Die Verfassungskrise verschärft sich

Die alte Verfassung kann weg Aber wird der neue Entwurf besser als Pinochets Verfassung? (Foto: simenon simenon via wikimedia commons , CC BY-SA 2.0)

Bloß keine Experimente – so ließe sich der Entwurf der sogenannten Expert*innenkommission für eine neue Verfassung für Chile vielleicht am besten beschreiben. Denn es ist ein schlichtes Dokument mit 134 Seiten, das die 24 vom Parlament ernannten „Expert*innen“ Anfang Juni nach dreimonatiger Arbeit vorgelegt haben. In 14 Kapiteln samt Übergangsregelungen werden grundlegende Themen wie Rechtsstaat, politisches System und Justizsystem abgehandelt.

Neben der Definition Chiles als „sozialer und demokratischer Rechtsstaat“ wird im Entwurf eine Sammlung sozialer Rechte festgeschrieben. So etwa das Recht auf Gesundheit, Bildung, angemessene Arbeit, Freiheit der Gewerkschaften, soziale Absicherung, angemessene Wohnung, Wasser und Eigentum. Die Wahrung und Förderung dieser Rechte soll jedoch durch „staatliche und private Institutionen“ sichergestellt werden – eine Formulierung, die aktuelle neoliberale Strukturen wie etwa die privatisierte Gesundheits- und Rentenversorgung auch in der neuen Verfassung absichern könnte.

Was im Entwurf nicht vorkommt, sind Worte wie Plurinationalität, reservierte Sitze für Indigene im Parlament, Geschlechterparität in politischen Institutionen oder die Rechte der Natur. Stattdessen endet der Entwurf mit einem nüchternen Kapitel über Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Entwicklung mit der Betonung darauf, dass Umweltschutz immer mit Rücksicht auf nationalen Fortschritt und Entwicklung stattfinden müsse. Als besonders fortschrittlich lässt sich dieser Entwurf, vor allem im Vergleich zum im September abgelehnten Verfassungstext, also nicht beschreiben. Tatsächlich blieben manche Inhalte aus der aktuell gültigen Verfassung von 1980 einfach erhalten, wie das Observatorio Ciudadano, eine Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Fokus auf indigene Rechte, in einer Erklärung feststellt: Der Entwurf zeige aus Menschenrechtsperspektive ebenso wie Pinochets Verfassung „ernste Defizite“, heißt es dort.

Das Menschenrecht auf Wasser wird nicht festgeschrieben, das Recht auf Wassernutzung dagegen sehr wohl

Ein Beispiel dafür, dass der neue Verfassungsentwurf nicht mit dem neoliberalen System bricht, ist das Thema Wasser, wie Manuela Royo gegenüber LN erläutert. Sie ist Anwältin und saß 2021 und 2022 für die Wasser- und Umweltbewegung MODATIMA im Verfassungskonvent. Bei einem ersten Blick auf den Entwurf ließe sich annehmen, dass die Expert*innenkommission das Wasser erhalten und schützen wolle. „Besonderes Augenmerk wird auf die Sicherstellung des Menschenrechts auf Wasser für heutige und zukünftige Generationen gelegt, ebenso auf seine Verfasstheit als ‚nationales Gut öffentlicher Nutzung‘. Bei einer tieferen Analyse treten jedoch Widersprüchlichkeiten auf“, erklärt Royo. Erstens werde das Menschenrecht auf Wasser nicht als solches festgeschrieben, Wassernutzungsrechte aber als grundlegende Rechte aufgefasst. „Dieses Verständnis kann dazu führen, dass die Wahrung des Rechts auf Wasser mit der Wahrung des Rechts auf Wassernutzung kollidiert, so wie wir es schon heute bei hunderten Rechtsstreitigkeiten erleben.“ Ebenso fehle es an Ansätzen zum Umgang mit der Wasserknappheit in weiten Regionen des Landes. Ihre Bewegung MODATIMA komme daher zu dem Fazit, „dass der Vorschlag einen Rückschritt bedeutet und dem Schutz des Menschenrechts auf Wasser zuwiderläuft“, so Royo.

Die ultrarechte Republikanische Partei hat ein Vetorecht im Verfassungsrat

Doch nicht nur inhaltlich, auch auf organisatorischer Ebene kritisiert die Anwältin den Verlauf des neuen Verfassungsprozesses. Indem Kandidat*innen bei den Wahlen für den Verfassungsrat am 7. Mai dieses Jahres nur auf Parteilisten kandidieren konnten, seien die sozialen Bewegungen „absichtlich ausgeschlossen“ worden. „Unserer Meinung nach war das eine sehr undemokratische Entscheidung“, sagt sie. Dass die etablierten Parteien großen Einfluss auf den Verfassungsprozess haben und nun wieder „Politik von oben“ gemacht werde, sei besorgniserregend: „Das verschärft eine politische Krise, die unter anderem zum Aufstieg der Ultrarechten geführt hat, wie wir sie in der Zusammensetzung des aktuellen Verfassungsrats beobachten können“, meint Royo. Tatsächlich haben rechte Parteien im Verfassungsrat, der nun über den Entwurf der Expert*innenkommission berät, eine deutliche Mehrheit. Allein die ultrarechte Republikanische Partei unter José Antonio Kast kommt mit 22 Delegierten auf über zwei Fünftel der 50 Sitze und hat damit ein Vetorecht. Drei Fünftel der Stimmen sind notwendig, um die Verfassungsnormen der Expert*innenkommission anzunehmen, zu ändern, abzulehnen oder zu ergänzen. Die Partei stellt mit Beatriz Hevia, die schon mehrmals wegen relativierender Aussagen über die Pinochet-Diktatur auffiel, außerdem die Präsidentin des Verfassungsrats.

Die vier thematischen Kommissionen des Rats haben inzwischen ihre Arbeit am Verfassungsvorschlag aufgenommen, alle unter Vorsitz von Politiker*innen der rechten Opposition. In der Kommission „Politisches System“ gehört es zu den Vorhaben der Vertreter*innen der Republikanischen Partei, dem chilenischen Militär ein eigenes Kapitel und damit höheren Verfassungsrang zu verschaffen. Zu den Inhalten der Kommission „Rechtssystem“ gibt es im Verfassungsvorschlag der Expert*innen am wenigsten Änderungen gegenüber der aktuell gültigen Verfassung. Wichtiger sind dagegen die Kommissionen zu Verfassungsprinzipien und zu sozialen Rechten, darunter Gesundheit, Renten und Sozialversicherung. Da der Vorschlag der Expert*innen nur wenige Absätze zu letzteren enthält, werden diese Themen im Verfassungsrat am längsten diskutiert werden.

