Harte Hand gegen die haitianische Migration – das war eines der zentralen Elemente des Wahlkampfes. Doch damit ist der 56-Jährige Luis Rodolfo Abinader Corona nicht alleine. Auch seine Widersacher teilen diesen Diskurs. Staatschef Abinader sagte öffentlich, dass die Krise in Haiti eine direkte Bedrohung der Stabilität und Sicherheit für die Dominikanische Republik darstelle. Die Angst, dass die Krise des Nachbarn in die eigene, prosperierende Nation herüberschwappt – alle drei Kandidaten nutzten sie.
Überraschend kommt Abinaders Sieg daher nicht. Umfragen vor der Wahl sahen ihn als klaren Favoriten. Er gewann mit deutlichem Abstand zu seinen Kontrahenten. Abinader erreichte mit seiner Mitte-links-Partei Partido Revolucionario Moderno (PRM) 57,4 Prozent. Sein Widersacher Leonel Fernández, der in der Vergangenheit bereits zweimal Präsident war, kam auf 29 Prozent der Stimmen. Ein weiterer Herausforderer war Abel Martínez, einst Bürgermeister von Santiago, der zweitgrößten Stadt des Inselstaates.
Im Fernsehen kam es zum Schlagabtausch zwischen den drei favorisierten Amtsanwärtern. Es ging um Bildung, Kriminalität und geschlechtsspezifische Gewalt. Knapp zehn Prozent der Wähler*innen sind Teil der dominikanischen Diaspora im Ausland. Beim Schlagabtausch gingen die Meinungen auseinander – doch beim Umgang mit Migrant*innen sprachen alle drei mit derselben Stimme. Derzeit leben etwa eine halbe Million Menschen aus Haiti in der Dominikanischen Republik, mit oder ohne legalen Aufenthaltsstatus. In seiner ersten Amtszeit begann Abinader damit, eine Mauer an der Grenze zur Dominikanischen Republik zu bauen – ganz im Trump‘schen Stile der Abschottung.
Abinader verkörpert Wandel. Er kam 2020 nach einer Welle von Anti-Korruptionsprotesten an die Macht. Zuvor war die Mitte-links-Partei PLD (Partido de la Liberación Dominicana) 16 Jahre ununterbrochen an der Macht. Abinader hat Abschlüsse in Harvard und dem Darmouth College, eigene Firmen – die in den sogenannten Pandora Papers auftauchen, in denen Steueroasen geleakt wurden – und gilt als der wohlhabendste politische Funktionär der ganzen Nation. Dennoch ist der Betriebswirt kein politisch Unbefleckter: Sein Vater José Rafael Abinader, mit libanesischer Migrationsgeschichte, war in der PRD (Partido Revolucionario Dominicano) aktiv und kämpfte gegen die Diktatur Rafael Trujillos. Auch Luis Abinader war Mitglied der PRD, bis er 2014 die PRM gründete.
Bildung, Kriminalität und Gewalt
Der Umgang mit der Pandemie und die stetig wachsende Wirtschaft werden Abinader hoch angerechnet. Die Dominikanische Republik hat eine der höchsten Wachstumsraten in ganz Lateinamerika. In einem Länderfokus-Bericht hob der Internationale Währungsfonds (IWF) hervor, dass 2022 das Bruttoinlandsprodukt deutlich über dem anderer Länder der Region lag.
Noch in den 1960ern war die Dominikanische Republik ein Agrarstaat, einer der ärmsten der westlichen Hemisphäre. Besonders relevant für die dominikanische Wirtschaft ist der Tourismus. Kurz vor Jahresende 2023 wurde die zehntmillionste Touristin, eine US-Amerikanerin, vom dominikanischen Tourismusminister David Collado persönlich am Flughafen Punta Cana in Empfang genommen. Ein neuer Rekord – das bisher beste Jahr für den Tourismus in der „DomRep“.
In der Wahlnacht trat Abinader vors Mikrofon: „Das Volk hat mit Klarheit gesprochen: Die Dominikanerinnen und Dominikaner wollen den Wandel weiter vorantreiben.“ Das Beste für die Dominikanische Republik werde erst noch kommen. „Die Botschaft, die heute von den Urnen ausging, ist deutlich: Die Veränderungen, die wir hervorgerufen haben, sind für immer. Es gibt keinen Weg zurück“, führte er weiter aus.
