Schweres Erbe aus 12 Jahren Diktatur

Große Baustellen und wenig Unterstützung Xiomara Castro steht vor einigen neuen Aufgaben (Foto: Jorge Cabrera/Contracorriente, Licencia de Producción Pares)

14 Monate nach ihrem Amtsantritt gehört Castro mit einer Zustimmung von über 60 Prozent noch zu den populäreren Präsident*innen der Region. Der erhoffte sozialdemokratische Wandel steht jedoch weiterhin vor großen Herausforderungen: Zwischen 2011 und 2022 sind die Auslandsschulden laut honduranischem Finanzministerium von 4365 Mio. USD auf rund 9540 Mio. USD gestiegen, das entspricht etwa 56,7 Prozent des BIP. Dazu kommen die verkrusteten sozialen und wirtschaftlichen Strukturen, die Auswirkungen der weltweiten Rezession und nicht zuletzt eine reaktionäre parlamentarische Opposition.

Maßnahmen wie Gratis-Strom für 1,3 Millionen Mindestverbraucher*innen, die temporäre Subvention des Diesel-Preises und die Erhöhung der Budgets für Gesundheit und Bildung kommen von Armut betroffenen Menschen direkt zugute. Doch Projekte wie die Abschaffung der Sonderwirtschaftszonen ZEDE, die Amnestie für politische Gefangene und die Anerkennung der sogenannten „Märtyrer“ der Proteste nach den Wahlbetrügen von 2014 und 2017, sind in erster Linie Teil einer Symbolpolitik. Für die große Mehrheit der Bevölkerung sind diese Maßnahmen zu abstrakt.

Xiomara Castro hat ein hochverschuldetes und praktisch bankrottes Land übernommen. Die Inflationsrate, die laut der honduranischen Zentralbank bei 9,8 Prozent liegt, sorgt zudem für ansteigende Kosten: Das ganze Land ächzt unter den hohen Lebensmittelpreisen. Allein die 30 wichtigsten Nahrungsmittel für eine fünfköpfige Familie kosten im Monat mehr als der Mindestlohn von 11.365 Lempiras, umgerechnet 405 Euro. „Die Lebensmittelpreise sind extrem hoch. Ein Ei kostet jetzt sieben Lempiras (0.25 Euro), vor einem Jahr kostete es die Hälfte. Wir essen oft nur zweimal am Tag, weil unser Einkommen einfach nicht reicht“, sagt Juana Portillo. Sie ist 33 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern im „Sector Rivera Hernández“, einem marginalisierten Viertel in der Nähe des Flughafens San Pedro Sula im Norden von Honduras.

Preiskontrolle? Agrarreform? Weitergehende Subventionen? Leider Fehlanzeige. Zu stark ist die Vorherrschaft der Oligarchie, die aus Vertreter*innen von Großgrundbesitz, Importgeschäft, Stromproduktion, Handel, Industrie und Medien besteht. Auch die katholische Kirche beschränkt ihr Engagement auf den Erhalt des Status Quo.

Nach 132 Jahren konnte Castros Regierungspartei Libertad y Refundación (LIBRE) mit einem fortschrittlichen Programm die Dominanz der beiden großen Parteien Partido Nacional (PN) und Partido Liberal (PL) brechen. Für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, ein konkretes Vorhaben von LIBRE, reicht der Rückhalt im Parlament jedoch nicht. Vor allem seitdem die parlamentarische Allianz mit der rechten Protestpartei Salvador de Honduras (PSH) des populären Fernsehmoderators Salvador Nasralla zerbrochen ist. Die ideologischen Differenzen zwischen ihm und Castro waren unüberwindbar.

Aber auch innerhalb der Regierung gibt es ideologische Gräben: Während der Debatte um die Steuerreform, die insbesondere Steuerbefreiungen für große, rentable Korporationen der Oligarchie aufheben soll, gerieten der Vorsitzende der honduranischen Steuerbehörde (der LIBRE-Mitglied ist), der Entwicklungsminister, der ehemalige Chef einer Arbeitgeberorganisation und ein PSH-Mitglied öffentlich aneinander und beschimpften sich als „Radikaler“ und „Verräter“. Dabei ist klar, dass die Regierung dringend Einnahmen benötigt, um die Funktionen des Staates aufrechtzuerhalten und Infrastrukturprojekte und soziale Programme für die wachsende Zahl armutsgefährdeter Personen finanzieren zu können. Laut dem Direktor der honduranischen Steuerbehörde SAR entgingen dem Staat allein 2022 über 2,4 Milliarden USD durch Steuerbefreiungen.

„Die Menge an Problemen kennt keine Grenzen“, fasste die sichtlich frustrierte Präsidentin die Situation kürzlich zusammen. Korrekturen führten oft ebenfalls zu Problemen. Weil der Medikamenteneinkauf des Gesundheitsministeriums strukturell von Korruption durchzogen war, wurde der Vorgang komplett geändert – mit dem Resultat, dass aktuell elementare Arzneimittel in den öffentlichen Krankenhäusern und Gesundheitszentren fehlen. Zudem konnte das Versprechen der Vorgängerregierung nicht eingehalten werden, das gesamte Gesundheitspersonal, das an erster Stelle und ohne ausreichenden Schutz gegen Covid-19 gekämpft hatte, fest anzustellen. Dazu fehlt schlicht das Geld. Viele weitere Sektoren fordern Lohnerhöhungen und Anstellungen in der öffentlichen Verwaltung.

Seit den Wahlen Ende 2021 verfügt die Regierungspartei LIBRE über 48 von 128 Parlamentarier*innen im Nationalkongress, die Fraktion der PN, die hinter dem aktuell in New York inhaftierten Ex-Präsidenten Juan Orlando Hernández stand (und teilweise noch steht) über 43. Die PN hatte den honduranischen Staat während zwölf Jahren gekapert und mit den größten Drogenhändler*innen aus Südamerika und Mexiko zusammengearbeitet, um an der Macht zu bleiben und sich zu bereichern. Währenddessen wurde die Bevölkerung immer ärmer, Hunderttausende emigrierten undokumentiert. Allianzen mit der Liberalen Partei, aus der LIBRE nach dem Putsch 2009 hervorgegangen ist, sind unwahrscheinlich – die Ressentiments auf beiden Seiten bleiben.

Ein weiteres Wahlkampfversprechen von LIBRE ist die Justizreform – eine Herkulesaufgabe angesichts struktureller Probleme wie der Korruption und einer hohen Straflosigkeit bei Gewaltverbrechen, Morden und Feminiziden. Fehlendes Vertrauen in den Rechtsstaat schreckt viele in- und ausländische Investor*innen ab. Ihre Ressourcen braucht das Land jedoch dringend, um die grassierende Arbeitslosigkeit zu verringern. Die von den UN geführte Internationale Kommission gegen die Korruption und die Straflosigkeit (CICIH) soll nicht nur die Justiz stärken, sondern Angeklagte strafrechtlich verfolgen und anklagen können. Das wäre ein riesiger Erfolg für Castro und ein entscheidender Schritt auf dem langen Weg zum Rechtsstaat.

Für die Bevölkerung ist das Thema der Sicherheit für Leib und Leben besonders dringlich. Die Mordrate ist zwar seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2011 von 166 Morden auf 35,8 Morde pro 100.000 Menschen gesunken, die öffentliche Wahrnehmung hat sich diesbezüglich jedoch kaum geändert. Seit Dezember 2022 herrscht ein Ausnahmezustand „light“ in vielen Stadtgebieten mit hoher Kriminalität, um Erpressungsdelikte zu bekämpfen, die oft zu Morden führen.

Korruption führt zu Arzneimittel-mangel in Krankenhäusern und Gesundheitszentren

Die schockierenden Massaker im März dieses Jahres, bei denen es innerhalb weniger Tage eine Reihe von Toten gab, erschütterten das labile Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei zusätzlich. Denn diese reagierte mit der immer gleichen Floskel: „Es handelt sich um einen Konflikt zwischen rivalisieren Gangs.“ Danach passierte meistens nichts. Viele Honduraner*innen sagen daher, dass in Honduras alle Verbrechen perfekt seien – die Ironie stirbt zuletzt.

Laut einer aktuellen Umfrage möchte fast die Hälfte der honduranischen Bevölkerung emigrieren. Der Soziologe Marco Antonio Tinoco schlägt deshalb ein neues Entwicklungsmodell vor, das besonders jungen Menschen die Chance geben soll, eine Perspektive im Land zu finden: „Wir brauchen viel mehr staatliche Investitionen in Ausbildung, besonders auf dem Land, und natürlich Jobchancen, damit die Leute würdevoll leben können und nicht emigrieren müssen.“ Ein Hoffnungsschimmer ist daher die Zusammenarbeit mit Kuba zur Bekämpfung des Analphabetismus: 100.000 Honduranerinnen sollen ab März 2023 innerhalb von drei Monaten Lesen und Schreiben lernen. Von der Opposition und ihrem medialen Resonanzboden wird dieser Akt gelebter Solidarität zwischen zwei souveränen Nationen als „Indoktrination“ bezeichnet.

Bisher ist die 62-jährige Xiomara Castro in den Medien deutlich weniger präsent als ihre Vorgänger Juan Orlando Hernández und Porfirio Lobo. Dafür twittert sie umso mehr im Stil des salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele und befiehlt beispielsweise dem Polizeichef nach besonders aufsehenerregenden Gewalttaten Resultate innerhalb von drei Tagen. In den sozialen Medien liefern sich auch hohe Regierungsvertreter*innen verbale Scharmützel mit der US-Botschaft und provozieren damit gezielt konservative Kreise. Diese wiederum werfen Castro vor, sie sei von ihrem Ehemann, dem ehemaligen Präsidenten Manuel Zelaya, gesteuert und beabsichtige, das Land in den Kommunismus zu führen.

Als die Präsidentin am 8. März die Notfallverhütung wieder legalisierte (als letztes Land in ganz Lateinamerika), entrüsteten sich genau die Frauen- und demokratiefeindlichen Gruppierungen, die den öffentlichen Diskurs prägen. Noch größer war der Aufschrei, als Castro Mitte März den Außenminister Eduardo Reina damit beauftragte, diplomatische Beziehungen mit China anzubahnen – nach 82 Jahren der Zusammenarbeit mit Taiwan. Dagegen protestierten nicht nur die honduranischen Konservativen, sondern auch renommierte US-Außenpolitiker*innen. Letztere warnten vor einer „Falle Chinas“ und vor negativen Konsequenzen für diejenigen Honduraner*innen in den USA, die dort die Erneuerung des temporären TPS-Schutzstatus anstreben. Diplomatische Beziehungen mit China öffnen aber durchaus Alternativen für Honduras, besonders in Bereichen wie wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, Infrastruktur und Ausbildung.

