Mückenalarm

Krankenhaus Roosevelt Ambulante Patient*innen warten auf Einlass (Foto: Andreas Boueke)

Das Hospital Roosevelt in Guatemala-Stadt ist eines der größten Krankenhäuser Mittelamerikas. Einige Patient*innen in den weiß gestrichenen Fluren sind gut gelaunt, weil sie nach Monaten des Wartens endlich einen Operationstermin bekommen haben. Ein Mann auf Krücken ist wütend, weil er für eine Röntgenaufnahme mehr bezahlen soll, als er in einer Woche als Tagelöhner verdient. Eigentlich sollten die Diagnosen und Therapien der öffentlichen Krankenhäuser in Guatemala kostenlos sein. Doch letztlich resignieren alle und fügen sich der im staatlichen Gesundheitssystem herrschenden Willkür.

Die Schlafsäle des Krankenhauses sind völlig überfüllt

Einige Flure stehen voll mit Pritschen, auf denen Kranke liegen. Besonders eng ist es in den Räumen der Notaufnahme für Kinder. Der Familienvater Luis Fernando Hernández ist froh und dankbar, dass sein elfjähriger Sohn trotz der offensichtlichen Mangelsituation besondere Aufmerksamkeit bekommt: „Es begann mit starken Bauchschmerzen. Wenig später bekam er hohes Fieber. Wir haben ihn ins Gesundheitszentrum gebracht. Dort wurde uns gesagt, er müsse ins Krankenhaus. Auf dem Weg hierher begann er, heftig aus der Nase zu bluten. Die Ärzte sagen, er habe hämorrhagisches Dengue-Fieber.“ Für den Jungen ist es die erste Erfahrung in einem Krankenhaus. Er klagt über starke Bauchschmerzen, schmerzende Füße und starkes Nasenbluten. Die Haut juckt, als ob er eine Allergie hätte. „Die größte Angst ist, dass das Schlimmste passiert. Mein Sohn könnte sterben“, sagt sein Vater mit Tränen in den Augen.

Als der Junge aufgenommen wurde, befolgte die Krankenschwester Raquel Calderón das übliche Verfahren bei Dengue-Patient*innen und legte ihm eine Kochsalzinfusion. „Zuerst denkst du: ‚Da kommt noch ein krankes Kind mehr.‘ Aber mit der Zeit wurde es immer schlimmer. Er hörte nicht auf zu bluten und die Zahl der Blutplättchen sank immer weiter. Da begannen die Ärzte, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Er wurde ständig überwacht und bekam Plasma-Transfusionen und intravenöse Infusionslösungen“, so Raquel Calderón.

Dem Vater steht die Angst ins Gesicht geschrieben: „Erst gestern habe ich meinen älteren Sohn aus einem anderen Krankenhaus geholt. Er hatte dasselbe. Zu all dem kommen noch die wirtschaftlichen Probleme. Ich kann nicht arbeiten gehen, weil ich für die Jungs da sein muss. Meine Frau hat schon so lange am Krankenbett gesessen, dass ihre Beine angeschwollen sind.“Wenn eine infizierte Mücke das Blut einer erkrankten Person saugt, vermehrt sich das Virus in ihrem Körper. Bei einem weiteren Stich wird der Erreger auf den nächsten Menschen übertragen. Heute gibt es weltweit achtmal mehr Ansteckungen mit dem Dengue-Virus als noch vor zwanzig Jahren. Auf Grund des Klimawandels überleben bestimmte Mückenarten auch an Orten wie Guatemala-Stadt, die auf 1.500 Metern über dem Meeresspiegel liegt.

„Wenn heute jemand von einer infizierten, weiblichen Mücke gestochen wird, dauert die Inkubation fünf bis sieben Tage“, erklärt der Kinderarzt Ricardo Menendez. „In dieser Zeit breitet sich das Virus im Körper aus. In der Phase der Krankheit ist der Mensch fünf Tage lang ansteckend.“

Die meisten Dengue-Infektionen verlaufen mild. Aber wer im Hospital Roosevelt stationär aufgenommen wird, dessen Fall ist kompliziert. Doktor Menendez arbeitet hier seit bald vierzig Jahren. In den letzten Monaten hat er so viele Dengue-Fälle betreut wie nie zuvor. „Einer der Todesfälle war ein Junge, der in einem Lager für gebrauchte Autoreifen gearbeitet hat. Die Reifen sind ideale Brutstätten für Mücken. Der Junge hatte extreme Blutungen. Der Tod eines Achtjährigen ist ein harter Schlag, verheerend für die Psyche der Eltern.“

Luis Fernando Hernández vermutet, dass sich sein Sohn zu Hause infiziert hat. Im Armenviertel, keine zehn Kilometer vom Hospital Roosevelt entfernt, lebt seine Familie beengt mit acht Personen in zwei Räumen. „Unser Nachbar hat eine Wiese voller Müll“, sagt er. „Von dort kommen viele Mücken rüber zu uns.“ Im Laufe der vergangenen Wochen hat sich fast die gesamte Familie mit dem Dengue-Virus infiziert. „Ich hatte das auch“, sagt Hernández. „Bei meinen Söhnen hat sich die Krankheit kompliziert, vielleicht weil sie noch klein sind. Die Feuerwehr hat sie hierher gebracht.“

Menschen könnten sich untereinander nur über Bluttransfusionen anstecken. Fast immer werde das Virus durch bestimmte Mückenarten von erkrankten Personen auf gesunde übertragen. Deshalb bestehe in der Umgebung von Dengue-Patient*innen erhöhte Gefahr, sagt die Krankenschwester Raquel Calderón. „Von zehn Neueinweisungen, die morgens reinkommen, sind manchmal acht Patienten mit Dengue. Die meisten haben schon Nasenbluten und hohes Fieber. Wir halten die Leute intravenös hydriert. Ansonsten können die Ärzte nicht viel tun.”

Wegen der heftigen Gelenkschmerzen wird Dengue auch „das Knochenbrecherfieber“ genannt. Raquel Calderón kennt sich aus mit den Symptomen. Sie selbst war auch schon infiziert: „Ich hatte schlimme Schmerzen. Die Knie taten mir sehr weh. Ich war immer müde. Der Erholungsprozess war quälend langsam.”

Weltweit sind vier verschiedene sogenannte Serotypen des Dengue-Virus bekannt. Bei einer ersten Infektion nehmen die meisten Betroffenen nahezu keine Symptome wahr. Danach sind sie in der Regel immun gegen diesen speziellen Serotyp. Doch wenn es zu einer zweiten Infektion mit einem anderen Serotyp kommt, kann das aufgrund einer verstärkten Immunantwort des Körpers zu schwereren Krankheitsverläufen und lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Werden dann keine Transfusionen verabreicht, liegt die Sterberate bei 15 Prozent.

Seit Kurzem gibt es zwei Dengue-Impfstoffe. Ihre Wirkung hält geschätzte fünf Jahre lang an. Allerdings reicht die Produktion bisher noch längst nicht aus, um die Ausbreitung des Virus effektiv durch Impfkampagnen eindämmen zu können.

Lebensbedrohliche Komplikationen bei Zweitinfektionen


Auch COVID-Fälle werden auf der Kinderstation behandelt. Doktor Menendez vermutet, dass nicht einmal die Hälfte der guatemaltekischen Bevölkerung gegen Corona geimpft ist. Verlässliche Zahlen gebe es nicht: „Außerdem fehlt es häufig an Medikamenten, um die Patienten angemessen behandeln zu können. Aber der Bedarf ist groß.“ Ein Teil des Personals sei noch immer erschöpft von der Pandemie. Richtig Zeit zur Erholung habe es nie gegeben, denn die Herausforderungen des normalen Alltags in einer der gewalttätigsten Städte der Welt bestünden ja weiter, so der Doktor. „Es gibt Krankenschwestern, die kämpfen jetzt genauso engagiert gegen Dengue, wie sie schon gegen COVID gekämpft haben. Zudem kommen auch die Opfer von Schießereien in dieses Krankenhaus. Man denkt vielleicht, mit der Zeit gewöhnt sich das Personal an all das Leid. Aber nein. Wir sind ja auch nur Menschen und haben unsere Grenzen.“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass sich das Denguefieber bald zu einem globalen Problem entwickeln wird. Nach einem großen Ausbruch in den südlichen Ländern Lateinamerikas wie Argentinien, Uruguay und Paraguay hat sich das Denguevirus auch weiter nördlich in Mittelamerika ausgebreitet. Doktor Menendez spricht von einem epidemischen Ausbruch: „Im letzten Monat hatten wir hier im Krankenhaus achthundert Patienten mit Dengue. Vier sind gestorben. Wir haben die WHO um Hilfe gebeten. Erst war es endemisch, jetzt epidemisch. Womöglich liegt das an einer Zunahme der tropischen Stürme, die den Boden feucht machen. Die vielen Pfützen sind ideale Brutstätten für die Mücken und ihre Larven.“

Das meteorologischen Institut in Guatemala (INSIVUMEH) bezeichnet das Jahr 2023 als das bisher wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. So lässt sich die rapide Zunahme der Dengue-Fälle auf der Kinderstation des Hospital Roosevelt erklären. „Der Klimawandel spielt offensichtlich eine Rolle. Auch die Migration durch Guatemala Richtung USA nimmt zu. So kommen neue Krankheitserreger ins Land. Früher gab es ab einer bestimmten Höhe über dem Meeresspiegel kein Dengue, weil die Mücken in diesen Temperaturen nicht überleben. Aber jetzt ist es wärmer geworden, so dass sie sich auch in diesen Gegenden wohl fühlen“, erläutert Doktor Menendez Mücken mögen es heiß und feucht. Der Kinderarzt rechnet damit, dass es künftig auch im Hochland von Guatemala häufiger zu medizinischen Notlagen kommen wird: „Davon werden vor allem die Ärmsten betroffen sein, obwohl sie kaum etwas zum Klimawandel beitragen. Die durch die weltweite Industrieverschmutzung ausgelöste Klimakrise ist längst Realität. Wir erleben mehr Hitze, verheerendere Hurrikane und überbordende Flüsse.“

Über die Hälfte der Kinder in Guatemala gelten als unterernährt. Sie sind besonders gefährdet. „Wir kümmern uns nicht ausreichend um die verschmutzte Umwelt, um Parasiten und Tuberkulose“, schimpft der Kinderarzt. Es werde mehr und schwerere Hitzewellen geben. Dies führe zu einer Ausbreitung von gefährlichen Erregern, die schwere Krankheiten verursachen.

Die Krankenschwester Raquel Calderón verlässt das Krankenhaus, denn ihre Arbeitszeit ist zu Ende. Ihr Chef, Doktor Menendez, macht sich auch um sie Sorgen: „Wir bekommen viel Unterstützung von Frauen, die in der Umgebung von Guatemala-Stadt leben. Manche sind in mehreren Krankenhäusern angestellt. Nur so können sie genug verdienen, um ihre Familien zu versorgen. Doch sie sind total überarbeitet und haben fast keine Zeit für ihre eigenen Kinder.“ Raquel Calderón weiß von Kolleginnen, die um drei Uhr morgens in einen Bus steigen und erst drei Stunden später im Krankenhaus ankommen. „Das machen sie jeden Tag. Sie wohnen in abgelegenen Gegenden, wo es keine Möglichkeiten gibt, Geld zu verdienen. Schon gar nicht für Frauen.”


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Verdammter Süden

Aliza Abranavel ist tot. Als Fonsecas Protagonist Julio, wie Fonseca selbst Literaturprofessor, davon erfährt, legt er direkt eine neue Liste an. Sein erster Reflex ist, ihren Namen neben all denen der Autor*innen und Künstler*innen zu schreiben, mit denen er ihr Schaffen assoziiert. Austral ist eines dieser Bücher, die einen auch im Stehen gelesen, in einem überfüllten Regionalzug komplett mitreißen und weit wegtragen. In den Süden, um genau zu sein.

Dorthin trägt es auch Julio. Mit der Schriftstellerin Aliza Abranavel hatte er 30 Jahre zuvor ein Verhältnis: Für ihn ein Ausbruch und ein Roadtrip durch das von Diktaturen und Bürgerkriegen gezeichnete Mittelamerika. Jetzt ist Aliza Abranavel tot und beauftragt ihn posthum, sich ihrer unveröffentlichten Manuskripte anzunehmen. Also reist Julio aus dem schneebedeckten winterlichen Ohio in den Sommer der „nuancierten Kargheit“ Humahuacas.

Acht Jahre vor ihren Tod hatte Abranavel eine Hirnblutung erlitten und seit dem eine Sprachstörung. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, in eine nordargentinische Künstler*innenkolonie zu ziehen und ihr Werk zum Abschluss zu bringen. Das Manuskript namens „Die Privatsprache“ webt Fonseca in den Text ein und eröffnet so eine weitere Geschichte. Spätestens hier beginnt sich um Julio wie um den die Leser*in ein Netz zu ziehen, gesponnen aus realen und fiktiven Geschichten, Fotos, Bildern, Theorien und Referenzen. Zum Glück sind diese mit einer Leichtigkeit gewoben, die das intellektuelle Gewicht dahinter nicht zur Last werden lässt. Das Werk im Werk dreht sich zunächst um die Begegnung von Alizas Vater Yitzhak mit dem Anthropologen Karl-Heinz von Mühlfeld.

Von Mühlfeld forschte auf den Spuren Elisabeth Förster-Nietzsches, der Schwester des bekannten Philosophen, die gemeinsam mit ihrem Mann Reinhard Förster an dem wahnwitzigen und zutiefst kolonialistischen, rassistischen und antisemitischen Projekt einer „arischen Kolonie“ in Paraguay namens Nueva Germania scheiterte. Während er all dies liest, verbringt Julio einige Zeit mit den jungen Künstler*innen der Kolonie, in der Aliza lebte und trifft schließlich auf Raúl Sarapura, Indigener Mitarbeiter der verstorbenen Schriftstellerin, der ihm das Lexikon des Verlusts übergibt, ein Werk, bei dessen Erstellung er Aliza unterstützt hat. Dessen mit Fotos, Bildern und Textfragmenten gestalteten Seiten sind nicht nur beschrieben, sondern ebenfalls collageartig nachgebaut im Buch enthalten, wobei Fonseca von Ignacio Acosta unterstützt worden ist. Das Lexikon schließlich führt Julio über diverse Exkurse durch Philosophie und Kunstgeschichte, die ihren Aufhänger in persönlichen Erlebnissen und Erinnerungen von Aliza haben, nach Guatemala.

