Schweres Erbe aus 12 Jahren Diktatur

Große Baustellen und wenig Unterstützung Xiomara Castro steht vor einigen neuen Aufgaben (Foto: Jorge Cabrera/Contracorriente, Licencia de Producción Pares)

14 Monate nach ihrem Amtsantritt gehört Castro mit einer Zustimmung von über 60 Prozent noch zu den populäreren Präsident*innen der Region. Der erhoffte sozialdemokratische Wandel steht jedoch weiterhin vor großen Herausforderungen: Zwischen 2011 und 2022 sind die Auslandsschulden laut honduranischem Finanzministerium von 4365 Mio. USD auf rund 9540 Mio. USD gestiegen, das entspricht etwa 56,7 Prozent des BIP. Dazu kommen die verkrusteten sozialen und wirtschaftlichen Strukturen, die Auswirkungen der weltweiten Rezession und nicht zuletzt eine reaktionäre parlamentarische Opposition.

Maßnahmen wie Gratis-Strom für 1,3 Millionen Mindestverbraucher*innen, die temporäre Subvention des Diesel-Preises und die Erhöhung der Budgets für Gesundheit und Bildung kommen von Armut betroffenen Menschen direkt zugute. Doch Projekte wie die Abschaffung der Sonderwirtschaftszonen ZEDE, die Amnestie für politische Gefangene und die Anerkennung der sogenannten „Märtyrer“ der Proteste nach den Wahlbetrügen von 2014 und 2017, sind in erster Linie Teil einer Symbolpolitik. Für die große Mehrheit der Bevölkerung sind diese Maßnahmen zu abstrakt.

Xiomara Castro hat ein hochverschuldetes und praktisch bankrottes Land übernommen. Die Inflationsrate, die laut der honduranischen Zentralbank bei 9,8 Prozent liegt, sorgt zudem für ansteigende Kosten: Das ganze Land ächzt unter den hohen Lebensmittelpreisen. Allein die 30 wichtigsten Nahrungsmittel für eine fünfköpfige Familie kosten im Monat mehr als der Mindestlohn von 11.365 Lempiras, umgerechnet 405 Euro. „Die Lebensmittelpreise sind extrem hoch. Ein Ei kostet jetzt sieben Lempiras (0.25 Euro), vor einem Jahr kostete es die Hälfte. Wir essen oft nur zweimal am Tag, weil unser Einkommen einfach nicht reicht“, sagt Juana Portillo. Sie ist 33 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern im „Sector Rivera Hernández“, einem marginalisierten Viertel in der Nähe des Flughafens San Pedro Sula im Norden von Honduras.

Preiskontrolle? Agrarreform? Weitergehende Subventionen? Leider Fehlanzeige. Zu stark ist die Vorherrschaft der Oligarchie, die aus Vertreter*innen von Großgrundbesitz, Importgeschäft, Stromproduktion, Handel, Industrie und Medien besteht. Auch die katholische Kirche beschränkt ihr Engagement auf den Erhalt des Status Quo.

Nach 132 Jahren konnte Castros Regierungspartei Libertad y Refundación (LIBRE) mit einem fortschrittlichen Programm die Dominanz der beiden großen Parteien Partido Nacional (PN) und Partido Liberal (PL) brechen. Für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, ein konkretes Vorhaben von LIBRE, reicht der Rückhalt im Parlament jedoch nicht. Vor allem seitdem die parlamentarische Allianz mit der rechten Protestpartei Salvador de Honduras (PSH) des populären Fernsehmoderators Salvador Nasralla zerbrochen ist. Die ideologischen Differenzen zwischen ihm und Castro waren unüberwindbar.

Aber auch innerhalb der Regierung gibt es ideologische Gräben: Während der Debatte um die Steuerreform, die insbesondere Steuerbefreiungen für große, rentable Korporationen der Oligarchie aufheben soll, gerieten der Vorsitzende der honduranischen Steuerbehörde (der LIBRE-Mitglied ist), der Entwicklungsminister, der ehemalige Chef einer Arbeitgeberorganisation und ein PSH-Mitglied öffentlich aneinander und beschimpften sich als „Radikaler“ und „Verräter“. Dabei ist klar, dass die Regierung dringend Einnahmen benötigt, um die Funktionen des Staates aufrechtzuerhalten und Infrastrukturprojekte und soziale Programme für die wachsende Zahl armutsgefährdeter Personen finanzieren zu können. Laut dem Direktor der honduranischen Steuerbehörde SAR entgingen dem Staat allein 2022 über 2,4 Milliarden USD durch Steuerbefreiungen.

„Die Menge an Problemen kennt keine Grenzen“, fasste die sichtlich frustrierte Präsidentin die Situation kürzlich zusammen. Korrekturen führten oft ebenfalls zu Problemen. Weil der Medikamenteneinkauf des Gesundheitsministeriums strukturell von Korruption durchzogen war, wurde der Vorgang komplett geändert – mit dem Resultat, dass aktuell elementare Arzneimittel in den öffentlichen Krankenhäusern und Gesundheitszentren fehlen. Zudem konnte das Versprechen der Vorgängerregierung nicht eingehalten werden, das gesamte Gesundheitspersonal, das an erster Stelle und ohne ausreichenden Schutz gegen Covid-19 gekämpft hatte, fest anzustellen. Dazu fehlt schlicht das Geld. Viele weitere Sektoren fordern Lohnerhöhungen und Anstellungen in der öffentlichen Verwaltung.