In der Bevölkerung trifft der laufende Verfassungsprozess bislang vor allem auf Desinteresse und Ablehnung. So veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Cadem am 9. Juli eine Umfrage, laut der eine Mehrheit von 55 Prozent der Befragten die neue Verfassung ablehnen würde. In einer Umfrage von Pulso Ciudadano von Ende Juni gaben über zwei Drittel der Befragten an, sich gar nicht, wenig oder nur halb für den Prozess zu interessieren. Die Gründe für dieses Desinteresse sieht Manuela Royo „in der Glaubwürdigkeitskrise der traditionellen Politik.“ Außerdem fehle es der Regierung an Rückhalt an der Basis der Gesellschaft. Das Desinteresse am Verfassungsprozess überrascht nicht, ist dieser doch „weit davon entfernt, repräsentativ zu sein“, wie das Observatorio Ciudadano bemängelt − „insbesondere wegen der Einschränkung des Rechts auf Partizipation in den verfassunggebenden Organen. Das erschwert die Inklusion der unterschiedlichen Gemeinschaften, Völker und Bereiche, die zum Land gehören.“

Allein die Kräfteverteilung im Verfassungsrat lässt Böses erwarten

Als eine der zentralen Möglichkeiten zur Teilhabe der Bürger*innen am verfassunggebenden Prozess ist Anfang Juli die Unterschriftensammlung für sogenannte Volksinitiativen für Verfassungsnormen (inicativas populares de norma) zu Ende gegangen. Eingereicht haben diese jedoch zum größten Teil Männer, Menschen im Alter zwischen 45 und 55 Jahren und aus der Metropolregion Santiago. 31 Initiativen haben die 10.000 Unterschriften erreicht, die es braucht, damit der jeweilige Vorschlag im Verfassungsrat diskutiert wird. Dazu gehören mehrere Entwürfe zum Thema Renten und Sozialversicherung, eine Initiative sogenannter Lebensschützer*innen gegen das Recht auf Abtreibung, feministische Initiativen für das Recht auf Sorge, sexuelle und reproduktive Rechte sowie – mit den meisten Unterschriften – eine Initiative zum Schutz von Haustieren. Auch ein Vorschlag von MODATIMA zur Festschreibung des Rechts auf Wasser und Definition des Wassers als natürliches Gemeinschaftsgut gehört zu den prominentesten Initiativen. „Als Bewegung haben wir entschieden, dass wir keinen Vorschlag, der die Privatisierung und Ausbeutung des Wassers erhalten würde, still hinnehmen können“, begründet Manuela Royo. Hoffnungen mache man sich aber nicht: „Auch wenn wir wissen, dass unser Vorschlag höchstwahrscheinlich abgelehnt wird, müssen wir weiterhin überall Einfluss nehmen.“

So haben sich manche soziale Bewegungen dafür entschieden, sich über die Volksinitiativen am verfassunggebenden Prozess zu beteiligen, andere nicht. Laut dem Verfassungsdelegierten Fernando Viveros, der für die Kommunistische Partei (PC) im Verfassungsrat sitzt, sei jedoch gerade diese Partizipationsphase entscheidend. Die Volksinitiativen seien „die einzige Möglichkeit, die wir heute haben, um die Themen auf die Tagesordnung zu bringen – selbst, wenn sie abgelehnt werden können. Es geht darum, dem Land eine gesellschaftliche Diskussion ermöglichen zu können“, so Viveros im Onlineportal Emol. Würde diese Beteiligung fehlen, sieht er große Risiken: „Das ist ein Text, den wir verbessern können. Aber wenn die Rechten, die Republikaner, ihn in die Hände bekommen und die gesellschaftliche Ungleichheit weiter vertiefen, ist ein positiver Ausgang dieses Verfassungsrates in Gefahr.“

Allein die Kräfteverteilung im Verfassungsrat lässt Böses erwarten. So wird der Verfassungstext, der hier bis Anfang November entsteht, höchstens in Ansätzen fortschrittlicher werden als Pinochets Verfassung – oder aber schlimmer. Nicht erst beim Plebiszit am 17. Dezember, sondern bereits jetzt stellt sich daher vielen Chilen*innen die Frage, ob man für diese Verfassung stimmen und sie damit demokratisch legitimieren sollte. Aktuellen Umfragen zufolge würde sich eine Mehrheit dagegen entscheiden. Es wäre eine indirekte Wahl dafür, die Verfassung aus Diktaturzeiten weiterhin zu erhalten. Diese Entscheidung könnte der Glaubwürdigkeit der politischen Institutionen weiter schaden.

Gesamtgesellschaftlich nimmt statt der Verfassungsdebatte das Thema Sicherheit weiterhin großen Raum ein. Außerdem hat das Näherkommen des Jahrestags des Putsches gegen Allende eine öffentliche Debatte um Erinnerungspolitik und den Umgang mit den Verbrechen der Militärdiktatur entfacht. Mit den Verfassungsdelegierten der Republikanischen Partei haben Fans der Diktatur den Stift für den neuen Verfassungstext in der Hand – weitgehend ungestört und ausgerechnet 50 Jahre nach Pinochets blutigem Putsch.

Desde arriba

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(Foto: René Lescornez/Dip. via Flickr , CC BY-NC-ND 2.0)

“Mirar el proceso actual es bastante decepcionante”, dice Lucio Cuenca. Él es un reconocido socio ambientalista y fue asesor ad honoren de Camila Zárate, convencionalista electa al constituyente de 2020 por el Movimiento por las aguas y los territorios (MAT Chile). Cuenca dice que es un proceso que fue cooptado por el sistema político: “El sistema político chileno es parte del problema, es parte de la crisis que estamos viviendo, por lo tanto, el apropiarse e instalar este proceso, tiene en su ADN una cuestión no resuelta, que es sobretodo de legitimidad”. Sobre todo, critica la fuerte recaída en lo institucional. Esto ha llevado a los partidos conservadores, de derecha, pero también a los de la antigua Concertación (centroizquierda), que gobernó el país ininterrumpidamente entre 1990 y 2010, a adoptar el resultado del plebiscito del 4 de septiembre y a establecer ahora un proceso estrictamente limitado.