Dort trifft er auf das „Theater der Erinnerung“, ein Freilufttheater, um „den Überlebenden zu helfen, die unter dem Trauma des Erlebten verschütteten Erinnerungen wiederzufinden“, das Juan de Paz Raymundo auf den längst überwucherten Trümmern des während des guatemaltekischen Bürgerkriegs zerstörten Dorfs errichtet hat. Der Angehörige der K’ich’e ist im Alter von fünf Jahren, als der Roatrip von Aliza und Julio zu Ende ging, Waise geworden. Mit den Aufnahmen der Stimmen der Überlebenden des Genozids versucht er nun, das von den Militärs vernichtete Dorf zu rekonstruieren. Doch in seinem Theater hören nur die Vögel zu, die sich zwischen den leeren Sitzreihen verirrt haben.

So bleibt die vergebliche Suche nach einer Stimme, wenn die Welt oder die Sprache schwindet, unvollendet. Für den Schmerz gibt es keinen Ausdruck und keinen für die Erinnerung. Als Leser*in fühlt man sich in die Geschichten verstrickt, wie Von Mühlfeld in den Tonbändern seiner Feldforschung. Der „Überall-Tourist“ Julio fühlt sich am Ende seiner überhasteten Reisen wie ein von der eigenen Logik in den Hinterhalt gelockter Detektiv. Fonsecas Stil ist wunderschön und bleibt dank der meisterinnenhaften Übersetzungsleistung Sabine Giersbergs auch im Deutschen erhalten. Mit einer Leichtigkeit kreiert Fonseca Bilder, die den Staub der Wüste Humahuacas, die Hitze der paraguayischen Ebene oder die Tiefe des von Krieg und Zeit zerstörten guatemaltekischen Dorfes am Berg nachvollziehbar machen. Das Ganze hat der Verlag Klaus Wagenbach in einer tollen Ausgabe der Reihe Quartbuch veröffentlicht.

Uns bleibt „am Ende der Reise die unermessliche Distanz“ und ein mitreißendes, obwohl manchmal an der Grenze zur Unübersichtlichkeit schlitterndes Leseerlebnis, welches trotz all der aufgeworfenen Themen dennoch das Unbehagen entbehrt, das andere zeitgenössische Autor*innen Lateinamerikas, wie Samantha Schweblin oder Fernanda Melchor auszeichnet.


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Guatemala ist auf der Straße

Die Revoluzzersöhne Jacobo Árbenz Villanova (Mitte links) und Bernardo Arévalo de León (Mitte rechts) (Foto: Edwin Bercian)

Wie jedes Jahr wurde in Guatemala auch am diesjährigen 20. Oktober der Tag der Revolution gefeiert. An diesem Datum wird dem sogenannten guatemaltekischen Frühling gedacht, der 1944 mit dem Sturz der Militärdiktatur von Federico Ponce Vaides begann und zehn Jahre dauerte. An diesem 20. Oktober schwang in der Erinnerung an die Revolution auch die Hoffnung mit, Jahrzehnte der Korruption und Plünderung hinter sich zu lassen.

Grund der Hoffnung ist der Erfolg des Sohnes von Juan José Arévalo, Bernardo Arévalo de León, bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen. Bei den demokratischen Wahlen von 1944 wurde Juan José Arévalo als Kandidat der Partei Frente Popular Libertador mit einer Zustimmung von über 85 Prozent gewählt. Der Pädagoge, Doktor der Philosophie und Erziehungswissenschaften wird als Held der Revolution bei den jährlich stattfindenden Demonstrationen am 20. Oktober geehrt. Der guatemaltekische Frühling aber endete mit dem erzwungenen Rücktritt und Exil seines Nachfolgers Jacobo Árbenz Guzmán.

Bernardo Arévalo de León wiederum gewann am 20. August dieses Jahres die Stichwahl um das Präsidentenamt, der Amtsantritt soll am 14. Januar 2024 stattfinden. Seine Kandidatur hatte dem Land die Hoffnung auf den Frühling zurückgebracht: Bernardo Arévalo und seine sozialdemokratische Partei Movimiento Semilla erlangten landesweit große Aufmerksamkeit durch ihr Versprechen, die Korruption zu bekämpfen, begleitet von einer bescheidenen Wahlkampagne in einem Land, das gemäß dem Korruptionswahrnehmungsindex von 2022 zu den dreißig korruptesten Ländern der Welt gehört.

Doch mit der Hoffnung sind auch die Gegner wieder aufgetaucht. Unter dem bekannten Vorwurf des „Kommunismus“ werden Bernardo Arévalo und seine Partei angegriffen und kritisiert. So hat auch die amtierende Regierung von Alejandro Giammattei eine Offensive gegen die Partei gestartet, um zu verhindern, dass Arévalo sein Amt antritt. Die Generalstaatsanwaltschaft, die zu einem effektiven Instrument der Unterdrückung geworden ist, hat mehrere Verfahren eröffnet, um Mitglieder der Partei zu kriminalisieren. Juan Alberto Fuentes Knight, einer der Gründer der Partei, hat das Land vor wenigen Monaten aufgrund der Verfolgung, dem das Gründungskomitee ausgesetzt ist, verlassen. Gegen Cinthya Rojas Donis und Jaime Gudiel Arias wurde wegen der Beteiligung an der Gründung der Partei Haftbefehl erlassen. Ende Oktober wurde zudem aufgrund eines Kommentars auf der Plattform X die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Samuel Pérez beantragt.

Im Angesicht dieser Ereignisse gewann der 20. Oktober eine neue Bedeutung. Bernardo Arévalo trägt das Erbe seines Vaters Juan José Arévalo in die Gegenwart. Die Hoffnung auf den Straßen wird jedoch begleitet von Unsicherheit aufgrund der Angriffe derjenigen, die eine Veränderung der aktuellen Machtstrukturen verhindern wollen. Die Demonstrierenden fordern die Anerkennung der jüngsten Wahlergebnisse und den Rücktritt der Leitfiguren der Generalstaatsanwaltschaft, die versuchen, diese Ergebnisse zu sabotieren.

Bereits in den frühen Morgenstunden dieses 20. Oktobers versammelten sich Bürger*innen aus verschiedenen Landesteilen und zogen im Gedenken an das furchtbare Feuer vom 8. März, bei dem 41 Mädchen in einem staatlichen Kinderheim starben, in Richtung des sogenannten Platzes der Mädchen im Zentrum der Hauptstadt. Angehörige indigener Gruppen, Student*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen versammelten sich vor dem Nationalpalast, um Respekt für die Demokratie, die Wahlergebnisse und die Erinnerung an den guatemaltekischen Frühling einzufordern.

„Das Volk hat gewählt und Euch zum Teufel geschickt“

Besonders kritisiert wurde, dass Guatemala nicht die notwendigen Mindestbedingungen und Chancen auf ein würdevolles Leben für zukünftige Generationen bietet. Die Parole „Wegen unserer Kinder, wegen unserer Migranten” spielt darauf an, dass sich viele überwiegend junge Guatemaltek*innen deshalb zur Migration gezwungen sehen. Eine der Haupteinnahmequellen des Landes sind Auslandsüberweisungen. Die Devisen, die Migrant*innen regelmäßig nach Guatemala schicken, machen 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes aus. Wie Daten der Bank von Guatemala zeigen, ist dies mehr als der Beitrag der stärksten Wirtschaftssektoren, wie die verarbeitende Industrie, Landwirtschaft und Viehzucht, Autohandel und -reparatur.

Auf Konfrontation Polizei und Protestierende beim landesweiten Streik (Foto: Edwin Berci‡n)

„Das Volk hat gewählt und Euch zum Teufel geschickt“ war eine weitere Parole, die laut in den Straßen hallte. Die Demonstrierenden machten lautstark darauf aufmerksam, dass die Vertreter*innen des Staates bereits gewählt wurden und diese Ergebnisse respektiert werden müssen. Die noch amtierenden Regierungsvertreter*innen werden als Teil des Korruptionsproblems gesehen, es fehlt ihnen an Rückhalt in der Bevölkerung.

Die Märsche waren von historischer Symbolik geprägt. In einem Moment trafen sich auf einer Brücke im Stadtzentrum, unter der ein Teil der Menschen herzog, Sympathisant*innen der Oktoberrevolution und Demonstrierende, die Respekt für die Demokratie forderten. Bernardo Arévalo hielt zusammen mit Jacobo Árbenz Villanova, dem Sohn von Jacobo Árbenz Guzmán eine Rede, die auf den Sturz der autoritären Regierung im Frühling 1944 anspielte. Neben der Erinnerung an die Hoffnungsmomente vor 79 Jahren betonte Arévalo, dass die gegenwärtige Situation des Landes typisch für einen historischen Moment sei, und dass diese Unsicherheit eine neue Ära, einen neuen Frühling, ankündige. Er zollte den Guatemaltek*innen Respekt, die in Anbetracht der aktuellen Lage ihre Stimme erhoben haben. Er bezeichnete sie als das Volk, das sich gegen die Tyrannei der Korruption erhebt und seit dem 2. Oktober friedlichen Widerstand vor verschiedenen Vertretungen der Generalstaatsanwaltschaft im ganzen Land leistet. Schließlich bekräftigte er sein Vorhaben, die Korruption von der Exekutive aus zu bekämpfen, um dem Volk die ihm genommenen Chancen zurückzugeben. So soll ein pluralistischer und inklusiver Staat entstehen, der den Menschen eine Perspektive abseits der Migration bietet.

Seit mittlerweile mehr als einem Monat wird in vielen Teilen des Landes auf diese Weise friedlicher Widerstand geleistet. Guatemala erlebt einen kritischen Moment in der Gestaltung seiner Zukunft. Die Beteiligung indigener Gruppen war entscheidend für die Mobilisierung der Bevölkerung, sich für die Verteidigung der Demokratie einzusetzen. Diese turbulenten Zeiten werden darüber entscheiden, ob die Demokratie lebensfähig ist und das aktuelle System ablösen kann. Das guatemaltekische Volk kämpft weiter und wird nicht aufgeben.


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Un aliento de esperanza

El periodista comunitario Carlos Choc (Foto: Peace Brigades International)

El proceso penal en tu contra está abierto desde 2017, ¿cuál es la situación actual?
En aquel momento, fui acusado junto con otras once personas. Se trataba de mi investigación sobre el cambio de color del Lago de Izabal. Actualmente, cuatro de nosotros seguimos acusados. Los pescadores Tomás Che, Cristóbal Pop, Vicente Rax y yo. Esperamos que el caso se archive por falta de pruebas, ya que los cargos se basan en acusaciones falsas. Tengo que presentarme en la fiscalía local cada 30 días. Lo entiendo como una especie de medida de control que me impide permanecer en otro lugar durante más tiempo y que también me limita en mi trabajo.

En 2021 te demandaron por segunda vez.
Seguí trabajando a pesar de las circunstancias, como por ejemplo en el proyecto “Mining Secrets”, por eso el Estado intentó perseguirme legalmente una vez más. En octubre de 2021, estuve en una manifestación del Consejo Ancestral, que cubrí periodísticamente. La manifestación fue pacífica hasta que la policía agredió a las autoridades del Consejo Ancestral y también a mí. Luego les mismos policías sostuvieron que yo y otras once personas les habíamos agredido y nos denunciaron. En enero de 2022 se dictó una orden de detención contra nosotros. Cuando se publicó “Mining Secrets”, en marzo del mismo año, se iba a ejecutar la orden de detención contra mí. Eso fue muy estresante. En la vista judicial de septiembre de ese mismo año, mis abogados presentaron pruebas de que yo no había agredido a les policías: En un vídeo que mostramos en el tribunal, se puede ver que unes policías se me acercaron mientras yo estaba haciendo una transmisión en vivo. Me quitaron el móvil, me pegaron y me patearon. Recuerdo que cuando me acerqué a elles en el momento de la transmisión, les policías estaban a punto de sacar armas de fuego. Así que ya no iban a disparar gases lacrimógenos, al parecer iban a hacer lo mismo que en 2017 cuando le dispararon a Carlos Maaz. Cuando estaba discutiendo con un policía se acercó otro periodista y fotografió la situación. Eso seguramente evitó que pasara algo más grave.

¿Y qué pasó con la demanda en tu contra?
En la vista judicial de septiembre de 2022, mi abogada pidió a la fiscal los testimonios de los testigos en los que se basaban los cargos contra mí y en los que se mencionaban los nombres de los que supuestamente agredieron a les policías. Pero ni en las declaraciones leídas por la fiscal ni en el correspondiente expediente policial se mencionaban nombres. Así que se inventaron los nombres. Cuando mi abogada preguntó dónde estaban las declaraciones pertinentes en las que se mencionaría mi nombre, la fiscal respondió que ella había leído las declaraciones como se le había pedido. Esto es increíble, pero desgraciadamente posible en Guatemala. El juez Edgar Aníbal Arteaga, que también está designado en la otra causa penal en mi contra, estaba molesto porque no podía proceder contra mí como quería. El juicio duró como mucho ocho minutos y terminó con mi absolución por falta de pruebas, es decir, con la anulación de la orden de detención en mi contra.

Mencionaste el proyecto “Secretos mineros”. ¿De qué se trata?
El periodismo comunitario maya es mi pasión y trabajo en este campo por convicción. Para mí se trata del contenido. Estoy convencido de que mi trabajo contribuirá a hacer historia y que no sólo ayudará a un grupo o a mi comunidad, sino más allá. Como fue el caso de los proyectos “Secretos mineros” y “Sangre verde”.  “Sangre verde” se publicó en 2019 y trata sobre escándalos relacionados con el medio ambiente, la sangre verde por así decirlo. Cuenta cómo viven les periodistas que investigan la degradación medioambiental, especialmente en las industrias extractivas. Participaron periodistas de Tanzania, India y Guatemala. Estos periodistas recibieron amenazas, uno murió quemado y otro tuvo que exiliarse. Y mi historia en Guatemala fue que seguí haciendo mi trabajo en una situación de persecución legal, pero encubierto. Tenía un pie casi en la cárcel y el otro fuera. Seguí con mi trabajo porque es importante hablar, señalar las cosas y tener un impacto. Para que un reportaje sea creíble, hay que aportar pruebas para poder informar sobre temas difíciles. También es importante que las historias no se cuenten solo en un lugar y se queden ahí, sino que se difundan. Creo que la publicación de “Sangre verde” en el 2019 también ha ayudado a eludir la censura de los medios de comunicación sobre el tema.