Seit den Wahlen Ende 2021 verfügt die Regierungspartei LIBRE über 48 von 128 Parlamentarier*innen im Nationalkongress, die Fraktion der PN, die hinter dem aktuell in New York inhaftierten Ex-Präsidenten Juan Orlando Hernández stand (und teilweise noch steht) über 43. Die PN hatte den honduranischen Staat während zwölf Jahren gekapert und mit den größten Drogenhändler*innen aus Südamerika und Mexiko zusammengearbeitet, um an der Macht zu bleiben und sich zu bereichern. Währenddessen wurde die Bevölkerung immer ärmer, Hunderttausende emigrierten undokumentiert. Allianzen mit der Liberalen Partei, aus der LIBRE nach dem Putsch 2009 hervorgegangen ist, sind unwahrscheinlich – die Ressentiments auf beiden Seiten bleiben.

Ein weiteres Wahlkampfversprechen von LIBRE ist die Justizreform – eine Herkulesaufgabe angesichts struktureller Probleme wie der Korruption und einer hohen Straflosigkeit bei Gewaltverbrechen, Morden und Feminiziden. Fehlendes Vertrauen in den Rechtsstaat schreckt viele in- und ausländische Investor*innen ab. Ihre Ressourcen braucht das Land jedoch dringend, um die grassierende Arbeitslosigkeit zu verringern. Die von den UN geführte Internationale Kommission gegen die Korruption und die Straflosigkeit (CICIH) soll nicht nur die Justiz stärken, sondern Angeklagte strafrechtlich verfolgen und anklagen können. Das wäre ein riesiger Erfolg für Castro und ein entscheidender Schritt auf dem langen Weg zum Rechtsstaat.

Für die Bevölkerung ist das Thema der Sicherheit für Leib und Leben besonders dringlich. Die Mordrate ist zwar seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2011 von 166 Morden auf 35,8 Morde pro 100.000 Menschen gesunken, die öffentliche Wahrnehmung hat sich diesbezüglich jedoch kaum geändert. Seit Dezember 2022 herrscht ein Ausnahmezustand „light“ in vielen Stadtgebieten mit hoher Kriminalität, um Erpressungsdelikte zu bekämpfen, die oft zu Morden führen.

Korruption führt zu Arzneimittel-mangel in Krankenhäusern und Gesundheitszentren

Die schockierenden Massaker im März dieses Jahres, bei denen es innerhalb weniger Tage eine Reihe von Toten gab, erschütterten das labile Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei zusätzlich. Denn diese reagierte mit der immer gleichen Floskel: „Es handelt sich um einen Konflikt zwischen rivalisieren Gangs.“ Danach passierte meistens nichts. Viele Honduraner*innen sagen daher, dass in Honduras alle Verbrechen perfekt seien – die Ironie stirbt zuletzt.

Laut einer aktuellen Umfrage möchte fast die Hälfte der honduranischen Bevölkerung emigrieren. Der Soziologe Marco Antonio Tinoco schlägt deshalb ein neues Entwicklungsmodell vor, das besonders jungen Menschen die Chance geben soll, eine Perspektive im Land zu finden: „Wir brauchen viel mehr staatliche Investitionen in Ausbildung, besonders auf dem Land, und natürlich Jobchancen, damit die Leute würdevoll leben können und nicht emigrieren müssen.“ Ein Hoffnungsschimmer ist daher die Zusammenarbeit mit Kuba zur Bekämpfung des Analphabetismus: 100.000 Honduranerinnen sollen ab März 2023 innerhalb von drei Monaten Lesen und Schreiben lernen. Von der Opposition und ihrem medialen Resonanzboden wird dieser Akt gelebter Solidarität zwischen zwei souveränen Nationen als „Indoktrination“ bezeichnet.

Bisher ist die 62-jährige Xiomara Castro in den Medien deutlich weniger präsent als ihre Vorgänger Juan Orlando Hernández und Porfirio Lobo. Dafür twittert sie umso mehr im Stil des salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele und befiehlt beispielsweise dem Polizeichef nach besonders aufsehenerregenden Gewalttaten Resultate innerhalb von drei Tagen. In den sozialen Medien liefern sich auch hohe Regierungsvertreter*innen verbale Scharmützel mit der US-Botschaft und provozieren damit gezielt konservative Kreise. Diese wiederum werfen Castro vor, sie sei von ihrem Ehemann, dem ehemaligen Präsidenten Manuel Zelaya, gesteuert und beabsichtige, das Land in den Kommunismus zu führen.

Als die Präsidentin am 8. März die Notfallverhütung wieder legalisierte (als letztes Land in ganz Lateinamerika), entrüsteten sich genau die Frauen- und demokratiefeindlichen Gruppierungen, die den öffentlichen Diskurs prägen. Noch größer war der Aufschrei, als Castro Mitte März den Außenminister Eduardo Reina damit beauftragte, diplomatische Beziehungen mit China anzubahnen – nach 82 Jahren der Zusammenarbeit mit Taiwan. Dagegen protestierten nicht nur die honduranischen Konservativen, sondern auch renommierte US-Außenpolitiker*innen. Letztere warnten vor einer „Falle Chinas“ und vor negativen Konsequenzen für diejenigen Honduraner*innen in den USA, die dort die Erneuerung des temporären TPS-Schutzstatus anstreben. Diplomatische Beziehungen mit China öffnen aber durchaus Alternativen für Honduras, besonders in Bereichen wie wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, Infrastruktur und Ausbildung.

