödie La edad media bespielte die Meta-Ebene des Lockdown-Wahnsinns, während Três Tigres Tristes, brasilianischer Teddy-Award-Gewinner für den besten queeren Film, das Covid-Szenario als Schauplatz für die Dystopie einer anderen Virus-Epidemie nutzte. Regie-Ikone Lucrecia Martel trommelte in Terminal Norte die Musikszene von Buenos Aires zu einer Jam-Session im Norden Argentiniens zusammen, um der Tristesse der Auftrittsverbote zu entfliehen. Und El Veterano aus Chile zeigte pandemisch-stilsicher ausschließlich Standbilder von menschenleeren Straßen und Häuserfronten, während dazu eine Stimme aus dem Off eine komplexe Geschichte für das geistige Auge ausbreitete. Sehr innovativ war auch der einzige lateinamerikanische Wettbewerbsbeitrag Robe of Gems aus Mexiko. Das psychologische Epos über den Drogenkrieg wurde für seine mutigen Ansätze in Ästhetik und Erzählstruktur mit dem Silbernen Bären Preis der Jury belohnt (Seite 29).

Vor allem Frauen drückten den lateinamerikanischen Filmen dieser Berlinale ihren Stempel auf. Neben López Gallardo stachen dabei zwei Regisseurinnen mit Filmen in der Sektion Panorama heraus, die überkommene Macho-Strukturen im ländlichen Raum fachgerecht zerpflückten: Flávia Neves‘ Fogaréu schickte in Brasilien eine moderne Desperada auf Rachefeldzug gegen ihre Familie. Und Alejandra Márquez Abella zeigte in El norte sobre el vacío wenig Mitleid mit den letzten selbsternannten Cowboys Mexikos. Empowerment pur gab es dagegen im vielleicht stärksten lateinamerikanischen Beitrag dieser Berlinale zu sehen: In der kolumbianischen Dokumentation Alis stellten sich 10 Teenager*innen aus Bogotá in bewegenden Interviews ihrer Vergangenheit vom Leben auf der Straße und zeigten dabei Power, Witz und ungebrochenen Lebensmut. Der Film gewann völlig zu Recht den Gläsernen Bären für den besten Jugendfilm und den Teddy Award für die beste queere Dokumentation. Schließlich war auch noch ein Kurzfilm aus Lateinamerika erfolgreich: Manhã de domingo aus Brasilien wurde von der Jury der Berlinale Shorts für sein introspektives Porträt einer Klavierspielerin mit dem Silbernen Bären Preis der Jury (Kurzfilm) ausgezeichnet. Dass Brasilien trotz der fast vollständigen Kürzung der Filmförderung durch die Bolsonaro-Regierung das Festival mit zwei Auszeichnungen verlässt, darf getrost als kleine Sensation gewertet werden.

Die Pandemie scheint der Schaffenskraft der lateinamerikanischen Filmemacher*innen also nicht geschadet, sondern sie eher noch beflügelt zu haben. Wie jedes Jahr bleibt zu hoffen, dass möglichst viele dieser sehenswerten Beiträge bald auch den Weg ins deutsche Kino finden werden – Garantien dafür gibt es aber erfahrungsgemäß leider nicht. Wer jetzt schon auf cineastische Reise durch Lateinamerika gehen will, kann dies aber auch auf unserer Homepage tun: Unter https://lateinamerika-nachrichten.de/kultur/film/berlinale/ haben wir Rezensionen zu allen lateinamerikanischen Filmen der Berlinale 2022 veröffentlicht. Viel Spaß beim Lesen!

„KINO EXISTIERT, UM ERFAHRUNG ZU ERSCHLIESSEN“

NATALIA LÓPEZ GALLARDO wurde in Bolivien geboren, hat aber mehr als die Hälfte ihres Lebens in Mexiko verbracht. Oder, wie sie es selbst ausdrückt: „Dort ist mein Zuhause, das Universum meiner Vorstellung“. Auch ihre cineastische Laufbahn hat sie in Mexiko verbracht. Nach einem Filmstudium arbeitete sie dort hauptsächlich als Cutterin und wirkte in dieser Funktion an mehreren preisgekrönten Filmen mit. (Foto: Natalia López Gallardo)

Sie sind Bolivianerin, leben aber in Mexiko. Hat Ihr Film eher eine interne oder externe Perspektive auf das Land?

Es ist eine interne Perspektive. Ich wohne seit 15 Jahren in einer ländlichen Region in Mexiko. Genauer gesagt im Bundesstaat Morelos, im Zentrum von Mexiko, wo ich auch meinen Film gedreht habe. Ich habe mit den Menschen dort zusammengelebt, bin mit dem Auto durch den kompletten Bundesstaat gefahren und war also ganz nah dran. Der Film spielt aber an keinem spezifischen Ort. Die Geschichte könnte auch woanders in Mexiko oder sogar in Kolumbien oder einem anderen Schauplatz in Lateinamerika passieren. Sehr mexikanisch ist allerdings die Landschaft. Wir haben auf dem Höhepunkt der Trockenzeit gefilmt und da ist es in Mexiko wirklich extrem trocken. Das war auch von uns so beabsichtigt. Das Licht ist total intensiv und hell, alles sieht gelb und ausgedörrt aus. Das ergab einen starken Kontrast mit den sehr dunklen Szenen, die es im Film auch gibt.

In Ihrem Film geht es um den Drogenhandel und seine Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Zu diesem Thema wurden in den vergangenen Jahren viele Filme und Serien produziert. Wie unterscheidet sich ihre Herangehensweise beispielsweise von einer Serie wie „Narcos“?