El 25 de junio se celebraron elecciones en Guatemala. ¿Qué opina de los resultados de las elecciones?
Inicialmente, se supuso que habría disturbios en Izabal y en otros municipios (grandes comunidades). Esto se debe a que una gran parte de la población está insatisfecha con el sistema, con el gobierno actual y con el fraude electoral que ha sido evidente durante mucho tiempo. Esa es la opinión en los municipios. Porque primero la candidata del Movimiento para la Liberación de los Pueblos (MLP), Thelma Cabrera, fue excluida del proceso electoral a través de denuncias en su contra, y luego siguieron otros. Cuando estuve en las comunidades, mucha gente dijo que querían anular su voto de la elección presidencial. Intenté explicarles que las papeletas nulas no nos ayudarían y animé a las personas a votar por la dignidad. Porque todavía había alternativas, como el partido socialdemócrata Semilla o la alianza de izquierdas de URNG y Winaq. Sin embargo, tenía claro que habría fraude electoral. Las elecciones se celebraron, pero con mucho resentimiento hacia el sistema por parte de la población. Luego, a medianoche, se publicaron los resultados preliminares de las elecciones. Sandra Torres, del partido UNE, quedó en primer lugar y el candidato de Semilla, en segundo. Desde ese momento, hay un aliento de esperanza, también de que los exiliados puedan regresar. Porque este candidato tiene carrera política y conocimiento político. Al mismo tiempo, es triste que el MLP quedara excluido del proceso electoral. Además, se quemaron papeletas de voto en tres municipios donde se habían producido desacuerdos durante las elecciones. La intención del Estado era defender los votos por el oficialismo, pero el pueblo salió a las calles contra esto, la gente se enfadó y empezó a organizarse. También se organizaron en la capital, intentando siempre que la protesta fuera pacífica. La gente protesta porque quiere que se respete su elección. Por fin obtuvimos el resultado que esperábamos, porque no podemos seguir así.

¿Cómo ha reaccionado el gobierno?
Se siguió recurriendo a la policía y al ejército, por ejemplo, donde están las empresas que hacen minería, monocultivos y energía hidroeléctrica. En Alta Verapaz por ejemplo se desplegaron militares, la marina y la fuerza aérea. Las fuerzas armadas no están al servicio del pueblo ni protegen la vida de las personas, sino que protegen al oficialismo. Creo que las cosas están cambiando, pero que hace falta más. Creo que hay esperanza de que los jueces que fueron destituidos arbitrariamente y acusados de falsos delitos puedan volver. El 20 de agosto se celebrará la segunda vuelta de las elecciones presidenciales y el 21 de agosto tendrá lugar nuestro juicio. Esperamos que se desestime el caso por falta de pruebas y que no se aplace la fecha.


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Ein Hauch von Hoffnung

Q’ equchi’ Maya gegen den Staat Proteste gegen Repression in Guatemala (Foto Aj Ral Ch’och’)

Das Strafverfahren gegen dich läuft seit 2017. Was ist der aktuelle Stand?

Damals wurde ich gemeinsam mit elf weiteren Personen angeklagt. Es ging um meine Recherchen zu den Verfärbungen im Izabal-See. Aktuell sind noch vier Personen angeklagt: Die Fischer Tomás Che, Cristobal Pop, Vicente Rax und ich. Wir hoffen, dass das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt wird, da die Anklage auf falschen Behauptungen beruht.

Ich muss alle 30 Tage bei der Staatsanwaltschaft erscheinen und mich melden. Das ist eine Kontrollmaßnahme, die mich daran hindert, mich für längere Zeit an einem anderen Ort aufzuhalten und die mich zudem in meiner Arbeit einschränkt.

Im Jahr 2021 wurdest du ein weiteres Mal angeklagt.

Da ich trotz der Umstände weiter gearbeitet habe, unter anderem in dem Projekt „Mining Secrets“, hat der Staat ein weiteres Mal versucht, mich rechtlich zu verfolgen. Im Oktober 2021 war ich im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit auf einer Demonstration. Sie verlief friedlich, bis die Polizei die Autoritäten des consejo ancestral (dt. Ältestenrat) und auch mich angriff. Danach behaupteten die Polizist*innen, ich und weitere elf Personen hätten sie angegriffen und zeigten uns an. Im Januar 2022 wurde Haftbefehl gegen uns erlassen. Als im darauffolgenden März „Mining Secrets“ veröffentlicht wurde, sollte der Haftbefehl gegen mich vollzogen werden. Das war sehr belastend. Bei einer Gerichtsverhandlung im September legten meine Anwält*innen Beweise vor, dass ich die Polizist*innen auf der Demonstration nicht angegriffen habe: In einem Video, das wir vor Gericht zeigten, war zu sehen, wie Polizist*innen zu mir kamen, als ich gerade eine Live-Übertragung machte. Sie nahmen mir mein Handy weg, schlugen und traten mich. Ich erinnere mich, dass die Polizist*innen gerade dabei waren, Schusswaffen auszupacken, als ich mich ihnen damals während der Berichterstattung näherte. Sie wollten also kein Tränengas mehr verschießen, sondern hatten offenbar vor, das gleiche zu tun wie 2017, als Carlos Maaz erschossen wurde. Als ich mit einem Polizisten diskutierte und sie versuchten, mir meine Kamera wegzunehmen, kam jedoch ein Journalist hinzu und fotografierte mich. Das hat an diesem Tag wahrscheinlich Schlimmeres verhindert.

Was ist aus der Anzeige gegen dich geworden?

Bei dem Gerichtstermin im September 2022 fragte meine Anwältin die Staatsanwältin nach den Aussagen der Zeug*innen, auf denen die Anklage gegen mich beruhte und in denen die Namen derjenigen, die die Polizist*innen angeblich angegriffen haben sollen, genannt wurden. Doch weder in den von der Staatsanwältin verlesenen Aussagen noch in der entsprechenden Polizeiakte wurden Namen genannt. Sie haben sich die Namen also einfach ausgedacht. Als meine Anwältin fragte, wo die entsprechenden Aussagen seien, antwortete die Staatsanwältin, sie habe die Aussagen verlesen, so wie es von ihr verlangt worden sei. Es war unglaublich, was wir da hörten, aber in Guatemala leider möglich. Der Richter Edgar Aníbal Arteaga, der übrigens auch in dem anderen Strafverfahren gegen mich eingesetzt ist, war wütend, weil er auch in diesem Verfahren nicht so gegen mich vorgehen konnte, wie er wollte. Die Verhandlung dauerte höchstens acht Minuten und endete aufgrund mangelnder Beweise mit meinem Freispruch, also mit der Aufhebung des Haftbefehls gegen mich.

Du hast das Projekt „Mining Secrets“ erwähnt. Worum geht es dort?

Der kommunitäre Maya-Journalismus ist meine Leidenschaft, es geht mir um die Inhalte. Ich bin überzeugt, dass meine Arbeit dazu beiträgt, Geschichte zu schreiben und dass sie nicht nur einer Gruppe oder meiner Gemeinschaft helfen wird, sondern darüber hinausgeht, wie bei den Projekten „Mining Secrets“ und „Green Blood“ (Anm. d Red.: diese wurden von dem journalistischen Netzwerk Forbidden Stories durchgeführt und thematisieren die Geschichten von Journalist*innen, die über Umweltzerstörung in Folge von neoliberalen Großprojekten, wie durch die Rohstoffindustrie, berichten und deswegen kriminalisiert werden). „Green Blood“ wurde 2019 veröffentlicht, dort geht es um Skandale, die in Verbindung mit der Umwelt stehen, das „grüne Blut“ sozusagen. Es wird gezeigt, wie Journalist*innen leben, die Recherchen über Umweltzerstörung betreiben, vor allem im Bereich der Rohstoffindustrie. An dem Projekt waren Journalist*innen aus Tansania, Indien und Guatemala beteiligt. Die Journalist*innen erhielten Drohungen, einer wurde verbrannt, eine Journalistin musste ins Exil gehen. Und meine Geschichte in Guatemala war, dass ich meiner Arbeit in einer Situation der rechtlichen Verfolgung weiterhin nachging, aber verdeckt. Ich hatte einen Fuß im Gefängnis und den anderen draußen. Ich habe trotzdem meine Arbeit fortgeführt, weil es wichtig ist, sich zu äußern, Dinge aufzuzeigen und Einfluss zu haben. Für eine glaubwürdige Berichterstattung bedeutet dies, Beweise zu erbringen, damit es auch bei schwierigen Themen Informationen gibt. Es ist auch wichtig, dass die Geschichten nicht nur an einem Ort erzählt werden und dort verbleiben, sondern dass sie sich verbreiten. Ich denke, dass die Veröffentlichung von „Green Blood“ 2019 auch dazu beigetragen hat, die mediale Zensur zu dem Thema zu umgehen.

Am 25. Juni gab es in Guatemala allgemeine Wahlen. Wie schätzt du die Wahlergebnisse ein?

Zunächst ging man in Izabal und in anderen municipios (Großgemeinden) davon aus, dass es Unruhen geben würde. Denn ein Großteil der Bevölkerung ist unzufrieden mit dem System, mit der Regierung und mit dem Wahlbetrug, der sich seit langem abgezeichnet hat. Das ist die Meinung in den Gemeinden. Denn zunächst wurde die Präsidentschaftskandidatin Thelma Cabrera von der Bewegung für die Befreiung der Völker (MLP) durch Anzeigen aus dem Wahlprozess ausgeschlossen, dann folgten weitere Kandidat*innen.

Als ich in den Gemeinden unterwegs war, sagten sehr viele Leute, dass sie ungültige Stimmzettel abgeben wollten. Ich habe versucht, ihnen deutlich zu machen, dass diese Strategie uns nicht weiterhilft und sie dazu animiert, für die Würde zu stimmen. Denn es gab weiterhin Alternativen wie die sozialdemokratische Partei Semilla oder auch das linke Bündnis von URNG und Winaq. Die Wahlen wurden am Ende von viel Unmut seitens der Bevölkerung begleitet. Sandra Torres von der Partei der Nationalen Hoffnung (UNE) belegte den ersten und Bernardo Arévalo von Semilla den zweiten Platz.
Seit diesem Moment gibt es einen Hauch von Hoffnung, denn der Kandidat Arévalo hat eine politische Laufbahn und politische Kenntnisse vorzuweisen. Und zugleich ist es traurig, dass das MLP vom Wahlprozess ausgeschlossen wurde. Auch wurden in drei municipios Wahlzettel verbrannt. Es war die Absicht des Staates, die Stimmen für das politische Establishment zu verteidigen, aber die Menschen waren wütend und gingen dagegen auf die Straße. Auch in der Hauptstadt haben sie sich organisiert und dabei versucht, dass der Protest gewaltfrei verläuft. Die Menschen wollen, dass ihre Wahl respektiert wird. Denn so wie bisher können wir nicht weitermachen.

Wie hat die Regierung darauf reagiert?

Sie hat Polizei und Militär eingesetzt, zum Beispiel dort, wo Unternehmen sind, die Bergbau, Monokultur und Wasserkraftwerke betreiben. In Alta Verapaz zum Beispiel wurden Militär, Marineinfanterie und Luftwaffe eingesetzt. Die Streitkräfte dienen nicht der Bevölkerung oder dem Schutz des Lebens, sondern sie beschützen das Establishment. Ich denke, dass sich die Dinge verändern und dass sich gerade etwas bewegt, aber dass es dafür noch mehr bedarf. Am 20. August findet die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen statt und am 21. August unsere Gerichtsverhandlung. Wir hoffen, dass das Verfahren eingestellt und der Termin nicht verschoben wird.


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La herencia de Giammattei

Für die deutschsprachige Version hier klicken

Protesta en Berlín Manifestación por la toma de posesión del Gobierno de Giammattei en 2020 (Foto: Marcus Tragesser)

En marzo el Tribunal Supremo Electoral (TSE) rechazó definitivamente la candidatura presidencial de Thelma Cabrera, líder indígena del Movimiento de Liberación de los Pueblos (MLP) y de su colega Jordán Rodan, anteriormente procurador de los Derechos Humanos. Este acontecimiento cierra la época de un gobierno caracterizado por el incremento de la violencia estatal, el extractivismo a costa de las comunidades indígenas, la corrupción y la impunidad. Todo esto significó ataques constantes al sistema democrático. La obstrucción de la elección a partir de la exclusión del MLP se inscribe como la última etapa de vaciamiento de las funciones de garantía de las instituciones democráticas.

En el contexto de la crisis de salud, las asignaciones irregulares de cargos clave del sistema judicial concretan la subordinación de este último al poder político. Ejemplo de ello ha sido  la reelección en marzo de 2021 en la Corte Constitucional de Dina Josefina Ocha y del abogado Luis Rosales Marroquín, señal clara del rechazo del gobierno a comprometerse en contra de la corrupción y la impunidad.  Mientras Ocha fue acusada de encubrir varios casos de corrupción y propiciar la salida del país de la Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala (CICIG), Marroquín ha sido durante muchos años el abogado defensor del ex dictador Efraín Ríos Montt, quien fue condenado y luego “declarado inocente” por genocidio en contra el pueblo Maya Ixil de la zona del Quiché.

La confirmación de Consuelo Porras al frente de la Fiscalía General del Ministerio Público, en mayo de 2022, señala el estado generalizado de la corrupción e impunidad, ante el accionar implacable de Porras contra ciertos juristas comprometidos en la lucha contra la mafia. Entre otras irregularidades que se hicieron visibles en la elección del Tribunal Supremo de Justicia (TSJ), se inserta la asignación de Bianca Aída Stalling Dávila. Inelegible por ley para un segundo mandato, fue investigada por la CICIG por haber presionado a la justicia a favor de la absolución de su hijo, procesado por corrupción en el Instituto Guatemalteco de Seguridad Social. La cooptación de las instituciones judiciales y del propio Tribunal Supremo Electoral han favorecido el actual panorama político. Éste se caracteriza por la presencia de figuras vinculadas al crimen organizado, a políticos y militares beneficiarios de la impunidad que históricamente ha caracterizado a la política guatemalteca.

Las tres principales candidatas a la presidencia, Zury Ríos, por la coalición Valor-Unionista, hija del ex dictador Rios Montt; Sandra Torres, por el partido UNE y ex esposa del presidente Álvaro Colom Caballeros y Edmond Mulet, por el partido CABAL, se posicionan en el espectro de la derecha/derecha extrema.La cooptación de las instituciones gubernamentales es sólo uno de los muchos legados de la cínica gestión del gobierno de Giammatei. A lo largo de este periodo, el país se ha visto golpeado no solo por una serie de políticas que, bajo la bandera de la crisis pandémica, han incrementado la pobreza y desigualdad, sino también por una espiral de violencia. Misma que, bajo el pretexto del crecimiento económico y del desarrollo, ha llevado a la desaparición de muchas comunidades indígenas (véase LN 585).