Letztlich wird Castro nur erfolgreich sein, wenn die Mehrheit der Bevölkerung spürt, dass ihr Leben sich verbessert – ob durch eine höhere Kaufkraft, Subventionen, Zugang zu einem gestärkten Gesundheits- und Bildungssystem oder durch erhöhte individuelle Sicherheit. Bessere Lebensumstände, die die honduranische Bevölkerung nicht zur Emigration zwingen. Nach einem Übergangsjahr muss Castro jetzt Charakterstärke zeigen, sich gegen die faktischen Kräfte durchsetzen und mit ihrem Kabinett fühlbare Resultate liefern.

„KRIMINELLE STRUKTUREN NOCH IMMER TEIL DES STAATES”

Joaquín Mejía Rivera Bei einer Veranstaltung in Berlin (Foto: Ute Löhning) )

In ihrer Amtsantrittsrede kündigte Präsidentin Xiomara Castro verschiedene Maßnahmen an, die in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit umgesetzt werden sollten. Dazu gehörte auch die Bekämpfung der Korruption. Hat Xiomara Castro nach neun Monaten ihrer Präsidentschaft dieses Versprechen erfüllt?
Ja, aber all das ist relativ zu betrachten. Die Regierung von Castro bat die Vereinten Nationen (UN), eine internationale Kommission zur Bekämpfung von Korruption und Straflosigkeit (CICIH) einzurichten. Tatsächlich ist auch ein Sondierungsteam der UN nach Honduras gereist. Im Moment herrscht Stillstand, weil es in zwei sehr wichtigen Punkten verschiedene Auffassungen gibt. Erstens möchte die honduranische Regierung das Expert*innenteam der CICIH auswählen, aber die UN lehnen dies ab, weil es die Unabhängigkeit der CICIH einschränken würde. Zweitens fordert die Zivilgesellschaft, dass die CICIH Befugnisse einer unabhängigen Staatsanwaltschaft bekommt, die eigene Fälle vorlegen kann, die aber auch die Generalstaatsanwaltschaft bei der Untersuchung ihrer Fälle begleitet.
Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Kommission in Guatemala (CICIG) vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, weil sie mit den Befugnissen einer unabhängigen Staatsanwaltschaft ausgestattet war. Die guatemaltekische Verfassung besagt, dass das Monopol der Strafverfolgung bei der Generalstaatsanwaltschaft liegt. In Honduras ist es genau dasselbe. Deshalb wäre eine Verfassungsreform erforderlich, die vom Kongress durchgeführt werden muss. Die Regierung von Xiomara Castro und ihre Verbündeten haben aber nicht einmal eine einfache Mehrheit im Kongress, so dass dies fast unmöglich ist.

Auch hat Xiomara Castro während ihrer Antrittsrede angekündigt, Honduras frei von Tagebau zu erklären und versprochen, das ZEDE-Gesetz abzuschaffen, ein Gesetz, das autonome Zonen im Land ermöglichte, mit eigenen Gesetzen und verwaltet von Investoren. Wie sieht es damit aus?
In der Tat wurde das Land als frei von Tagebau erklärt, aber das ist nur eine rhetorische Erklärung, die bisher keine Auswirkungen auf die Territorien hat. Es stimmt, dass keine weiteren Konzessionen vergeben wurden, aber die bestehenden Konzessionen wurden nicht ausgesetzt. Sie schaden noch immer der Umwelt, den Territorien und der Gesundheit der Menschen. Es ist auch nicht zu leugnen, dass Castro das ZEDE-Gesetz aufgehoben und mit einigen ZEDEs verhandelt hat, um das Regime zu ändern (den Investor*innen wurde angeboten, sich als rechtskonforme Sonderwirtschaftszonen zu konstituieren, Anm. d. Red.). Aber es gibt eine ZEDE namens Próspera, die sich schlicht weigert. Sie bauen an ihrer Modellstadt einfach weiter. Also hat sich bisher nichts wirklich geändert. Die Präsidentin hat mit der Aufhebung des Gesetzes aber ihr Versprechen gehalten.

Im Vorfeld der Wahl hat Castro einen Pakt mit feministischen Organisationen geschlossen, mit konkreten Vereinbarungen, wie die Aufhebung des Verbots der „Pille danach”. Das Ziel waren sichtbare Verbesserungen der Situation von Frauen im Land. Was konnte davon umgesetzt werden?
Es liegt in den Händen der Exekutive, das Verbot der „Pille danach” aufzuheben. Das ist bisher nicht passiert. Honduras ist das einzige Land in Lateinamerika, in dem sie verboten ist. Für die Aufhebung ist ein Exekutivdekret ausreichend, dabei ist eine Zustimmung des Nationalkongresses nicht erforderlich. Bisher hat Xiomara Castro, die von sich behauptet, sie sei die Präsidentin einer feministischen Regierung, dieses so leicht zu erfüllende Versprechen nicht eingelöst. Auch im Kabinett selbst sieht man Widersprüche. Obwohl sie verkündet, dass dies die Zeit der Frauen ist, hatte das vorherige Kabinett von Juan Orlando Hernández mehr Ministerinnen als das von Xiomara Castro, was offensichtlich nicht mit ihrem Diskurs übereinstimmt.