Letztlich wird Castro nur erfolgreich sein, wenn die Mehrheit der Bevölkerung spürt, dass ihr Leben sich verbessert – ob durch eine höhere Kaufkraft, Subventionen, Zugang zu einem gestärkten Gesundheits- und Bildungssystem oder durch erhöhte individuelle Sicherheit. Bessere Lebensumstände, die die honduranische Bevölkerung nicht zur Emigration zwingen. Nach einem Übergangsjahr muss Castro jetzt Charakterstärke zeigen, sich gegen die faktischen Kräfte durchsetzen und mit ihrem Kabinett fühlbare Resultate liefern.

FAHR ZUR HÖLLE, JOH!

Verhaftung von JOH Wegen vieler Verbrechen gerechtfertigt (Foto: Luis Méndez)

Seit Ende Januar überschlagen sich in Honduras die Ereignisse. Den vorläufigen Höhepunkt bildet die Festnahme des Ex-Präsidenten und mutmaßlichen Drogenhändlers Juan Orlando Hernández (JOH) am 15. Februar 2022, begleitet von Jubeldemonstrationen auf den Straßen Tegucigalpas. Der Wahlerfolg Xiomara Castros Ende November 2021, ebenso frenetisch bejubelt, ist auf das dringende Bedürfnis der Bevölkerung zurückzuführen, das korrupte Regime, das zwölf Jahre lang das Land ausgeplündert hatte, zur Hölle zu schicken. So ist zu erwarten, dass JOH nicht der letzte bleibt, der in Ketten abgeführt wird. „Niemand steht über dem Gesetz“, hatte Hernández vor drei Jahren gesagt, als sein Bruder Antonio „Tony“ Hernández an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wurde. Doch war damals schon landläufig bekannt, dass der Präsident und Netzwerke seiner Nationalen Partei in massive Korruptionsskandale verstrickt waren.

JOH wurde verhaftet, nachdem die USA am 14. Februar ein Auslieferungsgesuch gestellt hatten. Ihm wird der Schmuggel von großen Mengen von Kokain in die USA vorgeworfen sowie illegaler Waffenbesitz und die Bildung krimineller Vereinigungen. Nach Kronzeugenaussagen kassierte er immer wieder hohe Bestechungsgelder von verschiedenen Drogenkartellen und hat im Gegenzug Drogentransporte von Polizei und Militär schützen lassen. Bestechungsgelder kamen unter anderem vom ehemaligen Chef des Sinaloa-Kartells, Joaquin „El Chapo“ Guzman, und vom 2021 verurteilten honduranischen Drogenboss Geovanny Fuentes. Drogengelder sollen auch in Hernández‘ Wahlkampagnen geflossen sein. Bereits im Verfahren gegen Tony Hernández wurde JOH als „Mitverschwörer“ benannt. Tony Hernández wurde am Oktober 2019 von einem New Yorker Gericht für schuldig befunden, Drogenhandel in großem Stil betrieben zu haben und in der Folge zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Es gäbe vieles außer dem Drogenhandel, wofür der Ex-Präsident im eigenen Land angeklagt werden könnte, etwa seine Rolle bei der blutigen Niederschlagung der Massenproteste nach den manipulierten Wahlen 2017, die 30 Protestierende das Leben kostete. Während die Verurteilung Hernández‘ in den USA als sicher angesehen werden kann, sind die honduranischen Gerichte bislang keine sichere Bank. Seine Verhaftung löste nicht nur Jubel in der Bevölkerung aus. Justizangestellte zollten ihm auf dem Weg zu einer ersten Anhörung respektvollen Applaus. Nicht zuletzt der Generalstaatsanwalt Oscar Chinchilla soll laut Aussage des Drogenbosses Fuentes seine schützende Hand über Drogengeschäfte gehalten haben. Im Fall des Ex-Präsidenten wird es am 16. März mit einer Anhörung zur Beweisaufnahme weitergehen.

Kennzeichnend für den Zustand des honduranischen Justizsystems ist der Fall Guapinol, der sich zeitgleich zur Festnahme von JOH abspielt. Am 9. Februar sprach das Gericht von Tocoa sechs von acht angeklagten Umweltschützern schuldig, einen Wachmann gefangengehalten und Container des Bergbauunternehmens Inversiones Los Pinares beschädigt, beziehungsweise in Brand gesetzt zu haben. Die Beweisführung und Zeugenaussagen waren von Anfang an widersprüchlich und konstruiert. Isabel Albaladejo Escribano, Repräsentantin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Honduras schrieb nach dem Urteil: „Wir bekräftigen, dass es sich bei den Inhaftierten von Guapinol um Verteidiger der Menschenrechte, des Landes, des Territoriums und der Umwelt handelt, die eine lobenswerte Arbeit für die Demokratie im Lande leisten. Sie haben mehr als 29 Monate willkürlichen Freiheitsentzugs verbüßt und sollten, wie die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für willkürliche Inhaftierung festgestellt hat, freigelassen werden und eine vollständige Entschädigung erhalten.“

Der Fall Guapinol ist das aktuell wohl bekannteste Beispiel der Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen zugunsten der Interessen von Unternehmen. Die Bevölkerung lokaler Gemeinden setzte sich gegen ein Bergbauprojekt im Nationalpark „Carlos Escaleras“ zur Wehr, unter anderem, weil dieses den Fluss Guapinol verschmutzt, aus dem die Gemeinden ihr Trinkwasser beziehen. Damit das Unternehmen Inversiones Los Pinares dort Eisenerz abbauen kann, hatte die Regierung extra die Grenzen des Nationalparks verändert. Inversiones Los Pinares gehört zur EMCO Holding, die wiederum einem der reichsten Unternehmer des Landes, Lenir Perez gehört. Perez‘ Ehefrau Ana entstammt der einflussreichen Oligarchenfamilie Facussé.

Am 10. Februar entschied der Oberste Gerichtshof, dass das gesamte Verfahren gegen die Umweltschützer annulliert werden müsse. Damit hätten die sechs in Haft verbliebenen Männer eigentlich freigelassen werden müssen. Die gesetzliche Regelung garantiere, dass Gerichtsentscheidungen sofort umgesetzt werden müssten, so der Anwalt der Umweltschützer von Gaupinol, Edy Tabora. Doch die beteiligten lokalen Gerichte von Tocoa, Trujillo und La Ceiba setzen weiter auf Verzögerungstaktik, indem sie sich unter anderem darauf beriefen, dass Entscheide noch nicht schriftlich vorlägen. Erst am 24. Februar ordnete das Gericht von Trujillo die sofortige Freilassung der Männer an. Am frühen Morgen wurden sie von ihren Familien und ihrer Gemeinde in Freiheit begrüßt. Bis zur Gerechtigkeit ist es aber noch ein langer Weg: Die Umweltschützer müssen entschädigt und die für die willkürliche Haft Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Vor allem müsste das Bergbauprojekt im Nationalpark gestoppt werden.

Für Miriam Miranda, renommierte Menschenrechtsverteidigerin und Koordinatorin der Garífuna-Organisation OFRANEH, zeigt die Verzögerungstaktik der Richter*innen die Parteilichkeit der Justiz. „Es ist offensichtlich, dass die Ausübung der Justiz weiterhin von den mächtigen Gruppen des Landes kontrolliert wird. Die Familie Facussé beispielsweise ist quasi Eigentümerin der Region Bajo Aguan und verfügt dort über 54 nicht registrierte Grundstücke. Die Familie hat politisches Gewicht bei den Entscheidungen von Richter*innen und Staatsanwält*innen“, erklärte sie gegenüber den LN.

Hernández wird nicht der letzte sein, der in Ketten abgeführt wird

Die neu gewählte Präsidentin Xiomara Castro hat in ihrer Antrittsrede „Freiheit für die politischen Gefangenen von Guapinol“ versprochen, doch die bei der Umsetzung des Urteils des Obersten Gerichtshofes gezeigten Widerstände machen das negative Potenzial des korrumpierten Justizsystems deutlich. Castro hat außerdem versprochen, keine neuen Genehmigungen für die Ausbeutung von Böden und Flüssen, für Nationalparks und Nebelwälder zuzulassen. Doch was ist mit der Vielzahl von Konzessionen, die bereits vergeben wurden? Menschenrechtsverteidiger*innen werden noch lange nicht sicher sein, glaubt auch Miriam Miranda: „Wir haben keinerlei Schutzgarantien für diejenigen, die die Territorien und die Naturgüter verteidigen. Weil die zwölf Jahre Diktatur die kriminellen Gruppen und alle wirtschaftlich mächtigen Gruppen gestärkt haben. Das ist eine große Herausforderung für die neue Präsidentin und sie wird nicht ohne die Unterstützung der Bevölkerung regieren können. Deswegen sagen wir als Indigene, als Garífuna und vor allem von Seiten der Sozialen Bewegungen, dass wir unseren Kampf stärken und weiter Druck aufbauen müssen.“

Unterstützung für den Kampf gegen die Korruption in den Institutionen wäre die Einrichtung einer Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit (CICIH), analog zur lange Jahre erfolgreich in Guatemala tätigen CICIG. Am 17. Februar hat Präsidentin Xiomara Castro in einem Brief an die Vereinten Nationen die Einrichtung einer solchen Kommission erbeten. Bereits 2015, im Skandal um den Betrug am Sozialsystem, wurde die Einrichtung einer CICIH gefordert, geeinigt hatte man sich schließlich auf die Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (MACCIH) mit einem weitaus schwächeren Mandat. Doch der MACCIH wurden ihre Ermittlungserfolge zum Verhängnis: Die Regierung von Juan Orlando Hernández weigerte sich, ihr Mandat über Anfang 2020 hinaus zu verlängern.

// ZAGHAFTE HOFFNUNG

„Wir schreiben Geschichte!“, twitterte Xiomara Castro nach ihrem Wahlerfolg. Die Kandidatin der linken Partei LIBRE hat bei der honduranischen Präsidentschaftswahl am 28. November überraschend deutlich gewonnen. Der Wahlsieg von Xiomara Castro ist vor allem ein Erfolg der organisierten Zivilgesellschaft, die nie aufgegeben hat: Tausende haben nach dem Putsch gegen Zelaya unter Lebensgefahr Straßen blockiert und protestiert, ebenso wie nach der „gestohlenen Wahl“ von 2017 oder während des großen Skandals um die Ausplünderung des Gesundheitssystems. Ganze Dörfer haben sich Minen- und Staudammprojekten entgegengestemmt. Die Basisbewegungen haben einen entscheidenden Anteil an der Wahl der ersten Präsidentin des Landes. Castro hat über 50 Prozent der Stimmen erhalten und damit mehr als jeder andere Kandidat seit 1981.