Von Beginn meiner Recherche an, während der ich Interviews mit Betroffenen gemacht und Zeitungsartikel ausgewertet habe, war mir eines klar: Ich wollte keinen Film über den Drogenhandel oder die Gewalt machen. Es ist ein sehr komplexes Thema und es gibt tolle Dokumentationen und Bücher, die die Situation aus einem politischen, ökonomischen oder historischen Blickwinkel analysieren. Ich dagegen wollte mich der psychologischen Dimension annähern. Als ich die Interviews mit Müttern von Verschwundenen geführt habe, habe ich bemerkt, dass ich in keiner Weise nachfühlen konnte, was sie fühlten. Ich habe mich unwohl damit gefühlt, auf eine Art schuldig. Aber obwohl ich mich in ihre Situation nicht hineinversetzen konnte, teilen wir in Mexiko doch alle ein bestimmtes Gefühl. Wir haben das oft und auf viele Arten gespürt. Seit vielen Jahren sehen wir gefolterte Menschen, die Gesichter der Verschwundenen, Karten von Gräbern. So lange schon absorbieren, akzeptieren wir das. Es hat sich in unser Unterbewusstsein eingeprägt. Dieser unsichtbaren Dimension, die wir alle in uns tragen, wollte ich mich annähern. Ich glaube sehr daran, das mit den Mitteln des Kinos schaffen zu können.

Gab es einen Moment, in dem Sie entschieden haben: Ja, jetzt muss ich einen Film über dieses Thema machen?

Es gab nicht den einen Moment, in dem ich mich entschieden habe. Aber in dem Moment, als ich die Menschen, die von dieser Tragödie betroffen sind, persönlich getroffen habe, fühlte ich eine Notwendigkeit, darüber einen Film zu machen. Mir war ganz klar, dass ich keinen Film ÜBER Verschwundene, ÜBER den Drogenhandel, ÜBER die Gewalt machen möchte, sondern es sollte da-rüber hinausgehen. Ich weiß nicht, ob ich das geschafft habe, aber das war meine Idee.

In Ihrem Film sind Frauen die Protagonistinnen, vor allem die rätselhafte Isabel. Können Sie etwas über Ihre Motive sagen?

Es ist richtig, dass Isabel eine enigmatische Figur ist. Sie fügt sich selbst Gewalt zu, das beschreibt ihre Persönlichkeit. Auf der anderen Seite ist sie aber auch eine sehr fragwürdige Figur. Sie ist weiß, sie ist eine Fremde und denkt trotzdem, dass sie die Möglichkeit hat, zu helfen. Das ist alles sehr kritikwürdig und hat mit dem westlichen Denkmuster zu tun, dass man immer denkt, vernünftig zu sein und deshalb auch anderen Vernunft beibringen zu können. Das ist etwas, was in Mexiko oft zu sehen ist. Sie fühlt sich schuldig, kann die Situation aber nicht lesen. Weil sie aus einem anderen Universum kommt. Sie versteht auch ihre eigenen Gefühle nicht. Sie ist verwirrt, kennt ihren Platz in der Welt nicht. Ihre Verwirrung führt aber nicht dazu, dass sie demütig wird. Sie geht nicht zu den Menschen und bittet sie: „Erklärt mir, was hier los ist. Ich verstehe es nicht!“ Stattdessen geht sie zu ihnen und sagt: „Ich weiß genau, was hier zu tun ist!“ Sie agiert aus dieser Verwirrung heraus und scheitert deshalb komplett.

Die audiovisuelle Sprache im Film ist sehr interessant. Über Bilder und Geräusche scheint viel mehr vermittelt zu werden als über Dialoge. War das Ihre Idee?

Ich vertraue sehr auf die Mittel des Kinos, um eine Botschaft zu vermitteln. Ich glaube, dass das Kino viel mehr kann, als nur Informationen überbringen, um eine Geschichte zu erzählen. Das Kino ist nicht da, um Geschichten zu erzählen. Das Kino existiert, um Erfahrungen zu erschließen. Diese Erfahrungen sind mit dem Körper verbunden, ein intuitiver Prozess.

Das Narrativ ist nur ein Werkzeug von vielen, aber nicht das wichtigste. Es ist genauso wichtig wie die Dialoge, die Größe des Bildes, die Bewegung der Kamera, der Ton. Wenn man eine Szene konstruiert, trifft man eine Auswahl über all diese Dinge: Den Dialog, die Farben, die Position der Kamera, die Bewegung, den Ton – all diese Elemente. In dem Moment, in dem man das alles auswählt, hofft man, dass irgendetwas, von dem man noch nicht genau weiß, was es ist, passiert. Aber man vertraut auf alle Elemente.

Bei diesem Film war der Ton für mich das wichtigste Element. Weil ich bemerkt habe, dass der Ton mir geholfen hat, den Raum zu konstruieren. Das Visuelle ist für mich begrenzt. Ein Blick zieht eine Grenze zwischen dir und mir. Aber wenn ich nur zuhöre, dringt deine Stimme in mich ein. Ich fühle, dass der Ton uns verbindet. Blicke trennen uns auf eine Weise.

Es gibt viele Möglichkeiten, über den Ton zu sprechen. Der Ton ist nichts Bestimmtes. Er ist ambivalent. Wenn man in einem dunklen Raum ist, aktiviert man alle anderen Sinne. Man beginnt zu tasten, langsamer zu laufen, zu horchen. Das alles wird viel wichtiger. Über eine psychologische Befindlichkeit, eine spirituelle Wunde mithilfe des Visuellen oder mit Wörtern zu sprechen, war für mich sehr schwierig. Ich vertraue sehr stark auf den Ton, um eine psychologische Dimension zu konstruieren.