Der ehemalige Präsident Juan Orlando Hernández wurde an die Vereinigten Staaten ausgeliefert, weil er der Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen beschuldigt wird. Besteht diese Verflechtung zwischen der derzeitigen Regierung und dem organisierten Verbrechen noch immer?
Juan Orlando Hernández wurde zwar ausgeliefert, aber die kriminellen Strukturen befinden sich noch immer innerhalb des Staates. Eines der großen Hindernisse für Castros Regierung ist, dass sie zwar an die Macht gekommen ist, aber eben nur an einen Teil der Macht. Denn viele mit dem organisierten Verbrechen verbundene Strukturen von Juan Orlando Hernández sind immer noch Teil des Staates. Das ist ein großes Hindernis. Es gibt Anschuldigungen gegen einzelne Mitglieder der Regierung von Xiomara Castro, die über viel politische Macht verfügen und denen ebenfalls Verbindungen zum Drogenhandel nachgesagt werden. Dies sind nur Gerüchte, aber sie geben Anlass zu großer Sorge.

Wie kann sich das auf die Castro-Regierung und ihre Handlungsfähigkeit auswirken?
Ein deutliches Beispiel für die Auswirkungen ist die Frage der Entmilitarisierung. Die Streitkräfte sind nicht erst seit Juan Orlando Hernández direkte Komplizen des Drogenhandels. Die Armee ist seit den 1970er und 1980er Jahren eine Schlüsselfigur im Drogenhandel in Honduras und ganz Mittelamerika.
Xiomara Castro ist es bisher nicht gelungen, das Militärbudget zu kürzen, die Macht der Streitkräfte zu reduzieren oder ihnen die Aufgaben der öffentlichen Sicherheit zu entziehen. Dort ist ein Umstrukturierungsprozess erforderlich, das ist eine wichtige Forderung der Zivilgesellschaft. Zudem ist ein nationaler Dialog über die Frage, ob es überhaupt eine Armee geben soll oder nicht, notwendig. Denn die Streitkräfte sind, wie Victor Mesa sagt, zum schlimmsten Albtraum für die Demokratie geworden. Doch angesichts der Macht des Militärs und seiner Verbindung zum Drogenhandel ist das sehr schwierig.

Dieser Artikel erschien in unserem Dossier “Sein oder Schein? – Die neue progressive Welle in Lateinamerika”. Das Dossier lag der Oktober/November-Ausgabe 2022 bei und kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

„ES IST MÖGLICH, UNSEREN STAAT ZU RETTEN“


Dennis Muñoz ist Menschenrechtsverteidiger, Sozialforscher und begleitet Menschenrechtsbewegungen in Mittelamerika. Er hat in Honduras in den Bereichen der Rechtssicherheit und der Verteidigung von Kinder- und Jugendrechten gearbeitet. Derzeit lebt er im Exil in Deutschland.

(Foto: Privat)


Am 21. Januar spaltete sich die Parlaments­fraktion der LIBRE-Partei – wie kam es dazu?
Der neuralgische Punkt für die 20 Dissidenten von LIBRE ist das politische Abkommen, das vor den Wahlen zwischen der Kandidatin von LIBRE, der jetzigen Präsidentin Xiomara Castro, und Salvador Nasrralla von der Partei Salvador de Honduras unterzeichnet wurde. Nasrralla hatte versprochen, auf seine Präsidentschaftskandidatur zu verzichten, falls ein Mitglied seiner Partei nach dem Wahlsieg von LIBRE den Vorsitz im Kongress erhalten würde.

Die abtrünnigen LIBRE-Abgeordneten waren nicht damit einverstanden, dass ein Angehöriger einer anderen politischen Partei Präsident des Nationalkongresses werden sollte. Sie wurden von der Nationalen Partei und der Liberalen Partei zu ihrem Abstimmungsverhalten verleitet, die die Kontrolle über die Legislative nicht verlieren wollen. Aber im Grunde versuchen diese beiden Parteien, das Land zu destabilisieren. Sie wollen vor allem mögliche Abkommen verhindern, die Auslieferungen an die USA ermöglichen. Und sie wollen verhindern, dass das Strafgesetzbuch in Bezug auf Korruptionsverbrechen geändert wird, weil die bestehenden Gesetze ihnen Schutz und Straffreiheit gewähren.

Was geschah innerhalb der LIBRE-Partei und im Nationalkongress bei der Wahl des neuen Vorstandes?
Am 21. Januar wurde der demokratische Grundsatz verletzt, vor den Vorschlägen von Kandidaten respektvoll zu debattieren und ein Rechtsfehler begangen, der über den Bereich des politischen Konflikts hinausgeht. Bei der Wahl des provisorischen Parlamentspräsidenten nahm der Innenminister den ersten Antrag an, bei dem die Abgeordnete Beatriz Valle den Abgeordneten Jorge Calix als provisorischen Präsidenten vorschlug. Es gab keine Gelegenheit für die zweite Nominierung, bei der die Abgeordnete Rassel den Kandidaten Luis Redondo vorschlagen wollte. Dann stimmten 20 LIBRE-Abgeordnete zusammen mit der Nationalen Partei und der Liberalen Partei für den ersten Antrag und erreichten das notwendige Quorum von 82 Stimmen für Calix.

Zwei Tage später, in der Sitzung vom 23. Januar, wurde die zweite Unregelmäßigkeit begangen. Der Kongress wurde mit Verspätung und an einem Ort am Rande der Stadt einberufen. Die Fraktion, die Jorge Calix mit 82 Abgeordneten gewählt hatte, tagte an diesem Ort.