Los tres órganos del nuevo proceso constituyente tendrán una conformación paritaria. Lo más cuestionado por los sectores de la sociedad civil y movimientos sociales es la Comisión Experta que, con 24 integrantes, será elegida por los partidos con representación en el congreso, es decir, será proporcional a la cantidad de diputados por partido, lo que en Chile se denomina “cuoteo político” o repartición de cargos, sin elección popular, ni concurso público. “Es un eufemismo esto de los expertos, porque finalmente no hay expertos que sean inocuos, son expertos que representan posiciones políticas o corrientes políticas determinadas y a través de ellos, se van a plasmar en la redacción de la nueva constitución”, constata Cuenca. Por lo tanto, el proyecto de la nueva Constitución estará dominado por la opinión del Parlamento actual, pero no por la opinión del pueblo de Chile.

A finales de  enero, el Senado y la Cámara de Representantes  propuso 12 expertos cada uno para la comisión. La Comisión Experta, con representación paritaria, se reunirá por primera vez el 6 de marzo. Su tarea consiste en elaborar un primer borrador de la nueva Constitución, que luego se entregará al Consejo Constitucional, y será elegido en las elecciones fijadas para el domingo 7 de mayo de 2023. El Consejo Constitucional estará integrado por 50 personas, con carácter paritario y con representación supernumeraria de representantes de pueblos indígenas. La ley aprobada por el Congreso Nacional chileno y publicada en el Diario Oficial dice: “El Consejo Constitucional es un órgano que tiene por único objeto discutir y aprobar una propuesta de texto de nueva Constitución”. Lo que significa, que discutirán el anteproyecto producido por la Comisión Experta, en otras palabras, un texto que por su génesis (nace de un órgano acordado por Ley), pondrá los límites de la discusión.

La Comisión Experta, no tiene derecho al voto en el Consejo Constitucional, pero claramente influirá en la discusión que se lleguen a suceder cuando el Consejo Constitucional sesione, puesto que será de su autoría el anteproyecto constitucional. “Adicionalmente, está el otro Comité de Admisibilidad, que va a hacer integrado por 14 abogados, también nombrados por el parlamento, y que finalmente será una especie de contraloría que va a determinar si los artículos que apruebe el consejo elegido (Consejo Constitucional), están o no, dentro del marco de los 12 puntos o principios acordados como límites para la nueva constitución”. Estos límites tienen de base los 12 principios que la Ley considera base en  la nueva carta fundamental, estableciendo, entre otros, que Chile es un Estado unitario, social y de derecho, donde también se consagra los tres poderes autónomos del Estado: Poder Judicial, Legislativo y Ejecutivo. Así, el  concepto de un país plurinacional, con un sistema judicial que se democratiza en su estructura, considerando entre otros elementos, una justicia que dé cuenta  a los pueblos originarios y a su cultura, queda excluido.

Para Lucio Cuenca y otros, los aspectos más críticos de este nuevo proceso, que busca superar la constitución pinochetista, se centra en estos límites establecidos. En su opinión, establecen la mantención de puntos críticos, que reproducen los pilares de la constitución del 80, para esta nueva constitución. Según él, eso es estratégico, “porque aceptar ese nivel de límites, es prácticamente cercenar la posibilidad de tener una constitución efectivamente democrática”.

Muchos de los principios de la anterior propuesta, discutidos democráticamente en la Convención Constituyente, no estarán presentes en la discusión. Por eso también es que la percepción que Cuenca tiene del proceso constitucional fallido es que fue quizá el más democrático que ha tenido Chile en estos procesos de construcción de una nueva constitución. Él evalúa que en el actual momento político se está con menos posibilidad de incidir desde el mundo social y la movilización social. Rescata sí, que las propuestas específicas del mundo socio ambiental, tuvieron importante presencia en el texto propuesto por la Convención Constitucional anterior (2021-2022). Particularmente, de 388 artículos 74 hacían mención a  “temas de la naturaleza y distinta institucionalidad y estaba instalado el tema ecológico desde el artículo Nº 1, cuando se define el carácter del Estado. Para nosotros, lo que se logró en la Convención Constitucional es de alto valor porque allí concurren distintas visiones del mundo socioambiental”.

La derrota sufrida del   ‘Apruebo’ el 4 de septiembre de 2022, ha tenido costos importantes en la legitimidad que puedan adquirir ciertos conceptos y principios que hablaban de un país más democrático, de la política y culturalmente. Poco de esto se reflejará en el nuevo proyecto de Constitución.

Se ha fijado un calendario preciso para el nuevo proceso constitucional: El Consejo Constitucional a partir del 7 de junio tiene un plazo de cinco meses para presentar una nueva propuesta constitucional. El plebiscito de apruebo o rechazo al nuevo texto se realizará el domingo 17 de diciembre de 2023, entonces es una vez más Apruebo (Sí) o Rechazo (No) a la nueva constitución. 

El signo de este acuerdo, expresa que Chile vuelve a los cauces netamente institucionales, donde es prerrogativa de los consejeros trabajar sobre un anteproyecto propuesto por una comisión de expertos nombrada a dedo. En este sentido, en nada se asemeja al proceso que, producto del estallido social, presenciamos desde el año 2019 en adelante. Se vuelve a la democracia “de las alturas”, dejando a la ciudadanía y los movimientos sociales como meros espectadores. 

