Ein Wahlsieg gegen den „Pakt der Korrupten“

Mit 58 Prozent der abgegebenen Stimmen gewann der 64-jährige Arévalo am 20. August die Stichwahl gegen Sandra Torres von der sozialdemokratischen UNE-Partei, die bereits zum dritten Mal in der entscheidenden Runde den Kürzeren zog. Der gewählte Präsident hat einen berühmten Nachnamen. Juan José Arévalo, sein Vater, war der erste Präsident des sogenannten demokratischen Frühlings ab 1944 im Amt. Zehn Jahre später, 1954, putschte das Militär auf Betreiben des United Fruit Bananenkonzerns mit CIA-Unterstützung gegen Arévalos Nachfolger Jacobo Árbenz. Juan José Arévalo und seine Frau emigrierten nach Uruguay, wo Bernardo Arévalo im Exil geboren wurde. Die Familie lebte danach in Venezuela, Mexiko und Chile, bis Arévalo Mitte der 80er Jahre zum Ende der Militärdiktatur nach Guatemala zurückkehrte und zunächst im Außenministerium arbeitete.

Es dürfte sein Kampf gegen Guatemalas notorischen „Pakt der Korrupten“ sein, der Bernardo Arévalo nun den Sieg brachte. Bei diesem Pakt handelt es sich um ausgedehnte Netzwerke aus Politik, Justiz und Armee, aus Beamten- und Unternehmertum, die bereits seit der Militärdiktatur existieren. Ein Viertel des Haushalts soll nach Schätzungen jedes Jahr veruntreut werden. Auch deswegen weist die größte Volkswirtschaft Zentralamerikas dramatische Ungleichheit auf, mit völlig unzureichender Grundversorgung, insbesondere in den ländlichen, indigen geprägten Regionen.

Als 2015 die unter Expräsident Berger ins Land geholte Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit und Korruption in Guatemala (CICIG) zusammen mit der guatemaltekischen Generalstaatsanwaltschaft unter Thelma Aldana den großen „La Linea“-Korruptionsskandal bis in höchste Regierungskreise aufdeckte, demonstrierte auch Arévalo für die Absetzung des damaligen Präsidenten Otto Pérez Molina und seiner Vizepräsidentin Roxana Baldetti. Aus den Protesten formierte sich die Gruppe Semilla, aus der 2017 die von Arévalo geführte Partei Movimiento Semilla wurde.

Bei den Wahlen im Juni wurde Semilla zur drittstärksten Kraft im neuen Kongress, Bernardo Arévalo zog völlig überraschend mit dem zweithöchsten Stimmenanteil in die Stichwahl ein. Das Ergebnis ließ beim korrupten guatemaltekischen Establishment offensichtlich alle Alarmglocken schrillen. Neun rechtsgerichtete Parteien, darunter die bisherige Regierungspartei Vamos fochten das Ergebnis wegen angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ und „Wahlbetrug“ durch Semilla an. Guatemalas Generalstaatsanwaltschaft unter ihrer wegen Korruption verschrienen Chefin Consuelo Porras hatte sogar erfolglos versucht, Semilla nachträglich suspendieren zu lassen.

Auf den neuen Präsidenten und seine Regierung warten nun riesige Herausforderungen. Eines seiner wichtigsten Wahlversprechen war die Korruptionsbekämpfung durch ein spezielles Antikorruptionskabinett. Arévalo kündigte an, den Rücktritt von Generalstaatsanwältin Consuelo Porras zu fordern, die für die Strafverfolgung von Dutzenden Journalist*innen und Antikorruptionsrichter*innen verantwortlich ist. Vor allem dieser Teil des Wahlprogramms dürfte auf den verbissenen Widerstand des mächtigen Paktes der Korrupten treffen. Da Arévalo einer feindlichen Kongressmehrheit und korrupten Strukturen in Justiz und Verwaltung gegenübersteht, muss er auf die breite und lautstarke Unterstützung aus der Gesellschaft zählen, um hier eine Zeitenwende herbeizuführen.