Wenn Sie nur eine Sache an der aktuellen Situation in Mexiko verändern könnten – was wäre das?

Um das zu erreichen, was ich verändern will, braucht es große Anstrengung und es sind viele Dinge nötig. Ich denke, dass wir wieder ein Gemeinschaftsgefühl herstellen müssen. Ich weiß nicht genau wie, aber wir müssen beginnen, etwas zu fördern, das wieder allen gemeinsam gehört. Ich glaube, das ist verloren gegangen. Wir kämpfen nicht mehr alle gemeinsam für etwas. Unsere Ungewissheit, unsere Angst, unsere Unsicherheit kommt daher, dass wir nichts Gemeinsames mehr teilen. Also würde ich damit beginnen, wieder etwas aufzubauen, das uns allen gehört. Das passiert momentan nicht, es geht vielen darum, die eigene Haut zu retten.

Gilt das auch für Filmemacher*innen? Für Journalist*innen ist Mexiko seit vielen Jahren eines der gefährlichsten Länder der Welt. Gibt es Drohungen auch gegenüber Menschen, die Filme machen?

Mir persönlich ist in dieser Hinsicht noch nichts passiert, aber ich habe tausend Geschichten gehört. Wenn man Dokumentarfilme macht, sieht das sicher anders aus. Unser Film ist komplett fiktiv und wir haben beim Dreh auch nicht mit Menschen gearbeitet, die von der Gewalt betroffen waren. Also habe ich keine Gefahr gespürt. Es gab Momente, in denen wir in etwas heiklen Situationen waren. Nachts mussten wir an einigen Orten aufpassen, vorher anmelden, dass wir uns dort aufhalten würden. Mexiko ist bekanntermaßen auf gewisse Weise ein gesetzloser Ort. Die Menschen sind auf der einen Seite überall sehr freundlich, es gibt aber auch eine dunkle Seite. Dazwischen bewegt man sich immer und manchmal weiß man nicht, auf welcher Seite man gerade ist. Ein falscher Schritt kann dich diese Grenze übertreten lassen. Wie man in Mexiko sagt: Mexiko ist fantastisch, alle Leute sind supercool und alles ist perfekt, bis … es eben nicht mehr so ist. Und in diesem Moment bricht die Hölle los.

Glauben Sie, dass Sie mit der Art ihrer Erzählweise ihr Publikum überfordern könnten?

Wir sind an eine bestimmte Art, ein System des Erzählens, gewöhnt. Ist es nicht komisch, dass die gleiche Fernsehserie einem 10-jährigen Kind genauso gefallen kann wie einer 80-jährigen Frau? Das finde ich sehr konservativ. Das ist nicht normal. Wir standardisieren gerade alles. Alles wird gleichgemacht. Das ist nichts Positives. Wir brauchen die Vielfalt. Wir müssen uns trainieren, auf der einen Seite Spiderman zu sehen, auf der anderen Seite aber auch einen Film, der uns fordert, der uns zum Nachdenken anregt, eine neue Erfahrung darstellt. Das Problem ist, dass so viele Menschen heute an Spiderman und Co. gewöhnt sind, dass ihnen alles andere nicht mehr akzeptabel erscheint. Unser westliches Denken möchte immer sofort eine Erklärung für alles haben, wir strukturieren, analysieren, fragen verzweifelt nach dem Warum. Man sollte sich stattdessen öfter ein wenig Zeit nehmen, um die Dinge wirken lassen.

SOG DER GEWALT

Antonia Olivares und Daniel García in Robe of Gems (Foto: © Visit Films)

Bewertung 4 / 5

„Zieh das Zeug aus! Auf der Stelle wirfst du das in den Müll!“ Roberta, der örtlichen Polizeichefin in Robe of Gems, dem mexikanischen Wettbewerbsfilm der Berlinale 2022, passt es gar nicht, wie ihr Sohn Adán so herumläuft. Teure T-Shirts und Marken-Turnschuhe, weite Hosen, glitzernde Ohrringe, Halskettchen aus Gold und Silber – das ist der Look, mit dem sich normalerweise der Nachwuchs der Narcos, also der Drogenmafia, zu erkennen gibt. Deshalb herrscht Roberta Adán an, bis er nur noch in Unterhosen auf dem Vorplatz ihres Hauses herumsteht. Aber der Drogenhandel und die Gewalt, die er mit sich bringt, lassen sich nicht einfach abstreifen wie ein paar Kleidungsstücke. Das wird auch Roberta im Laufe des Filmes noch mehrfach zu spüren bekommen.

Natalia López Gallardo, die Regisseurin von Robe of Gems, ist Bolivianerin, lebt aber seit 15 Jahren selbst im ländlichen Mexiko und musste dort aus nächster Nähe den „fortschreitenden Kollaps der sozialen Struktur“, wie sie es selbst beschreibt, beobachten. Mit ihrem Debütfilm als Regisseurin hat sie nun eine beeindruckende, manchmal rätselhafte, aber ungeheuer wirkmächtige Collage über die alles dominierenden Strukturen der brutalen Gewalt in ihrem Umfeld vorgelegt. Der Film folgt dabei dem Schicksal dreier Frauen: Isabel, selbstbestimmt und undurchschaubar, zieht nach ihrer Scheidung in ein von ihrer Mutter verlassenes und halb verfallenes Anwesen auf dem Land. Maria, ihre Hausangestellte, sucht ihre verschwundene Schwester und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Und Roberta kämpft in der Polizei und in ihrer eigenen Familie gegen die Windmühlen des Drogenhandels, die vor allem Frauen wenig Möglichkeiten lassen, ihr Leben unabhängig und ohne Furcht zu gestalten. Denn was Mercé, Marias Mutter, zu Beginn des Filmes der Outsiderin Isabel sagt, die bei der Suche nach ihrer verschwundenen Tochter helfen will, bewahrheitet sich im Laufe der Geschichte immer deutlicher: „Bei allem Respekt, aber Sie wissen nicht, dass die Dinge hier bei uns anders laufen.“