Lo más grave está en la generación de los Consejeros: quienes quieran proponerse para candidatos/as a consejeros/as constitucionales, deben pertenecer a un partido legalmente inscrito y donde no se admiten candidaturas de independientes o representantes de movimientos sociales. Las elecciones de estos Consejeros, está dado por la norma que elige habitualmente a los senadores, donde el criterio de proporcionalidad propio de las elecciones de diputados/as, no se consideró: Ocurrirá, por ejemplo, que en la zona de la Araucanía, donde el conflicto entre mapuches, el Estado y las empresas forestales está en pleno desarrollo, se elegirán 5 consejeros, igual número que la Región Metropolitana, donde viven 8 millones de personas respecto del casi 1 millón de la Araucanía. Ninguna forma proporcional concurrirá en esa elección, más bien es retornar a las formas del antiguo sistema binominal, que estructuró las elecciones hasta 2013, lo que en la práctica a reponer las formas de alianzas, sobre la cuenta matemática de  quien concentre más votos tendrán mayor opción de elegir consejeros, perdiéndose los criterios de pluralismo y diversidad, donde candidatos con porcentajes menores, pueden optar a un sillón.

Si bien, los que “redacten” la constitución van a ser consejeros cien por ciento electos, la realidad de las cosas es que este consejo constitucional, es una entidad mixta que los chilenos rechazaron en el plebiscito de 2020. “El voto en ese momento fue un voto en contra de la participación del parlamento en el proceso,” dice Cuenca. 

Cabe señalar que la totalidad de los partidos con representación parlamentaria acordaron esta nueva modalidad para superar la constitución heredada de Pinochet. Con la excepción del Partido Republicano, asociado a la extrema derecha y el Partido de la Gente, nuevo conglomerado que se ubica en la centro-derecha populista.Los partidos impulsores del “Acuerdo por Chile” pretenden poner fin al legado de Pinochet con la nueva Constitución. Que esto vaya a tener éxito y que la nueva Constitución haga que Chile sea finalmente más democrático y más justo es algo que se pone en duda, especialmente en los círculos cercanos al movimiento. El “Acuerdo por Chile” es un acuerdo diseñado para que el parlamento redacte la nueva constitución. Y eso nos deja en una situación de mucha precariedad, desde el punto de vista del ejercicio de la soberanía de los pueblos. Es decepcionante las características del modelo y de los actores que ahora están tomando decisiones en este proceso”, concluye Lucio Cuenca.

MACHTWECHSEL OHNE RICHTUNGSWECHSEL

Wahlkämpfer der PRD im indigenen Autonomiegebiet Guna Yala (Foto: Alexis Alvarado)

Die Opposition gewinnt immer. Diese Faustregel der panamaischen Politik hat sich ein weiteres Mal bestätigt. Nach Auszählung von 94 Prozent der Stimmen (bis Redaktionsschluss) hat Laurentino ‘Nito’ Cortizo von der Revolutionären Demokratischen Partei (PRD) die Präsidentschaftswahl am 5. April mit 33,5 Prozent gewonnen. Der zweitplatzierte Rómulo Roux vom Demokratischen Wandel (CD) kam auf 31 Prozent. Eine Stichwahl gibt es in Panama nicht. Bei der gleichzeitigen Parlamentswahl gewann das Wahlbündnis der PRD 30 von 71 Sitzen, Cortizo wird also auf die Zusammenarbeit mit anderen Parteien angewiesen sein.

Seit Ende der Militärdiktatur (1968 – 1989) hat es keine Partei geschafft, mehr als eine Legislaturperiode am Stück zu regieren. Nach den Regierungen Ricardo Martinellis (CD) von 2009 bis 2014 und, seitdem, Juan Carlos Varelas von der Panameñista-Partei (PPA) war daher von vielen erwartet worden, dass nun die PRD als dritte große politische Kraft wieder an der Reihe ist. Nach zehn Jahren fern der Macht ist es nun so gekommen.

„Es gibt einen Mangel an Repräsentation, zu viel Konsens und keine ideologische Vielfalt”

Trotzdem ist diese Wahl besonders, was damit zu tun hat, dass seit der letzten Wahl gleich mehrere Skandale das Land erschütterten. Es begann 2016 mit den Panama Papers, die Panamas Rolle als Dienstleister für Steuer- und Geldwäschedelikte weltweite Aufmerksamkeit bescherte. Dann ging es weiter: Im Rahmen des Odebrecht-Skandals kam heraus, dass die brasilianische Baufirma auch in Panama insgesamt rund 60 Millionen Dollar Schmiergelder gezahlt hatte, sie war zuletzt prominent am Ausbau des Flughafens sowie der U-Bahn von Panama-Stadt beteiligt. Expräsident Martinelli sitzt wegen Korruption und illegaler Bespitzelung politischer Gegner*innen während seiner Amtszeit in Haft. Parlamentsabgeordnete hatten reihenweise und in großem Umfang Familienangehörige mit Arbeitsverträgen versorgt oder Steuergelder gezielt verschenkt. Dazu kommen langfristige Missstände: Viele Mitglieder*innen der öffentlichen Verwaltung gelten als botellas, „Flaschen”, die ohne Qualifikation aufgrund politischer Gefälligkeiten an ihr Amt gekommen sind. Das oberste Gericht wird als abhängig wahrgenommen, da die Präsident*innen abwechselnd vier oder fünf der neun Richter*innen am obersten Gerichtshof vorschlagen. Das alles hat das Vertrauen der Bevölkerung in alle drei Gewalten des Staates erschüttert: Laut der Umfrage „Latinobarómetro“ denken 83% der Bevölkerung, dass das Land von einigen Gruppen zu ihrem eigenen Vorteil regiert wird. Entsprechend groß ist die Wut auf die politische Klasse.

Da die Verfassung eine Wiederwahl von Präsident*innen nicht erlaubt, richtete sich diese Wut vor allem auf die gleichzeitig zu wählenden Parlamentsabgeordneten. Artikuliert wurde sie durch die Kampagne #NoalaReeleccion und ihrer Forderung, nicht integre Abgeordnete abzuwählen.

In Panama bezeichnet sich heute kaum jemand als links


Ausnahmslos alle sieben Präsidentschaftskandidat*innen – darunter nur eine Frau – sprachen sich angesichts des Unmuts für Änderungen der Verfassung aus, um die Missstände in Zukunft zu verhindern. Dies wollen sie entweder über eine verfassunggebende Versammlung oder – wie Nito Cortizo – über alternative Wege wie Parlamentsbeschlüsse erreichen.