Gleichzeitig will seine Regierung massiv in das öffentliche Bildungs- und Gesundheitssystem investieren sowie Hunger und Unterernährung bekämpfen. Die dafür erforderlichen über 20 Milliarden Euro könnten sogar in großen Teilen zur Verfügung stehen, wenn es denn bei der Korruptionsbekämpfung tatsächlich erhebliche Fortschritte gibt. Ausgemacht ist dies jedoch nicht. Denn diejenigen, die jetzt fürchten müssen, jahrzehntelange Privilegien und Einnahmen zu verlieren, werden wenig unversucht lassen, um Bernardo Arévalos Pläne zu blockieren, im Kongress, in den Institutionen, sogar politische Gewalt gilt vielen in Guatemala nicht ausge-*schlossen. Dennoch ist Arévalos Sieg eine der wenigen positiven Nachrichten, über die sich die meisten Menschen in Guatemala in den letzten Jahren freuen durften.

Hoffnung auf einen zweiten demokratischen Frühling

(Foto: Fred Ramos via wikimedia commons (CC BY-SA 4.0))

Thelma Aldana, wie ernst ist die Lage in Guatemala heute, fast 30 Jahre nach dem Ende des bewaffneten Konflikts?

Guatemala befindet sich immer wieder in einer Krise, aber diesmal ist es eine dauerhafte und sehr tiefe Krise. Consuelo Porras, die Generalstaatsanwältin, ist die Bannerträgerin eines Rachefeldzugs, den sie gegen diejenigen von uns führt, die gegen die Korruption kämpfen – ob als unabhängige Justizakteure, als unabhängige Presse, als unabhängige Menschenrechtsverteidiger*innen. Der Fall von José Rubén Zamora (dem 2022 verhafteten Herausgeber der mittlerweile eingestellten Tageszeitung El Periódico, Anm. d. Red.) ist ein Beispiel dafür wie Porras den Justizapparat nutzt, um gegen Gegnerinnen vorzugehen. Das Gleiche hat sie mit uns gemacht. Consuelo Porras wurde von der Regierung der Vereinigten Staaten auf die Engel-Liste gesetzt (eine Liste des Außenministeriums mit Individuen, die aufgrund von Korruption oder Angriffen auf die Demokratie aufgefallen sind, Anm. d. Red.) und ist somit als korrupte Amtsträgerin gebrandmarkt. In ihr haben wir also eine Vertreterin dieser dunklen Sektoren Guatemalas.

Von 2006 bis 2019 arbeitete in Guatemala die CICIG, die UN-Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit in Guatemala. Als Generalstaatsanwältin haben Sie gemeinsam mit dem damaligen CICIG-Leiter Iván Velásquez Korruptionsnetzwerke aufgedeckt und strafrechtlich verfolgt. Wir erinnern uns an den Fall La Línea und den Sturz von Ex-Präsident Otto Pérez Molina und seiner Vizepräsidentin Roxana Baldetti. Wie müssen wir uns hier in Europa diese Netzwerke und diesen „Pakt der Korrupten“ vorstellen? Wie funktionieren sie? Was ist ihre Funktion und ihr Umfang? Wer und wie viele sind daran beteiligt?

Als wir die Untersuchungen mit der CICIG durchführten, kamen wir zu dem Schluss, dass es sich um illegale, politische und wirtschaftliche Netzwerke handelt, die tief im guatemaltekischen Staat verankert sind. Sie bestehen schon seit Jahrzehnten. Dazu gehören Korrupte aus Politik, Justiz und Behörden, von Polizei und Armee, der Oberschicht und der Wirtschaft. Wir als Generalstaatsanwaltschaft haben diese Netzwerke im Jahr 2015 zwar sehr, aber nicht ausreichend in Bedrängnis gebracht, weil wir nicht genug Zeit hatten. Ein Teil des Mandats der CICIG war es, dafür zu sorgen, diese CIACS genannten illegalen Einrichtungen und geheimen Sicherheitsapparate aufzulösen, die während des internen bewaffneten Konflikts Menschen entführt, gefoltert und getötet hatten. Diese Strukturen blieben nach Ende der Diktatur bestehen, blieben im guatemaltekischen Staat verankert und wurden zu den Korruptionsnetzwerken, von denen wir heute sprechen.