Robe of Gems macht es seinen Zuschauer*innen nicht leicht, die Zusammenhänge zu verstehen, die den zähen Sog der Gewalt aufrechterhalten, der die Gemeinschaft der Bewohner*innen in den kleinen Dörfern und Anwesen wie ein unsichtbares Netz verbindet und langsam von innen zerfrisst. Nach außen bewahrt alles den Anschein des Normalen, doch ein Schritt in die falsche Richtung, ein unbedachtes Wort kann fatale Konsequenzen haben. López Gallardo folgt dabei einer ungewöhnlichen Methode: Sie macht das Sichtbare unsichtbar. Was zunächst paradox klingt und beim Betrachten des Films oft anstrengend wirkt, ergibt in der Gesamtschau Sinn. In Dialogen wird das Offensichtliche meist nicht gesagt („Alles in Ordnung, es ist nichts passiert“, wiederholt Maria im Gespräch mit einer Bekannten beispielsweise immer wieder, während ihr Tränen über die Wangen laufen). Die Erzählung folgt Personen, verliert sie, findet sie später in neuen Situationen wieder, ohne zu erklären, wie sie hineingeraten sind. Gesichter sind oft nur schemenhaft oder gar nicht zu erkennen, die Kamera filmt von hinten oder fokussiert auf Gegenstände und Körperteile, die außerhalb des Zentrums der Aktion liegen. Und versetzt das Publikum damit in die ausweglose Situation der Bewohner*innen der von Gewalt beherrschten Umgebung, die ihre verschwundenen Angehörigen suchen und mit bruchstückhaften Informationen und ihrer Verzweiflung oft alleingelassen sind.

Töne und Bilder sind in Robe of Gems häufig wichtiger und aussagekräftiger als das Gesagte. Geräusche wie das Zirpen der Insekten sind laut, manchmal überlaut zu hören und die karge Landschaft, gezeigt in matten Farben, bildet den Hintergrund für eine von Zwängen und unausgesprochenen Regeln beherrschte Lebensrealität, die sich eindeutigen Deutungen entzieht. Das macht den Film streckenweise zu einem harten Brocken, der vermutlich nicht alle Zuschauer*innen befriedigt zurücklassen wird. Sich auf Robe of Gems einzulassen, lohnt sich aber nicht nur aufgrund der beeindruckenden Bilder, die für die große Leinwand wie gemacht sind. Was Kino leisten kann, ist nicht nur, Geschichten zu erzählen, sondern auch Gefühle zu vermitteln. Dieses Potenzial hat Natalia López Gallardo mit ihrem Debüt auf beeindruckende, in ihrem Fall fast beängstigende Weise ausgeschöpft.

IM PATRIARCHALEN HINTERLAND

Bárbara Colen in Fogaréu, Berlinale 2022 (Foto: © Bananeira Filmes)

Bewertung 5 / 5

Es fällt schwer, diesen Film nicht in Superlativen zu loben: Fantastische Hauptdarstellerin, exzellente Besetzung bis in die Nebenrollen, außergewöhnlich gelungenes Drehbuch, immer neue, ungewöhnlichen Wendungen und eindrucksvolle Landschaftsbilder aus dem Agrarstaat Goiás mit seinen gigantischen Feldern und Weiden. Nicht zu vergessen die gelungene Einbeziehung des politischen Grauens Brasiliens in eine Familiengeschichte, die Regisseurin Flávia Neves in großen Teilen selbst erlebt hat.

Fernanda (gespielt von der überragenden Bárbara Colen) kehrt nach vielen Jahren zum ersten Mal in das koloniale Städtchen Goiás Velho zurück, das sie als Kind mit ihrer Mutter verlassen hat. Bei ihrer Ankunft platzt sie unangekündigt in einen kleinen Empfang im Haus ihres Onkels Antônio (Eucir de Souza), dessen erneute Kandidatur zum Bürgermeister gefeiert wird. Und obwohl Fernanda von ihrer Tante Arlette (Fernanda Vianna) bemüht freundlich empfangen wird, ist die Atmosphäre sofort geprägt von unterschwelligen Aggressionen, die sich im Laufe des Films langsam entfalten und verdichten, um dann zu eskalieren.

Bereits die Dialoge der ersten Filmszenen sind brillant geschrieben und inszeniert – deutlich ist zu spüren, dass hier Welten aufeinandertreffen: das moderne, aufgeklärte Brasilien, verkörpert durch Fernanda, und das konservative, rückwärtsgewandte, unterschwellig bis offen brutale Brasilien des weiten Hinterlandes. Immer wieder stößt sich Fernanda an der Sprache ihrer Familie. Mittels dieser werden tiefgreifende Unterschiede zwischen ihren Werten und Sichtweisen auf die Welt markiert und die zahlreichen Lügen maskiert, die sich ebenso auf die Vergangenheit wie auf die Gegenwart beziehen.