Die Gruppe, die im Kongressgebäude auf den Beginn der Sitzung wartete, bestand aus den verschiedenen Abgeordneten, die Luis Redondo unterstützten. Sie beschlossen, stellvertretende Abgeordnete zu integrieren, um die fehlenden Stimmen der abweichenden Abgeordneten der LIBRE-Partei auszugleichen und für Redondo zu stimmen. Es fanden also zwei getrennte Kongresssitzungen statt und es gab zwei Präsidenten, aber beide waren nicht rechtmäßig und beide Wahlverfahren waren technisch gesehen nicht verfassungsgemäß, sondern fehlerhaft.

Wie erklären Sie sich, dass die abtrünnigen Mitglieder der LIBRE-Partei mit der Nationalen und der Liberalen Partei gestimmt haben?
Diese 20 Abgeordneten gehören seit zwölf Jahren zu den Loyalsten gegenüber LIBRE und zu den Kritischsten gegenüber der Regierung der Nationalen Partei. Sie stammen aus verschiedenen Regionen des Landes und führen politische und soziale Bewegungen an. Innerhalb der Logik der honduranischen Politik ist es undenkbar, dass sie auf die Idee gekommen sein könnten, mit der Nationalen Partei zu paktieren. Aber die Angst, die Kontrolle über die Legislative zu verlieren, war die Rechtfertigung für eine unverhältnismäßig riskante Aktion, um den Sieg ihrer Partei zu sichern. Dadurch haben sie die Legitimität, die LIBRE in Bezug auf die Wahl hatte, beschädigt. Es war eine verzweifelte Entscheidung, denn es gab keine interne Diskussion über die Wahl von Redondo.

Hat die Nationale Partei bereits vorher versucht, die Wahl und die Amtseinführung von Castro abzuwenden?
Die Nationale Partei legt ihr schon seit zwei Jahren Hindernisse in den Weg. Seit der Reform der Institutionen zur Durchführung des Wahlprozesses in Honduras hat die Nationale Partei die Umsetzung der Wahlreformen über zwei Jahre verzögert. Und in den darauffolgenden zwei Jahren, in denen die institutionelle Infrastruktur aufgebaut und mit Leben gefüllt wurde, bremste die Nationale Partei noch mehr. So dauerte es beispielsweise ein Jahr, bis der Haushalt für diese Institutionen genehmigt wurde. 60 Tage vor den Wahlen verfügte der Nationale Wahlrat noch über kein Budget für die Durchführung des Wahlprozesses. Außerdem erklärte sich die Nationale Partei am Wahltag zweimal zum Wahlsieger und versuchte alles Erdenkliche, um die Auszählung der Wahlurnen zu verzögern.

Zweifellos versucht die Nationale Partei, die parlamentarischen Prozesse zu sabotieren. Sie hat die Schwächen und Uneinigkeit von LIBRE ausgenutzt, um einen Kongress zu verhindern, der es ermöglichen würde, ein Quorum für die Wahl des nächsten Obersten Gerichtshofes und des nächsten Generalstaatsanwaltes der Republik zu erhalten.

Kann Präsidentin Castro ihr Regierungs­programm angesichts dieser Situation im Kongress noch umsetzen?
Die honduranische Gesellschaft hat ihr Vertrauen in LIBRE gesetzt, die nun schnelle Antworten geben muss. Die Partei hat einen Regierungsplan für die ersten 100 Tage vorgelegt. Sie konzentriert sich auf vier Schwerpunkte: die Wiederherstellung der Institutionen im Dienst der Bürger, des Bildungssystems und der Effizienz des Gesundheitswesens sowie im wirtschaftlichen Bereich die Reaktivierung der Beschäftigung und die Wiederbelebung der kleinen und mittleren Unternehmen. Dazu muss ein neuer Gesamthaushalt ausgehandelt werden, der eine Mehrheit von 86 Stimmen im Kongress benötigt. Das bringt die neue Regierung in eine schwierige Lage.

Wie könnte die Präsidentin gegen Korruption und Straffreiheit vorgehen?
Wir dürfen nicht unterschätzen, dass der Kampf gegen die Korruption lediglich ein Schlagwort ist, vor allem von Politikern. Die politische Klasse in Honduras hat mit dem System der Korruption die beste Einrichtung geerbt, um sich zu bereichern. Castro hat sich verpflichtet, die internationale Gemeinschaft erneut um Unterstützung zu bitten, um das Problem der Korruption und der Straflosigkeit zu lösen. Um dazu ein neues Abkommen über eine Kooperation zu unterzeichnen, sind in diesem neuen Kongress 86 Stimmen erforderlich. Das setzt voraus, dass sich ein Teil der Abgeordneten der Nationalen Partei von ihrer Partei distanziert. Eine Koalition der parlamentarischen Kräfte, die eine solche Einigung erreichen könnte, wird meiner Meinung nach schwierig sein.

Menschenrechts­verteidiger*innen und Aktivist­*innen werden in Honduras oft verfolgt, bedroht oder gar getötet. In den meisten Fällen herrscht Straflosigkeit. Wird es unter der Regierung Castro eine positive Veränderung geben?
Die Regierung von Xiomara Castro hat sich verpflichtet, einen Prozess des Schutzes und der Wiederbelebung der Kultur der Menschenrechte zu gewährleisten. Am 9. Januar wurde Pablo Hernández, ein Menschenrechtsverteidiger aus San Marcos de Caiquín, ermordet. Er wurde bereits verfolgt und war sogar gewarnt worden, dass er verfolgt werde. Dass sein Leben nicht geschützt werden konnte, ist eine Schande. Der Staat verfügt über Schutzmechanismen für Menschenrechtsverteidiger und steht unter Beobachtung durch die internationale Gemeinschaft, um den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Worüber er nicht verfügt, ist der ausdrückliche Wille der honduranischen Institutionen, die Menschenrechtsverteidiger zu schützen.