#Donde está el dinero

La gestión de la crisis de salud estuvo marcada por la falta de vacunas y la emergencia de un aparato público racionado y con insuficientes recursos. Esto constituyó el marco de las numerosas protestas que caracterizaron la legislatura del Gobierno saliente. Para gestionar la pandemia, el Gobierno recurrió a mayor endeudamiento. El Banco Mundial otorgó un préstamo de 750 millones de dólares durante el bienio 2020-2022, para mitigar los efectos de la crisis en la población más vulnerable e impulsar el crecimiento económico; sin dar cuenta de los préstamos que llegaron desde otras instituciones como el Fondo Monetario Internacional, entre otros. Según datos del Ministerio de Finanzas, la deuda pública se sitúa en el 32% del Producto Interno Bruto. Las protestas del movimiento bajo la consigna #DóndeEstáElDiinero, a pocos meses del inicio de la pandemia, exigieron la renuncia del gobierno y claridad sobre el uso de los fondos para paliar la crisis sanitaria (véase LN 559/2021).

Mientras no ha habido claridad sobre el uso de los préstamos para mitigar la pandemia, se ha observado un claro aumento de la violencia ejercida sobre las comunidades indígenas a partir de políticas extractivistas (LN 569-570/21). El Observatorio de la Industria Minera reporta un incremento enorme a lo largo de la pandemia en la actividad minera, donde para el 2023 se registraron al menos 40 solicitudes más y 4 nuevas concesiones respecto al año anterior. En paralelo, se constituyeron nuevas instituciones públicas con el objetivo de legitimar el desplazamiento forzado bajo la narrativa de la defensa del derecho a la propiedad privada. Entre estas se encuentran la Asociación para la Defensa de la Propiedad Privada (ACDEPRO) y la Fiscalía contra Delitos de Usurpación fundadas respectivamente en 2019 y 2021. Ante el panorama actual resulta difícil hablar de “elecciones democráticas” en Guatemala.

Las irregularidades en la inscripción de candidatos a la presidencia, así como la evidente  eliminación de la oposición de la contienda electoral, son indicios de un fraude electoral. A partir de la cooptación de las instituciones, el Gobierno de Giammattei ha restaurado el clima perfecto para gobernar bajo el manto de la impunidad y la corrupción. ¿Se puede seguir hablando de democracia en un país donde las instituciones democráticas han sido vaciadas de sus funciones primordiales de garantía constitucional? La actual constelación política asemeja más la imposición de una dictadura bajo el manto de la democracia.

En este contexto, el futuro está lleno de incertidumbre para la resiliencia de la democracia misma en el país. Ante este panorama, la elección para diputados del Congreso es probablemente la única medida para poder comenzar a revertir este proceso. El acompañamiento internacional solidario es más importante que nunca.


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Konvention zum Schutz indigener Völker wertlos

Herr Caal Xol, Sie wurden am 24. März 2022, hier in Cobán aus dem Gefängnis entlassen. Ein Jahr später müssen Sie sich immer noch vor Gericht verantworten. Warum?

Seit 2017 laufen gleich zwei Verfahren gegen mich. In einem ersten beschuldigt mich der Staat unrechtmäßig ein Lehrergehalt bezogen zu haben. Das zweite Verfahren wurde von der Firma Oxec angestrengt. Sie baut die mehrere Wasserkraftwerke am Río Cahabón. Dagegen habe ich mich gemeinsam mit anderen engagiert. Ich wurde angezeigt Elektrokabel gestohlen und mehrere Mitarbeiter des Bauunternehmens Netzone SA gemeinschaftlich mit anderen Aktivisten festgehalten zu haben.

Sie wurden am 30. Januar 2018 verhaftet, im November des gleichen Jahres zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und vier Monaten wegen schweren Raubes und Freiheitsberaubung verurteilt – zu Recht?

Nein (lacht), natürlich nicht. Die Richter haben mich verurteilt, obwohl sie sich nur auf die Aussagen von drei oder vier Netzone-Mitarbeiter berufen konnten. Es gab keine Videos, keine Fotos, keine unabhängigen Zeugen – ein fabrizierter Prozess. Das ist auch die Meinung von Amnesty International, die mich im Juli 2020 zum Gewissensgefangenen erklärten. Auch Experten der Vereinten Nationen haben meine Haftstrafe als Versuch bezeichnet mich zum Schweigen zu bringen und zu diskreditieren. Das ist Ihnen nicht gelungen.

Hat die Stigmatisierungs- und Kriminalisierungskampagne in ihrem Dorf, in ihrer Region, in gewerkschaftlichen Zusammenhängen funktioniert?

Nein, keineswegs, aber vielleicht im Rest Guatemalas. Wer glaubt denn, dass ich in größerer Menge Kabel geraubt habe? In meiner Heimatgemeinde nur wenige. Da kennt man mich gut. Ich bin Lehrer, ich habe mich in der Gewerkschaft engagiert – solche Leute sind bekannt in den Gemeinden. Das wird nicht so schnell vergessen. Ich habe viel moralische Unterstützung erhalten – kaum jemand hat geglaubt, dass ich wirklich gestohlen habe, die meisten, dass es gefälschte Anschuldigungen waren.

Auch im Gefängnis haben mich Briefe erreicht. Ich selbst habe regelmäßig geschrieben, fast täglich einen Brief, von denen viele in den sozialen Netzen veröffentlicht wurden und die mich draußen in Erinnerung gehalten haben.

Schreiben als Therapie im Gefängnis. Wie ist es Ihnen da ergangen?

Puh, das war eine schlimme Zeit mit Folgen. Jetzt bin ich in psychologischer Behandlung. Die Ärzte haben mich durchgecheckt. Ich hatte einen Tumor, der im Gefängnis entstanden ist. Nach meiner Entlassung aus der Haft, wurde der Tumor in einem Krankenhaus in Guatemala Stadt entfernt.

Man muss wissen wie man im Gefängnis durchkommt, sich aus Konflikten heraushält. Für mich war das Schreiben so etwas wie meine Therapie. Es hat mir geholfen, klar zu bleiben und mir etwas Respekt der anderen Häftlinge eingebracht. Auch die Solidarität von Amnesty, der Peace Brigades und die Besuche haben geholfen.

Amnesty hat Sie zum Gewissensgefangenen erklärt. Hatte das einen Effekt?

Nein, eigentlich nicht. Guatemalas Justiz hat in den letzten Jahren das letzte bisschen ihrer Unabhängigkeit verloren. Es gibt in Guatemala eine Gruppe von Personen, die die Justiz kontrollieren. Sie ermitteln gegen unbequeme Richter unter fadenscheinigen Vorwänden und bedrohen sie mit Haft. Viele fliehen deshalb ins Ausland. Es gibt mehr als zwei Dutzend Fälle. Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sitzen im Gefängnis und werden kriminalisiert, obwohl sie nur ihre Arbeit gemacht haben. So wie ich auch. Wir leben in einem Land, in dem der Rechtsstaat beerdigt wurde. Dafür gibt es auch jetzt im laufenden Wahlkampf zu den Präsidentschaftswahlen am 25. Juni zahlreiche Belege.

Woran denken Sie – an die Nominierung der Kandidat*innen?

Ja, genau. Mehrere Kandidatinnen und Kandidaten, darunter mit Thelma Cabrera auch eine aussichtsreiche Indigene, wurden von Höchsten Wahlgericht (TSE) nicht zugelassen – unter wenig stichhaltigen Vorwänden.

Zurück zu Ihrem Fall: Wurde die Bevölkerung um ihr Einverständnis für den Bau der Wasserkraft-werke gebeten und darüber informiert?

Nein, wir wurden nicht informiert, nicht gefragt, ob wir mit der Umleitung der Flüsse, dem Bau von Staudämmen und mehr einverstanden waren. 2015 begannen die Bauarbeiten und auf den Baufahrzeugen waren immer die Namen von zwei Unternehmen zu sehen: Soler und Cobra. Wir haben die Namen auf den Seiten der Ministerien wiederentdeckt und so festgestellt, dass Lizenzen für Wasserkraftwerke vergeben worden waren, ohne dass wir Maya Q’eqchi’ informiert und um Zustimmung gefragt wurden wie es die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker vorsieht. Die ist von Guatemala unterzeichnet worden und auch von den spanischen Stromunternehmen, die vor unserer Haustüre Kraftwerke bauen.

Was passierte dann?

Wir begannen uns zu koordinieren und fuhren in die Hauptstadt, um gegen die Vergabe von Konzessionen ohne Beteiligung der lokalen Bevölkerung zu protestieren. Der Fall wurde publik. Schnell wurde klar, dass die Lizenzen für die Kraftwerke vom Minister für Energie und Minen vergeben wurden: Eric Archila. Der wird heute mit Haftbefehl gesucht. Mich hat damals die lokale Bevölkerung ernannt, um die Verhandlungen zu führen, Verträge aufzusetzen und den Widerstand zu koordinieren.

Das brachte sie für mehr als vier Jahre ins Gefängnis.

Richtig, allerdings begann die Diffamierung früher und sie hält an. Heute muss ich regelmäßig vor Gericht erscheinen, um mich gegen den Vorwurf zu wehren, dass ich ein Gehalt als Lehrer bezogen hätte, ohne zu unterrichten. Richtig ist, dass ich aufgrund meiner gewerkschaftlichen Arbeit freigestellt war. Ich unterrichtete nicht, sondern habe mich in Vollzeit für die Lehrergewerkschaft engagiert. Das versuche ich den Richtern seit einem Jahr mit allen nötigen Dokumenten zu belegen. Doch sie lassen nicht locker – es geht weiterhin darum mich zu diskreditieren und zu kriminalisieren.


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Recherchen auf heißem Pflaster

Indigene Frauen vor und hinter der Kamera Die freischaffende Videoproduzentin Ana Matzir bei der Arbeit (Fotos: Andreas Boueke)

Ein Demonstrationszug läuft über die Haupteinkaufsstraße des alten Zentrums von Guatemala-Stadt. Es geht vorbei an renovierungsbedürftigen Wohnhäusern, kolonialen Kirchengebäuden, farbenfrohen Läden und modern ausgestatteten Bankfilialen, vor deren Eingangstüren bewaffnetes Sicherheitspersonal Wache schiebt. Die meisten Demonstrierenden sind Frauen. Sie protestieren gegen die Gewalt, der viele von ihnen immer wieder ausgesetzt sind. In einer Gruppe mit dem Namen „Plattform Gerechtigkeit“ laufen zwei Dutzend Frauen in schwarzen T-Shirts mit aufgedruckten Bildern gelber Sonnenblumen. Eine hält ein Schild hoch. Es trägt die Aufschrift: „Ich lebe in einem Land des Femizids“. Die guatemaltekische Menschenrechtsorganisation GAM geht davon aus, dass im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre im Land rund 13.000 Frauen und Mädchen ermordet wurden.

„Ich lebe im Land des Feminizids“ Demo in Guatemala-Stadt

Guatemaltekische Kameramänner, deren Jacken die Logos kleiner Produktionsfirmen tragen, filmen den Protest. Eine europäische Fotografin stellt sich auf eine Parkbank, um den Blickwinkel ihrer Kamera auf den Demonstrationszug zu verbessern. Indigene Reporterinnen nutzen ihre Smartphones, um Fotos zu machen und Interviews aufzunehmen. In der Menge taucht mal hier, mal da der braune Hut und die farbenfrohe Tracht der Gemeindereporterin Angela Cuc auf. Die junge Frau recherchiert für eine Reportage über die Lebensrealität von Frauen aus Mayagemeinschaften in Guatemala. „In einem Land wie diesem ist es sehr schwierig sicherzustellen, dass die Rechte einer Frau respektiert werden“, sagt sie und wischt einige Schweißtropfen von ihrer Brille. „Uns steht ein Staat gegenüber, der vom Machismo geprägt ist. Seine Strukturen sind frauenfeindlich und patriarchal. Wer versucht, in den großen Medien Berichte über die ausgegrenzten Teile der Bevölkerung unterzubringen, hat es schwer.“

Angela Cuc stammt aus der Mayagemeinschaft der Kaqchikel. Sie schreibt für verschiedene alternative Publikationen in Guatemala und ist Korrespondentin eines indigenen Radioprogramms aus der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. Im hinteren Teil des Protestzugs trifft sie auf einige Mitglieder der interreligiösen Vereinigung CENTINELAS. Die dort Protestierenden tragen ein Banner, auf dem geschrieben steht: „Das Gesicht der Kriminalisierung ist weiblich, das der Tapferkeit auch.“

Die Medienmacht ist in Guatemala extrem zentralisiert

Die Pressesprecherin der Vereinigung, Mayra Rodriguez, ist gerne bereit zu einem Interview: „Die Kriminalisierung nimmt zu und immer häufiger trifft sie mutige Frauen. Sie kämpfen gegen ein System, das von korrupten Machenschaften und persönlichen Interessen manipuliert wird. Wir verlangen Gerechtigkeit für alle Frauen, die verfolgt werden, weil sie ihre Rechte einfordern. Die ständige Bedrohung erzeugt ein Klima des Terrors.“

In einer Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen für das Jahr 2022 steht Guatemala zwischen 180 Staaten im unteren Drittel. Die Vereinigung CENTINELAS bemüht sich seit Jahren darum, Gläubige verschiedener Religionen im Engagement gegen Zensur und Korruption zusammenzuführen. Vor allem katholische und evangelische Christ*innen machen mit, aber auch jüdische, muslimische, buddhistische Gläubige und Anhänger*innen der Mayareligion. Gemeinsam fordern sie ein Ende der Gewalt und mehr Transparenz in Wirtschaft und Politik, erklärt Rodriguez: „In Guatemala leidet die Hälfte der Kinder an chronischer Unterernährung. Das muss sich ändern. Einige Frauen werden verfolgt, weil sie über Korruption schreiben und für Verbesserungen kämpfen. Sie tun das mit einer Haltung der Würde. Das macht sie zu Vorbildern für uns alle.“

Angela Cuc freut sich über die Anerkennung ihrer Arbeit. Sie hofft, dass solche Unterstützung dazu beiträgt, sie und ihre Kolleginnen in Guatemala vor Übergriffen zu schützen. Denn in Lateinamerika gilt nur das Nachbarland Mexiko als noch gefährlicher für Journalist*innen. „Wer in Guatemala journalistisch arbeitet, hat sich schon immer auf Konfrontationskurs zur Regierung begeben. Wer die Interessen der Politiker durchkreuzt, bekommt Probleme. Wenn du darüber berichtest, wie die Frauen der indigenen Völker ihr Land und ihre Körper verteidigen, wirst du von der Regierung als interner Staatsfeind angesehen.“

Dabei gab es einmal eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung in Guatemala: Als im Dezember 1996 der Bürgerkrieg offiziell zu Ende ging, erlebte die Gesellschaft Fortschritte in ihrer demokratischen Entwicklung. Die Pressefreiheit wurde einige Jahre lang von den meisten staatlichen Institutionen respektiert. Viele Menschen gewöhnten sich daran, die Regierung weitgehend ohne Angst kritisieren zu können.