Doch Fernanda ist nicht zurückgekommen, um sich mit der offiziellen Geschichte abspeisen zu lassen. Sie will die Wahrheit hinter den zahlreichen Familiengeheimnissen entdecken und ist dabei unerschrocken und rücksichtslos, auch sich selbst gegenüber – bis hin zur Gefahr für Leib und Leben. Eine so mutige, offensive Frau kann im patriarchalen Raum des Hinterlandes nicht geduldet werden. Dabei verschränkt sich die persönliche Geschichte mit der politischen Dimension der Handlung. „Für mein Vaterland! Für meine Familie!“, grölten die Hinterbänkler, die im April 2016 die brasilianische Präsidentin Dima Rousseff absetzten, bei der Stimmabgabe in die Mikrophone. FOGARÉU entlarvt diesen Konservatismus: Die vorgeblichen Ideale des Patriotismus und der Familie schützen nur den rücksichtslosen Machterhalt einer weißen Elite von Landbesitzern, denen die Rechte von Frauen, Hausangestellten und Indigenen herzlich egal sind.

Regisseurin Flávia Neves, die auch gemeinsam mit Melanie Dimantas das Drehbuch geschrieben hat, inszeniert die Erschütterung der lokalen Macht durch eine Gruppe sehr unterschiedlicher Frauen, die sich gegenseitig unterstützen. Dabei kommt keine ohne Schmerzen und Verluste davon. Dass es am Ende ein bisschen Magie braucht, um das Böse zu zerstören, ist angesichts der Situation im brasilianischen Hinterland vielleicht die realistischste Option.

FOGARÉU ist der erste abendfüllende Spielfilm der Brasilianerin Flávia Neves, die mit 16 Jahren ihren ersten Kurzfilm drehte und seither im Bereich Film arbeitet. An der Produktion von FOGARÉU waren vor allem Frauen beteiligt, einschließlich der beiden Produzentinnen Vania Catani (Bananeira Filmes) und Mayra Faour Auad (Mymama Entertainment). Im Interview mit der Berlinale sagte Neves dazu: „Filme von Frauen sind vielleicht die besten, die unser Land heute zu bieten hat. Als Frauen müssen wir uns viel besser vorbereiten, um einen Platz in einem feindlichen, sehr komplexen Markt zu erkämpfen, der nicht für uns geschaffen wurde. Aber wenn wir die Bedingungen selbst bestimmen können, werden wir ebenfalls brillieren.“ Das ist Neves mit FOGARÉU definitiv gelungen.

KOLLEKTIVES EMPOWERMENT

Alis, Berlinale 2022 (Foto: © Casatarantula, deFilm, Pantalla Cines)

Bewertung: 5 / 5

Alis, das ist eine imaginäre Freundin, die sich zehn Jugendliche aus einem Internat für ehemalige Straßenkinder in Bogotá vorstellen sollen. Der Trick, den sich die kolumbianischen Filmemacher*innen Clare Weiskopf und Nicolás van Hemelryck ausgedacht haben, ist so einfach wie wirkungsvoll: Statt über sich selbst sprechen Luisa und Magaly, Shesley und Obando in ihren gefilmten Interviews über die Erfahrungen eines 15-jährigen fiktiven Mädchens, das neu zu ihnen in die Schule kommt. Was spielerisch mit der Beschreibung von Alis‘ Person beginnt – mal ist sie blond und groß, mal klein und gepierct, mal trägt sie schicke Kleidung und mal Baggy Pants – entwickelt sich schnell zu einer schonungslosen und brutal offenen Schilderung ihrer Erfahrungen auf der Straße. Spätestens nach den hochemotionalen Erzählungen von Schlägen und Verstoßung, von sexueller Gewalt, Drogenkonsum und Mord wird klar: Das hier kann sich niemand ausdenken, der es nicht selbst gesehen hat oder gar am eigenen Leib durchmachen musste. Alis funktioniert wie eine Projektionsfläche für alles, was die zehn Teenager*innen selbst erlebt haben. Ihre Erfahrungen werden durch das gemeinsame Erzählen zu einem kollektiven Narrativ, zur Anklage einer brutalen Gesellschaft, die sie ohne eigenes Verschulden misshandelt und ausgestoßen hat.

Aber Alis ist kein reiner Horrorfilm geworden und das ist das Wunderbare an der Dokumentation. Denn die Protagonist*innen behalten durch den Filter Alis immer die Kontrolle über das, was sie sagen und wie sie es sagen. Alis schützt sie davor, in eine reine Opferrolle zu rutschen und ermutigt sie, über ihre Hoffnungen und Träume zu sprechen. Tierärztin und Lehrerin wollen sie werden, Pilotin oder – warum klein denken? – Präsidentin von Kolumbien. Ob Alis Mutter werden will, wird David, der früher Xiomara hieß, gefragt. „Nein, Vater!“ kommt wie selbstverständlich die Antwort. An Nicol stellt die Interviewerin die etwas verdruckste Frage, wie die erste „intime Beziehung“ von Alis war, und bekommt prompt von ihr eine Lektion verpasst: „Intime Beziehung? Meinst du Sex? Sag‘s doch gleich so, damit ich dich auch verstehe!“ Später gibt es noch Tanz-Performances und Flirttipps, selbstgeschriebene Raps und Songs, die zwar melodisch komplett schräg, aber dafür mit umso beeindruckender Selbstsicherheit vorgetragen werden. Ein besseres Empowerment ist schwer vorstellbar.

Dass der Film trotz seines einfachen Aufbaus wie magnetisch in seinen Bann zieht, liegt natürlich vor allem an seinen Hauptdarsteller*innen, die mit entwaffnender Offenheit und Klarheit über ihre Erfahrungen sprechen, wobei sie fast nie den Blick von der Kamera wenden – Blicke, die niemanden kalt lassen. Es liegt aber auch an der großartigen Regiearbeit von Weiskopf und van Hemelryck, die das statische Setting der Einzelinterviews in der Umkleide der Schule mit Aufnahmen der Institution konterkarieren. Diese wirken zu Beginn des Films ebenso unbewegt, da sie menschenleere Räume zeigen. Während die Interviewten aber immer mehr auftauen, werden auch die anderen Filmszenen immer belebter. Am Schluss tanzen alle zusammen auf dem Schulhof Reggaeton.