Handelt es sich bei diesem „Pakt der Korrupten“ nur um ein illegales Bereicherungsnetz oder um eine De-facto-Macht unter der Fassade der Demokratie?

Beides. Es ist ein Pakt, um zu regieren, die Demokratie zu kapern. Die Kontrolle, die sie über die staatlichen Institutionen erlangt haben, nutzen sie, um sich selbst zu bereichern, um die Ressourcen des Staates zu plündern. Und sie lenken die Politik, sie lenken die politischen Parteien, sie lenken den Kongress. Sie gehen ziemlich intelligent vor! Zuerst lassen sie Gesetze verabschieden, zum Beispiel für das Justizsystem. Sie wollen schwache Gerichte und Tribunale, und schwächen so bewusst die Institutionen. Dann machen sie sich an die politischen Prozesse. Alle vier Jahre gehen wir in Guatemala in eine Stichwahl, und wir alle wissen, dass dort zwei Korrupte zur Wahl stehen. Wir, denen uns Guatemala am Herzen liegt, sagen dann: „Lasst uns wenigsten den am wenigsten Schlechten wählen“, und der am wenigsten Schlechte entpuppt sich dann als schlimmer als derjenige, der zuvor Präsident war. Das ist die dramatische Geschichte Guatemalas.

Welche Hoffnung verbinden Sie mit Bernardo Arévalo?

Die Antikorruptionsbewegung wird vor allem von jungen Menschen zwischen 18 und 35 Jahren getragen. Sie haben es geschafft, Arévalo bis in die Stichwahl zu tragen. Es sind informierte junge Menschen, die die Situation in Guatemala begriffen haben und sich der Verantwortung stellen. Das stimmt mich hoffnungsvoll. Aber die Herausforderungen sind natürlich riesig. Der Kampf gegen die Korruption ist sicherlich zentral. Es braucht auch dringend Maßnahmen gegen Armut, gegen Rassismus und Diskriminierung. Für die öffentliche Sicherheit erwarte ich nicht nur die Durchsetzung einer demokratischen Kriminalpolitik, die auf dem Papier ja schon besteht, sondern viel mehr Gewaltprävention. Und ich erwarte mir deutliche Symbole der neuen Regierung: Eine paritätische Besetzung von Regierungsämtern mit qualifizierten Frauen und Männern, einen deutlich höheren indigenen Anteil, die Implementierung eines anerkannten Ehrenkodexes samt Nachweis fachlicher Eignung für öffentliche Ämter, begleitet von Rechenschaftspflicht und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Aber die neue Regierung nimmt ja erst am 14. Januar 2024 ihre Arbeit auf. Da habe ich schon Sorgen, was der „Pakt der Korrupten“ bis dahin, zum Beispiel durch Generalstaatsanwältin Porras, noch unternehmen könnte.

MACHTWECHSEL OHNE RICHTUNGSWECHSEL

Wahlkämpfer der PRD im indigenen Autonomiegebiet Guna Yala (Foto: Alexis Alvarado)

Die Opposition gewinnt immer. Diese Faustregel der panamaischen Politik hat sich ein weiteres Mal bestätigt. Nach Auszählung von 94 Prozent der Stimmen (bis Redaktionsschluss) hat Laurentino ‘Nito’ Cortizo von der Revolutionären Demokratischen Partei (PRD) die Präsidentschaftswahl am 5. April mit 33,5 Prozent gewonnen. Der zweitplatzierte Rómulo Roux vom Demokratischen Wandel (CD) kam auf 31 Prozent. Eine Stichwahl gibt es in Panama nicht. Bei der gleichzeitigen Parlamentswahl gewann das Wahlbündnis der PRD 30 von 71 Sitzen, Cortizo wird also auf die Zusammenarbeit mit anderen Parteien angewiesen sein.