Eine Opposition zum Medienmonopol

Doch zwei Jahrzehnte später überwiegen die Rückschläge. Heute werden wieder viele Menschenrechtsaktivist*innen, kritische Reporter*innen, aber auch unabhängige Richter*innen und Mitarbeiter*innen kirchlicher Menschenrechtsorganisationen eingeschüchtert und bedroht. Es kommt zu Anschlägen und Morden. Staatsanwält*innen, die Fälle von Korruption aufdecken, werden mit fadenscheinigen Vorwürfen diskreditiert. Im Jahr 2022 wurden mehr als 300 Angestellte des Justizsystems inhaftiert. Die Atmosphäre der Angst treibt Oppositionelle ins Exil. Mayra Rodriguez macht sich vor allem Sorgen um mittellose Frauen, die es wagen, Korruption und Rassismus öffentlich anzuklagen. Ihnen fällt es besonders schwer, sich im Labyrinth der Willkür des Justizsystem gegen frauenfeindliche Verleumdungen zu verteidigen. „Wir verlangen, dass die Kriminalisierung der indigenen Gemeindereporterinnen aufhört. Die korrupten Politiker haben es auf diejenigen Personen abgesehen, die ihnen im Weg stehen. Für sie stören die Berichte der Frauen wie Steine im Schuh.“

Durch diese Worte fühlt sich Angela Cuc in ihrer journalistischen Arbeit bestätigt. In ihren Texten ergreift sie immer wieder Partei für die Frauen der Mayabevölkerung, die seit Jahrhunderten zu den am stärksten ausgegrenzten und diskriminierten Gruppen des amerikanischen Kontinents zählen. In den Fernsehkanälen Guatemalas wird nur sehr selten über diese Missstände berichtet. Es gibt drei Sender, die im ganzen Land über Antenne empfangen werden können. Die abendlichen Nachrichten dieser Sender sind die wichtigsten Informationsquellen, auf die ein Großteil der verarmten Bevölkerung Zugriff hat. Doch alle drei Sender sind im Besitz eines einzigen Mannes, des mexikanischen Medienmoguls Ángel Gonzales. Zudem besitzt er zahlreiche Kinos und die Frequenzen mehrerer Radiostationen. Sein Einfluss auf die Kultur und Politik des Landes ist enorm und er zeigt wenig Skrupel bei der Wahl der Mittel, mit denen er seine Medienmacht verteidigt.

Angela Cuc weiß, dass eine plurale und diverse Berichterstattung in Guatemala ein sehr weit entferntes Ziel ist: „Wir Maya werden bis heute als der Feind angesehen. Viele Leute können nicht akzeptieren, dass wir indigenen Frauen Widerstand leisten. Deshalb wollen sie verhindern, dass wir ein Mikrofon in die Hand nehmen und uns an der Berichterstattung beteiligen.“

Die meisten Kolleginnen von Angela Cuc sind noch jung, aber viele hatten schon Konflikte mit der Polizei. Der einen wurde die Fotoausrüstung konfisziert, die andere wurde festgenommen und verhört, manche wurden geschlagen. Angela Cuc selbst musste mehrere Nächte in einer Zelle verbringen, bis ein Richter sie freisprach – nicht aus Respekt für ihre journalistische Arbeit, sondern weil es keinerlei Beweise gab für den Vorwurf, sie sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung. „Die Angst ist eine ständige Begleiterin dieser Arbeit. Auf den Schutz der Polizei können wir nicht zählen. Stattdessen misshandeln sie uns, selbst wenn du dich als Journalistin ausweisen kannst.“

Als der Demonstrationszug den zentralen Platz der Hauptstadt erreicht, führt eine Gruppe Mädchen vor der Kathedrale der Erzdiözese von Guatemala-Stadt einen Tanz auf. In dem Gebäude dahinter sitzt die Sozialwissenschaftlerin Gloria Gonzales an einem Schreibtisch aus Metall. Sie berät die guatemaltekische Bischofskonferenz in Fällen von Landkonflikten und bei der Ausarbeitung von Projekten zur ländlichen Entwicklung. „In letzter Zeit beobachten wir eine neue Dynamik. Früher waren die Anführer der Kämpfe indigener Gemeinden meist männliche catequistas (religiöse Autoritäten Anm. d. Red.). Aber jetzt geht es immer häufiger um die Bewahrung der Schöpfung und die Verteidigung der natürlichen Ressourcen. Häufig stehen Frauen an der Spitze des Widerstands. Mag sein, dass ihre Identifikation mit Mutter Natur besonders ausgeprägt ist.“

Gloria Gonzales hält es auch für eine wichtige Aufgabe der Kirche, diese Frauen zu unterstützen. Viele werden verfolgt, weil sie sich für den Schutz der Natur einsetzen. „In diesem Land leben wir alle in Gefahr. Aber das Risiko der Anführerinnen sozialer und Umweltbewegungen ist besonders groß. Einige mussten das Land verlassen. Andere sind geblieben und ertragen die ständige Bedrohung. Manche sind im Gefängnis.“

„Wer die Interessen der Politiker durchkreuzt, bekommt Probleme“

Ab und zu beschäftigt das Menschenrechtszentrum der Diözese auch indigene Reporterinnen, die aus abgelegenen Gemeinden berichten. Die Jurastudentin Ana Matzir arbeitet als freischaffende Videoproduzentin: „Ich bemühe mich, immer auch Mitglieder der verarmten Dorfgemeinden zu Wort kommen zu lassen und ihre Entwicklungsprozesse zu stärken. Manchmal geht es darum, Aufmerksamkeit für politische Gefangene zu schaffen. In letzter Zeit habe ich über den Widerstand einiger Gemeinden gegen Bergbauprojekte recherchiert.“

Auf solche kritischen Berichte über große Wirtschaftsprojekte wartet man in den Nachrichtensendungen der monopolisierten Fernsehkanäle Guatemalas vergeblich. Die meisten Redaktionen achten darauf, den Interessen der politisch und wirtschaftlich Mächtigen nicht zu schaden. Ana Matzir versteht ihre unabhängige journalistische Arbeit als Opposition zu diesem Medienmonopol. Sie will die Aufmerksamkeit auf Entwicklungen lenken, die von der Gesellschaft weitgehend ignoriert werden.
Gefährlich wird es besonders dann, wenn solche Berichterstattung auf Umweltzerstörung aufmerksam macht und sich gegen die Interessen finanzstarker Unternehmen richtet. Gloria Gonzales weiß, dass sich junge Reporterinnen wie Angela Cuc und Ana Matzir oft in Gefahr bringen: „Sie begeben sich ins Auge des Hurrikans. Dort sind sie nicht nur deshalb besonders gefährdet, weil sie Frauen sind, sondern auch, weil sie einem Mayavolk angehören. Ihre Stimmen sind wichtig. Sie können viele andere Menschen informieren und mobilisieren. Deshalb bemühen wir uns, ihnen mehr Gehör zu verschaffen.“

Eine der bekanntesten Stimmen der Mayabevölkerung Guatemalas ist die von Rosalina Tuyuc, eine Ikone der indigenen Bewegung Lateinamerikas. Ihr Mann und ihr Vater wurden während des guatemaltekischen Bürgerkriegs von der Armee ermordet. Daraufhin hat sie CONAVIGUA gegründet, die Vereinigung der Kriegswitwen Guatemalas. Später wurde sie zur Vizepräsidentin des guatemaltekischen Parlaments gewählt. Heute beobachtet sie mit Sorge, wie die Regierung und die großen Medienunternehmen immer mehr Räume alternativer Berichterstattung schließen: „Dadurch wird unser Justizsystem auf die Probe gestellt: Eigentlich sollen die Gerichte sicherstellen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Das bezieht sich auch auf die Presse. Es ist nicht gut, wenn nur die Mächtigen die Möglichkeit haben, ihre Meinung öffentlich zu machen.“

Die erfahrene Aktivistin weiß, dass es für Angehörige der Mayabevölkerung immer gefährlicher wird, sich Gehör zu verschaffen. Umso mehr freut sich Rosalina Tuyuc, wenn sie von jungen, indigenen Frauen wie Ana Matzir um ein Interview gebeten wird: „Die Frauen der Maya haben eine sehr wichtige Rolle übernommen. Sie begleiten die Kämpfe ihrer Völker und verteidigen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Einige Reporterinnen werden kriminalisiert und bedroht. Doch trotz der Repression berichten sie weiter aus verschiedenen Regionen des Landes.“

Kamera und Mikrofon sind Werkzeuge des Journalismus, keine Waffen. Sie können nicht töten. In Guatemala sind sie zu wichtigen Bestandteilen des gewaltfreien Kampfes indigener Frauen um die Anerkennung ihrer Rechte geworden.


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GEWALT UND VERTREIBUNG MIT NACHHALTIGKEITSLABEL

Gemeinde Sayaxhé in Petén Palmplantage am Fluss La Pasión (Foto: Nanosmile, CC BY-SA 2.0 via Wikipedia)

Ein massiver Einsatz von Polizei und paramilitärischen Kräften zwang am 6. Dezember vergangenen Jahres 154 Familien in der Gemeinde Chapin Abajo El Estor im guatemaltekischen Departement Izabal dazu, ihre Häuser zu verlassen. Die Sicherheitskräfte setzten dabei Tränengas und großkalibrige scharfe Waffen ein. Zahlreiche Frauen und Kinder trugen Verletzungen davon. Einige Bewohner*innen wurden willkürlich festgenommen. Hinter den Zwangsräumungen stecken die Regierung von Präsident Alejandro Giammattei und das guatemaltekische Palmölunternehmen NaturAceites. Laut dem Rat der Maya Bevölkerung (CPO) wurde der 16-jährige Lisbiu Nefali Quileb im Zuge der Räumung ermordet. Die Antwort der Mainstream-Medien auf die Auslöschung dieses jungen Lebens ist absolute Gleichgültigkeit. Nur die Gemeinde selbst machte den tragischen Verlust über einen knappen Facebook-Post bekannt.

Das alles geschah nur ein Jahr nach der Zwangsräumung der Nachbargemeinde Chinabal (siehe LN 571). Wie Ursula Teyul, Mitglied des Bauernkomitees von Altiplano gegenüber dem lokalen Medium Prensa Comunitaria berichtet, handelt es sich bei der Gewalt, die die Gemeinde Chapin Abajo erlebt, um Vorfälle, wie sie auch in den Departements Alta Verapaz, Baja Verapaz, Petén sowie im gesamten Departement Izabal zu beobachten sind. Mit der erneuten Räumung machte die Regierung Giammatteis einmal mehr ihre Unterstützung für die Oligarchie der Großgrundbesitzer*innen und transnationaler Konzerne deutlich. Durch Monokulturen der afrikanischen Ölpalme verursachen diese eine Umweltkatastrophe, die das ganze Land betrifft. Die massive Präsenz des von einer deutsch-schweizerischen Familie gegründeten Unternehmens NaturAceites in indigenen Territorien ist für die Eskalation der Gewalt und illegale Enteignungen verantwortlich. Der Anbau afrikanischer Ölpalmen steht seit den 1990er Jahren im Fokus der guatemaltekischen Entwicklungspolitik. NaturAceites besitzt zahlreiche Plantagen, die sich über das ganze Land verteilen.

Neo-grüne Kolonialpolitik und die Zerstörung der Lebensgrundlagen

Das Unternehmen profitiert von dem lukrativen und umweltschädlichen Geschäft der Verarbeitung von Palmöl. Die Monokulturen setzen die Zerstörung der Natur seit Jahren fort und gefährden das Überleben der einheimischen Bevölkerung, die weitgehend von den natürlichen Ressourcen des Landes abhängig ist. Wie die Plattform für investigativen Journalismus Mongabay Latam berichtet, hat die Verschmutzung des Grundwassers in den Departements, die von den Monokulturen betroffen sind, seit 2016 stark zugenommen. Zusätzlich ist ein hohes Fischsterben zu verzeichnen, verursacht durch die in den Plantagen ausgebrachten Pestizide. Laut einer Untersuchung des Bündnisses tras las huellas de la palma (auf den Spuren der Palme) aus dem Jahr 2021 sind von 60 in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern geführten Klagen wegen Umweltverbrechen neun gegen NaturAceites gerichtet. Palmenmonokulturen verursachen das Aussterben einiger Säugetier- und Vogelarten und begünstigen die Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen im Ökosystem.

Der Anbau der afrikanischen Ölpalme ist nicht nur mit Abholzung und daraus folgender Wüstenbildung verbunden, sondern auch mit der Freisetzung von Kohlendioxid, der Hauptursache für die globale Erwärmung. Der große Wasserbedarf führt wiederum zu großer Wasserknappheit in den betroffenen Regionen.

Die andauernden Verletzungen von Menschen- und Umweltrechten im Zusammenhang mit der Förderung dieser Monokulturen stehen nun im Fokus von Umweltorganisationen und von Enteignung bedrohten indigenen Bevölkerungsgruppen. Die Anwendung von Gewalt und illegale Enteignungen sind etablierte Praktiken der nationalen Regierungen und transnationaler Unternehmen, denen jedes Mittel recht ist, um ihre Profite zu maximieren. Paradoxerweise ist NaturAceite Mitglied des Runden Tisches für nachhaltiges Palmöl (RSPO), einer nichtstaatlichen Organisation, die sich seit 2004 für die Reduzierung der ökologischen und sozialen Auswirkungen des Palmöl-Anbaus einsetzt. Zu diesem Zweck hat sie einen Nachhaltigkeitsstandard eingeführt, der es ihr ermöglicht, sich selbst zu zertifizieren, indem sie auf internationaler Ebene die Verwendung von nachhaltigem Palmöl und damit das Engagement der gesamten Lieferkette für Nachhaltigkeit nachweist (siehe auch LN571). Guatemala ist nach den drei großen asiatischen Exporteuren – Malaysia, Indonesien und Papua-Neuguinea – nach Honduras der zweitgrößte lateinamerikanische Exporteur von Palmöl.