Alis ist ein Film, der seine Zuseher*innen so schnell nicht loslässt und seine Preise auf der Berlinale 2022 (bester Jugendfilm, beste queere Dokumentation) völlig zu Recht gewonnen hat. Und offensichtlich auch das Leben der Teenager*innen im Film verändert hat. Denn auf die Frage, ob Alis denn nur eine Vorstellung war oder ob es sie wirklich gibt, ist die Antwort am Ende so eindeutig wie einstimmig: „Ja, Alis existiert!“

Alis, Berlinale 2022 (Foto: © Casatarantula, deFilm, Pantalla Cines)

Alis, Berlinale 2022 (Foto: © Casatarantula, deFilm, Pantalla Cines)

Vom Glauben abgefallen

Diego Armando Lara Lagunes in El reino de Diós, Berlinale 2022 (Foto: © Jaqueca Films)

Bewertung 2 / 5

„Und hier kommt Kardashian… Niemand kann sie schlagen, sie gewinnt immer!“ Neimars Stimme überschlägt sich fast. Doch so wenig der achtjährige Junge aus einem Dorf in Veracruz in Südmexiko im Film El reino de Diós (Das Reich Gottes) selbst mit dem brasilianischen Fußballstar gemeinsam hat, so wenig denkt er beim Namen Kardashian an Reality-TV. In seiner Fantasie ist Kardashian ein Pferd und Neimar spielt ein Rennen von ihr nach, denn das ist es, was er über alles in der Welt liebt: Pferde. Bei seiner Lieblingsstute darf er sogar schon ab und zu die Pflege übernehmen und als Dank dafür bekommt er seinen Anteil am Preisgeld, wenn sie Rennen gewinnt. Zeit dafür hat er genug, denn zu Hause kümmert sich kaum jemand um ihn. Der Vater hat schon lange das Weite gesucht, die Mutter ist meistens arbeiten oder bei ihrem Freund, nur die Großmutter ist manchmal da und spielt mit ihm. Ansonsten verbringt Neimar seine Freizeit mit Schweinen, Hühnern oder eben Pferden. Da seine Erstkommunion bald ansteht, besucht er aber auch regelmäßig den Unterricht, der die Kinder darauf vorbereiten soll. Dort lernen sie unter anderem die Zehn Gebote auswendig, um Gott nach der Kommunion näher sein zu können, wie Neimars Großmutter ihm erklärt. Doch in seinem Leben ereignen sich bald Dinge, die ihn weit mehr beeinflussen werden als die bevorstehende Feier.

Regisseurin Claudia Sainte-Luce stammt selbst aus einem Dorf in Veracruz und hat den Film mit Laiendarsteller*innen von dort besetzt. Die Hauptrolle spielt ihr Neffe Diego. El reino de Diós zeigt eine Welt, in der es Jungen schwer haben, verlässliche männliche Vorbilder zu finden. Am meisten Kontakt hat er mit den Pferdepflegern, die ihn aber meistens auslachen und sexistische Bemerkungen über Frauen machen, die er nicht versteht. Ebenso wenig kindgerecht ist der Religionsunterricht, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: Mit hochgestochenen Bibelzitaten versucht der Lehrer die Kinder von Gottes Liebe zu überzeugen. Die Botschaft dahinter – die Kirche versagt bei ihrer Aufgabe, sich um die Alleingelassenen zu kümmern – wird allerdings etwas zu sehr mit dem Holzhammer vermittelt. Neimar hat angesichts der völlig abgehobenen Kirchenzeremonien fast keine andere Chance, als vom Glauben abzufallen. Dass dieser nicht unbedingt mit Kirche gleichzusetzen ist, arbeitet der Film leider nicht ausreichend heraus. Durch das Fehlen positiver Beispiele verpasst er das Ziel, eine Diskussion über Glauben und Gott zu eröffnen, die auch Kinder interessieren könnte. Gegen Ende geschehen zudem einige ziemlich schockierende Ereignisse. In Verbindung mit der stark sexualisierten und sexistischen Ausdrucksweise der Pferdepfleger ist El reino de Diós deshalb für jüngere Kinder nur eingeschränkt empfehlenswert.

Diego Armando Lara Lagunes in El reino de Diós, Berlinale 2022 (Foto: © Jaqueca Films)

Lizbeth Gabriela Nolasco Hernández, Margarita Guevara Gonzales und Diego Armando Lara Lagunes in El reino de Diós, Berlinale 2022 (Foto: © Jaqueca Films)

Feuer, Rohöl und rote Erde

Andreia Vieira in Mato seco em chamas, Berlinale 2022 (Foto: © Cinco da Norte, Terratreme Filmes)

Bewertung 4 / 5

Die Flammen lodern und züngeln, entzünden Benzinpfützen und Signalkörper, sie werfen bewegte Schatten, spiegeln sich auf Schwarzer Haut und verbrennen am Ende sogar ein gepanzertes Fahrzeug der Militärpolizei. Nicht zu vergessen das Entzünden der unzähligen Zigaretten, die von den Protagonistinnen in diesem Film geraucht werden, tief inhalierend und langsam den Rauch entweichen lassend. Es ist eine wuchtige Bildsprache, die der Regisseur Adirley Queirós und die Co-Regisseurin und Kamerafrau Joana Pimenta in Mato seco em chamas („Trockene Wildnis in Flammen“) geschaffen haben. Bildgewaltig und ungewöhnlich zieht sich die Kombination von Feuer, Rohöl und roter Erde in langen Einstellungen durch den gesamten Film.