Xiomara Castro wird die erste Präsidentin des mittelamerikanischen Landes sein. Ihre Wahl ist ein Hoffnungsschimmer am Horizont für eine leidgeprüfte Bevölkerung, die in den vergangenen zwölf Jahren eine immer weiter gehende Zerrüttung aller staatlichen Institutionen erlebte. Seit der Verschleppung des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya, Ehemann von Xiomara Castro, im Juni 2009 zieht sich eine blutige Spur der Verwüstung durch das Land: die systematische Ermordung von Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen, von denen Berta Cáceres die prominenteste ist, Attentate und Repressionen gegen Richter*innen, Abgeordnete und Journalist*innen, die Durchsetzung von Minenprojekten und Wasserkraftwerken gegen den Willen der Bevölkerung. Die Liste ist lang und könnte noch lange fortgeführt werden.

Der noch amtierende Präsident Juan Orlando Hernández wird von großen Teilen der Bevölkerung und politischen Analyst*innen ganz offen als Narcodiktator bezeichnet. Ohne Immunität droht ihm der Prozess in den USA. Damit ist er in bester Gesellschaft: In Honduras besitzen die meisten politisch einflussreichen Familien lukrative Unternehmen, die gleichermaßen von der Korruption wie vom Drogenhandel profitieren. Die ökonomischen Perspektiven sind laut dem Analysten Elvin Hernández düster: Die Korruptionsnetzwerke würden nach Kräften alle Reformen sabotieren und die öffentliche Hand sei mit 16 Milliarden US-Dollar verschuldet. Gleichzeitig hat die Armut im Land in der Ära Hernández alarmierende Ausmaße angenommen.

Die parlamentarischen Spielräume der neuen Regierung sind ebenfalls begrenzt. Auch wenn die zukünftige Sitzverteilung im Parlament noch nicht vollständig geklärt ist: LIBRE geht aus der Wahl zwar als größte Fraktion hervor, ist aber weit von der absoluten Mehrheit entfernt. Castro wird für die von LIBRE versprochenen, tiefgreifenden Sozial-, Wirtschafts- und Justizreformen politische Allianzen suchen müssen. Martha Dubón Acosta von der Nichtregierungsorganisation Jueces por la democracia (Richter*innen für die Demokratie) zeigt sich gegenüber NPLA dennoch optimistisch: „Zumindest könnten wir Stück für Stück den Rechtsstaat wiederherstellen. Die Menschen müssen wieder Vertrauen in ihre Institutionen haben können. Wir müssen diese Narcodiktatur, die Honduras regiert, besiegen.“

Und so erwartet der Menschenrechtsaktivist Jimmy Eduardo Bermúdez Perdomo aus San Pedro Sula keine einfachen, aber deutlich bessere Zeiten: „Honduras steht ein Moment der Hoffnung und Freude für den Aufbau der Demokratie bevor – ein Aufbau, der mit Gerechtigkeit und dem Kampf gegen die Straflosigkeit geschmiedet werden muss.“

„SIE GEHEN!”

Ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung 69,3 Prozent aller Wahlberechtigten stimmten ab (Foto: Luis Méndez)

Unter den Hashtags #sevan („Sie gehen“) oder gar schon #sefueron („Sie sind weg“) wird in sozialen Medien in Honduras der Wahlsieg der linken Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro gefeiert. Nach Auszählung von fast 86 Prozent der abgegebenen Stimmen führt Castro mit 50,2 Prozent vor ihrem Hauptkonkurrenten Nasry Asfura mit 36,3 Prozent; ihr Vorsprung ist damit nicht mehr einzuholen. Auf dem dritten Platz liegt Yani Rosenthal von der Liberalen Partei mit 9,8 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 69,3 Prozent für Honduras ungewöhnlich hoch. Die Hashtags zeigen aber auch, worum es den Wähler*innen in erster Linie ging: Das Ende von 12 Jahren Herrschaft der Nationalen Partei, die eine Autokratie mit einem hohen Niveau an Korruption errichtet und die Gewaltenteilung im Land weitgehend außer Kraft gesetzt hat.

Bereits am Wahlabend erklärte sich Castro zur Gewinnerin: „Wir haben den Autoritarismus und die Kontinuität umgekehrt. Wir werden eine Regierung der Versöhnung, des Friedens und der Gerechtigkeit bilden. Wir werden eine direkte und partizipative Demokratie gewährleisten.” Zwar hatte der Wahlrat bis zum 7. Dezember noch kein offizielles Endergebnis bekanntgegeben, Konkurrent Nasry Asfura gratulierte Castro aber bereits zur Wahl, ebenso wie der US-amerikanische Außenminister Antony Blinken und der Leiter der Wahlbeobachtungsmission der Organisation Amerikanischer Staaten, Luis Guillermo Solís. Xiomara Castro wird damit Ende Januar die erste Frau im höchsten Staatsamt in der Geschichte des Landes. Auch das ist bedeutend in einem Land, in dem ein absolutes Abtreibungsverbot herrscht und das eine der höchsten Feminizidraten der Welt hat.

Xiomara Castro trat für die linksgerichtete Partei LIBRE zum zweiten Mal als Präsidentschaftskandidatin an, zum ersten Mal kandidierte sie 2013. Sie ist die Ehefrau des 2009 aus dem Amt geputschten Präsidenten Manual Zelaya, der seiner eigenen liberalen Partei damals zu weit nach links gerückt war. LIBRE wurde aus Teilen der Widerstandsbewegung gegen den Putsch gegründet und verspricht einen linken Reformkurs. Castros aussichtsreichster Gegenkandidat war der Bürgermeister von Tegucigalpa, Nasry Asfura, von der regierenden Nationalen Partei. Castro wird von einer Allianz der Parteien Salvador de Honduras, Teilen der Liberalen Partei und der Kleinpartei Pinu unterstützt.

Neben dem Präsidentenamt wurde über die Abgeordneten des Nationalkongresses und die Bürgermeisterämter abgestimmt. Auch hier zeichnen sich große Veränderungen ab. Nach dem Stand der Auszählung bis zum 8. Dezember erzielt keine Partei eine absolute Mehrheit. Die Partei LIBRE kommt voraussichtlich auf 50 Abgeordnete, die Partei Salvador de Honduras, die bereits vor der Wahl LIBRE ihre Unterstützung zugesagt hat, auf zehn. Eine weitere potentielle Koalitionspartnerin wäre die Christlich-Sozialdemokratische Partei mit einem Abgeordneten. Diese potentiellen Koalition erreicht mit 61 Stimmen nicht die qualifizierte Mehrheit von 65 Abgeordneten für die Wahl des Verwaltungsrates des Nationalkongresses. Dagegen steht die bisher regierende Nationale Partei mit voraussichtlich 44 Sitzen. Für Überraschung sorgt eine Ankündigung der Liberalen Partei – die voraussichtlich mit 22 Abgeordneten vertreten ist – LIBRE bei den Wahlen zum Vorsitz des Parlaments zu unterstützen. Denn eigentlich dürfte die Liberale Partei der konservativen Opposition zuzurechnen zu sein, ebenso wie die Antikorruptionspartei mit einem Abgeordneten. Doch auch für den Kongress waren die Wahlergebnisse bis zum 8. Dezember noch nicht offiziell bestätigt, in einigen Wahlkreisen wurden die Ergebnisse aufgrund von Unregelmäßigkeiten angefochten. Die Bürgermeisterämter in den beiden größten Städten Tegucigalpa und San Pedro Sula gehen voraussichtlich an die Kandidaten von LIBRE.

Es ist daher bereits absehbar, dass Castro, um ihre Wahlversprechen zu erfüllen, auf Vereinbarungen zwischen den unterschiedlichen politischen Kräften angewiesen sein wird. Die honduranische Gesellschaft steht in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen, denn es müssen auch ein neuer Oberster Gerichtshof, eine neue Leitung der Generalstaatsanwaltschaft und andere hochrangige Beamt*innen gewählt werden. All dies hängt davon ab, welche Koalitionen sich zwischen den Parteien bilden werden.

Überschattet war der Wahlkampf von politischer Gewalt. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte schrieb: „Seit der Ausrufung der Vorwahlen im September 2020 hat das UN-Menschenrechtsbüro in Honduras 63 Fälle von politischer Gewalt registriert, darunter 29 Tötungen, 14 Angriffe, 12 Fälle von aggressivem Verhalten sowie sieben Personen, die direkt bedroht wurden, und eine, die entführt wurde.”

Befürchtungen, dass sich die Repression wiederholen könnte, mit der den Protesten nach der Wahl 2017 begegnet worden war, haben sich aber glücklicherweise nicht bestätigt. Über 30 Demonstrierende verloren damals ihr Leben, ein Großteil wurde von den Sicherheitskräften erschossen. Zur Verantwortung gezogen wurde dafür niemand. Stattdessen hat die honduranische Regierung mittlerweile ein Gesetz erlassen, das den Sicherheitskräften quasi Straffreiheit für im Amt begangene Gewalttaten zusichert.

Präsident Juan Orlando Hernández nutzte seine zweite Amtszeit auch, um die Straflosigkeit für korrupte Politiker*innen weiter abzusichern. In den vergangenen acht Jahren hat die Armut in Honduras immer weiter zugenommen, auch weil Abgeordnete und Regierungsfunktionär*innen systematisch öffentliche Gelder abgezweigt haben. Hernández’ Regierung weigerte sich, die Internationale Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (MACCIH) fortzuführen, obwohl (möglicherweise auch gerade weil) sie Ermittlungserfolge vorweisen konnte. Durch MACCIH konnten Korruptionsnetzwerke aufgedeckt werden, in die mehr als 60 Abgeordnete verwickelt waren.

Deutschland hat die Arbeit der Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit mit zwei Millionen Euro unterstützt. Präsident Hernández, der von großen Teilen der honduranischen Bevölkerung und politischen Analysten offen als Narcodiktator bezeichnet wird, ist spätestens seit der Verurteilung seines Bruders Antonio Hernández für Drogenhandel und Geldwäsche im großen Stil vor einem New Yorker Gericht im Jahr 2019 auch international in Verruf geraten. In dem Verfahren wurde der Präsident von Zeug*innen als Mitwisser und Beteiligter der kriminellen Geschäfte benannt, juristisch verfolgt wurde er bislang nicht.

Auch der Kandidat der Liberalen Partei, Yani Rosenthal, stand mit Drogenkartellen in Verbindung und verbüßte in den Vereinigten Staaten eine 36-monatige Haftstrafe. Nach seiner Rückkehr begann er seinen politischen Wahlkampf, um sich einen Anteil an der Macht zu sichern. Dies ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Die Rosenthal-Gruppe versucht, den nächsten Nationalkongress dahingehend zu beeinflussen, dass die Gesetze flexibler gestaltet werden, insbesondere diejenigen, die die Auslieferung von Honduraner*innen an die USA wegen ihrer Verbindungen zum Drogenhandel regeln.

