
Der kilometerlange Zug in Lila wird begleitet von Straßenverkäufer*innen, Presse, und einigen wenigen Zuschauer*innen. Dabei kommt die Demonstration fast ohne Polizeibegleitung aus. Laut dem Sender N+ setzt die Polizeiverwaltung von Mexiko-Stadt (Secretaría de Seguridad Ciudadana) in diesem Jahr 800 ausschließlich weibliche Polizeibeamtinnen ein, die einigen Abstand zur Demonstration halten. Die Strategie scheint aufzugehen. Die Demonstration bleibt weitgehend friedlich. „Friedlicher als in den letzten Jahren“, berichtet eine Teilnehmerin. Nachdem es in der Vergangenheit Zusammenstöße und körperliche und sexualisierte Gewalt durch die Beamt*innen gab, hat sich die Stadtverwaltung in diesem Jahr entschieden, drastisch weniger Polizei einzusetzen. Während es in Berlin und anderen Städten zu massiver Polizeigewalt und Fällen von sexueller Belästigung kommt, verzeichnet die mexikanische Presse für den 8. März 2025 so gut wie keine gewalttätigen Übergriffe. In diesem Jahr wirkt die Demonstration mit ausdauernden Gesängen und einem hohen Tempo stattdessen vor allem ansteckend euphorisch. Einige angestaute Wut und Frustration sind dennoch zu spüren. Der Palacio de Bellas Artes und die Regierungsgebäude sind vorsorglich mit Metallzäunen abgeriegelt worden. Die Gesänge wiederholen Slogans, die das Ende des Patriarchats in Lateinamerika und ein freies und selbstbestimmtes Leben einfordern. „Ich schreie für die, die nicht mehr schreien können“ steht auf einem Schild. Femizide und sexualisierte Gewalt Die Demonstrierenden zünden Rauchkerzen, schlagen Schaufensterscheiben ein und schreiben Anklagen auf die von der Polizei installierten, meterhohen Blechaufsteller. Noch Tage später ist für jede*n sichtbar, welchen Weg die Demonstration genommen hat und was sie fordert: Ein Ende der Gewalt gegen Frauen ist das zentrale Protestthema. Unzählige persönliche Geschichten zeigen, wie sehr alltägliche sexualisierte Gewalt und geschlechtsspezifische Diskriminierung die Teilnehmenden betreffen.

Besondere Aufmerksamkeit galt in diesem Jahr der sexualisierten Gewalt gegenüber Minderjährigen. Ein drängendes Thema, da Mexiko 2024 die weltweit höchste Zahl an Fällen verzeichnete. Das Land ist außerdem einer der größten Produktionsorte für Kinderpornographie, bei steigender Tendenz. 60 Prozent des weltweit produzierten Materials stammen laut Schätzungen des Nachrichtendienstes efeminista aus Mexiko, vor allem aus der Stadt Ciudad Juarez.
Präsidentin Claudia Sheinbaum hat für ihre Amtszeit die „Zeit der Frauen“ ausgerufen, doch bisher konnte sie dieses Versprechen noch nicht einlösen. Allein im Jahr 2024 registrierte Mexiko 839 Femizide, der Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Die Frauen, die zu der Demonstration gekommen sind, wissen, dass sie nicht allein mit ihren Gewalterfahrungen sind. Viele haben Plakate mit Bildern von Täter*innen mitgebracht. Auf einem der Schilder ist zu lesen: „Dass wir alle eine Geschichte sexueller Gewalt haben, sollte nicht normal sein.“ Die Geschichten, von denen später viele in der nationalen Presse weitererzählt werden, sind schockierend und bei der hohen Zahl an jungen Teilnehmenden sehr bedrückend. Etwa die Geschichte der 24-Jährigen Maria Fernanda, die 2023 in Berlin verschwunden ist. Maria Fernandas Mutter hat sich der Demonstration angeschlossen. Sie fordert in einem Interview mit dem Sender N24 die Aufklärung des Todes ihrer Tochter Maffy. Bis heute ist nicht zweifelsfrei geklärt, unter welchen Umständen sie in Deutschland ums Leben gekommen ist. Eine Masse von Demonstrierenden zieht noch den ganzen Nachmittag durch das Zentrum – der Strom von Frauen und Queers ebbt auch nach 8 Stunden nicht ab. Die Feministin Lara Cabrera spricht vom größten Umzug in der Geschichte des Landes. Gegen 21 Uhr wird die Veranstaltung mit Lagerfeuern auf dem Zócalo, dem zentralen Platz von Mexiko-Stadt, beendet. Die Teilnehmenden verlassen das Zentrum in alle Richtungen, um bis in die Nacht weiter zu feiern. Sheinbaum bleibt der Demo fern Claudia Sheinbaum, die erste Präsidentin Mexikos, war derweil nicht auf der Demonstration anzutreffen. Sie hatte für den Tag einen Empfang im Nationalpalast organisiert. In einer mehrstündigen Zeremonie empfing sie u.a. ein Reinigungsritual von Indigenen Aktivist*innen.
„Jede Frau in Mexiko, vom kleinen Mädchen bis zur Erwachsenen, ist Präsidentin der Vereinigten Mexikanischen Staaten“, sagte Sheinbaum. Zum 8. März legte sie einen Aktionsplan mit 10 Punkten vor. Dieser sieht einige konkrete Reformen vor, wie die Zuzahlung zu Frauenrenten und den Bau von neuen Mutter-Kind-Zentren. Auch symbolische Maßnahmen sind darin enthalten, z.B. die Einrichtung von 24 Gedenktagen für Frauen der Geschichte Mexikos, den Bau eines Salons zur nationalen Geschichte der Frauen oder das Versprechen, Indigene und Afro-mexikanische Frauen in ihre Regierung einzubeziehen.
„Alle Frauen haben die Präsidentschaft der Republik erreicht,“ so Sheinbaum. Auf der Demonstration im Zentrum war man sich dessen nicht so sicher: „Sheinbaum, du bist keine Feministin“, ist auf einem Schaufenster zu lesen.