Als weitere Folge spielten parteipolitisch unabhängige Kandidat*innen erstmals eine wichtige Rolle. Gleich drei stellten sich zur Wahl. Der erfolgreichste von ihnen, Ricardo Lombana, bekam immerhin 19,2 Prozent der Stimmen. Er sprach mit einer auf den sozialen Medien aufgebauten Kampagne vor allem die urbane Jugend an und verstand es, aus der Wut Kapital zu schlagen. Möglicherweise gereichte ihm das Fehlen einer Parteimaschinerie zum Nachteil. Von allen Kandidaten hatte er am wenigsten politische Erfahrung und arbeitete kein Wahlprogramm aus, erst spät veröffentlichte er eine Auflistung von Wahlversprechen.

Nito Cortizo dagegen war parallel zu einer Tätigkeit als Unternehmer 10 Jahre lang Abgeordneter für die zentristische Partei Solidarität und wechselte erst 2004 zur PRD. Dank guter Kontakte wurde er dort unter Präsident Martin Torrijos sofort Landwirtschaftsminister. Bereits nach zwei Jahren trat er in dieser Funktion zurück, als er das für Torrijos wichtige Freihandelsabkommen mit den USA mitverhandelte und diese ihre landwirtschaftlichen Exporte nicht den gesetzlichen sanitären Kontrollen unterwerfen wollten. Er erklärte seine Kandidatur bereits vor drei Jahren. Nachdem die PRD in den letzten Jahren zerstritten war, gelang es Cortizo, die Partei wieder zu einen. Trotzdem lud er das Partei-Establishment nicht zu seiner Abschlusskundgebung ein.

Der Zweitplatzierte Rómulo Roux, ehemaliger Außenminister von Ricardo Martinelli, wurde mit dem Erbe seines Mentors in Verbindung gebracht – Wirtschaftswachstum, aber auch Korruption. Seine Partei CD hat nach wie vor den Ruf einer auf Martinelli zugeschnittenen Ein-Personen-Veranstaltung. Kandidat der Regierungspartei PPA war José Blandón, der Bürgermeister der Hauptstadt, in Panama der wichtigste politische Amtsträger nach dem Präsidenten. Er bekam nur 10,5 Prozent der Stimmen, obwohl er versucht hatte, dem Malus der Regierungspartei durch Abgrenzung vom scheidenden Präsidenten Varela zu entgehen. Dieser bemühte sich zwar glaubwürdig im Kampf gegen die Korruption, kümmerte sich aber in den Augen der Bevölkerung nicht genug um die Wirtschaft, die in seiner Amtszeit nicht mehr so stark wuchs wie zuvor. Das brachte ihm den Spottnamen Tortugón (Schildkröte) ein.

Die Kandidat*innen sprachen bei den Fernsehdebatten über verschiedene Punkte wie etwa die mangelhafte Qualität der Schulbildung, die grassierende Medikamentenknappheit, den drohenden Kollaps des Rentensystems oder die Frustration des Agrarsektors über die Konkurrenz durch umfangreiche Lebensmittelimporte. Trotzdem spielten substantielle Kontroversen im kurzen, gemäß neuer Regeln auf zwei Monate beschränkten Wahlkampf eine eher geringe Rolle.

Fehlende inhaltliche Unterscheidbarkeit der Parteien ist charakteristisch für die panamaische Politik. In der Theorie ist die PRD gemäßigt links, die Panameñista-Partei rechts-nationalistisch und der CD irgendwo dazwischen. In der Praxis haben jedoch alle drei Parteien stets die gleiche neoliberale, rechte Politik gemacht – die Privatisierung der meisten Staatsunternehmen in den 1990er Jahren hat etwa die PRD verantwortet.

„Die panamaische Demokratie ist schwach und in der Krise”, sagt dazu der Soziologe und Universitätsdozent Alonso Ramos, „es gibt einen Mangel an Repräsentation, zu viel Konsens und keine ideologische Vielfalt. Auf den Diskurs vom regelmäßigen Machtwechsel wurde nach dem Ende der Diktatur zwar viel Wert gelegt, wirkliche Wechsel gibt es aber nicht. Wichtige, aber heikle Themen wurden im Wahlkampf nicht diskutiert, weil das bedeutet hätte, das neoliberale Modell in Frage zu stellen. Zu diesen Themen gehören die Skandale, letztlich der Zustand unserer Demokratie, außerdem der Klimawandel, dem gegenüber Panama sehr verwundbar ist. Und schließlich die Ungleichheit.”
Panamas Wirtschaft ist in den letzten fünf Jahren im Mittel um 5,6 Prozent gewachsen und hat eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika. Während alle Politiker*innen geloben, die Armut bekämpfen zu wollen, sagen die meisten nichts dazu, dass in Panama die reichsten 10 Prozent mehr als 30-mal so viel Einkommen haben wie die ärmsten 10 Prozent. Nur in einem Dutzend Länder weltweit ist die Ungleichheit noch größer. Könnte das nicht ein Ansatzpunkt für linke Bewegungen und Parteien sein?

„Es wird der Anschein erweckt, alles verändern zu wollen, nur damit sich am Ende nichts ändert.”

Nach der Umfrage „Barométro de las Americas“ bezeichnen sich 29,5 Prozent der Bevölkerung Panamas als politisch links. Es gibt aber lediglich eine linke Partei, die aus der Bauarbeitergewerkschaft Suntracs heraus entstandene Breite Front für die Demokratie (FAD). Ihr Eintreten für einen Sozialstaat und ein progressiveres Steuersystem scheint eine für das neoliberale Panama geradezu radikale Vorstellung zu sein. Denn bereits zum zweiten Mal in Folge droht der 2014 erstmals angetretenen FAD aufgrund des geringen Stimmenanteils die Auflösung (vorgeschrieben bei weniger als 2 Prozent). Zur jetzigen Wahl formierte sich die FAD neu, für ihren Kandidaten Saúl Méndez (siehe LN 415) stimmten aber lediglich 0,7 Prozent der Wähler*innen. Warum hat es die Linke so schwer in Panama?