Deutsche Unternehmen ließen sich von Korruption nicht stören

Das deutsche Auswärtige Amt betont auf seiner Webseite jedoch weiterhin das freundschaftliche Verhältnis der beiden Länder. Deutschland gehört demzufolge zu den größten bilateralen Geldgebern in der Entwicklungszusammenarbeit mit Honduras: „Schwerpunktbereiche sind Bildung sowie Umwelt- und Ressourcenschutz einschließlich der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und Klimaschutz.“ Das klingt zwar gut, wahrscheinlich sind aber auch in die Wasserkraftprojekte Gelder geflossen, für deren Bau Menschenrechte verletzt wurden. Genau nachvollziehen lässt sich das nicht, da Mittel der staatlichen Entwicklungsbank KfW in Mittelamerika über die Entwicklungsbank BCIE vergeben werden. Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit soll allerdings 2023 auslaufen – dies wurde bereits lange vor den Wahlen beschlossen.

Auch deutsche Unternehmen ließen sich von dem Wissen um grassierende Korruption und Menschenrechtsverletzungen in dem zentralamerikanischen Land nicht immer stören. So wurde auf dem ehemaligen Militärstützpunkt Palmerola in der Nähe der Hauptstadt Tegucigalpa ein neuer internationaler Flughafen errichtet, der Ende November eröffnen sollte. „Möglich wurde der Bau und Betrieb des Flughafens durch das Engagement der Münchner Flughafengesellschaft mit ihrem Tochterunternehmen MIA, das dem honduranischen Partner EMCO/PIA unentbehrliches Know-how und Kontakte zur Verfügung stellte“, schreibt das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit aus München.

Problematisch daran ist die Zusammenarbeit mit dem Eigentümer der EMCO, Lenir Pérez, der Umweltschützer*innen im Dorf Guapinol kriminalisieren lässt, weil sie sich gegen seine Eisenerzmine und für den Schutz ihrer Wasserressourcen eingesetzt haben. Acht Männer aus dem Dorf sind seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft – die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen gegen willkürliche Verhaftungen prangert dies als unrechtmäßig an. Die Bayerische Staatsregierung, Mehrheitseigentümerin der Münchner Flughafengesellschaft, wollte hingegen im Jahr 2018 auch auf Nachfrage von Menschenrechtsverletzungen durch Pérez‘ Unternehmen nichts wissen.

Ein unvorteilhaftes Signal sendete Deutschland auch in Bezug auf das Projekt der „ZEDE“aus. ZEDE sind Sonderwirtschaftszonen mit weitgehendem Autonomiestatus, wie etwa einer eigenen Gerichtsbarkeit. Weite Teile der honduranischen Bevölkerung lehnen die ZEDE ab, weil sie Vertreibungen und Enteignungen fürchten. Besonders indigene Territorien sind gefährdet. Der deutsche Botschafter zeigte sich im Juli wenig sensibel für die Stimmung in der honduranischen Bevölkerung, als er in Begleitung der Außenhandelskammer die im Bau befindliche ZEDE „Próspera“ auf der Insel Roatán besuchte und mit deren Geschäftsführung sprach, nicht aber mit Gegner*innen des Projekts. Xiomara Castro und ihre Allianz wollen die Sonderentwicklungszonen wieder abschaffen. Leicht wird das angesichts zu erwartender Entschädigungsforderungen von Unternehmen nicht werden.

„DROGENREGIME DURCH URTEIL GESCHWÄCHT“

(Foto: Honduras Delegation)

Joaqin A. Mejias ist Anwalt und Menschenrechtsexperte der honduranischen Organisation Equipo de Reflexión, Investigación y Comunicación (ERIC). Er vertritt Opfer von Menschenrechtsverbrechen vor der Interamerikanischen Kommission und dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschnerechte. Er lehrt an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universidad Atónoma de Couahila in Mexiko


Was bedeutet das Urteil gegen Tony Hernández?
Das Urteil gegen ihn wiegt schwer, denn was durch die New Yorker Staatsanwaltschaft ans Licht gekommen ist, steht für die Regierung von Honduras. Es zeigt, dass Tony Hernández nur mit Komplizenschaft der gesamten staatlichen Institutionen Drogen in solch großem Ausmaß schmuggeln konnte. Die US-Staatsanwaltschaft hat bestätigt, was alle schon lange wussten.
Das Urteil gibt auch Oberst Julian Aristides Gonzáles und dem Sicherheitsexperten Alfredo Landaverde Recht. Sie wurden in den Jahren 2009 und 2011 aufgrund ihrer Hinweise, dass die Drogenkriminalität den Staat kooptiert habe, ermordet. Oder Kommandant Santos Orellano, der unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde, weil er einen Drogentransport mit einem Hubschrauber von Tony Hernández aufdeckte. Neben Tony Hernández beschuldigte Orellano auch den aktuellen Innenminister Julián Pacheco in das Drogengeschäft involviert zu sein. Und was geschah mit dem ehemaligen Polizeidirektor Sabillón? Er setzte mit Hilfe der US-Drogenbehörde (DEA) die Anführer des Kartells “Valle-Valle” fest. Diese Operation führte Sabillón durch, ohne vorher seine Vorgesetzten im Innenministerium informiert zu haben. Es folgte seine Entlassung durch eine Kommission, die zur „Säuberung“ der Polizei eingesetzt worden war.
Nun ist das Drogenregime durch das Urteil geschwächt, denn während des Prozesses wurde es mehr als hundert Mal erwähnt und als Mitverschwörer entlarvt.
Vor allem werden die Doppelmoral Washingtons, die stillschweigende Komplizenschaft der Europäischen Union und die Heuchelei des Sekretariats der Organisation Amerikanischer Staaten deutlich, die alle das Drogenregime unterstützen.

Wieso interessiert sich die US-Regierung für die Regierung Hernández?
Washington interessiert die Migration sowie einen Verbündeten zu haben, der exakt das macht, was Washington anordnet. Und Juan Orlando Hernández ist nun in ihren Händen, weil sie wissen, dass er ein Drogenregime führt. Es fehlt ihnen an Alternativen in der Region. Sie werden weiterhin auf ihn setzen, weil er ihnen eine gewisse Stabilität garantiert. Juan Orlando Hernández hat der Verlegung der Botschaft nach Jerusalem zugestimmt, er militarisiert die Grenzen und unterzeichnet ein Abkommen, das Honduras als sicheren Drittstaat ausweist, was ein Wahnsinn und absolut absurd ist! Solange die USA beispielsweise in Nayib Bukele, dem Präsidenten von El Salvador, noch keinen vertrauenswürdigen Verbündeten sehen, werden sie weiterhin auf Juan Orlando Hernández setzen. Das ist die Doppelmoral.
Erinnern wir uns an Manuel Noriega in Panama. Obwohl die USA von seinen Verbindungen zum Drogenhandel wussten, unterstützten sie ihn solange, bis er für sie nicht mehr von Nutzen war.
Honduras ist für die USA geopolitisch wichtig um zu beobachten, was in den Nachbarländern und der Region passiert. In den 1980er Jahren wurden US-Militärbasen errichtet, um gegen die revolutionären Bewegungen in den Nachbarländern vorzugehen. Heute werden die Militärbasen mit dem angeblichen Kampf gegen den Drogenhandel gerechtfertigt. Die USA wollen den Drogenhandel kontrollieren oder regulieren. Mit dem Putsch im Jahr 2009 und dem Zusammenbruch der staatlichen Institutionen hat die DEA diese Kontrolle verloren.
Gemäß einem Bericht des US-Außenministeriums ist Honduras nun nicht mehr nur ein Land, durch das Drogen geschmuggelt werden. Es hat sich zu einem Land gewandelt, in dem Kokain gelagert und produziert wird.

Warum wurden zwei Tage vor dem New Yorker Urteilsspruch elf führende Militärs abgesetzt?
Die Säuberung in der Armee beruht darauf, dass die Offiziere in den mittleren Rängen mit der Rolle der Armee in den Drogengeschäften und mit der Diktatur nicht einverstanden sind. Es gab Gerüchte über einen möglichen militärischen Aufstand, daher hat die Regierung diese elf Offiziere abgesetzt. So behalten Juan Orlando Hernández und seine Truppe die absolute Kontrolle.

In welchem Zusammenhang steht der Mord an Magdaleno Meza, mutmaßlicher Partner des Drogenhändlers Tony Hernández, im Hochsicherheitsgefängnis „El Pozo“ am 26. Oktober 2019?
Der Mord an Magdaleno Meza, dem Autoren der Notizbücher, die dem New Yorker Gericht als Beweismittel gegen Tony Hernández vorgelegt wurden (siehe Infokasten, Anm. d. Red.), zeigt, dass die Gefängnisse in der Hand der Drogenkriminalität sind.
Allem Anschein nach sind Militärs und andere hohe Funktionäre der Regierung in die Ermordung des Drogendealers involviert. In einem Video, dass schnell in Umlauf gebracht wurde, wird gezeigt, wie Mithäftlinge auf Meza schießen und mit Messern auf ihn einstechen. Es enthält eine klare Botschaft: Das passiert denen, die mit der DEA kooperieren. Also seid still!
Die Nationale Strafvollzugsanstalt (INP) hatte einst einen zivilen Charakter. Sie wurde jedoch 2018 per Dekret unter die Koordination des Sicherheitskabinetts gestellt. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission veröffentlichte in ihrem jüngsten Bericht, dass die Gefängnisse von Militärs geführt und bewacht werden. Das Militär trägt die Verantwortung dafür, was in den Gefängnissen passiert. Das Hochsicherheitsgefängnis hat verschiedene Sicherheitsschleusen. Dass Schusswaffen oder große Messer da durchkommen ist eigentlich unmöglich.

Nach dem Urteil kam es zu Protesten an den Universitäten und durch die Oppositionspartei Libre. Wie verhält sich die Bevölkerung?
Die politische und zivilgesellschaftliche Opposition ist geschwächt. Trotz des Ausmaßes des New Yorker Urteilsspruches reagiert die Bevölkerung immer noch nicht. Ganz einfach, weil sie Angst hat. Bisher hat das Narcoregime auf die protestierenden Leute geschossen um zu töten. Von daher ist es normal, dass die Leute Angst haben. Die Proteste halten landesweit an, sind in den Regionen jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Das Problem ist, dass sie so zerstreut sind. Bisher hat kein Sektor diese verschiedenen Proteste einen können.
Es zeichnet sich ein ziemlich trostloses Panorama ab. Alles deutet darauf hin, dass Juan Orlando Hernández alles in seiner Macht Stehende tun wird um im Präsidentenamt zu bleiben.