Nicht weniger ungewöhnlich ist seine Entstehungsgeschichte: Über einen Zeitraum von drei Jahren drehten Queirós und Pimenta in der Satellitenstadt Ceilândia und in Sol Nascente, der zweitgrößten Favela Brasiliens, beide am Rande der Hauptstadt Brasília. Dort lebt Regisseur Queirós, der eine erstaunliche Karriere vom professionellen Fußballspieler zum professionellen Filmemacher hinter sich hat, bereits seit 50 Jahren. Mit Mato seco em chamas hat er seit 2005 seinen dritten Film in der Region gedreht. Auch Pimenta stand bereits 2017 für Queirós‘ Film Era uma Vez Brasília hinter der Kamera und hat für die Dreharbeiten zwei Jahre dort verbracht.

Sechs Frauen aus beiden Städten schlugen Queirós und Pimenta vor, bei der Produktion von Mato seco em chamas zusammenzuarbeiten. Gemeinsam entwickelten sie die Figuren und das Drehbuch: „Mit diesen Frauen – Léa Alves, Joana Darc Furtado, Andreia Vieira, Débora Alencar, Mara Alves und Gleide Firmino – haben wir eine Fiktion geschaffen, die für uns zum Aktionsraum werden konnte. Eine Fiktion, in der die Peripherie zum Zentrum wird. Eine Fiktion, die auch dokumentarisch verstanden werden kann. Zusammen mit den Frauen haben wir Figuren entwickelt, geformt aus gemeinsamen politischen Erinnerungen und einer kollektiven Idee für diese umkämpften Gebiete“, sagten die Regisseur*innen im Interview mit der Berlinale.

Entstanden ist so eine Geschichte mit fantastischen Elementen, die immer ganz hart an der Realität ist. Queirós und Pimenta haben den Schauspielerinnen – der Begriff Laiendarstellerinnen wird ihrem Können nicht gerecht – viel Freiheit gelassen: Es sind ihre Orte, ihre Geschichten und ihre Sprache, das ist deutlich zu spüren. Im Kern geht es um die Bandenchefin Chitara, die auf die gewinnbringende Idee kam, die Erdöl-Pipeline anzuzapfen, die unter ihrem Grundstück verläuft. Sie ist ebenso furchtlos wie ihre Schwester Léa. Gemeinsam mit den anderen Frauen schaffen es die Schwestern problemlos, eine Gang von Motorradkurieren zu dominieren, die ihnen für billiges, selbst raffiniertes Benzin Prozente der Lieferungen zahlen.

Doch gleichzeitig ist es ein hartes Leben: Die Bedrohung durch die Militärpolizei und ihre Überwachungsdrohnen ist ebenso präsent wie die durch andere Gangs und die Politik – das macht eine lange, dokumentarische Szene einer Wahlkampfveranstaltung der Anhänger*innen von Präsident Bolsonaro deutlich. Aber vor allem gibt es die bedrohliche Möglichkeit, jederzeit wieder im Gefängnis zu landen. „Das Verbrechen zieht dich irgendwie rein, dein ganzes Leben“, sagt Chitara in einem nachdenklichen Moment.

Doch die Frauen haben auch eine Menge Spaß, vor allem miteinander. Léa mietet einen Bus mit DJ für eine Party, die Forró-Brega-Band Muleka 100 Calcinha spielt zum Tanz auf und der Wahlkampfwagen der von Andreia Vieira gegründeten Partei PPP (für die Verbesserung der Situation der Gefängnisinsassen und ihrer Familien) verwandelt sich in eine wogende Tanzfläche. Queerness wird in diesen Situationen so selbstverständlich gelebt, als gäbe weder den Konservatismus evangelikaler Kirchen noch Gangster-Machos.

Das alles wirkt authentisch und realistisch, so dass der Anspruch der Regisseur*innen, „eine Form der Ethnografie zu schaffen, die sich aus einer Fiktion heraus entwickelt“, durchaus eingelöst wird. Schwierig ist dabei nur die mehrfach gebrochene, verschlungene Erzählstruktur mit verschiedenen Zeitebenen – selbst wenn diese durchaus den lokalen Erzählmustern entspricht. Da folgt Rückblende auf Rückblende auf Gegenwart und zurück, immer wieder unterbrochen von Erinnerungen an das Gefängnis. Erst ganz zum Schluss erschließt sich, wie alles zusammenhängt. Und das dauert bei einer Filmlänge von 153 Minuten eine ganze Weile.

Zwei Stimmen, viele Ebenen

Mis dos voces, Berlinale 2022 (Foto: Courtesy of Rayon Verde)

Auf den allerersten Blick könnte der Dokumentarfilm Mis dos voces von Lina Rodriguez ein Architekturfilm sein, wenn die Kamera langsam die Fassaden von Hochhäusern in Toronto erklimmt. Vieles eröffnet sich bei diesem Film erst auf den zweiten Blick, denn Rodriguez setzt die filmischen Mittel Ton und Bild nicht direkt zueinander ins Verhältnis, sondern lässt sie umeinander kreisen.