„Es liegt an der 150-jährigen kolonialen Präsenz der USA in Panama nach dem Bau der Eisenbahn 1850”, versucht sich Alonso Ramos an einer Erklärung. „Das hat einen großen, bestimmenden Einfluss auf die politische Kultur gehabt. Dieses Trauma prägt unsere Gesellschaft bis heute darin, was wir sind und was wir nicht sind. Seit den 1930er Jahren sind alle, die linke Ideen vertreten haben, von der Oligarchie verfolgt worden. Deswegen bezeichnet sich in Panama auch heute noch kaum jemand als links, nicht einmal die FAD.”

Das hat auch Auswirkungen im gesellschaftlichen Bereich: Themen wie Abtreibung oder LGBTIQ*-Rechte kamen im Wahlkampf so gut wie nicht zur Sprache. Als Ricardo Lombana sich hierzu einmal vorsichtig-moderater Weise äußerte, schlug ihm sofort breite Kritik entgegen. Die Wertevorstellungen von katholischer Kirche und Evangelikalen wurden nicht in Frage gestellt. Nito Cortizo und die meisten anderen Kandidat*innen machten frühzeitig klar, dass sie diese teilen.

Liegt die Hoffnung also in neuen politischen Bewegungen? Claudia Cordero, Kommunikations- und Kulturwissenschaftlerin, ist ernüchtert: „Leider gibt es solche Bewegungen im Moment nicht. Viele junge Leute liken im Moment zwar die Kampagne #NoalaReeleccion in den sozialen Medien oder haben deren Aufkleber am Auto und glauben dann, dass sie an einer sozialen Bewegung teilnehmen. Treibende Kraft hinter dieser Kampagne ist aber die Organisation Movin. Sie bemüht sich, den Anschein einer Bürgerbewegung gegen Korruption zu erwecken, tatsächlich stecken dahinter vor allem 15 bis 20 einflussreiche Persönlichkeiten um den Milliardär Stanley Motta. Sie wollen die Abwahl von Abgeordneten herbeiführen, um den Protest zu kanalisieren und das herrschende Modell zu bewahren. Es wird der Anschein erweckt, alles verändern zu wollen, nur damit sich am Ende nichts ändert.”
Die Krise der Demokratie könnte für den neuen Präsidenten einige Herausforderungen bergen. Bei der letzten Fernsehdebatte sagte er: „In diesem Land muss der Präsident sagen, wo es lang geht. So Gott will, wird ab dem 1. Juli also Nito Cortizo in diesem Land das Sagen haben. Ist das klar?”

Einige Wähler*innen mögen das für eine legitime Einstellung in Krisenzeiten gehalten haben. Lässt diese wohl als Drohung gegen korrupte Abgeordnete gedachte, autoritäre Ansage Schlimmes erahnen? Die Panamaer*innen werden es bald erfahren. In fünf Jahren wird dann klar sein, ob die Faustregel der panamaischen Politik ihre Gültigkeit behält und sich wieder alles ändert, damit alles so bleibt, wie es ist.

MIT GOTT UND DEN COLORADOS – ABER NICHT GEGEN DIE USA

„Brasilien ist nichts für Anfänger“ – dies ist ein beliebter Spruch unter Kenner*innen der politischen Kultur des größten lateinamerikanischen Landes. Politiker*innen wechseln zuweilen ihre Partei und Positionen wie andere Leute ihre Unterwäsche, und vertreten absurd anmutende Argumentationen. Doch wenn es um groteske Koalitionen und politische Argumentationen geht, hat das kleine Paraguay noch mehr drauf, als der große Nachbar. Wenn Brasilien nichts für Anfänger ist, dann ist Paraguay nur etwas für Spezialist*innen, wie der aktuelle Streit um einen Verfassungszusatz zeigt, der die Wiederwahl für Präsident*innen ermöglichen soll.

Wiederwahlen von Regierungschef*innen gelten als eine normale Angelegenheit in Demokratien. Doch in Paraguay liegt die Sache anders. Die paraguayische Verfassung von 1992 hatte vor allem ein Ziel: Lange Regierungszeiten, wie die des letzten Diktator des Landes, Alfredo Stroessner, zu verhindern. Dieser hatte für 35 Jahre das Land brutal regiert. Da er die Partei Nationale Republikanische Allianz – Colorados (ANR-Colorados) und das Militär kontrollierte, hatte keine oppositionelle Kraft gegen ihn eine Chance. Gestürzt wurde er schließlich 1989, von Leuten aus den eigenen Reihen: Es war eine Koalition aus dissidenten Colorados und Militärs, die ihn erfolgreich aus dem Amt putschte.

Auch nach Ende der Diktatur behielt die ANR-Colorados de facto die Rolle einer inoffiziellen Staatspartei, mit weitreichendem gesellschaftlichen Einfluss. Doch um zukünftig zu verhindern, dass sich eine einzelne Person dieses Partei- und Staatsapparats auf Dauer bemächtigen könnte, wurde die Amtszeit für einen Präsidenten auf fünf Jahre begrenzt, ohne jede Möglichkeit zur Wiederwahl. Diese Norm wurde von den ersten Staatschefs der demokratischen Transition auch respektiert. Nicanor Duarte Frutos (2003-2008) versuchte als erster Präsident, eine zweite Amtszeit für sich möglich zu machen. Sein Nachfolger, Fernando Lugo, war der erste seit den 1940er Jahren, der auf demokratischem Wege die Herrschaft der Colorados beendete. Doch er beendete seine reguläre Amtszeit nicht, denn das Parlament enthob ihn im Jahr 2012 des Amtes, in einem hochumstrittenen und als „kalten Putsch“ bezeichneten Verfahren. Nun strebt auch er eine Änderung der Verfassung an, um erneut als Präsidentschaftskandidat antreten zu dürfen.

Am weitesten kam allerdings der aktuelle Amtsträger, Horacio Cartes (ANR-Colorados), beim Vorhaben, eine zweite Amtszeit zu erlangen. Dabei nutzte er wenig demokratische Mittel und merkwürdig anmutende Allianzen. Dass Cartes überhaupt den Willen zu einer zweiten Amtszeit zeigte, ist an sich bereits ein Kuriosum: In einem Interview mit CNN-Lateinamerika nach seinem Amtsantritt am 15. August 2013 hatte er diesen Schritt noch kategorisch ausgeschlossen. *Damals sagte er: „Darüber kann ich nicht sprechen, denn die Verfassung verhindert eine zweite Amtszeit, und das sind die Regeln, die ich akzeptiert habe und nach denen ich spielen werde. Wenn eine zweite Amtszeit möglich gemacht wird, dann für den nächsten Präsidenten.“
Bis in den September des letzten Jahres hatte Cartes erklärt, dass der angemessene Weg, um eine zweite Amtszeit zu erreichen, eine Verfassungsreform sei, und nicht ein einfacher Zusatz. Denn, so Cartes, ein einfacher Verfassungszusatz würde die paraguayische Bevölkerung spalten.