Seit Ende der Militärdiktatur (1968 – 1989) hat es keine Partei geschafft, mehr als eine Legislaturperiode am Stück zu regieren. Nach den Regierungen Ricardo Martinellis (CD) von 2009 bis 2014 und, seitdem, Juan Carlos Varelas von der Panameñista-Partei (PPA) war daher von vielen erwartet worden, dass nun die PRD als dritte große politische Kraft wieder an der Reihe ist. Nach zehn Jahren fern der Macht ist es nun so gekommen.

„Es gibt einen Mangel an Repräsentation, zu viel Konsens und keine ideologische Vielfalt”

Trotzdem ist diese Wahl besonders, was damit zu tun hat, dass seit der letzten Wahl gleich mehrere Skandale das Land erschütterten. Es begann 2016 mit den Panama Papers, die Panamas Rolle als Dienstleister für Steuer- und Geldwäschedelikte weltweite Aufmerksamkeit bescherte. Dann ging es weiter: Im Rahmen des Odebrecht-Skandals kam heraus, dass die brasilianische Baufirma auch in Panama insgesamt rund 60 Millionen Dollar Schmiergelder gezahlt hatte, sie war zuletzt prominent am Ausbau des Flughafens sowie der U-Bahn von Panama-Stadt beteiligt. Expräsident Martinelli sitzt wegen Korruption und illegaler Bespitzelung politischer Gegner*innen während seiner Amtszeit in Haft. Parlamentsabgeordnete hatten reihenweise und in großem Umfang Familienangehörige mit Arbeitsverträgen versorgt oder Steuergelder gezielt verschenkt. Dazu kommen langfristige Missstände: Viele Mitglieder*innen der öffentlichen Verwaltung gelten als botellas, „Flaschen”, die ohne Qualifikation aufgrund politischer Gefälligkeiten an ihr Amt gekommen sind. Das oberste Gericht wird als abhängig wahrgenommen, da die Präsident*innen abwechselnd vier oder fünf der neun Richter*innen am obersten Gerichtshof vorschlagen. Das alles hat das Vertrauen der Bevölkerung in alle drei Gewalten des Staates erschüttert: Laut der Umfrage „Latinobarómetro“ denken 83% der Bevölkerung, dass das Land von einigen Gruppen zu ihrem eigenen Vorteil regiert wird. Entsprechend groß ist die Wut auf die politische Klasse.

Da die Verfassung eine Wiederwahl von Präsident*innen nicht erlaubt, richtete sich diese Wut vor allem auf die gleichzeitig zu wählenden Parlamentsabgeordneten. Artikuliert wurde sie durch die Kampagne #NoalaReeleccion und ihrer Forderung, nicht integre Abgeordnete abzuwählen.

In Panama bezeichnet sich heute kaum jemand als links


Ausnahmslos alle sieben Präsidentschaftskandidat*innen – darunter nur eine Frau – sprachen sich angesichts des Unmuts für Änderungen der Verfassung aus, um die Missstände in Zukunft zu verhindern. Dies wollen sie entweder über eine verfassunggebende Versammlung oder – wie Nito Cortizo – über alternative Wege wie Parlamentsbeschlüsse erreichen.

Als weitere Folge spielten parteipolitisch unabhängige Kandidat*innen erstmals eine wichtige Rolle. Gleich drei stellten sich zur Wahl. Der erfolgreichste von ihnen, Ricardo Lombana, bekam immerhin 19,2 Prozent der Stimmen. Er sprach mit einer auf den sozialen Medien aufgebauten Kampagne vor allem die urbane Jugend an und verstand es, aus der Wut Kapital zu schlagen. Möglicherweise gereichte ihm das Fehlen einer Parteimaschinerie zum Nachteil. Von allen Kandidaten hatte er am wenigsten politische Erfahrung und arbeitete kein Wahlprogramm aus, erst spät veröffentlichte er eine Auflistung von Wahlversprechen.