Die ungleichen Nachbarn
Die Realitäten der beiden Inselstaaten Dominikanische Republik und Haiti könnten unterschiedlicher nicht sein. Auf der Westseite Hispaniolas: Dauerkrise, extreme Gewalt, Exodus der Bevölkerung. Im östlichen Teil dagegen: Urlaubsparadies, üppige Landschaften, relative Sicherheit, rasantes Wirtschaftswachstum. Dabei ist die haitianische Migration kein neues Phänomen. Haitianer*innen arbeiten im Nachbarland im Tourismus, etwa als Kellner*innen, für Dumping-Löhne auf dem Bau, auf den Zuckerrohrfeldern und, auch ein Kernelement der dominikanischen Schattenwirtschaft: Haitianische Frauen verdingen sich als Sexarbeiterinnen im florierenden Sextourismus der Dominikanischen Republik. Während also Ressentiments gegen die Menschen aus dem Nachbarstaat geschürt werden, würde das dominikanische Wirtschaftswunder ohne die haitianische Migration schlicht nicht funktionieren.
Dabei ist Rassismus und Diskriminierung der Haitianer*innen kein neues Phänomen im dominikanischen Staat. Im Streben nach einer weißen, „aufgehellten“ Gesellschaft ordnete der Hitler verehrende Diktator Rafael Trujillo an, Abertausende Schwarze haitianische Bürger*innen in seinem Land zu ermorden. Im Jahr 1937 ermordete der Staatsapparat Trujillos je nach Schätzung zwischen 18-25.000 Haitianer*innen. Das Vorgehen zur Bestimmung, ob es sich um Menschen aus Haiti handelt, brachte dem Massenmord seinen Namen ein: das „Petersilien-Massaker“. Dominikanische Soldaten führten einen Zweig Petersilie mit sich. Sie zwangen Menschen, allen voran Arbeiter*innen der Zuckerrohrfelder, das spanische Wort für Petersilie („perejil“) korrekt auszusprechen. Die, die den Begriff des Gemüses nicht angemessen aussprechen konnten, wurden als Menschen haitianischer Herkunft abgestempelt und ermordet. Denn Haitis Landesprachen sind Kreolisch und zu einem kleinen Teil Französisch.
Die rassistische Rhetorik, der Bau der Mauer: All das hat dennoch nicht bewirkt, dass der Zustrom an haitianischen Migrant*innen signifikant abebbt. Zum einen sind Grenzbehörden oft korrupt, zum anderen werden die Haitianer*innen als billige Arbeitskräfte benötigt. Das dürfte sich zudem so schnell nicht ändern. Denn die extreme Gewalt und die Staatskrise in Haiti sind Fluchtursachen, die noch lange andauern werden. Ende Februar dieses Jahres eskalierte die Gewalt im Nachbarland, als sich der – nie demokratisch gewählte – Regierungschef Ariel Henry auf einer Auslandsreise befand. Leichen blieben auf der Straße liegen, Polizei und Justiz ließen kriminellen Banden freie Hand.
Der Erfolg von Luis Abinader ist kein Zufall, und auch kein neues Phänomen in Lateinamerika. Rosario Espinal konstatiert in einem Fernsehinterview mit El Día RD, dass das „Parteiensystem in vielen Ländern Lateinamerikas kollabiert“ sei. Die Soziologin schlussfolgert, dass „Figuren“ die traditionellen Großparteien ersetzt haben. Beispiele finden sich dieser Tage zuhauf: Bukele in El Salvador, Milei in Argentinien und eben Abinader in der Dominikanischen Republik. Diese Figuren sind keine Politiker im klassischen Sinne. Doch sie ziehen die Wähler*innen an und können Massen mobilisieren. Laut Soziologin Espinal haben die Bürger*innen Lateinamerikas heutzutage eine „instrumentelle“ Beziehung zu Parteien entwickelt. Das zeigt sich auch in der dominikanischen Republik.