WIE IMMER BLEIBT NUR DER PROTEST

Straßenkampf Das brutale Vorgehen von Polizei und Militär hat die Situation weiter eskalieren lassen / Foto: Luis Méndez

Ein Streik von Lehrer*innen und Ärzt*innen Mitte April führte zu einer neuen Welle von landesweiten Protesten, die bis heute anhält. Ausgangs­punkt waren von der Regierung geplante Umstrukturierungen des Bildungs- und Gesundheitssystems, die sich in einer tiefen Krise befinden. Statt den Dialog mit den Gewerkschaften zu suchen, wurde versucht, die Proteste durch brutales repressives Vorgehen der Polizeieinheiten aufzulösen, was den Konflikt zunehmend eskalieren ließ. Zuerst schlossen sich Studierende, Schüler*innen, Eltern und soziale Organisationen an, im Juni folgte der Transportsektor und selbst Teile der Polizei traten zeitweise in den Streik. Die Situation ähnelt der nach den umstrittenen Wahlen von 2017, durch den der jetzige Präsident Juan Orlando Hernández von der rechten Nationalen Partei (PNH) trotz verfassungsrechtlichen Verbots eine zweite Amtszeit antreten konnte. Große Teile der Bevölkerung, die von Wahlbetrug ausgehen, sind seither nicht zur Ruhe gekommen. Auch aktuell gewinnen die Proteste ihre Stärke durch die solidarische Beteiligung von Bürger*innen, die sich, Spaltungsversuchen seitens der Regierung zum Trotz, spontan in ihren Dörfern oder Vierteln organisierten.
Neben Streiks wurden Schulen und Universitäten besetzt, es kam zu Straßenblockaden und Massendemonstrationen als Ventil der vorherrschenden Unzufriedenheit großer Bevölkerungsteile. Längst gehen die Aktionen und Demonstrationen über die Forderungen der Lehrer*innen und Ärzt*innen hinaus. Die Mitte Mai gegründete Plattform zur Verteidigung der Bildung und Gesundheit (Plataforma por la Defensa de la Salud y la Educación), in der sich landesweit 18 Gewerkschaften zusammengeschlossen haben, organisiert sich wie eine Basisbewegung in lokalen und regionalen Versammlungen und artikuliert mit lokal organisierten Kämpfen, wie etwa mit Organisationen von Indigenen und Kleinbauern und -bäuerinnen. Dies gibt dem Protest neue Impulse und bringt das Regime von Präsident Hernández in starke Bedrängnis. Verschiedene gesellschaftliche Sektoren fordern seinen Rücktritt, der gemeinsame Nenner, der sie vereint, ist die Ablehnung seiner Regierung.

Das Bildungs- und Gesundheitssystem stecken in einer tiefen Krise


Mitte April hatte das Parlament unter der Führung der regierenden Partei PNH die umstrittenen Gesetze erlassen, die das marode Gesundheits- und Bildungssystem sanieren sollten, jedoch laut Gewerkschaften eine erneute Kürzung der Staatsausgaben vorsehen und einen ersten Schritt in Richtung Privatisierung staatlicher Infrastruktur darstellen. In den öffentlichen Krankenhäusern in Honduras fehlt es an Medikamenten und grundlegender Ausstattung, im Bildungssektor mangelt es an Materialien und adäquaten Unterrichtsorten. Angestellte beklagen immer wieder ausstehende Lohnzahlungen über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Die Auswirkungen dieser Situation betreffen besonders die ärmeren Bevölkerungsteile, welche ihre Bildung in staatlichen Einrichtungen erhalten und in Krankheitsfällen auf die öffentlichen Gesundheitszentren und Krankenhäuser angewiesen sind. Die Gewerkschaften betonen, dass die Regierung selbst für die Krise verantwortlich ist, denn der Haushaltsetat für die beiden Sektoren wurde in den vergangenen Jahren immer weiter gekürzt. Die Bildungsausgaben sanken laut einer Analyse der unabhängigen Bürgerinitiative CESPAD (Centro de estudio para la democrática) von 32,9 Prozent des Haushaltes im Jahr 2010 auf 19,9 Prozent im Jahr 2019, im Gesundheitssystem sank der Anteil im selben Zeitraum von 14,3 Prozent auf 9,7 Prozent. Die ausufernde Korruption, die sich zum Beispiel in der Plünderung des Sozialversicherungsinstitut IHSS im Jahr 2015 zeigte, aus dem über 300 Millionen US-Dollar geraubt wurden, trägt ebenfalls zur Krise bei und führte seinerzeit zum Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Auch hohe Regierungsfunktionäre der Nationalen Partei (PNH) sollen in den Korruptionsskandal verwickelt sein.

Die Proteste gewinnen ihre Stärke durch Solidarität in der Bevölkerung


Die in den Gesetzesänderungen vorgesehenen Maßnahmen seien keine Lösung des Problems, sondern eine neoliberale Umstrukturierung nach den Wünschen des Internationalen Währungsfonds, betonen Vertreter*innen der Gewerkschaften. Pläne für diese Umstrukturierung stehen bereits seit dem Regierungswechsel nach dem zivil-militärischen Putsch von 2009 auf der Agenda und wurden von Hernández‘ Vorgänger im Präsident*innenamt Porfirio Lobo vorangetrieben. So soll unter anderem die öffentliche Bildung und Gesundheitsversorgung dezentralisiert und der Staat von seiner Verpflichtung befreit werden, der Bevölkerung diese grundlegenden Rechte zu garantieren. Dies sollen stattdessen die 298 Landkreise übernehmen. Aber die meisten haben weder die Kapazitäten, Personal dafür zu unterhalten, noch für die nötige Infrastruktur zu sorgen. So könnte die Verwaltung öffentlicher Einrichtungen an private Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen übergeben werden, welche Schulen und Krankenhäuser mit internationaler Finanzierung, zum Beispiel durch USAID, betreiben würden. Diese Maßnahmen scheiterten bisher jedoch unter anderem am Widerstand der organisierten Lehrer*innen. Das Umstrukturierungsgesetz und zusätzlich erlassene Notstandsdekrete, die laut Gewerkschaftler*innen den Abbau von Arbeitsrechten und Massenentlassungen mit sich bringen, werden auch als ein Versuch gewertet, die starke Organisation der Gewerkschaften zu untergraben, um den Widerstand gegen neoliberale Reformen zu brechen. So berichten Aktivist*innen über anhaltende Drohungen und Überwachung: streikendes Personal wird mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen unter Druck gesetzt und in Kommunikationsmedien und sozialen Netzwerken kommt es zu Diffamierungskampagnen.

Foto: Luis Méndez

Neben der selektiven Repression ist aber vor allem das brutale Vorgehen von staatlichen Sicherheitskräften und Militärs gegen die Proteste zu beobachten. Die Menschenrechtsorganisation COFADEH (Komitee der Familien von Verhafteten und Verschwundenen) dokumentierte alleine im Zeitraum von Mitte Mai bis zum 9. Juni 48 illegale Verhaftungen, drei Fälle von Folter, die gewaltsame Auflösung von 48 Demonstrationen und repressive Maßnahmen gegen 136 Protestaktionen. Am 19. Juni bestimmte der Nationale Rat der Verteidigung und Sicherheit den Einsatz des Militärs, um die Demonstrationen zu kontrollieren. Dies führte bereits zu drei Todesopfern und mehreren Verletzten durch Polizei und Militär. Am 24. Juni drangen Sicherheitskräfte von Polizei und Militär in die nationale Universität von Honduras in Tegucigalpa ein und verfolgten Studierende, die auf der Straße vor der Universität demonstrierten und sich mit den Bildungs- und Gesundheitsprotesten solidarisierten. Bei dem gewaltsamen und illegalen Eingriff in die Autonomie der Universität wurden fünf Studierende durch Schüsse der Polizei verletzt. Eine Eilmission von Amnesty International dokumentierte bis Anfang Juli acht Todesopfer und 80 Verletzte. Menschenrechtsorganisationen wie COFADEH, kritisieren zudem den massiven Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen, willkürliche Verhaftungen und das Einschleusen von Provoka­teur­*innen in Demonstrationen.

// Foto: Luis Méndez

Die landesweiten Proteste führten bereits wenige Wochen nach Verabschiedung zur Außerkraftsetzung der Notstandsdekrete, die die Gesetze zur Umstrukturierung begleiten sollten. Als Antwort auf den Druck der Straße rief die Regierung Lehrer*innen und Ärzt*innen zu einem Dialog auf. Die von der Regierung zum Dialog eingeladenen Personen waren allerdings keine Vertreter*innen der Plattform für die Verteidigung der Bildung und Gesundheit, sondern gelten als der Regierung nahestehende Personen. Um an einem Dialog teilzunehmen, fordert die Plattform unter anderem die Teilnahme aller in der Plattform vertretenen Organisationen am Dialog, das Ende der Repressionen gegen Lehrer*innen und Ärzt*innen, die Untersuchung der Todesfälle mit Gewalteinwirkung bei den Protesten und eine internationale Vermittlung. Dabei solidarisiert sich die Plattform auch mit anderen Kämpfen, wie der Forderung nach Demilitarisierung der Dörfer Guapinol, Pajuiles und Guadalupe Carney, die sich im Widerstand gegen verschiedene zerstörerische Megaprojekte, wie Bergbau und Wasserkraftwerke, in der Region befinden und sich ebenso mit den Aktionen der Plattform soldarisieren.

Der systematischen Abbau von Grundrechten seit 2009 führte zur Krise


Die Regierung lehnte die Punkte jedoch bisher ab. Deshalb rief die Plattform zu einem alternativen und breiten gesellschaftlichen Dialog auf, zu dem neben Gewerkschaften und sozialen und Basisorganisationen auch Regierungsvertreter*innen eingeladen wurden. Bei einem ersten Treffen am 18. Juni in der Hauptstadt Tegucigalpa nahmen Hunderte von Delegierten aus dem ganzen Land teil. Ziel des Dialoges ist eine Analyse der Stärken und Schwächen des nationalen Bildungs- und Gesundheitssystems und die Erarbeitung einer Strategie zu deren Verbesserung. Unterdessen nehmen die Proteste kein Ende, bis die umstrittenen Gesetze endgültig außer Kraft gesetzt werden. „Wir werden nicht aufhören, zu landesweiten Protesten zu mobilisieren“, erklärt Ligia Ramos, Sprecherin der Plattform gegenüber der Internatio­nalen Nahrungsmittelgewerkschaft Rel-Uita. „Wir müssen die Regierung dazu zwingen, diese Gesetze abzuschaffen und einem neuen Modell die Tür zu öffnen, das wir gerade gemeinsam mit der Bevölkerung entwickeln.“
Obwohl die Zustimmung für Hernández im Land selbst sehr gering ist, halten die USA und die Europäische Union weiter an ihrem Verbündeten fest. Die aktuelle Krise ist das Produkt des Bruchs der verfassungsmäßigen Ordnung durch den Putsch 2009 und dem seither stattfindenden systematischen Abbau von Grundrechten und zivil-gesellschaftlichen Handlungsräumen. Wie schon vor zehn Jahren, bleibt den Honduraner*innen nur der massive Protest auf der Straße. Und wie nach dem zivil-militärischen Putsch und dem Wahlbetrug von 2017 zeigt sich die internationale Gemeinschaft bisher gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in Honduras blind.