Welche Botschaft hat die honduranische Bevölkerung mit den Wahlergebnissen gesendet?
Die honduranische Bevölkerung hat gesagt: Wir wollen in einer Demokratie leben. Wir glauben, dass es möglich ist, unseren Staat zu retten, wir glauben, dass es möglich ist, wieder an die politische Klasse zu glauben. Jedoch beobachtet und überprüft durch die Bürger, mit etwas mehr Zweifeln und Argwohn gegenüber einer politischen Klasse, die sich als Alternative für den Wandel präsentiert hat. Und ohne aus dem Blick zu verlieren, dass der derzeitige Konflikt im Nationalkongress den Willen der Wählerinnen und Wähler untergraben könnte, daran zu glauben, dass es möglich ist, einen Rechtsstaat und eine Demokratie zu erhalten, in der sie sich einbezogen fühlen.

// ZAGHAFTE HOFFNUNG

„Wir schreiben Geschichte!“, twitterte Xiomara Castro nach ihrem Wahlerfolg. Die Kandidatin der linken Partei LIBRE hat bei der honduranischen Präsidentschaftswahl am 28. November überraschend deutlich gewonnen. Der Wahlsieg von Xiomara Castro ist vor allem ein Erfolg der organisierten Zivilgesellschaft, die nie aufgegeben hat: Tausende haben nach dem Putsch gegen Zelaya unter Lebensgefahr Straßen blockiert und protestiert, ebenso wie nach der „gestohlenen Wahl“ von 2017 oder während des großen Skandals um die Ausplünderung des Gesundheitssystems. Ganze Dörfer haben sich Minen- und Staudammprojekten entgegengestemmt. Die Basisbewegungen haben einen entscheidenden Anteil an der Wahl der ersten Präsidentin des Landes. Castro hat über 50 Prozent der Stimmen erhalten und damit mehr als jeder andere Kandidat seit 1981.

Xiomara Castro wird die erste Präsidentin des mittelamerikanischen Landes sein. Ihre Wahl ist ein Hoffnungsschimmer am Horizont für eine leidgeprüfte Bevölkerung, die in den vergangenen zwölf Jahren eine immer weiter gehende Zerrüttung aller staatlichen Institutionen erlebte. Seit der Verschleppung des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya, Ehemann von Xiomara Castro, im Juni 2009 zieht sich eine blutige Spur der Verwüstung durch das Land: die systematische Ermordung von Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen, von denen Berta Cáceres die prominenteste ist, Attentate und Repressionen gegen Richter*innen, Abgeordnete und Journalist*innen, die Durchsetzung von Minenprojekten und Wasserkraftwerken gegen den Willen der Bevölkerung. Die Liste ist lang und könnte noch lange fortgeführt werden.

Der noch amtierende Präsident Juan Orlando Hernández wird von großen Teilen der Bevölkerung und politischen Analyst*innen ganz offen als Narcodiktator bezeichnet. Ohne Immunität droht ihm der Prozess in den USA. Damit ist er in bester Gesellschaft: In Honduras besitzen die meisten politisch einflussreichen Familien lukrative Unternehmen, die gleichermaßen von der Korruption wie vom Drogenhandel profitieren. Die ökonomischen Perspektiven sind laut dem Analysten Elvin Hernández düster: Die Korruptionsnetzwerke würden nach Kräften alle Reformen sabotieren und die öffentliche Hand sei mit 16 Milliarden US-Dollar verschuldet. Gleichzeitig hat die Armut im Land in der Ära Hernández alarmierende Ausmaße angenommen.

Die parlamentarischen Spielräume der neuen Regierung sind ebenfalls begrenzt. Auch wenn die zukünftige Sitzverteilung im Parlament noch nicht vollständig geklärt ist: LIBRE geht aus der Wahl zwar als größte Fraktion hervor, ist aber weit von der absoluten Mehrheit entfernt. Castro wird für die von LIBRE versprochenen, tiefgreifenden Sozial-, Wirtschafts- und Justizreformen politische Allianzen suchen müssen. Martha Dubón Acosta von der Nichtregierungsorganisation Jueces por la democracia (Richter*innen für die Demokratie) zeigt sich gegenüber NPLA dennoch optimistisch: „Zumindest könnten wir Stück für Stück den Rechtsstaat wiederherstellen. Die Menschen müssen wieder Vertrauen in ihre Institutionen haben können. Wir müssen diese Narcodiktatur, die Honduras regiert, besiegen.“

Und so erwartet der Menschenrechtsaktivist Jimmy Eduardo Bermúdez Perdomo aus San Pedro Sula keine einfachen, aber deutlich bessere Zeiten: „Honduras steht ein Moment der Hoffnung und Freude für den Aufbau der Demokratie bevor – ein Aufbau, der mit Gerechtigkeit und dem Kampf gegen die Straflosigkeit geschmiedet werden muss.“

„SIE GEHEN!”

Ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung 69,3 Prozent aller Wahlberechtigten stimmten ab (Foto: Luis Méndez)

Unter den Hashtags #sevan („Sie gehen“) oder gar schon #sefueron („Sie sind weg“) wird in sozialen Medien in Honduras der Wahlsieg der linken Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro gefeiert. Nach Auszählung von fast 86 Prozent der abgegebenen Stimmen führt Castro mit 50,2 Prozent vor ihrem Hauptkonkurrenten Nasry Asfura mit 36,3 Prozent; ihr Vorsprung ist damit nicht mehr einzuholen. Auf dem dritten Platz liegt Yani Rosenthal von der Liberalen Partei mit 9,8 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 69,3 Prozent für Honduras ungewöhnlich hoch. Die Hashtags zeigen aber auch, worum es den Wähler*innen in erster Linie ging: Das Ende von 12 Jahren Herrschaft der Nationalen Partei, die eine Autokratie mit einem hohen Niveau an Korruption errichtet und die Gewaltenteilung im Land weitgehend außer Kraft gesetzt hat.

Bereits am Wahlabend erklärte sich Castro zur Gewinnerin: „Wir haben den Autoritarismus und die Kontinuität umgekehrt. Wir werden eine Regierung der Versöhnung, des Friedens und der Gerechtigkeit bilden. Wir werden eine direkte und partizipative Demokratie gewährleisten.” Zwar hatte der Wahlrat bis zum 7. Dezember noch kein offizielles Endergebnis bekanntgegeben, Konkurrent Nasry Asfura gratulierte Castro aber bereits zur Wahl, ebenso wie der US-amerikanische Außenminister Antony Blinken und der Leiter der Wahlbeobachtungsmission der Organisation Amerikanischer Staaten, Luis Guillermo Solís. Xiomara Castro wird damit Ende Januar die erste Frau im höchsten Staatsamt in der Geschichte des Landes. Auch das ist bedeutend in einem Land, in dem ein absolutes Abtreibungsverbot herrscht und das eine der höchsten Feminizidraten der Welt hat.

Xiomara Castro trat für die linksgerichtete Partei LIBRE zum zweiten Mal als Präsidentschaftskandidatin an, zum ersten Mal kandidierte sie 2013. Sie ist die Ehefrau des 2009 aus dem Amt geputschten Präsidenten Manual Zelaya, der seiner eigenen liberalen Partei damals zu weit nach links gerückt war. LIBRE wurde aus Teilen der Widerstandsbewegung gegen den Putsch gegründet und verspricht einen linken Reformkurs. Castros aussichtsreichster Gegenkandidat war der Bürgermeister von Tegucigalpa, Nasry Asfura, von der regierenden Nationalen Partei. Castro wird von einer Allianz der Parteien Salvador de Honduras, Teilen der Liberalen Partei und der Kleinpartei Pinu unterstützt.

Neben dem Präsidentenamt wurde über die Abgeordneten des Nationalkongresses und die Bürgermeisterämter abgestimmt. Auch hier zeichnen sich große Veränderungen ab. Nach dem Stand der Auszählung bis zum 8. Dezember erzielt keine Partei eine absolute Mehrheit. Die Partei LIBRE kommt voraussichtlich auf 50 Abgeordnete, die Partei Salvador de Honduras, die bereits vor der Wahl LIBRE ihre Unterstützung zugesagt hat, auf zehn. Eine weitere potentielle Koalitionspartnerin wäre die Christlich-Sozialdemokratische Partei mit einem Abgeordneten. Diese potentiellen Koalition erreicht mit 61 Stimmen nicht die qualifizierte Mehrheit von 65 Abgeordneten für die Wahl des Verwaltungsrates des Nationalkongresses. Dagegen steht die bisher regierende Nationale Partei mit voraussichtlich 44 Sitzen. Für Überraschung sorgt eine Ankündigung der Liberalen Partei – die voraussichtlich mit 22 Abgeordneten vertreten ist – LIBRE bei den Wahlen zum Vorsitz des Parlaments zu unterstützen. Denn eigentlich dürfte die Liberale Partei der konservativen Opposition zuzurechnen zu sein, ebenso wie die Antikorruptionspartei mit einem Abgeordneten. Doch auch für den Kongress waren die Wahlergebnisse bis zum 8. Dezember noch nicht offiziell bestätigt, in einigen Wahlkreisen wurden die Ergebnisse aufgrund von Unregelmäßigkeiten angefochten. Die Bürgermeisterämter in den beiden größten Städten Tegucigalpa und San Pedro Sula gehen voraussichtlich an die Kandidaten von LIBRE.

Es ist daher bereits absehbar, dass Castro, um ihre Wahlversprechen zu erfüllen, auf Vereinbarungen zwischen den unterschiedlichen politischen Kräften angewiesen sein wird. Die honduranische Gesellschaft steht in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen, denn es müssen auch ein neuer Oberster Gerichtshof, eine neue Leitung der Generalstaatsanwaltschaft und andere hochrangige Beamt*innen gewählt werden. All dies hängt davon ab, welche Koalitionen sich zwischen den Parteien bilden werden.

Überschattet war der Wahlkampf von politischer Gewalt. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte schrieb: „Seit der Ausrufung der Vorwahlen im September 2020 hat das UN-Menschenrechtsbüro in Honduras 63 Fälle von politischer Gewalt registriert, darunter 29 Tötungen, 14 Angriffe, 12 Fälle von aggressivem Verhalten sowie sieben Personen, die direkt bedroht wurden, und eine, die entführt wurde.”

Befürchtungen, dass sich die Repression wiederholen könnte, mit der den Protesten nach der Wahl 2017 begegnet worden war, haben sich aber glücklicherweise nicht bestätigt. Über 30 Demonstrierende verloren damals ihr Leben, ein Großteil wurde von den Sicherheitskräften erschossen. Zur Verantwortung gezogen wurde dafür niemand. Stattdessen hat die honduranische Regierung mittlerweile ein Gesetz erlassen, das den Sicherheitskräften quasi Straffreiheit für im Amt begangene Gewalttaten zusichert.