Nito Cortizo dagegen war parallel zu einer Tätigkeit als Unternehmer 10 Jahre lang Abgeordneter für die zentristische Partei Solidarität und wechselte erst 2004 zur PRD. Dank guter Kontakte wurde er dort unter Präsident Martin Torrijos sofort Landwirtschaftsminister. Bereits nach zwei Jahren trat er in dieser Funktion zurück, als er das für Torrijos wichtige Freihandelsabkommen mit den USA mitverhandelte und diese ihre landwirtschaftlichen Exporte nicht den gesetzlichen sanitären Kontrollen unterwerfen wollten. Er erklärte seine Kandidatur bereits vor drei Jahren. Nachdem die PRD in den letzten Jahren zerstritten war, gelang es Cortizo, die Partei wieder zu einen. Trotzdem lud er das Partei-Establishment nicht zu seiner Abschlusskundgebung ein.

Der Zweitplatzierte Rómulo Roux, ehemaliger Außenminister von Ricardo Martinelli, wurde mit dem Erbe seines Mentors in Verbindung gebracht – Wirtschaftswachstum, aber auch Korruption. Seine Partei CD hat nach wie vor den Ruf einer auf Martinelli zugeschnittenen Ein-Personen-Veranstaltung. Kandidat der Regierungspartei PPA war José Blandón, der Bürgermeister der Hauptstadt, in Panama der wichtigste politische Amtsträger nach dem Präsidenten. Er bekam nur 10,5 Prozent der Stimmen, obwohl er versucht hatte, dem Malus der Regierungspartei durch Abgrenzung vom scheidenden Präsidenten Varela zu entgehen. Dieser bemühte sich zwar glaubwürdig im Kampf gegen die Korruption, kümmerte sich aber in den Augen der Bevölkerung nicht genug um die Wirtschaft, die in seiner Amtszeit nicht mehr so stark wuchs wie zuvor. Das brachte ihm den Spottnamen Tortugón (Schildkröte) ein.

Die Kandidat*innen sprachen bei den Fernsehdebatten über verschiedene Punkte wie etwa die mangelhafte Qualität der Schulbildung, die grassierende Medikamentenknappheit, den drohenden Kollaps des Rentensystems oder die Frustration des Agrarsektors über die Konkurrenz durch umfangreiche Lebensmittelimporte. Trotzdem spielten substantielle Kontroversen im kurzen, gemäß neuer Regeln auf zwei Monate beschränkten Wahlkampf eine eher geringe Rolle.

Fehlende inhaltliche Unterscheidbarkeit der Parteien ist charakteristisch für die panamaische Politik. In der Theorie ist die PRD gemäßigt links, die Panameñista-Partei rechts-nationalistisch und der CD irgendwo dazwischen. In der Praxis haben jedoch alle drei Parteien stets die gleiche neoliberale, rechte Politik gemacht – die Privatisierung der meisten Staatsunternehmen in den 1990er Jahren hat etwa die PRD verantwortet.

„Die panamaische Demokratie ist schwach und in der Krise”, sagt dazu der Soziologe und Universitätsdozent Alonso Ramos, „es gibt einen Mangel an Repräsentation, zu viel Konsens und keine ideologische Vielfalt. Auf den Diskurs vom regelmäßigen Machtwechsel wurde nach dem Ende der Diktatur zwar viel Wert gelegt, wirkliche Wechsel gibt es aber nicht. Wichtige, aber heikle Themen wurden im Wahlkampf nicht diskutiert, weil das bedeutet hätte, das neoliberale Modell in Frage zu stellen. Zu diesen Themen gehören die Skandale, letztlich der Zustand unserer Demokratie, außerdem der Klimawandel, dem gegenüber Panama sehr verwundbar ist. Und schließlich die Ungleichheit.”
Panamas Wirtschaft ist in den letzten fünf Jahren im Mittel um 5,6 Prozent gewachsen und hat eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika. Während alle Politiker*innen geloben, die Armut bekämpfen zu wollen, sagen die meisten nichts dazu, dass in Panama die reichsten 10 Prozent mehr als 30-mal so viel Einkommen haben wie die ärmsten 10 Prozent. Nur in einem Dutzend Länder weltweit ist die Ungleichheit noch größer. Könnte das nicht ein Ansatzpunkt für linke Bewegungen und Parteien sein?