Globale grüne Akkumulation

Zu den Kunden von NaturAceites gehören laut einer Studie der Christliche Initiative Romero, die ADM Mainz GmbH und Vandemoortele, die wiederum zu den Lieferanten von Edeka gehört. Die ADM Mainz GmbH ist Teil des US-Konzerns Archer Daniels Midland Company. Gemeinsam mit Bunge, Cargill und Louis Dreyfus ist Archer Daniels Midland Company einer der größten Konzerne, die den Handel von Agrarrohstoffen (einschließlich Soja, Mais, Palmöl und Zucker) kontrollieren. Ferrero und Danone schließen den Kreis der (noch nicht vollständig ermittelten) Reihe an internationalen Partnern von NaturAceites.

Auf dem Treffen des mesoamerikanischen Netzwerks gegen die Palmen-Monokulturen, das im Oktober 2022 im mexikanischen Bundesstaat Chiapas stattfand, verurteilten Vertreter*innen verschiedener basisdemokratischer Organisationen aus Mittelamerika die zunehmende Gewalt in ihren Gebieten und die von den Palmölbaronen verursachten Spaltung der Bevölkerung.

Die fehlende Transparenz der Unternehmen in Hinsicht auf die ökologischen Folgen der Monokulturen führt dazu, dass einige Gemeinden diese als Mittel zur Überwindung ihrer Armut ansehen. In Guatemala wurde zwischen 2011 und 2014 das Verschwinden von 28 indigenen Gemeinschaften dokumentiert. Das mesoamerikanische Netzwerk gegen die Palmen-Monokulturen unterstreicht gemeinsam mit internationaler Aktivist*innen, dass die Zerstörung der Umwelt und der indigenen Territorien, zusammen mit den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen ein zentrales Thema sein muss, um die Auswirkungen der neokolonialen Politik der Industrieländer zu problematisieren.


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TRIUMPH DER SOZIALEN BEWEGUNGEN

„Schluss mit der Represssion!“ Kreativer Protest gegen das Gesetz 5.272 (Foto: Didy Aceituno)

Ausgerechnet am 8. März – dem Internationalen Frauentag – verabschiedete der Kongress in Guatemala das Gesetz 5.272 und das sogenannte Dekret 18-2022 „Zum Schutz des Lebens und der Familie“. 101 Abgeordnete stimmten dafür, acht dagegen, 43 enthielten sich. Einen Tag später erklärte der Präsident Alejandro Giammattei Guatemala-Stadt zur „Pro-Life Hauptstadt Iberoamerikas“. Dazu fand ein feierlicher Akt statt, angeführt vom Präsident Giammattei selbst sowie der Vorsitzenden des Kongresses, Shirley Rivera. Doch die Präsenz und Stärke von feministischen Kollektiven und sozialen Organisationen aus verschiedenen Bevölkerungsschichten, die auf der Straße ihre Ablehnung gegen das rechts- und verfassungswidrige Gesetz deutlich machten, zeigte Wirkung: Der Rücknahme des Gesetzes eine Woche später stimmte wieder die große Mehrheit der Abgeordneten zu, obwohl sie zuvor selbst für das Gesetz gestimmt hatten.

Das besagte Gesetz war Ausdruck der konservativen Agenda der politischen Bündnisse, von denen Guatemala regiert wird und die gegen Frauenrechte und Rechte von queeren Menschen vorgehen. Das Gesetz wurde in Angesicht der Erfolge feministischer Bewegungen in Lateinamerika erlassen. Zu diesen Erfolgen gehören die Legalisierung von Abtreibung in Argentinien und in einigen Bundesstaaten Mexikos sowie jüngst die Zustimmung des Verfassungskonvents in Chile zur Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in den Entwurf für die neue Verfassung.

Das Gesetz verbietet die gleichgeschlechtliche Ehe – obwohl die nie legalisiert wurde

Das Gesetz sah die Erhöhung der Haftstrafen für Schwangerschaftsabbrüche auf bis zu zehn Jahre vor sowie die strafrechtliche Verfolgung von Personen, die Abtreibungsdienste aufsuchen oder anbieten. Außerdem erhöhte sich durch das Gesetz das Risiko einer Gefängnisstrafe im Falle einer Fehlgeburt, da es für die Betroffenen schwierig ist, zu beweisen, dass es sich hierbei nicht um einen absichtlich herbeigeführten Schwangerschaftsabbruch handelt. Außerdem lehnte das Gesetz jegliche Formen des Zusammenlebens, die von der heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Norm abweichen, als „nicht normal“ und „unvereinbar mit der christlichen Moral“ ab. Es verbot explizit eingetragene Lebenspartnerschaften ebenso wie die gleichgeschlechtliche Ehe. Sämtliche Formen von Aggressionen und Hassverbrechen gegen LGBTIQ-Personen wurden legitimiert, in dem das Gesetz die strafrechtliche Verfolgung solcher Taten verbot. Außerdem wurde Sexualkundeunterricht in Schulen verboten und das Konzept von Familie beschränkt.

Sandra Morán ist Feministin, lesbisch und Aktivistin und saß von 2016 bis 2019 für die linke Partei Convergencia im guatemaltekischen Kongress. Morán hat öffentliche Positionen besetzt und Gesetzesinitiativen, die Frauen- und Kinderrechte sowie die Rechte queerer Personen stärken, angestoßen und verteidigt. Bereits während ihrer Zeit als Abgeordnete hat sie sich gegen die Initiative 5.272 ausgesprochen, die die Regierung schon seit 2017 einzuführen versucht. Außerdem ist sie Mitglied der Gruppe Mujeres con Poder Constituyente („Frauen mit verfassungsgebender Macht“), die sich in Guatemala für eine neue Verfassung einsetzt.

Auf die Frage, wie es gelungen ist, dass das besagte Gesetz vom selben Kongress zurückgenommen wurde, der ihm zuvor zugestimmt hat, sagt Sandra Morán: „Es klingt beschämend und das ist es auch. Es ist genauso skandalös, wie es auch der Inhalt des Gesetzes war.“ Die ehemalige Abgeordnete berichtet, dass es 2017 gelungen sei, ein Gesetz zur Änderung von zwei Artikeln des Strafgesetzbuchs zur Verringerung der Strafen bei Korruptionsdelikten zu verhindern. Damit war ein Präzedenzfall geschaffen, von dem nun erneut Gebrauch gemacht wurde, um die Rücknahme des Gesetzes zu erzwingen. Damit ein Gesetz in Kraft treten kann, muss es innerhalb von zehn Tagen von der Exekutive bestätigt werden. In diesem Zeitraum wurden die Ablehnungsbekundungen der Bevölkerung im Land und auch der internationalen Gemeinschaft unüberhörbar. Diejenigen, die das Gesetz beschlossen hatten, konnten dem öffentlichen Druck im Angesicht bevorstehender Wahlen nicht standhalten, schlussfolgert Morán. „Das Gesetz war ein technischer Irrtum und aus mehreren Gründen verfassungswidrig“, erklärt die Aktivistin. So wurde beispielsweise politischen Mandatsträger*innen untersagt, an internationalen Veranstaltungen teilzunehmen, wenn diese eine andere als die im Gesetz festgelegte Meinung verträten. „In Fragen der internationalen Politik ist es nicht angebracht, dass der Kongress die politische Meinung des Präsidenten in diesem Bereich bestimmt“, erläutert Morán. Das Gesetz verletzte außerdem die Rechte von Mädchen, Frauen und nicht-binären Personen sowie von Jugendlichen und Kindern. Der Sexualkundeunterricht an Schulen werde verboten und das alles unter dem Vorwand, das ungeborene Leben zu schützen. Es handele sich um ein Gesetz, das Trans- und Homofeindlichkeit unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit offen zuließe. Das Gesetz bestärke die Heteronormativität der Gesellschaft, indem es die traditionelle Familie als Mann und Frau, „die so geboren wurden“, definiere, die Existenz von trans Personen verbiete und die 14 restlichen Familienformen, die es laut der letzten Volkszählung in Guatemala gibt, außenvorlasse. „Die Initiative“, betont Morán außerdem, „verbietet die gleichgeschlechtliche Ehe – obwohl die noch nicht mal legalisiert wurde, nur für den Fall – ebenso wie die Anerkennung von Lebenspartnerschaften.“

Breite Solidarität im Kampf gegen Unterdrückung, Gewalt und Hass


Es handele sich um ein Gesetz der evangelikalen Pfingstkirchen, das die fundamentalistische Agenda der rechtsgerichteten Partei Visión con Valores (VIVA) zum Ausdruck bringe: „Seit Langem versucht diese Partei, die Ausweitung der Frauenrechte zu verhindern und den Vormarsch des Feminismus zu unterbinden und zu kontrollieren, weil sie sieht, dass die Bewegung sehr stark ist. Das Gesetz, mit dem die Regierenden vorgeben, das Leben und die Familie schützen zu wollten, ist ein Beispiel für diese Reaktion auf organisierten Aktivismus.“ Morán gibt zu bedenken, dass das Gesetz möglicherweise erneut vorgelegt wird. Schließlich basiere es auf einer Denkweise, die ebendiese verfassungswidrigen Handlungen auf die Agenda setzt, die sie und andere Aktivist*innen seit 2017 anprangern. Im Fall des Gesetzes 5.272 hatten sogar einige Organisationen, die sich gegen Frauen- und Abtreibungsrechte aussprechen, auf dessen Verfassungswidrigkeit hingewiesen. Dennoch haben die Abgeordneten das Gesetz beschlossen, betont Morán und skizziert das weitere Vorgehen: „Jetzt müssen wir eine Strafanzeige gegen die 101 Personen stellen, die dafür gestimmt haben, wegen Pflichtverletzung und Verstoßes gegen die Verfassung, die zu respektieren sie geschworen haben.“

Nach Zahlen der Beobachtungsstelle für reproduktive Gesundheit in Guatemala wurden im Jahr 2021 mehr als 65.000 Mädchen und junge Frauen unter 19 Jahren schwanger, häufig als Folge einer Vergewaltigung. 2.041 davon waren unter 14 Jahre alt, viele starben bei der Geburt. 70 Prozent der Betroffenen leben in Armut und jedes zweite Kind leidet an chronischer Unterernährung. Es sei paradox, so Sandra Morán, dass die Regierung das Land zur iberoamerikanischen Hauptstadt des Lebens und der Familie erkläre, während die Menschen in Wirklichkeit erschöpft seien und Hunger litten. Gerade jetzt, wo inmitten der unsicheren Weltlage auch noch die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe schnellen.

Viele Menschen sind mit der extrem konservativen Politik nicht einverstanden und gingen deshalb gegen das Gesetz auf die Straße und demonstrieren. Morán erzählt, dass die jüngere Bevölkerung nicht mehr in einem Klima der Unterdrückung, der Gewalt und des Hasses aufwachsen will. Sie begrüßt es, dass sich in den letzten Wochen auch Männer, Jugendliche, Studierende und die indigene Bevölkerung öffentlich zu Wort gemeldet haben, um ihre Solidarität in diesem Kampf zu signalisieren. „Das erschien mir wichtig, denn vorher waren wir zersplittert, doch jetzt ist Zeit für mehr Einigkeit.“ Aufgrund von Verfolgung und Schikanierung habe es lange keine Massendemonstrationen mehr gegeben. Jetzt sieht die ehemalige Abgeordnete Fortschritte im Hinblick auf die Wiederherstellung einer breiteren Bewegung. Diese sei auch bitternötig, angesichts politischer Situation in Guatemala: „Sie wollen uns im Vorfeld der Wahlen eine Lektion erteilen, um die Schaffung eines kriminellen oligarchischen Staates voranzutreiben. Ein Staat, der von militärischen Kriegsmördern, korrupten Politikern, Drogenhändlern und evangelikalen Kirchen getragen wird. Das ist das Bündnis, das Guatemala seit zwölf Jahren regiert.“


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KOLONIALISMUS, GENOZID UND PALMÖL

Niedergerissen und abgebrannt
 Die Bewohner*innen des Dorfes Chinebal mussten fliehen (Foto: Prensa Comunitaria)

„Dieser Räumungsbefehl, war eine illegale Anordnung. Der Richter Anibal Arteaga stempelte und unterschrieb lediglich ein Blatt Papier ohne Ortsangabe, auf dessen Basis die Räumung angeordnet wurde.“ So äußerte sich ein Gemeindemitglied, das aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, gegenüber dem Radiosender America Rompe El Cerco. Im Zuge der Räumung, ging die Polizei gewaltsam gegen die Bewohner*innen vor, die sich weigerten ihre Häuser zu verlassen, insbesondere gegen Frauen und Kinder. Nur eine Stunde nach der Räumung wurden die Häuser der Gemeindemitglieder von Beauftragten des Unternehmens NaturAceites angezündet, wie die guatemaltekische Tageszeitung Prensa Comunitaria berichtet.

Tatsächlich ist die Anordnung, die im Juni ausgestellt wurde, unvollständig und enthält keine Details zum Datum oder Motiv der Räumung. Darüber hinaus sind laut Prensa Comunitaria zahlreiche Verbindungen des genannten Richters zu Korruptionsfällen, Drogengeschäften und der Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen bekannt.

Die Quiché Aktivistin Lucia Ixchíu begleitet das Gebiet rund um El Estor, in dem Chinebal liegt, seit 2016 im Rahmen der Solidaritätsfestivals, einem Kollektiv von Künstlern, Korrespondent*innen und indigenen/mestizischen Forscher*innen, die sich mit historischer Erinnerung, territorialer Verteidigung und politisch motivierter Inhaftierung beschäftigen.

Im Interview mit LN bestätigt Lucía Ixchíu: „Was in El Estor geschah war buchstäblich eine Strategie des Staatsterrorismus, eine Schock-Strategie und die Fortsetzung des rassistischen und kolonialen Genozids.” Über Prensa Comunitaria erkärt sie: „Die indigenen Q’eqchi’ Gemeinden kämpfen seit etlichen Jahren darum, dass ihr Landbesitz anerkannt wird. Sie bewohnten dieses Land als Erste.”

Seit der liberalen Landreform von 1871 andauernde Repression

Um die Ereignisse und die Kämpfe der indigenen Gemeinden in El Estor zu verstehen, ist es laut Lucía Ixchíu notwendig, zu begreifen, dass die Repression gegen das Volk Q’eqchi’ in dieser Region bereits seit der liberalen Landreform von 1871 und der Präsenz der Bananengesellschaft United Fruit Company in der Region andauert. „Es ist von fundamentaler Bedeutung, die Geschichte der indigenen Bevölkerung, des Genozids und der permanenten kolonialen Plünderung zu verstehen, in der sich Guatemala aktuell befindet; es handelt sich nicht um einen Diskurs der Vergangenheit, sondern um eine aktuelle Erfahrung in Chinebal, wo die Vertreibungen stattfinden.” Lucía Ixchíu verweist auf den Genozid, der während des internen bewaffneten Konflikts an der indigenen Bevölkerung begangen wurde, der sich über drei Jahrzehnte erstreckte und formell in den Friedensverträgen von 1996 sein Ende fand. Heute setze sich die Politik der Vernichtung durch den Extraktivismus fort, so Lucía Ixchíu.

