Als Rebeca eines Tages unerwartet von ihrer Großtante Peggy angerufen wird, die sie bittet ihre Asche in den Ruinen einer längst verlassenen Salpetersiedlung zu verstreuen, öffnet sich ein Fenster in eine andere Zeit: Zwischen knappen Kapiteln, die immer wieder zwischen Gegenwart und Vergangenheit springen, entfaltet sich die Geschichte einer Siedlerfamilie im Chile von vor 100 Jahren. Dazu kommen Peggys regelmäßige Briefe an eine verlorene, doch sehr vermisste Kindheitsfreundin.
Durch Rebecas Augen lernen wir ihre Großtante kennen. Peggy, auf deren Besuch sie früher jedes Jahr wartete; Peggy, die so unabhängig und einsam ist; Peggy, die immer wieder zu den gleichen Erinnerungen zurückkehrt. Durch Peggys Briefe wiederum wird ein verschwommenes Bild der Salpeterindustrie der 1920er Jahre in der Pampa der Atacamawüste gezeichnet. Als Tochter eines Verwalters der Oficina Aurora erlebt Peggy eine glänzende, scheinbar glückliche Kindheit, die von Silberbesteck, Pariser Modezeitschriften und Fahrten nach Iquique geprägt ist, aber auch vom Zerfall der Oficina, dem Bankrott der Familie bis zur unvermeidlichen Rückkehr nach England.
Obwohl Identitätsfragen der jungen Siedlergeneration oder Machtdifferenzen zwischen chilenischen Arbeiter*innen und englischen Verwaltern angeschnitten werden, bleibt die Perspektive ganz und gar bei Peggy, die die Oficina bis zum Ende hin romantisiert. Auf kritische Nachfragen von Rebeca reagiert sie mit Trotz und der gleichen Hartnäckigkeit, mit der sie durchs Leben geht.
Trotz detailreich ausgeschmückter Erinnerungen und intimster Gedanken schwebt über der Familie ein großes Schweigen, das mal bewusst, mal unbewusst scheint. So wird die Stille zwischen Rebeca und ihrem Vater zwar mit der Zeit durchbrochen, doch die unsichtbare Wand, die zwischen ihnen steht, wandert mit.
Carolina Brown schreibt, als würde sie ihre eigene Familiengeschichte erzählen, malt die Charaktere in all ihren Fehlern und Eigenartigkeiten, legt ihnen Fragen in den Mund, auf die sie selbst die Antwort nicht zu wissen scheint. Telefonate und vertraute Gespräche zwischen Personen, die meinen, sich zu kennen, tragen die Authentizität einer undurchsichtigen, durchbrochenen Familie.
Während sich die Handlung anfangs langsam, fast unbemerkt aufbaut, abgelenkt von so viel Vergangenheit, geht am Ende alles sehr schnell und kommt doch nur auf den ersten Blick zu einem Punkt. Innere Konflikte bleiben, Fragen werden nicht klarer, sondern scheinen immer mehr zu verschwimmen. Vielleicht wird gerade hier aufgezeigt, wie Erinnerung auch mit dem Vergessen Hand in Hand geht und wie wenig Kontrolle wir doch über die Wahrheiten unseres Lebens haben. Aber so wie Briefe an Personen geschrieben werden, die nicht mehr da sind, müssen auch Erinnerungen die Sehnsüchte nach verlorenen Orten und Zeiten halten.