Präsident Juan Orlando Hernández nutzte seine zweite Amtszeit auch, um die Straflosigkeit für korrupte Politiker*innen weiter abzusichern. In den vergangenen acht Jahren hat die Armut in Honduras immer weiter zugenommen, auch weil Abgeordnete und Regierungsfunktionär*innen systematisch öffentliche Gelder abgezweigt haben. Hernández’ Regierung weigerte sich, die Internationale Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (MACCIH) fortzuführen, obwohl (möglicherweise auch gerade weil) sie Ermittlungserfolge vorweisen konnte. Durch MACCIH konnten Korruptionsnetzwerke aufgedeckt werden, in die mehr als 60 Abgeordnete verwickelt waren.

Deutschland hat die Arbeit der Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit mit zwei Millionen Euro unterstützt. Präsident Hernández, der von großen Teilen der honduranischen Bevölkerung und politischen Analysten offen als Narcodiktator bezeichnet wird, ist spätestens seit der Verurteilung seines Bruders Antonio Hernández für Drogenhandel und Geldwäsche im großen Stil vor einem New Yorker Gericht im Jahr 2019 auch international in Verruf geraten. In dem Verfahren wurde der Präsident von Zeug*innen als Mitwisser und Beteiligter der kriminellen Geschäfte benannt, juristisch verfolgt wurde er bislang nicht.

Auch der Kandidat der Liberalen Partei, Yani Rosenthal, stand mit Drogenkartellen in Verbindung und verbüßte in den Vereinigten Staaten eine 36-monatige Haftstrafe. Nach seiner Rückkehr begann er seinen politischen Wahlkampf, um sich einen Anteil an der Macht zu sichern. Dies ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Die Rosenthal-Gruppe versucht, den nächsten Nationalkongress dahingehend zu beeinflussen, dass die Gesetze flexibler gestaltet werden, insbesondere diejenigen, die die Auslieferung von Honduraner*innen an die USA wegen ihrer Verbindungen zum Drogenhandel regeln.

Deutsche Unternehmen ließen sich von Korruption nicht stören

Das deutsche Auswärtige Amt betont auf seiner Webseite jedoch weiterhin das freundschaftliche Verhältnis der beiden Länder. Deutschland gehört demzufolge zu den größten bilateralen Geldgebern in der Entwicklungszusammenarbeit mit Honduras: „Schwerpunktbereiche sind Bildung sowie Umwelt- und Ressourcenschutz einschließlich der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und Klimaschutz.“ Das klingt zwar gut, wahrscheinlich sind aber auch in die Wasserkraftprojekte Gelder geflossen, für deren Bau Menschenrechte verletzt wurden. Genau nachvollziehen lässt sich das nicht, da Mittel der staatlichen Entwicklungsbank KfW in Mittelamerika über die Entwicklungsbank BCIE vergeben werden. Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit soll allerdings 2023 auslaufen – dies wurde bereits lange vor den Wahlen beschlossen.

Auch deutsche Unternehmen ließen sich von dem Wissen um grassierende Korruption und Menschenrechtsverletzungen in dem zentralamerikanischen Land nicht immer stören. So wurde auf dem ehemaligen Militärstützpunkt Palmerola in der Nähe der Hauptstadt Tegucigalpa ein neuer internationaler Flughafen errichtet, der Ende November eröffnen sollte. „Möglich wurde der Bau und Betrieb des Flughafens durch das Engagement der Münchner Flughafengesellschaft mit ihrem Tochterunternehmen MIA, das dem honduranischen Partner EMCO/PIA unentbehrliches Know-how und Kontakte zur Verfügung stellte“, schreibt das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit aus München.

Problematisch daran ist die Zusammenarbeit mit dem Eigentümer der EMCO, Lenir Pérez, der Umweltschützer*innen im Dorf Guapinol kriminalisieren lässt, weil sie sich gegen seine Eisenerzmine und für den Schutz ihrer Wasserressourcen eingesetzt haben. Acht Männer aus dem Dorf sind seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft – die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen gegen willkürliche Verhaftungen prangert dies als unrechtmäßig an. Die Bayerische Staatsregierung, Mehrheitseigentümerin der Münchner Flughafengesellschaft, wollte hingegen im Jahr 2018 auch auf Nachfrage von Menschenrechtsverletzungen durch Pérez‘ Unternehmen nichts wissen.

Ein unvorteilhaftes Signal sendete Deutschland auch in Bezug auf das Projekt der „ZEDE“aus. ZEDE sind Sonderwirtschaftszonen mit weitgehendem Autonomiestatus, wie etwa einer eigenen Gerichtsbarkeit. Weite Teile der honduranischen Bevölkerung lehnen die ZEDE ab, weil sie Vertreibungen und Enteignungen fürchten. Besonders indigene Territorien sind gefährdet. Der deutsche Botschafter zeigte sich im Juli wenig sensibel für die Stimmung in der honduranischen Bevölkerung, als er in Begleitung der Außenhandelskammer die im Bau befindliche ZEDE „Próspera“ auf der Insel Roatán besuchte und mit deren Geschäftsführung sprach, nicht aber mit Gegner*innen des Projekts. Xiomara Castro und ihre Allianz wollen die Sonderentwicklungszonen wieder abschaffen. Leicht wird das angesichts zu erwartender Entschädigungsforderungen von Unternehmen nicht werden.

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