EINE KARAWANE, DIE DEN ELITEN WEHTUT

Ein langer und beschwerlicher Weg Karavane auf dem Weg nach Tapachula (Foto: Martin Reischke)

Es ist nicht nur eine Karawane. Es ist ein soziales Phänomen, von tausenden verarmten Menschen getragen. Nur mit dem Nötigsten zum Überleben ausgestattet, und mit dem festen Willen, nach Norden in die USA zu gelangen.

Am Anfang wurde die Karawane mit dem Namen von Bartolo Fuentes verbunden, einem sozialen und politischen Aktivisten aus der Stadt El Progreso in Honduras. Fuentes sagte in einem Interview mit lokalen Medien, dass er die Karawane für ein paar Tage begleiten würde. Das hatte er als Journalist bereits im April 2017 getan. Da er außerdem noch Politiker der Oppositionspartei Libre ist, wurde Fuentes im Laufe der Tage zum Sündenbock. „Bartolo Fuentes ist für die Karawane verantwortlich. Er organisierte sie und veranlasste und manipulierte viele Menschen zu dieser gefährlichen Reise“, erklärte der Außenminister in Begleitung der Ministerin für Menschenrechte auf einer Pressekonferenz und forderte die Staatsanwaltschaft auf, gegen Fuentes vorzugehen. So lud das Regime alle Verantwortung auf einen Vertreter der radikalen politischen Opposition in Honduras ab.

Als die Karawane die Grenze nach Guatemala bei Aguascalientes überquerte, waren es bereits viertausend Menschen. Sie durchbrachen den Zaun, den die honduranische und die guatemaltekische Polizei am Grenzposten errichtet hatte. Auf dem Weg durch Guatemala wuchs die Zahl weiter an. Das honduranische Regime hat mit Mitteln der US-Regierung, zwischen dem 17. und 20. Oktober einen Plan umgesetzt, um die Migrant*innen zum Umkehren zu überzeugen. Einige Hundert taten das auch. Viele von ihnen wurden mit dem Bus zurückgebracht, andere auf dem Luftweg. Allen wurde sofortige Hilfe und ein Paket mit Sozialleistungen versprochen. Zeug*innen berichten, dass viele von ihnen Aktivist*innen der Nationalen Partei waren, die als Köder und für die offizielle Propaganda dienten. Nichtsdestotrotz steigen die Zahlen weiter an.

Die Explosion eines Dampfkochtopfes

Die honduranische Regierung beschuldigt die Opposition und kriminelle Gruppen für die Karawanen verantwortlich zu sein, mit dem Ziel der politischen Destabilisierung.

Dieser Anschuldigung schließt sich die US-Regierung an. Sie ging so weit, die Demokratische Partei zu beschuldigen. Sie stifte politische und kriminelle Gruppierungen und finanziere sie, damit die Migrant*innen in die USA eindrängen um die Regierung zu destabilisieren. Alle diese Anschuldigungen haben keine wirkliche Grundlage. Das Phänomen der Karawanen ist Ausdruck der Verzweiflung einer Bevölkerung, für die es zunehmend riskanter ist, in einem Land zu leben, das Arbeitsplätze und öffentliche Sicherheit verweigert. Diese Bevölkerung ist auf der permanenten Suche nach dem rettenden Ufer. Die Karawane ist wie die Explosion eines Dampfkochtopfes, den die honduranische Regierung in Verbindung mit einer kleinen Elite von nationalen und transnationalen Unternehmer*innen seit mindestens einem Jahrzehnt anschürt.

Eine Regierung, die die öffentliche Sozialpolitik aufgegeben und sie durch soziale Ausgleichsprogramme ersetzt hat, während sie ein Entwicklungsmodell konsolidiert, das auf Investitionen in die Rohstoffausbeutung und auf der Privatisierung und Konzessionierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen basiert.

Lügen werden in einer einzigen Aktion entlarvt

Die staatliche Verwaltung wird von einer Gruppe von Politiker*innen angeführt, die den Staat als ihr Geschäft verstehen und die öffentliche Einrichtungen geplündert haben, wie die honduranische Sozialversicherung, das Gesundheitssystem im Allgemeinen und die öffentliche Stromversorgung, um nur einige zu nennen. Und sie schützen sich selbst durch die politische Kontrolle des Justizsystems. Die Bevölkerung fühlt sich im Stich gelassen. Erfahrungen und Gefühle, die durch die Wahlen vom November 2017 noch zugenommen haben, als sich die Regierung unter Verletzung der Verfassung wiederwählte und sich einen Wahlsieg zusprach, der laut der Meinung von rund 70 Prozent der Bevölkerung das Ergebnis eines organisierten Betrugs ist. Die Karawanen sind ein Phänomen, das die Verzweiflung und Angst eines Volkes zum Ausdruck bringt, das aufgehört hat, an Lösungen innerhalb des Landes zu glauben. Sie sind ein extremer Ausdruck der Entscheidung der Bevölkerung, Gerechtigkeit in die eigenen Hände zu nehmen.

Mit Sicherheit ist aber besonders die extreme Rechte um Trump daran interessiert, dieses Phänomen zu nutzen, um den Kampf gegen Migrant*innen zu stärken, der ein grundlegender Teil ihrer Politik ist. Die Zwischenwahlen in den Vereinigten Staaten sind ein Barometer dafür, ob Trump eine zweite Amtszeit bestehen kann. Die Demokrat*innen der Finanzierung von Migration zu beschuldigen,war ein großartiges Argument für Trumps Wahlkampf im November. In Honduras haben wiederum Teile der Opposition dieses Phänomen genutzt, um die Regierung von Juan Orlando Hernández weiter zu schwächen. Hernández dagegen ist daran interessiert, die Opposition zu beschuldigen, für mehr Instabilität im Land zu sorgen.

Die stille, verborgene, diskrete, private, unsichtbare und sogar verschämte Karawane wurde in einer Explosion zu einer sichtbaren, öffentlichen und würdevollen Karawane. Dieses Phänomen hat den falschen Diskurs der Politik entlarvt und beweist das offizielle Versagen. Es hat deutlich gemacht, dass soziale Ausgleichsprogramme die Prekarität nicht nur nicht lösen, sondern vertiefen. Es hat sich gezeigt, dass eine Gesellschaft, in der nur 35 Prozent der formellen Wirtschaft angehören, nicht nachhaltig ist. Die Karawane ist Ausdruck und massives Phänomen eines Modells der systemischen sozialen Ausgrenzung.

Die Karawane, die am 13. Oktober startete und das Tor für nachfolgende Karawanen öffnete, rüttelte plötzlich die politischen und die Unternehmer*inneneliten wach, die daran gewöhnt waren, strikte Kontrolle über alles, was im Land passiert, zu haben. Die Wirtschaftseliten reagieren mit äußerster Aggression, wenn Menschen ihren Akkumulationsprozess behindern. Ein extremer Ausdruck davon ist die Ermordung von sozialen Anführer*innen, wie der Mord an Berta Cáceres im März 2016.

In gleicher Weise fühlen sich diese Eliten, die sich auf ihren Privilegien ausruhen, in ihrer Selbstliebe getroffen, wenn die Realität der Ausgeschlossenen mit einer einzigen Aktion ihre Lügen entlarvt. Dies hat die Karawane getan. Nachdem die Eliten und das Regime von Juan Orlando Hernández Millionen von Dollar in die Propaganda investiert haben, dass das Land auf dem richtigen Weg, die Wirtschaft gesund sei, dass die Menschen mit den Sozialprogrammen zufrieden seien, bricht die Karawane tausender Bürger*innen aus. Eine Nachricht, die Weltniveau erreicht. Das tut den honduranischen Eliten so weh, weil sie von jenen demaskiert werden, die es aus ihrer Sicht nicht verdienen, als gleichwertig betrachtet zu werden.

FREIE BAHN FÜR KORRUPTION

Kann Luiz Antonio Guimarães Marrey das Ruder noch herumreißen? Der ehemalige Generalstaatsanwalt von São Paulo steht an der Spitze der internationalen Mission zur Bekämpfung der Straflosigkeit und Korruption in Honduras. Doch der Kampf gegen die Korruption scheint schon verloren, bevor er überhaupt richtig begonnen hat. Im Februar dieses Jahres war der Peruaner Juan Jiménez Mayor, Guimarães Marreys Vorgänger, als Chef der MACCIH zurückgetreten. Seitdem ist unklar, ob die Mission im Land überhaupt noch eine Zukunft hat. Jiménez Mayor hatte den Posten nach anhaltenden Differenzen mit seinem Vorgesetzten, dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, hingeschmissen. Zuletzt hatte dieser die Arbeit der MACCIH sogar öffentlich kritisiert: In einem Brief an den honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández hatte Almagro das erfolglose Agieren der MACCIH in den vergangenen zwei Jahren beklagt.

Im Parlament wurde ein Korruptionsnetzwerk aufgedeckt.

Dabei hatte es im Dezember 2017 noch ganz danach ausgesehen, dass die MACCIH, deren Untersuchungen bis dahin in der Tat nicht von großen Ermittlungserfolgen geprägt waren, nun endlich den Kampf gegen die Korruption im Land aufnehmen würde. Gemeinsam mit der honduranischen Staatsanwaltschaft hatte die Mission Ende vergangenen Jahres die Existenz eines Korruptionsnetzwerks im honduranischen Parlament aufgedeckt, dem die Veruntreuung öffentlicher Mittel vorgeworfen wurde. Weitere Ermittlungen gegen zahlreiche Abgeordnete waren angekündigt.

Doch die Reaktion der Parlamentarier*innen ließ nicht lange auf sich warten: Umgehend verabschiedeten sie im Kongress ein Gesetz, das sämtliche Untersuchungen zur Verwendung öffentlicher Gelder zukünftig dem Obersten Rechnungshof unterstellt. Ein Einspruch gegen das Gesetz wurde vom Verfassungsgericht abgewiesen, die gemeinsamen Ermittlungen von MACCIH und honduranischer Staatsanwaltschaft in dem spektakulären Korruptionsfall fanden so ein schnelles Ende.