In seinen Reden verneinte Cartes immer wieder, eine zweite Amtszeit anzustreben.

In seinen Reden verneinte Cartes immer wieder, eine zweite Amtszeit anzustreben. Doch im vergangenen Jahr begann die Basis der Colorado-Partei, eine Verlängerung seiner Legislaturperiode zu verlangen. Im Oktober erklärte Cartes schließlich in einer Rede: „Wenn Gott und die Colorado-Partei wollen, stehe ich zur Verfügung!“
Die regierungsnahen Fraktionen der Colorado-Partei wählten nun aber das Mittel des Verfassungszusatzes, um eine zweite Amtszeit für den Mandatsträger zu erreichen – ein verfassungsrechtlich umstrittenes Mittel für eine so delikate Frage. Eine Verbündete fanden sie in einer Fraktion der Radikalen Liberalen Partei – PLRA, die sich um den Politiker Blas Llano sammelt. Einen anderen Verbündeten fanden sie in dem größten linken Parteienbündnis des Landes, dem Frente Guasu, der vom jetzigen Senator und Ex-Präsidenten Fernando Lugo angeführt wird.
Als Grund, warum sich diese beiden Gruppen auf ein Bündnis mit den eigentlich verhassten Colorados einließen, gaben beide an, dass das Volk Fernando Lugo wieder als Präsidenten wolle. Blas Llano erklärte, nur Lugo sei in der Lage, 2018 gegen die Colorados zu gewinnen, und er sei bereit, alles zu geben, um das zu erreichen. Er verteidigte sein Bündnis mit den Colorados also damit, dass er deren Herrschaft beenden wolle. Doch das ist noch nicht das Absurdeste: Es war niemand anderes als Blas Llano, der im Jahr 2012 als Präsident der PLRA den liberalen Abgeordneten und Senator*innen anordnete, dass sie für die Amtsenthebung von Präsident Fernando Lugo stimmen sollen. Wollte Blas Llano 2012 Lugo noch so schnell wie möglich loswerden, will er ihn nun 2018 wieder gegen die Colorados ins Amt bringen.

Nachdem diese kuriose Allianz geschmiedet war, sollte der Verfassungszusatz für eine zweite Amtszeit im Senat verabschiedet werden. Das Problem, das diese Koalition nun umschiffen musste, war die Tatsache, dass die Opposition die Präsidentschaft in der Legislative innehatte. Der Senatspräsident Héctor Acevedo erklärte, dass die Initiative der Gruppe um Cartes und seine Verbündeten gegen die Verfassung verstoße, jegliche Entscheidung in diese Richtung sei deshalb unzulässig. Folglich ließ er den Vorschlag nicht zur Abstimmung zu.
Angesichts des Widerstands des Senatspräsidenten bildeten die 25 Senator*innen, die für einen Verfassungszusatz stimmen wollten, einen Parallelsenat. Doch sie tagten nicht im dafür vorgesehenen Sitzungssaal des Kongresses, sondern hinter verschlossenen Türen, in den Büroräumen des Frente Guasu im Kongress. Unter Ausschluss der Opposition nahmen sie den Antrag für einen Verfassungszusatz, der die Wiederwahl ermöglicht, schnell an und gaben ihn weiter an die Abgeordnetenkammer. Dort hat das Lager von Horacio Cartes die absolute Mehrheit. Ab diesem Moment, am Nachmittag desselben Tages, begann der Konflikt zu eskalieren. Die Opposition rief zu Protesten auf, denen spontan große Teile der Bevölkerung folgten.

Die ersten, die zu Protesten aufriefen, waren Abgeordnete der Liberalen Partei, die zu den parteiinternen Gegner*innen von Blas Llano gehören, welche sich um den derzeitigen Präsidenten der PLRA sammeln, Efraín Alegre. Im Laufe des Nachmittags schlossen sich andere gesellschaftliche Gruppen den Protesten an. Ab 18 Uhr begannen einige Demonstrant*innen, gewaltsam in das Kongressgebäude einzudringen und Feuer zu legen.
Erst ab diesem Zeitpunkt begann die Polizei, gegen die Demonstrant*innen vorzugehen, aber dafür mit äußerster Gewalt. Ein Polizist schoss dem liberalen Abgeordneten Edgar Acosta mit einem Gummigeschoss direkt ins Gesicht. Mehrere hundert Demonstrant*innen wurden willkürlich festgenommen. Polizist*innen drangen ohne richterlichen Beschluss gewaltsam in die Zentrale der liberalen Partei ein. Bei dieser Aktion starb ein Anführer der Jugendorganisation der Partei, Rodrigo Quintana. Durch diese gewaltsamen Ausschreitungen wurde die paraguayische Gesellschaft noch mehr gespalten. Die Verteidiger der Bemühungen um eine Regelung der Wiederwahl verurteilten die „gewalttätigen Demonstrationen“, während die andere Seite vom „blutgetränkten Verfassungszusatz“ sprach.