Die Protagonistinnen Ana (Garay) Kostic, Marinela Piedrahita und Claudia Montoya hat es zu verschiedenen Zeiten und auf unterschiedlichen Wegen nach Kanada verschlagen. Ihre Herkunftsländer Kolumbien und Mexiko spielen mal mehr, mal weniger eine Rolle in den abwechselnden Erzählungen der drei Frauen, die stets als Stimmen aus dem Off die grobkörnigen Bilder des 16-mm-Films überlagern. Währenddessen gleitet die Kamera über Alltagsgegenstände, Dekoartikel und Einrichtungselemente. Die Bildsprache verliert sich im Detail, zwei Hände, die abwaschen, Close-Up-Aufnahmen von Füßen, die bei einer Parade tanzen. Erst ganz am Ende erreichen die Kamerabilder die Totale, so dass die Protagonistinnen mit ihren Familien zu sehen sind.

Die Erfahrungen der drei Frauen kreisen um Erinnerungen, um teilweise gewaltvolle Erlebnisse aus der Vergangenheit und deren Folgen für die Gegenwart. Durch die indirekte Form bleiben die Erzählungen vage. Die Stimme im Hintergrund berichtet von traumatischen Erfahrungen wie einem Bombenalarm in Medellín mitten in der Nacht, bei dem Pablo Escobar mit Megafon Menschen anweist und damit unbewusst die Protagonistin vor der kurz danach eintretenden Explosion warnt. Sie erzählt aber auch von schwierigen Momenten des Ankommens in der neuen Heimat, die scheinbar diametral zu den farbenfrohen Detailaufnahmen stehen: Türkisfarbener Nagellack wird sichtbar, eine Hand, die ein Holzstück abschleift, während das Voiceover demütigende Arbeitserfahrungen als Putzhilfe schildert.

Text und Subtext wechseln sich ab und bilden damit gewissermaßen die zwei Stimmen, mit denen die Frauen ihren Alltag bewältigen. Sprachlich nähern sich die drei aufgrund ihrer Migrationserfahrung an: Spanisch dominiert als emotionales Ausdrucksmittel, während die englische Fremdsprache nur indirekt thematisiert wird. Meistens ist unklar, wer gerade spricht und da die Gesichter zu den drei Stimmen bis ans Ende nicht gezeigt werden, entsteht ein Erzählfluss, der sinnbildlich für die fließenden Identitäten der drei Frauen steht. Lina Rodriguez ist damit ein mehrstimmiger Blick auf die Lebensrealitäten der drei Migrantinnen gelungen, der in seiner Uneindeutigkeit mitunter anstrengend ist, aber dessen experimenteller Charakter bestens in die Berlinale Sektion Forum passt.

Mis dos voces, Berlinale 2022 (Foto: Courtesy of Rayon Verde)

Mis dos voces, Berlinale 2022 (Foto: Courtesy of Rayon Verde)

Von Trap bis Tango

Julieta Laso in Terminal Norte, Berlinale 2022 (Foto: © Rei Cine SRL)

Bewertung: 4 / 5

Musik aus Argentinien – das ist Tango, das ist Buenos Aires. Diese unumstößliche Wahrheit muss spätestens nach der Kurzdoku Terminal Norte der argentinischen Regisseurin Lucrécia Martel (La ciénaga) durch das Wörtchen „auch“ ergänzt werden. Denn die Vielfalt des Landes bringt ebenso diverse wie faszinierende Musikstile hervor, wie in diesem Film zu sehen und vor allem zu hören ist.

Terminal Norte entstand als spontanes Projekt von Lucrécia Martel und der Tangosängerin Julieta Laso. Letztere kaufte während der Pandemie ein malerisches, wenn auch renovierungsbedürftiges Landhaus bei Salta im Norden Argentiniens und lud einige bekannte Künstler*innen ein, dort mit ihr zu feiern und Musik zu machen. Die Region ist bekannt für die Copla, einen traditionellen Musikstil, bei dem die Sänger*innen Verse vorsingen und das Publikum einladen, sie zu wiederholen. Einige der bekanntesten Copleras treten auch im Film auf, so zum Beispiel Mariana Carrizo oder die trans* Künstlerin Lorena Carpanchay. Aber auch die Trap-Sängerin B Yami, die Pianistin Noelia Sinkunas oder das Elektronik-Projekt Whisky sind mit dabei.

Der Film entstand so spontan wie die Musikdarbietungen auf dem Treffen. Es gibt deshalb keine ausführliche Vorstellung der Künstler*innen, auch die technische Ausstattung (nur zwei Scheinwerfer standen zur Verfügung) und die Drehzeit (4 Tage, von denen einer wegen Regens nicht genutzt werden konnte) waren limitiert. Angesichts dessen ist wirklich bemerkenswert, was am Ende herausgekommen ist. Die Musikperformances, man muss sie Auftritte nennen, sind ohne Ausnahme großartig – ganz gleich, ob B Yami am Lagerfeuer mit Trap loslegt oder beim Spaziergang durch den Wald coplas zelebriert werden. Das Highlight sind aber die vom Piano begleiteten Tangostücke von Julieta Laso, deren fantastische Stimme außerhalb Argentiniens noch weitgehend unbekannt ist. Das könnte sich nach diesem Film ändern. Auch die Kameraarbeit von Mauricio Asial, die den Rhythmus der Performances gekonnt untermalt, trägt ihren Teil zum Gelingen des Films bei. So bleibt nach viel zu kurzen 37 Minuten nur ein – allerdings schwerwiegender – Kritikpunkt: Dieser Jam-Session fehlt die Zugabe! Gerne hätte man noch viel mehr über die Künstler*innen erfahren und ihnen mit Vergnügen noch mindestens eine Stunde beim Musikmachen, Feiern und Philosophieren zugesehen. Director‘s Cut nachlegen, bitte!

Lorena Carpanchay in Terminal Norte, Berlinale 2022 (Foto: © Rei Cine SRL)

Trap-Sängerin B Yami in Terminal Norte, Berlinale 2022 (Foto: © Rei Cine SRL)

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