„Dieses Gesetz hat gezeigt, dass die Institutionen im Land nicht dafür gemacht sind, überprüft zu werden“, sagt die honduranische Journalistin Jennifer Ávila. „Das ist traurig, weil auch wir als Journalisten eine gewisse Hoffnung in die MACCIH gesetzt haben, denn es ist sehr schwer, in einem Land wie Honduras zu recherchieren.“ Die Schaffung der MACCIH Anfang 2016 war ein Zugeständnis der Regierung an die honduranische Bevölkerung gewesen, die vor drei Jahren über Monate hinweg demonstriert hatte. Auslöser der Proteste waren verschiedene Korruptionsfälle, unter anderem die Veruntreuung von Millionensummen in der honduranischen Sozialversicherung IHSS. Die Demonstrant*innen hatten die Schaffung einer Behörde nach dem Vorbild der CICIG in Guatemala gefordert – einer internationalen und unabhängigen Kommission mit UN-Mandat, die seit 2015 durch Korruptionsermittlungen gegen den guatemaltekischen Ex-Präsidenten Otto Pérez Molina Schlagzeilen gemacht hat. Doch statt einer CICIG mit UN-Mandat reichte es in Honduras nur für eine MACCIH mit Mandat der OAS – auch deshalb hatten die Honduraner*innen von Anfang an Bedenken, ob die Mission tatsächlich Erfolg haben würde. „Sie ist nicht mehr als ein Schmerzmittel, das die akuten Symptome lindert, aber die Krankheit heilt sie nicht“, sagt Journalistin Ávila.
Dabei war es durchaus zu erwarten, dass die korrupte Machtelite des Landes den Untersuchungen durch die MACCIH nicht tatenlos zusehen würde – und sich nun ähnlich wie im Nachbarland Guatemala mit neuen Gesetzen dem Zugriff der Untersuchungsbehörden zu entziehen versucht. Seit einigen Wochen wird außerdem das Gerücht gestreut, die Mission würde honduranische Staatsanwälte für Ermittlungen gegen Regierungsbeamte mit Bonuszahlungen belohnen – offenbar ein weiterer Versuch, die Arbeit der Mission in Misskredit zu bringen. Jiménez Mayor dementierte die Vorwürfe.
Überraschend ist jedoch, dass selbst der OAS-Generalsekretär ein doppeltes Spiel zu spielen scheint und dem Ex-Chef von MACCIH, Jiménez Mayor, jegliche Unterstützung versagt hat. „Ich glaube, dass Almagro die Interessen einiger Länder vertritt, die nicht wollen, dass mit der Arbeit der Mission ein erfolgreicher Präzedenzfall geschaffen wird“, meint Joaquín Mejía, Anwalt und Mitarbeiter des ERIC, eines Think-Tanks des Jesuitenordens in Honduras. „Das sind Länder wie Mexiko mit schwachen Institutionen und einem hohen Grad an Korruption und Straflosigkeit.“ In einem Interview mit dem US-amerikanischen Fernsehsender CNN berichten auch zwei frühere Mitglieder der MACCIH, dass es zwischen Almagro und dem honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández geheime Absprachen gegeben habe.

Auch nach dem Antritt von Luiz Antonio Guimarães Marrey als MACCIH-Chef gibt es wenig Hoffnung, dass die Mission tatsächlich erfolgreich arbeiten kann, solange sie von der OAS torpediert wird und die USA den honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández unterstützen. Dieser hatte sich entgegen der Verfassung des Landes im November erneut zum Präsidenten wählen lassen, die Wahl wurde zudem von schweren Betrugsvorwürfen und Repressionen gegen die Zivilbevölkerung begleitet. „Es ist im Interesse der USA, einen leicht kontrollierbaren Präsidenten in Honduras zu haben“, meint Anwalt Mejía. „Hernández spielt diese Rolle sehr gut, und deshalb wird Washington ihn weiter unterstützen, auch wenn er autoritär und diktatorisch agiert.“

Auch drei Jahre nach den Massendemonstrationen im Land, die zur Schaffung der MACCIH führten, hat sich in Sachen Korruption wenig getan in Honduras. “Die Menschen sind damals spontan auf die Straße gegangen, um ihrem Unmut und Ärger über die Korruption Ausdruck zu verleihen“, sagt die Journalistin Ávila. „Ich denke, dass diese Bewegung jetzt langsam erwachsen wird, denn die Menschen sind heute viel politisierter und nicht mehr so indifferent.“ Das haben auch die Massenproteste nach den Präsidentschaftswahlen im vergangenen November gezeigt, bei denen zehntausende Demonstranten den Rücktritt von Präsident Hernández verlangten.

Mittlerweile sind die Demonstrant*innen zwar wieder von den Straßen verschwunden. Doch das hat vor allem mit der Angst der Bevölkerung vor Übergriffen durch die Polizei oder das Militär zu tun – seit den Wahlen im November sind mehr als 30 Menschen bei Zusammenstößen mit den staatlichen Sicherheitskräften ums Leben gekommen. Joaquín Mejía hat die Hoffnung trotzdem noch nicht aufgegeben: „Ich glaube, wir haben mit den Massenprotesten nach der Präsidentschaftswahl einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, und irgendwann werden wir die Früchte unserer Arbeit ernten“, meint der Anwalt. „Es wird noch lange dauern und ein entbehrungsreicher Kampf sein, aber am Ende wird die Demokratisierung von Honduras stehen.“

LAND OHNE PRÄSIDENT

Fotos: Giorgio Trucchi

Auch knapp zwei Wochen nach den Präsidentschaftswahlen in Honduras vom 26. November 2017 war immer noch unklar, wer neuer Regierungschef des mittelamerikanischen Landes wird. Mit einwöchiger Verspätung hatte die Wahlbehörde am frühen Morgen des 4. Dezember die offizielle Stimmenauszählung zwar beendet, nach der Amtsinhaber Juan Orlando Hernández (JOH) mit rund 43 Prozent der Stimmen etwa 1,5 Prozentpunkte vor seinem Herausforderer Salvador Nasralla lag. Doch ein offizielles Wahlendergebnis gab es noch nicht, weil es bei der Auszählung der Stimmen offenbar zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten gekommen ist und das oppositionelle Parteienbündnis „Allianz gegen die Diktatur“ Einspruch gegen die Auszählung erhoben hat.

Wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale hatte deren Kandidat Nasralla in der Auszählung noch deutlich vorn gelegen. Doch als die Wahlbehörde nach einem ominösen Absturz des Datenverarbeitungssystems die Auszählung wieder aufnahm, drehte sich der Trend zugunsten von Amtsinhaber Hernández. Auch die langen Verzögerungen und die mangelhafte Informationspolitik der Wahlbehörde deuten darauf hin, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein könnte. Die Opposition fordert daher die Überprüfung aller Wahlkreise, deren Ergebnisse zum Zeitpunkt des Systemabsturzes noch nicht registriert waren, da sie bei diesen Wahlkreisen Manipulationen vermutet. Die Wahlbehörde hat bis Redaktionsschluss jedoch nur einen Teil der strittigen Wahlkreise überprüfen lassen.

Selbst die Präsenz hunderter Wahlbeobachter*innen der Europäischen Union (EU) und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) konnte den transparenten Ablauf der Stimmenauszählung offenbar nicht garantieren. Einer der strukturellen Gründe liegt in der starken Politisierung der Wahlbehörden. So ist im Obersten Wahlgericht, das für die Stimmenauszählung verantwortlich ist, zwar ein Vertreter der Nationalpartei von Präsident Hernández, nicht aber die Opposition vertreten.

Als die Wahlbehörde nach einem ominösen Absturz des Datenverarbeitungssystems die Auszählung wieder aufnahm, drehte sich der Trend.

Zudem halten viele Honduraner*innen schon die erneute Kandidatur von Hernández für illegitim. Denn die Verfassung des Landes verbietet ausdrücklich eine Wiederwahl, der entsprechende Artikel kann nur durch ein Referendum vom Volk geändert werden. Dass sich das honduranische Verfassungsgericht darüber hinwegsetzte und dem Präsidenten den Weg zur Wiederwahl freimachte, zeigt auch, wie erfolgreich Hernández – zuerst als Parlamentspräsident, dann als Regierungschef – in den vergangenen Jahren zahlreiche staatliche Institutionen unter seine Kontrolle gebracht hat: Renitente Richter*innen wurden entlassen und durch Gefolgsleute ersetzt, Schlüsselpositionen in der Armee ließ er mit Freunden oder Familienangehörigen besetzen, das Verteidigungsbudget wurde drastisch erhöht. So konnte er zumindest bisher fest auf die Loyalität der Streitkräfte zählen.

In der Woche nach der Wahl haben Anhänger*innen der Oppositions-Allianz ihren Unmut über die intransparente Wahl in Massenprotesten auf die Straße getragen. Neben den friedlichen Protesten kam es wiederholt zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften und Plünderungen. Die Opposition wirft der Regierung vor, gezielt Provokateure einzusetzen, die zur Eskalation beitrügen und die legitimen Proteste ihrer Anhänger diskreditierten. Fünf Tage nach der Wahl, am Abend des 1. Dezember, hat die Regierung für zunächst zehn Tage den Ausnahmezustand sowie eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, laut Augenzeugenberichten soll es zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte gekommen sein. Mehrere Menschen starben.

Trotz der repressiven Maßnahmen der Regierung sind auch am Sonntag nach der Wahl zehntausende Menschen in verschiedenen Städten des Landes auf die Straßen gegangen, um Oppositionskandidat Nasralla zu unterstützen und den Rücktritt von Präsident Hernández zu fordern.
Lokale Beobachter*innen berichteten, dass erste Einheiten der Polizei sich geweigert hätten, weiter gegen die Demonstranten vorzugehen. Nun könnte es auch auf die Hartnäckigkeit der internationalen Wahlbeobachtungsmissionen ankommen: Nach einer lange abwartenden Haltung unterstützte die Mission der EU ausdrücklich die Forderung der Opposition und drängte auf eine Neuauszählung aller umstrittenen Wahlkreise, die Wahlbeobachtungsmission der OEA vertrat kurz darauf eine ähnliche Position.

