Dieses Jahr war im Pride-Month eine Veränderung spürbar: Im Gegensatz zu Vorjahren verzichteten viele Marken offen auf Pride-Kampagnen. Dass Großunternehmen wie Google, Meta oder McDonalds ihre Diversitätsprogramme und -gelder streichen, nachdem die Trump-Regierung allen DEI-Strukturen (Diversity, Equity and Inclusion) den Kampf angesagt hat, ist nicht verwunderlich. Doch auch die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat entschieden, die Regenbogenflagge auf dem Reichstagsgebäude künftig nicht mehr zum Berliner CSD zu hissen. Brandgefährlich im Kontext der Offenheit, mit der rechtes Gedankengut wieder ausgelebt wird.
Kampagnen um die Latinidad fangen dagegen gerade erst an. „Latine“ zu sein ist inzwischen nicht mehr nur mit einem negativen Stigma von „Unterentwicklung“ verbunden, sondern wird romantisiert – als exotisch, begehrenswert. Eine Marketing-Rhetorik, die westlichen Marken erlaubt, sich mit einem Anstrich von Inklusion zu schmücken. Dies geschieht zum Beispiel immer wieder, wenn sich der globale Fokus kurzzeitig auf den Amazonas richtet. Marken wie Zara, Anthropologie und Patowl nutzen die mediale Aufmerksamkeit, um traditionelle amazonische Muster zu verwenden – ohne Zustimmung oder Entlohnung von Indigenen Gemeinschaften. Sie eignen sich einmal mehr das „Exotische“ an.
Dieses Jahr ist klar geworden: Wenn sich Symbole der queeren Bewegung nicht mehr gut vermarkten lassen, ziehen sich die Unternehmen zurück – und mit der Latinidad wird es nicht anders sein. Sobald sie nicht mehr als exotisch und schön gilt, wird sie fallen gelassen wie all die anderen Bewegungen, die dem Markt nicht mehr nützen. Während die Rechte der LGBTQ+-Community zurückgedrängt werden und konservative Diskurse weltweit an Stärke gewinnen, schweigen die Unternehmen.
Bisher schienen marginalisierte Gruppen in ihren Kämpfen voranzukommen, weil sie plötzlich auf allen Bildschirmen und in der Werbung auftauchten – aber diese Form der Sichtbarkeit ist nicht mit echter Inklusion oder Unterstützung gleichzusetzen. Sie führt lediglich dazu, dass komplexe Identitäten ihren politischen Kern verlieren. Das Oberflächliche wird gefeiert, das Unbequeme verschwiegen.
Ein wesentlicher Teil der Kämpfe besteht nämlich im anstrengenden Beharren auf existenzielle Rechte, wenn diese zum Beispiel von Regierungen nicht geschützt werden. So müssen sich Indigene Gemeinschaften weiterhin gegen Extraktivismus im peruanischen Regenwald wehren, weil es sonst niemand tut (siehe Seite 28) und auf institutioneller Ebene werden in Peru Kämpfe gegen transfeindliche Politik lauter (siehe Seite 32). Auch in künstlerischen Formen lohnt sich die Auseinandersetzung mit komplexen Themen wie Femiziden, so dass die Menschen und Persönlichkeiten, um die es in diesen Kämpfen geht, in den Vordergrund der Debatten rücken (siehe Seite 50).
Eines darf aber nicht vergessen werden: Weder die queere noch die lateinamerikanische Erfahrung ist homogen. Ihre Kommerzialisierung löscht die Intersektionalität aus, die ihre Realität prägt. Hinter einer bunten Flagge oder einem Karol-G-Song – wie LATINA FOREVA, der als Versuch verstanden werden kann, die Identität der lateinamerikanischen Frau global zu repräsentieren – verbergen sich zutiefst unterschiedliche Geschichten, geprägt von Herkunft, Klasse, Rassifizierung, Geschlecht und Sprache. Doch welche Art von Latinidad wird da gefeiert? Wo bleiben die Afro-Latinidad, die Indigene Latinidad, das queere Landleben?
Diesen marginalisierten Kämpfen einen Sinn zurückzugeben, bedeutet, ihre Komplexität anzuerkennen. Es bedeutet auch, sich gegen ihre Ästhetisierung und performative Vermarktung zu stellen und beides entschieden abzulehnen.




