„Es wird der Anschein erweckt, alles verändern zu wollen, nur damit sich am Ende nichts ändert.”

Nach der Umfrage „Barométro de las Americas“ bezeichnen sich 29,5 Prozent der Bevölkerung Panamas als politisch links. Es gibt aber lediglich eine linke Partei, die aus der Bauarbeitergewerkschaft Suntracs heraus entstandene Breite Front für die Demokratie (FAD). Ihr Eintreten für einen Sozialstaat und ein progressiveres Steuersystem scheint eine für das neoliberale Panama geradezu radikale Vorstellung zu sein. Denn bereits zum zweiten Mal in Folge droht der 2014 erstmals angetretenen FAD aufgrund des geringen Stimmenanteils die Auflösung (vorgeschrieben bei weniger als 2 Prozent). Zur jetzigen Wahl formierte sich die FAD neu, für ihren Kandidaten Saúl Méndez (siehe LN 415) stimmten aber lediglich 0,7 Prozent der Wähler*innen. Warum hat es die Linke so schwer in Panama?

„Es liegt an der 150-jährigen kolonialen Präsenz der USA in Panama nach dem Bau der Eisenbahn 1850”, versucht sich Alonso Ramos an einer Erklärung. „Das hat einen großen, bestimmenden Einfluss auf die politische Kultur gehabt. Dieses Trauma prägt unsere Gesellschaft bis heute darin, was wir sind und was wir nicht sind. Seit den 1930er Jahren sind alle, die linke Ideen vertreten haben, von der Oligarchie verfolgt worden. Deswegen bezeichnet sich in Panama auch heute noch kaum jemand als links, nicht einmal die FAD.”

Das hat auch Auswirkungen im gesellschaftlichen Bereich: Themen wie Abtreibung oder LGBTIQ*-Rechte kamen im Wahlkampf so gut wie nicht zur Sprache. Als Ricardo Lombana sich hierzu einmal vorsichtig-moderater Weise äußerte, schlug ihm sofort breite Kritik entgegen. Die Wertevorstellungen von katholischer Kirche und Evangelikalen wurden nicht in Frage gestellt. Nito Cortizo und die meisten anderen Kandidat*innen machten frühzeitig klar, dass sie diese teilen.

Liegt die Hoffnung also in neuen politischen Bewegungen? Claudia Cordero, Kommunikations- und Kulturwissenschaftlerin, ist ernüchtert: „Leider gibt es solche Bewegungen im Moment nicht. Viele junge Leute liken im Moment zwar die Kampagne #NoalaReeleccion in den sozialen Medien oder haben deren Aufkleber am Auto und glauben dann, dass sie an einer sozialen Bewegung teilnehmen. Treibende Kraft hinter dieser Kampagne ist aber die Organisation Movin. Sie bemüht sich, den Anschein einer Bürgerbewegung gegen Korruption zu erwecken, tatsächlich stecken dahinter vor allem 15 bis 20 einflussreiche Persönlichkeiten um den Milliardär Stanley Motta. Sie wollen die Abwahl von Abgeordneten herbeiführen, um den Protest zu kanalisieren und das herrschende Modell zu bewahren. Es wird der Anschein erweckt, alles verändern zu wollen, nur damit sich am Ende nichts ändert.”
Die Krise der Demokratie könnte für den neuen Präsidenten einige Herausforderungen bergen. Bei der letzten Fernsehdebatte sagte er: „In diesem Land muss der Präsident sagen, wo es lang geht. So Gott will, wird ab dem 1. Juli also Nito Cortizo in diesem Land das Sagen haben. Ist das klar?”

Einige Wähler*innen mögen das für eine legitime Einstellung in Krisenzeiten gehalten haben. Lässt diese wohl als Drohung gegen korrupte Abgeordnete gedachte, autoritäre Ansage Schlimmes erahnen? Die Panamaer*innen werden es bald erfahren. In fünf Jahren wird dann klar sein, ob die Faustregel der panamaischen Politik ihre Gültigkeit behält und sich wieder alles ändert, damit alles so bleibt, wie es ist.

Newsletter abonnieren