Ein weiterer wichtiger politischer Akteur war unterdessen lange auffallend ruhig geblieben: Die US-Regierung, ohne deren zumindest stilles Einverständnis eine erneute Kandidatur von Hernández nicht möglich gewesen wäre. Während in Honduras die intransparenten Wahlen für Unruhe sorgten, bescheinigte das US-Außenministerium der Regierung in Tegucigalpa sogar noch offiziell, Korruption zu bekämpfen und Menschenrechte zu achten, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Die Zertifizierung ist Voraussetzung für die Freigabe von Millionensummen an Hilfsgeldern für das Land durch den US-Kongress.

Für Washington galt Hernández bisher als wichtiger Verbündeter, der im Kampf gegen den Drogenschmuggel und die Migration in den Norden stramm an der Seite der USA steht. Oppositionskandidat Nasralla hat zwar angekündigt, die guten Beziehungen aufrechterhalten zu wollen. Doch zu Nasrallas Oppositionsbündnis gehört auch die Partei LIBRE, deren Gründer und Ex-Regierungschef Manuel Zelaya 2009 mit Unterstützung der USA vom honduranischen Militär aus dem Amt geputscht wurde. Offiziell wurde ihm vorgeworfen, ein Referendum anzustreben, um seine Wiederwahl zu sichern. Tatsächlich jedoch war den USA ebenso wie den honduranischen Eliten wohl vor allem die Annäherung Zelayas an linke Regierungen in der Region wie Venezuela ein Dorn im Auge gewesen. Mit der möglichen Präsidentschaft Nasrallas würde auch Zelaya wieder eine prominente politische Rolle spielen, Konflikte mit den USA wären programmiert.

Offiziell unterstützen die USA nun zwar die Forderungen der internationalen Wahlbeobachtungsmissionen nach einer transparenten Stimmenauszählung. Doch noch ist völlig offen, wie der Machtkampf um die Präsidentschaft am Ende ausgehen wird. Klar ist, dass Präsident Hernández seinen Posten nicht freiwillig räumen wird. In den vergangenen Jahren hat die Regierung zahlreiche Konzessionen für Bergbau-, Energie- und Infrastrukturprojekte an nationale und internationale Investoren vergeben – oft unter eklatanter Missachtung grundlegender Menschenrechte. Eine Wahlniederlage von Hernández würde diese bereits verteilten Pfründe in Frage stellen.

Ein anderes Thema ist durch den Disput um die Präsidentschaft völlig in Vergessenheit geraten: Schließlich wurde am 26. November in Honduras nicht nur ein neuer Regierungschef, sondern auch ein neues Parlament gewählt – und hier deutet alles auf eine komfortable Mehrheit der Nationalpartei von Juan Orlando Hernández hin. Sollte Oppositionskandidat Salvador Nasralla am Ende doch noch Präsident werden, wäre er in einer schwierigen Situation. „Nasralla ist eine Figur, die den Menschen im Land Hoffnung gibt“, sagt der honduranische Menschenrechtsexperte Dennis Muñoz. „Das Problem ist nur, dass er seinen Regierungsplan als Präsident überhaupt nicht umsetzen könnte.“ Denn dazu bräuchte es strukturelle Reformen des Wirtschaftssystems inklusive einer neuen Verfassunggebenden Versammlung – Ziele, die angesichts der Sitzverteilung im neuen Parlament unrealistisch sein dürften. „Die Rolle der Oppositions-Allianz wird es sein, sozialen Druck aufzubauen, um den Weg für strukturelle Änderungen im Land zu ebnen“, so Muñoz. Doch selbst das könnte eine schwierige Aufgabe sein in Honduras, das so gespalten und polarisiert ist wie zuletzt nach dem Militärputsch gegen Zelaya von 2009.

“DER PRÄSIDENT STREBT DIE TOTALE KONTROLLE AN”

Der amtierende Präsident Juan Orlando Hernández gilt trotz zahlreicher Skandale mit seiner Nationalen Partei als Favorit bei den bevorstehenden Wahlen im November. Wie kommt das?
Zunächst ist die Möglichkeit zur Wiederwahl des Präsidenten komplett illegal. Es ist eine Paradoxie, denn Manuel Zelaya wurde 2009 ja abgesetzt, weil er den Artikel der Verfassung ändern wollte, der die Wiederwahl verbietet. Obwohl Juan Orlando Hernández als Kandidat zugelassen ist, ist er sehr unbeliebt. Aber er hat den gesamten Staatsapparat für seine Kampagne zur Verfügung, und nutzt Hilfsprogramme für sich aus. Wer zum Beispiel mit einem emissionsarmen Herd unterstützt werden will, muss die persönlichen Daten von zehn Personen liefern, die für die Nationale Partei stimmen wollen.

Im Jahr 2015 erschütterte ein massiver Korruptionsskandal die honduranische Regierung. Warum hat sie diesen weitgehend unbeschadet überstanden?
Weil sie den Justizsektor kontrolliert. Die Staatsanwaltschaft, die der Nationalen Partei zu Diensten ist, wird gegen kein Parteimitglied ermitteln oder es anklagen. Das führt zu hoher Straflosigkeit, sowohl in Bezug auf die Korruption als auch auf Menschenrechtsverletzungen. Die Staatsanwälte verfolgen nur die Delikte, die sie verfolgen wollen.

Im Zuge des Korruptionsskandals und der darauf folgenden Massenproteste wurde die Mission zur Unterstützung der Korruptionsbekämpfung (MACCIH) eingesetzt. Kann diese bereits Erfolge vorweisen?
Prinzipiell ist die MACCIH dadurch eingeschränkt, dass sie von der Organisation Amerikanischer Staaten abhängt. Die Mission hat nicht die Aufgabe, selbst zu ermitteln. Sie begleitet und berät nur die honduranischen Staatsanwälte. Ihr Mandat bezieht sich auf Korruptionsfälle, nicht auf Menschenrechtsverletzungen. Wir unterstützen sie als Zivilgesellschaft. Aber bis heute haben wir keine besonderen Resultate gesehen.

Derzeit befindet sich ein neues Strafgesetzbuch im Abstimmungsprozess. Sind bereits Teile in Kraft getreten?
Leider wurde bereits der Teil verabschiedet, der die Abtreibung erneut komplett unter Strafe stellt. Die feministischen und Frauenorganisationen hatten die Straffreiheit in drei Fällen gefordert: nach einer Vergewaltigung, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist und wenn der Fötus nach der Geburt nicht lebensfähig ist. Es waren Minimalforderungen, aber auch diese sind am Einfluss der Kirchen gescheitert.

Inwiefern könnte das Gesetzesprojekt auch der Kriminalisierung sozialer Bewegungen dienen, wie von Seiten der Zivilgesellschaft kritisiert wird?
Es ist ein antidemokratisches Strafgesetzbuch, das soziale Proteste, wie zum Beispiel die Meinungsfreiheit, unter Strafe stellt. Es gibt Rückschritte bei Delikten wie Diffamierung, Verleumdung und Beleidigung. Wenn eines dieser Delikte gegen einen staatlichen Funktionär begangen wird, dann wird dies von Amts wegen verfolgt. Statt dass sich Funktionäre der öffentlichen Kritik stellen, wird versucht, diese Kritik mundtot zu machen. Außerdem soll die „widerrechtliche Aneignung“ erneut hart bestraft werden, und dieser Straftatbestand wird beispiels-weise gegen Kleinbauern eingesetzt, die für ihre Landrechte kämpfen.

Es wird auch der Begriff des Terrorismus verwendet…
Es gibt ein Delikt, das Anstiftung zum Terrorismus heißt. Strafbar macht sich, wer die Bevölkerung mit irgendeiner Art von Aktion in Angst versetzt. Das kann beispielsweise perfekt auf einige Protestformen der sozialen und oppositionellen Bewegungen angewandt werden. Die Bevölkerung zu ängstigen, ist eine ausgesprochen subjektive Formulierung. Daher ist dieser Straftatbestand ziemlich besorgniserregend.
Wir bedauern besonders, dass dieses Strafgesetzbuch von der spanischen Entwicklungszusammenarbeit unterstützt wurde. In der Vergangenheit hat sie Gesetzesänderungen in Honduras begünstigt, die nicht schlecht waren, wie etwa die Strafprozessordnung aus dem Jahr 2000. Aber im jetzigen Fall hätten die Spanier zuhören müssen statt den Gesetzesentwurf gegen den Willen der Zivilgesellschaft durchzudrücken.

Ist das Gesetzesprojekt Teil einer autoritären Tendenz der Regierung Juan Orlando Hernández?
Absolut. Es gibt bereits einige Merkmale einer Diktatur, vor allem, wenn es ihm gelingt, wiedergewählt zu werden. Der Präsident steht nicht alleine da, er gehört zu einer starken Gruppe der Oligarchie und wird auch von den USA unterstützt.
Er ist dabei, sein Projekt der totalen Kontrolle umzusetzen. Es beginnt mit dem Nationalen Rat für Sicherheit und Verteidigung, der durch die Präsidenten der drei Staatsgewalten gebildet wird, alle wichtigen Entscheidungen trifft und vom Staatspräsidenten geleitet wird. Damit einher geht die Schaffung der Militärpolizei für die Öffentliche Ordnung, die so etwas wie der bewaffnete Arm des Präsidenten ist. Die Gesellschaft wird immer weiter militarisiert und die Militärpolizei als Lösung für alle Probleme angepriesen. Bei Problemen in Krankenhäusern, in Schulen oder in der Universität wird das Militär geschickt.
Die Kontrolle setzt sich im Justizapparat fort. Der Generalstaatsanwalt wurde vom Präsidenten ernannt, ebenso der Oberste Gerichtshof. Dessen Präsident wurde als Vorsitzender der honduranischen Delegation zum Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen nach Genf geschickt, um die honduranischen Fortschritte in Bezug auf die Menschenrechte zu verteidigen. Das ist vollkommen unangemessen, da er als Richter unparteiisch bleiben sollte und im gegebenen Moment über Menschenrechtsverletzungen durch die Exekutive urteilen muss.

Welche Chancen hat das Bündnis der Oppositionsparteien bei den bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen?
Dass sich die Oppositionspartei LIBRE (Partei Freiheit und Neugründung) und die Antikorruptionspartei PAC zu einem Bündnis zusammengeschlossen haben, stimmt mich optimistisch, dass dieser Mann mit seinen Verbindungen zur Oligarchie entmachtet werden kann. Dieser Teil der Oligarchie arbeitet mit transnationalen Unternehmen zusammen, die das Land ausplündern. Wenn er gewinnt, gibt es daher nur noch mehr Plünderung der Natur, mehr Angriffe auf und Morde an Umweltschützern, Menschenrechtsverteidigern und Oppositionellen. Aber ich glaube, die Opposition wird mindestens ihre Sitze im Parlament halten können, so dass die Parteien der Oligarchie keine Zweidrittelmehrheit erreichen und damit das Parlament nicht komplett kontrollieren können.

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