Die vertriebenen Familien sind Nachkommen derer, die 1978 flohen, als 57 Bauern der Q’eqchi’ während des Massakers von Panzós von der guatemaltekischen Armee ermordet wurden. Großgrundbesitzer benutzten daraufhin die Ländereien für Viehhaltung und später für den industriellen Anbau der afrikanischen Palme. Zur Zeit der Unterzeichnung der Friedensverträge kehrten die Gemeinden auf ihr Land zurück und bauten ihre Häuser in demselben Gebiet wieder auf. Die Räumung im November 2021 war innerhalb der vergangenen zwei Jahre der elfte Versuch die Gemeinschaft zu vertreiben.

Guatemala ist nach Kolumbien in Lateinamerika das zweitgrößte Erzeugerland von Palmöl und das sechste weltweit. Palmöl wird genutzt für verarbeitete Lebensmittel, Kosmetik und Reinigungsprodukte. Zu den Auswirkungen dieser Industrie gehören die Umweltzerstörung, wie der Ökozid am Fluss La Pasión in Guatemala, sowie Hunderte von Landkonflikten und die Verletzung der Menschenrechte der indigenen und bäuerlichen Bevölkerung.

Juan Maegli Müller ist der Eigentümer der Palmölfirma NaturAceites. Er stammt aus einer Familie deutscher und schweizerischer Herkunft, die während der Liberalen Reform 1871 nach Guatemala kam.

Er beteiligte sich an der rechtsextremen Partei Nationale Befreiungsbewegung (MLN), finanzierte während des Bürgerkriegs 1970 und 1980 Paramilitärs und die repressive Aufstandsbekämpfungskampagne. Seine Familie gehört nach wie vor zu den reichsten der wirtschaftlichen und politischen Oligarchie des Landes sowie zu den größten Großgrundbesitzerfamilien in der Region. Sein Unternehmen NaturAceites exportiert in verschiedene Länder der Welt, darunter auch Deutschland. Es verfügt über das Zertifikat für Nachhaltigkeit RSPO, welches Kriterien der umweltbezogenen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit fördert, wie die Webseite des Unternehmens mitteilt.

Lucía Ixchíu stellt im Interview mit der Prensa Comunitaria fest, dass die Region rund um El Estor zusätzlich zu seiner jüngeren Geschichte des Genozids eines der komplexesten Gebiete in Guatemala ist. Es ist die Region Guatemalas, in der gerade ein starker Widerstand gegen den Bergbau stattfindet, und in der wo seit dem 25. Oktober 2021 ein Belagerungszustand herrscht, der auch die gewaltsame Räumung von Chinebal und die Straflosigkeit erleichterte. Im Gespräch mit LN sagte Lucía Ixchíu: „Der Widerstand gegen den Bergbau in El Estor besteht aus indigenen Autoritäten aus der gesamten Region, 97 indigenen Gemeinden, und einigen der Sprecher*innen von El Estor. In Anbetracht der Art und Weise wie die Aktion durchgeführt worden ist, glauben wir, dass die Räumung ein Racheakt gegen den Widerstand ist.“


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RAUBBAU MIT POLIZEISCHUTZ

Polizei soweit das Auge reicht Hunderte Soldaten und Polizisten räumen die Blockade

Polizei soweit das Auge reicht Hunderte Soldaten und Polizisten räumen die Blockade (Foto: Marcela Sabuc, CCDA – Comité Campesino del Altiplano)

Der Konflikt um die Nickelmine in El Estor tobt weiter. Für Empörung sorgt in Guatemala gerade der geplante Inhalt der Volksbefragung, den der stellvertretende Minister für Bergbau und Energie, Luis Ayala, am 10. November in einer Sitzung mit oppositionellen Parlamentsabgeordneten bekanntgab. „Wie wirkt sich die Arbeit der Mine auf Sie aus und welche Umstellung schlagen Sie vor?“, soll die einzige Frage lauten. Dies sei eine verzerrte Frage und gäbe der Bevölkerung keine wirkliche Option, sich gegen die Mine auszusprechen, kritisierte Walter Félix, Abgeordneter der ehemaligen linken Guerillaorganisation Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca (URNG), worauf der Vizeminister Ayala erwiderte, die Befragung sei um „Lösungen zu finden, nicht um sich für oder gegen die Mine auszusprechen“.

Hintergrund der jüngsten Eskalation ist der Konflikt um ein Urteil des guatemaltekischen Verfassungsgerichts und die für Dezember geplante Volksbefragung. Bereits 2019 legte das Verfassungsgericht fest, dass die Arbeiten einzustellen seien, da eine nach Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der indigenen Völker festgelegte Volksbefragung der indigenen Bevölkerung nie stattgefunden habe und vor einer Fortsetzung der Abbautätigkeit diese nachzuholen sei. Trotz dieses Urteils setzten die Betreiberfirmen Compañia Guatemalteca de Niquel (CGN) und Pronico, beides 100-prozentige Tochterfirmen der Schweizer Solway Investment Group, ihre Arbeiten fort. Sie konnten laut Geschäftsberichten der Solway Group 2019 und 2020 die Rekordmenge von insgesamt 43.124 Tonnen Nickel fördern.

Solway argumentiert, dass das Urteil des Verfassungsgerichts erst am 1. März 2021 rechtskräftig geworden sei und nur die Nickelförderung durch CGN betreffe, die Nickelraffinerie von Pronico aber weiterarbeiten dürfe. Beide Argumente werden von Jurist*innen, Aktivist*innen und den betroffenen Gemeinden in Frage gestellt. Sie argumentieren, dass ab 2019, als das Verfassungsgericht Verstöße gegen die Verfassung und die Verletzung verfassungsmäßig verankerter Rechte festgestellt hatte, die Arbeiten hätten eingestellt werden müssen. Die Staatsanwaltschaft hätte gegen das Ministerium für Bergbau und Energie juristisch vorgehen müssen, weil dieses die weitere Tätigkeit der Mine genehmigt hatte. In Bezug auf die Fortsetzung der Arbeiten der Nickelverarbeitung argumentieren Gegner*innen der Mine und Anwält*innen, dass es sich bei der Mine um einen Gesamtkomplex handle. Selbst die Webseite des Unternehmens bestätigt das: Das sogenannte Fenix-Projekt wird als ein Komplex aus einer Nickelmine (CGN), einem Kraftwerk und der Metallverarbeitungsanlage (Pronico) beschrieben.

Die Volksbefragung sieht eine Abstimmung über die Schließung der Mine nicht vor

Der zweite Konfliktpunkt ist die Vorbereitung der geplanten Volksbefragung. Kritiker*innen bemängeln, dass Vertreter*innen von 94 Gemeinden, die sich gegen das Minenprojekt aussprechen, und die Vereinigung der Fischer vom Izabalsee nicht in die Vorbereitung einbezogen werden. Darüber hinaus fänden die entsprechenden Versammlungen in der Distrikthauptstadt Puerto Barrios und nicht vor Ort in El Estor statt. Dies habe die Gemeinden „sehr erbost“, erklärt Carlos Choc, Journalist von Prensa Comunitaria, der selbst aus El Estor stammt, im Oktober 2021.

Die gewaltsame Räumung des Protestcamps am 22. Oktober hatte mehrere Verletzte zur Folge. Mindestens ein Jugendlicher musste nach dem Tränengaseinsatz bewusstlos in einem Gesundheitszentrum behandelt werden, Augenzeugen berichteten von verletzten Kindern und älteren Menschen. Ab dem Folgetag war auch Militär mit Armeeeinheiten, Schnellbooten auf dem Izabalsee und zwei Militärhubschraubern im Einsatz − ein Vorgehen, das an die Zeiten des Bürgerkriegs erinnerte. Marcelo Sabuc, nationaler Koordinator der Landarbeiterorganisation Comité Campesino del Altiplano (CCDA), sprach daher von einem „Terror gegen die Bevölkerung“.

Der am 24. Oktober von Präsident Alejandro Giammattei angeordnete und am 25. Oktober in einer Sondersitzung im Parlament bestätigte Ausnahmezustand sieht starke Einschränkungen für öffentliche Versammlungen vor sowie eine nächtliche Ausgangssperre. Festnahmen und Hausdurchsuchungen sind ohne richterliche Anordnung möglich. Außerdem darf das Militär polizeiliche Aufgaben übernehmen. Davon machten die Sicherheitskräfte regen Gebrauch. Schon am Sonntag des 24. Oktober wurden mehrere Büros indigener Organisationen durchsucht und Dokumente beschlagnahmt. Das Innenministerium bestätigt für die ersten vier Tage des Ausnahmezustandes 26 Hausdurchsuchungen und 14 Festnahmen.
Auch gut zwei Wochen nach Verhängung des Ausnahmezustandes gehen die Einschüchterungen weiter. Laut Prensa Comunitaria bleibt die Polizeipräsenz stark, besonders vor Wohnhäusern bekannter Aktivist*innen. Prensa Comunitaria-Mitarbeiter Carlos Choc wurde in den Tagen des Protests von Polizisten tätlich angegriffen und leicht verletzt. In den ersten Tagen des Ausnahmezustands wurde bei ihm, während seiner Abwesenheit, eine Hausdurchsuchung durchgeführt und das Haus verwüstet hinterlassen. Anfang November berichtete Choc von Autos mit verdunkelten Scheiben, die sich im Wechsel bis zu 48 Stunden vor seinem Haus aufhielten, ohne dass jemand die Fahrzeuge verließ. Auch beim ebenfalls für Prensa Comunitaria arbeitenden Journalisten Juan Bautista Xol wurde am 26. Oktober eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Er und mehrere Familienmitglieder wurden über Stunden festgehalten und sein Telefon beschlagnahmt. Für die Tage während der Räumung hatte die Presseagentur bereits geschrieben, dass vier ihrer Mitarbeiter*innen von Polizisten aggressiv abgedrängt und am Dokumentieren der Ereignisse gehindert worden waren.

Für die Einwohner El Estors stellt diese Situation allerdings nichts Neues dar. Der Konflikt um die Mine dauert bereits Jahrzehnte und alleine seit 2019 wurde dreimal der Ausnahmezustand für die Region ausgerufen. Drei Aktivist*innen wurden in den vergangenen Jahren ermordet, mehrere erlitten teils bleibende Verletzungen. 2007 kam es während der gewaltsamen Räumung der Gemeinde Lote Ocho zu elf Vergewaltigungen durch Polizeikräfte, Soldaten und Sicherheitspersonal.

Die Anfänge der Nickelproduktionsanlage Fenix, damals noch im Besitz der kanadischen Hudbay Minerals (kanadische Minenunternehmen machen einen Großteil der Bergbauaktivitäten in Guatemala aus, Anm. d. Red.) gehen auf das Jahr 1960 zurück. 2011 erfolgte der Verkauf von 98,2 Prozent der Firmenanteile an die Solway Investment Group, was mit einer starken Zunahme der Arbeiten einherging. Solway bezeichnet sich auf ihrer Homepage als „internationales Bergbauunternehmen“ und hat ihren Sitz in der Schweiz.

Einige Bergbaulizenzen haben eine Laufzeit von 1000 Jahren

1997, kurz nach Ende des Bürgerkriegs in der Amtszeit von Álvaro Arzú, in dessen Regierungsperiode auch die erste große Privatisierungswelle von Strom, Wasser, Banken und Telefongesellschaften fällt, beschloss der Kongress das „Gesetz zur Regulierung der Bergbautätigkeit“ in Guatemala, besser bekannt als Dekret 48-97. Das Gesetz sollte ausländisches Kapital ins Land holen und die Bergbautätigkeit fördern, sah aber vor, dass lediglich ein Prozent der Gewinne als „Lizenzgebühren“ an den guatemaltekischen Staat abgeführt werden müssen.

Das Ministerium für Energie und Bergbau hat, Stand Januar 2021, 290 gültige Abbaulizenzen erteilt. Die Mehrzahl der Lizenzen wurde für den Abbau verschiedener Gesteine, Metalle und Rohstoffe für Baumaterial erteilt. Zwölf Lizenzen laufen zurzeit für den Abbau von Silber, acht für Gold, fünf für Nickel und eine für seltene Erden. Die meisten Lizenzen haben eine Laufzeit von 25 Jahren, einige für die nächsten 1000 Jahre. Gemeinden, indigene Organisationen und Umweltschützer*innen beklagen die Zerstörung der Existenzgrundlagen vieler Gemeinden, massive Umweltprobleme, Zunahme von Krankheiten, Nicht-Einhalten der Umweltstandards und die De-Facto-Steuerfreiheit für die Unternehmen. Auch würden Konflikte zwischen Gegner*innen und Befürworter*innen der Mine in den Gemeinden geschürt, Gewalt, Prostitution und der in Guatemala stark verbreitete Alkoholismus nehme zu.

Minenbetreiber und Regierungsstellen argumentieren mit staatlichen Einnahmen, struktureller Entwicklung und Arbeitsplätzen in den Gemeinden. In den Tagen der Eskalation hatten auch einige hundert Menschen für den Weiterbetrieb der Mine demonstriert. Ein Redner sagte dabei, die Mine habe ihnen Arbeitsplätze verschafft und sie aus der Armut geholt. Allerdings zeigen Zahlen des Guatemaltekischen Instituts für Sozialversicherung (IGSS), dass zwischen 2005 und 2013 lediglich 0,5 Prozent der sozialversicherten Arbeitsplätze im Landkreis im Zusammenhang mit der Mine stehen. Auch die staatlichen Einnahmen halten sich in Grenzen, zwischen 2001 und 2017 wurden durchschnittlich 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts durch den Bergbausektor erwirtschaftet.


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KARAWANE IN DEN NORDEN

An der Grenze zu Guatemala 40 Prozent der honduranischen Jugendlichen planen auszuwandern (Foto: Radio Progeso)

Guatemaltekische Sicherheitskräfte haben die Karawane von über 7.000 honduranischen Migrant*innen unterdrückt und mit Gewalt auseinandergetrieben. Die Bilder spiegeln die humanitäre Krise, die Honduras momentan durchlebt und die auf die geschwächten Institutionen des Landes zurückzuführen ist. Die Regierung nutze die wenigen vorhandenen Ressourcen, um der Korruption und den Drogenkartellen in die Hände zu spielen. Dabei verletze sie die Grundrechte der Bevölkerung, meint Elvin Hernández, Präsident der jesuitischen Menschenrechtsorganisation ERIC, die Radio Progreso betreibt, im Interview.