Angesichts dieser bedrohlichen gesellschaftlichen Spaltung entschied der Präsident der Abgeordnetenkammer, Hugo Velázquez, dass er das Projekt nicht zur Abstimmung zulassen würde, bevor es keinen Dialog zwischen den beiden Seiten gäbe. Präsident Cartes erklärte daraufhin, dass er mit Papst Franziskus gesprochen hätte, und berief einen Runden Tisch des Dialogs ein. Als Vermittler solle die paraguayische Bischofskonferenz auftreten. Die starke Rolle, die Cartes hier der Kirche zugestand, war allerdings verfassungsrechtlich ebenfalls umstritten: Schließlich ist Paraguay der Verfassung nach ein laizistischer Staat. Allen Versuchen des Regierungslagers und seiner Verbündeten zum Trotz, sich geläutert zu zeigen, lehnte die Bevölkerung den geplanten Verfassungszusatz immer stärker ab. Es gab eine escrache-Kampagne gegen alle Senator*innen, die für den Verfassungszusatz gestimmt hatten. Das bedeutet, dass Demonstrant*innen vor die Privatwohnungen der Politiker*innen zogen, um dort gegen ihre Entscheidung zu protestieren. Etliche Senator*innen wurden auf offener Straße beschimpft, manchen wurde der Zugang zu Restaurants und Gaststätten verweigert.
Die Linke, die nicht im Frente Guasu organisiert ist, attackierte vor allem Fernando Lugo direkt. Sie warf ihm vor, dass er das Bündnis mit ausgerechnet den politischen Kräften suchte, die ihm 2012 das Präsidentenamt genommen haben: den Colorados und den Liberalen.

Der von Horacio Cartes angestoßene Runde Tisch des Dialogs scheiterte schnell, aber die Absichten, den erwünschten Verfassungszusatz durchzusetzen blieben latent vorhanden. Der Präsident schien sich wenig um die breite gesellschaftliche Ablehnung des Projektes zu scheren.

Doch dann schaltete sich die Botschaft der Vereinigten Staaten in Paraguay ein und erklärte, dass die USA einen Verfassungszusatz zur Lösung dieser delikaten Frage ablehnen würde und dass ein Abgeordneter kommen würde, um bei der Mediation der Verfassungskrise zu helfen. Dies änderte für Horacio Cartes alles: In einem offenen Brief an den Papst erklärte er, dass er von nun an keine weitere Amtszeit anstreben würde. In dem Brief gibt sich Cartes als sorgender Staatschef, der um den inneren Frieden des Landes bemüht ist: „Ich hoffe, dass diese Geste des Verzichts hilft, um den Dialog zu vertiefen, der die Institutionen der Republik und das harmonische Zusammenleben der Paraguayer stärken soll.“ Und von allen kuriosen Ereignissen in diesem Streit ist dieses letzte wohl das absurdeste: Denn der Präsident erklärte sich verantwortlich gegenüber den Vereinigte Staaten von Amerika und dem Papst – und nicht gegenüber der paraguayischen Bevölkerung.

NEIN ZUR WIEDERWAHL

Am 31. März hat eine Rumpf-Versammlung des paraguayischen Senats den Weg für eine umstrittene Verfassungsänderung geebnet, und dabei massive Proteste provoziert. Der umstrittene Verfassungszusatz soll es ermöglichen, dass ein*e Präsident*in oder Ex-Präsident*in sich für eine zweite Amtszeit zur Wahl stellen darf. Die paraguayische Verfassung erlaubt einer Person nur eine Amtszeit als Präsident*in, auch wer einmal Vize-Präsident*in war, darf sich nicht auf das Präsidentenamt bewerben. Seit Monaten wird in Paraguay darum gestritten, ob diese Regelung – eine Reaktion auf die 34-jährige Diktatur von Alfredo Stroessner – geändert werden sollte (siehe LN 503).

Eine Koalition hauptsächlich aus der regierenden Colorado-Partei und der linken Frente Guasu wollte am 28. März einen entsprechenden Verfassungszusatz im Senat zur Abstimmung bringen. Als der Senatspräsident die Abstimmung darüber nicht zulassen wollte, erklärte ihn der Vize-Präsident des Senats für abgesetzt und sich selbst zum Präsidenten des Senats. Zahlreiche Abgeordnete boykottierten daraufhin die Versammlung. Der 25-köpfige Rumpfsenat (von 45 Senator*innen) ging dann dazu über, mehrere Verfahrensregeln für den Senat so zu ändern, dass der Kongress die Möglichkeit hätte, den umstrittenen Verfassungszusatz einfacher zu bewilligen. Für den 1._April setzte er eine Abstimmung diesbezüglich an.

Die Parlamentarier*innen, die die Versammlung boykottierten, sowie andere politische und gesellschaftliche Gruppierungen, organisierten daraufhin am 31. März eine Demonstration vor dem Kongressgebäude, zu der tausende Menschen kamen. Einige Personen aus dieser Protestveranstaltung gelang es, in das Kongressgebäude einzudringen und Feuer zu legen. Auch in anderen Städten kam es zu Protesten, in der wichtigen Handelsstadt Ciudad del Este wurde die Brücke der Freundschaft, die der Grenzübergang zu Argentinien ist, von Demonstrant*innen besetzt und der Rücktritt von Präsident Horacio Cartes gefordert.

Auf diese Proteste reagierte die Polizei mit brutaler Gewalt. Unter anderem sind Polizist*innen in die Parteizentrale der Liberalen Partei PLRA, die größtenteils gegen das Vorgehen des Rumpfparlaments ist, eingedrungen, um „die Anstifter zur Gewalt“ festzunehmen, wie sie sagten. Videoaufnahmen von den Überwachungskameras in dem Gebäude zeigen Polizist*innen, wie sie wahllos auf die dort Anwesenden einprügeln und diese festnehmen. Bei dieser Polizeiaktion ist ein Mitglied der Jugendorganisation der PLRA umgekommen.

In einer offiziellen Verlautbarung verurteilte Präsident Horacio Cartes die Proteste und beschuldigte sie, Gewalt zu säen. „Die Demokratie wird nicht mit Gewalt errungen oder verteidigt“, heißt es in dem Schreiben. „In Paraguay herrscht immer noch der Rechtsstaat“, heißt es weiter. Zu den offensichtlichen Rechtsbrüchen des Rumpfparlaments sagte er allerdings nichts. Als Reaktion auf die Todesfälle bei den Polizeieinsätzen entließ der Präsident aber den Innenminister Tadeo Rojas und den Polizeichef Críspulo Sotelo. Bis zum Redaktionsschluss blieb unbekannt, wie das Verfassungsgericht auf das beispiellose Verhalten des Rumpfparlaments reagiert. Das Rumpfparlament hat die Abstimmung über den umstrittenen Verfassungszusatz nun auf Dienstag, den 4. April verschoben.

 

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