Die Coronapandemie und die wirtschaftlichen Schäden nach den Hurrikanes Eta und Lota im November 2020 haben die humanitäre Krise in Honduras noch verstärkt. „Die Karawane zeigt die Verzweiflung der Menschen, die Arbeitslosigkeit, Hunger und die Zerstörung ihrer Häuser ausgelöst haben. Und dann müssen sie noch mit ansehen, wie jegliche Antwort des Staates ausbleibt“, so Elvin Hernández weiter.

Die Migrant*innen machen den honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández für die Krise verantwortlich. Sie sind sich darin einig, dass der Präsident sein Amt niederlegen sollte, damit er strafrechtlich verfolgt und für seine direkten Verbindungen zum Drogenhandel und die massive Veruntreuung von Mitteln der öffentlichen Hand zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Angesichts dessen stellt sich die Frage, warum sich die Karawane nicht auf den Weg zum Palast des Präsidenten aufmacht. Warum wird der Slogan „Weg mit Juan Orlando Hernández” stattdessen in andere Länder getragen? Elvin Hernández glaubt, dass es auf diese Fragen keine einfachen Antworten gibt. Für ihn scheint es, als habe die Bevölkerung aufgehört, Honduras als ein Land zu betrachten, das den Menschen Alternativen anbieten kann. Für die Bevölkerung gebe es keine politische Partei, die das Land reformieren könne. „Unser Gefühl sagt uns: Hier gibt es nichts zu tun!“, führt Elvin Hernández weiter aus und erklärt, dass ein weiterer triftiger Grund für die Migration die Beziehungen der Migrant*innen zu ihren Familienmitgliedern in den USA sind. „Die Leute leben von den Überweisungen ihrer Verwandten und glauben, dass sie in den USA die Antworten finden können, die ihnen in Honduras fehlen. Das hat auch mit dem brüchigen sozialen Gefüge und einem Mangel an politischer Bildung zu tun.”

Nach Studien der lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (FLASCO) führt das hohe Niveau von Gewalt und Armut, der Mangel an Arbeitsplätzen und der fehlende Zugang zu Bildung dazu, dass vier von zehn honduranischen Jugendlichen auswandern oder dies planen.

Der Vorsitzende von FLASCO Honduras, Rolando Sierra, berichtet, dass Jugendliche häufig Opfer organisierter Gewalt werden und es ihnen an Perspektiven mangele, um weiterhin in einem verwüsteten Land zu leben. Sierra erklärt: „Trotz der Grenzmauer und der Repression durch den guatemaltekischen Staat wird es 2021 eine starke Migrationsbewegung geben. Faktoren im Inneren von Honduras zwingen die Menschen dazu, ihr Land zu verlassen“.

Die Pandemie als Rechtfertigung einer gescheiterten Migrationspolitik

Laut dem Koordinator des jesuitischen Netzwerks der Migrant*innen in Guatemala, José Luis Gonzáles SJ, bildet die Coronapandemie für die Regierungen Mexikos und Guatemalas die perfekte Rechtfertigung dafür, die Karawane aus Honduras die Grenzen nicht passieren zu lassen. Dabei lassen sie unbeachtet, dass die Migration nicht freiwillig geschieht und ihre Ursachen struktureller Natur sind. Im Vergleich zu früheren Jahren besteht die aktuelle Karawane in der Mehrheit aus unbegleiteten Minderjährigen, die die Gewalt und die verschärfte Armut, die Pandemie und die Tropenstürme 2020 zu Waisen gemacht haben. Es sind erschütternde Bilder: Kinder, die ohne jegliches Gepäck unterwegs sind und Familien, die einzig und allein von der Hoffnung angetrieben werden, die USA zu erreichen, weil sie in Honduras nichts haben.

Gonzáles beklagt weiterhin, dass Guatemala die Pandemie als Ausrede benutze, um die Forderungen der USA zu erfüllen. Ihm zufolge versucht das Land schon seit geraumer Zeit, das CA-4-Abkommen aufzuheben, das den Menschen zumindest theoretisch ermöglicht, sich in Zentralamerika frei zu bewegen.

In der Vergangenheit hatte sich die guatemaltekische Bevölkerung solidarisch mit den honduranischen Migrant*innen gezeigt. Doch die Pandemie ruft eine Situation hervor, in der die Gesellschaft in einem Klima der Angst gefangen ist. Außerdem hätten die Menschen keine Kapazitäten, um sich zu organisieren und eine solidarische Antwort auf den Hunger und die Kälte, unter denen die Migrant*innen leiden, zu finden, analysiert Úrsula Roldán, Wissenschaftlerin und Koordinatorin vom Institut für Migration der Universität Rafael Landívar in Guatemala gegenüber Radio Progreso.

Laut Roldán steht den Migrant*innen auf guatemaltekischem Territorium eine schmerzliche Zukunft bevor. Ein weiterer Grund dafür ist die Anordnung der Regierung von Alejandro Giammattei, die es internationalen Organisationen wie der UNO Flüchtlingshilfe in Guatemala verbietet, humanitäre Hilfe zu leisten, sodass Hunger und Repression die Menschen dazu zwingen, an die Grenze in den Norden zurückzukehren.

www.radioprogresohn.net


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// VIRTUELLE FLÜGEL

Mehrere Millionen Protestierende versammelten sich Mitte November nach der parlamentarischen Absetzung von Perus Präsidenten Martín Vizcarra in der Hauptstadt Lima und taten ihre Empörung kund. In den Medien und im Kongress fragt man sich bis heute: Wie konnte es zu dieser enormen Mobilisierung kommen?

Peru ist kein neuartiger Einzelfall. In Guatemala gingen 2015 ebenfalls Tausende Menschen überraschend und monatelang auf die Straße, es war sogar von einem „guatemaltekischen Frühling” die Rede. Facebook war eine der Plattformen der Bewegung, die damals letztlich den korrupten Präsidenten Otto Pérez Molina zum Rücktritt zwang. Zeitgleich mit den mehreren Millionen Peruaner*innen protestierten im November vor dem guatemaltekischen Parlament mehr als 10.000 Demonstrant*innen gegen den neuen Haushaltsentwurf. In Guatemala wie in Peru bestimmen vor allem junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren die Proteste. Für viele war es die erste Demonstration ihres Lebens.

Im November rief auch der in einem Vorort von Lima wohnende 16-jährige José seine 18 Millionen Follower*innen auf TikTok zum Protest auf. Bisher teilte José auf der Plattform ausschließlich unterhaltsame Tanz- und Imitationsvideos. So wie er sind auch viele andere Gruppen und Kanäle nicht von vornherein politisch. Tagespolitische Themen vermischen sich hier mit Gesprächen über Haustiere und Liebesbeziehungen.

Auf den Plattformen kommunizieren Aktivist*innen auch über Grenzen hinweg. „Ich empfehle euch, Wasserkanister mitzunehmen, um Tränengasbomben zu neutralisieren. Und eure Kleidung ist hoffentlich komplett schwarz“, empfahlen chilenische Aktivist*innen anlässlich der Proteste in Peru in einer Facebook-Gruppe. Neben diesem direktem Austausch erreichten die – seit Monaten zu Hause festsitzenden –  jungen Peruaner*innen auch Videos der Proteste in Hongkong und den USA. Jetzt erhobene Forderungen nach einer grundlegenden Reform der peruanischen Polizei und einer neuen Verfassung sind daher kein Zufall. In einem globalen Kommunikationsraum sind sie Reaktionen auf Probleme, die sich im vergangenen Jahr in vielen Ländern oftmals tödlich bemerkbar gemacht haben: ein antidemokratischer bis faschistoider Polizeiapparat und eine Wirtschaft, die sich staatlicher Handhabe vollkommen entzieht. Mehr als klassische Medien haben soziale Plattformen die Globalisierung von Formen des Protestes befördert und dabei Gruppen mobilisiert, die zuvor kaum erreicht wurden. TikTok ist in den ländlichen Regionen Perus mindestens genauso beliebt wie in der Hauptstadt Lima: Hinsichtlich ihrer Zielgruppe erreichen sie eine Diversität, von der viele etablierte Parteien nur träumen.

In Deutschland wird das emanzipatorische Potenzial des digitalen Raums dagegen kaum ausgeschöpft. Während hierzulande Rechtsextreme auf Facebook erfolgreich zu einem Sturm des Reichstagsgebäudes aufrufen, übt sich die Linke oft eher in der kritischen Hinterfragung der Plattformen als in ihrer politischen Nutzbarmachung. Und ja: Es ist besorgniserregend, dass diese virtuellen Räume durch Abgabe und Verkauf unserer intimsten persönlichen Daten zustande kommen. Doch die Beispiele aus Peru und Guatemala zeigen einmal mehr, dass wir uns einer strategischen Diskussion dieses Mobilisierungspotenzials nicht entziehen können. Während wir uns noch in Grundsatzdebatten verheddern, sind progressiven Akteur*innen anderswo bereits virtuelle Flügel gewachsen.

 


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ANTWORT DER GEMEINSCHAFT AUF DEN ABWESENDEN STAAT

Angestauter Frust “Schluss mit den staatlichen Plünderungen” hieß es schon 2015 auf Demonstrationen (Foto: Surizar via Flickr (CC BY-NC 2.0)

Nery Osorio ist Koordinator der Bauernvereinigung Río Negro Trece de Marzo Maya Achí, die sich auf die Rettung und Vermittlung von traditionellem Wissen über Agrarökologie sowie Ernährungssouveränität konzentriert. Infolge der historischen Vernachlässigung des Staates und der aktuellen Krise waren sie gezwungen, kollektive Strategien zu entwickeln, um den am stärksten gefährdeten Einwohner*innen zu helfen.


Im November verabschiedete der guamaltekische Kongress hinter verschlossenen Türen den Haushalt für das Jahr 2021 und löste damit bei vielen Bürger*innen Empörung aus. Ressourcen wurden gekürzt, zum Beispiel für den Kampf gegen Unterernährung und die Versorgung der nationalen Krankenhäuser. Glauben Sie, dass die aktuellen Proteste tiefgreifende Veränderungen im Land herbei-führen können?
Es ist kompliziert, weil die führenden Politiker entscheiden, ohne uns zu konsultieren oder die Grundbedürfnisse des Volkes zu berücksichtigen. Es gibt eine Menge Korruption und sie verwalten das Geld nicht richtig: Statt die Menschen zu erreichen, wollen sie nur ihre Taschen füllen. Es ist traurig, denn wir sehen so viel Mangelernährung bei Kindern, und die Kinder sind die Basis des Volkes. Wir wollen uns mit anderen Gemeinschaften zusammenschließen und demonstrieren. Denn wenn die Regierung nicht in der Lage ist, das Land zu führen, sollte sie besser gehen. Bei anderen Gelegenheiten haben wir uns dafür eingesetzt, dass die ganze Gemeinde demonstriert, entweder in der Hauptstadt oder in Salamá (Hauptstadt von Baja Verapaz, Anm. d. Red.). Aber im Moment fehlt es an Geld, um Transport, Essen und Unterkunft zu bezahlen. Diesmal werden nur wenige Menschen in die Hauptstadt reisen können. Wir werden unser Bestes tun, um eine Veränderung herbeizuführen.

Wie hat der Staat aus Ihrer Sicht auf die Pandemie reagiert?
Leider muss man sagen, dass wir schon lange auf uns allein gestellt sind. Die Regierung hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Menschen über das Nötigste zu informieren. Wir haben einen rassistischen Präsidenten, der die indigenen Völker weder respektiert noch unterstützt. Es besteht keine Hoffnung, dass sich die Lage bald ändern wird. Obwohl der Staat eine Menge Geld und Spenden aus anderen Ländern erhalten hat, haben diese nie die Gemeinden erreicht, die sie am meisten benötigen. Wir selbst waren es, die sich dafür eingesetzt haben, wichtige Informationen an die Familien weiterzugeben und die Menschen aufzuklären, damit sie wissen, was die Präventivmaßnahmen sind: häufiges Händewaschen, Tragen einer Maske, Abstand halten.

Wie hat sich der Alltag in Ihrer Gemeinde seit dem Auftreten der Pandemie verändert?
Die Situation ist fatal, weil viele Menschen ohne Einkommen auskommen müssen, um ihre Familie zu ernähren. Ältere Menschen, Witwen und alleinerziehende Mütter haben am meisten gelitten. Viele sind niedergeschlagen, weil sie ihr Haus und die Region nicht verlassen können oder nichts mehr zu essen haben. Wir durchleben eine große Krise und wir sind sehr besorgt um die Kinder. Deshalb baten wir im Namen der Vereinigung um internationale Unterstützung durch die Initiative Comunidades Solidarias (Gemeinschaften in Solidarität, Anm. d. Red.), um Grundnahrungsmittel wie Mais, Bohnen, Reis, Öl und Zucker kaufen zu können. Aber mit dieser Unterstützung konnten wir bisher nur 41 Familien helfen.

Wie ist die Beziehung zwischen den natürlichen Ressourcen in Ihrer Region und den dort lebenden Gemeinden?
Im Gegensatz zu Unternehmen, die in unserer Region Megaprojekte wie Wasserkraftwerke installieren oder Bäume fällen, um das Holz zu verkaufen, schätzen und respektieren wir natürliche Ressourcen. Wir bearbeiten das Land auf nachhaltige Weise nach den Prinzipien der Agrarökologie und der Wiederaufforstung mit Obstbäumen. Das Landwirtschaftsministerium spricht immer über die Bedeutung der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft, unternimmt aber nichts in dieser Richtung. Es unterstützt die Bauern nicht dabei, ihre Praktiken zu verbessern. Die spirituelle Beziehung zu unserer Mutter Erde ist für uns sehr wichtig, denn sie gibt uns Energie. Wir führen immer Zeremonien durch, um unseren Ajaw (der Weltanschauung der Maya zufolge der Schöpfer aller Dinge, Anm. d. Red.) zu bitten, uns Weisheit und Kraft zu geben, damit wir uns den Problemen unserer Gemeinschaft stellen können.

Am 5. November 2020 erlebte die Region zwei aufeinanderfolgende Tropenstürme. Wie ist die aktuelle Situation in der Region und in Ihrer Gemeinde?
Mittlerweile hat der Regen aufgehört. Aber die Situation ist bedrückend und ernst, da viele Menschen durch so viel Regen ihre Ernte verloren haben. Andere Gemeinden in der Region waren stärker von Erdrutschen betroffen und von der Kommunikation abgeschnitten. Die Menschen hier sind sehr verzweifelt, weil das Wenige, das sie hatten, um ihre Familien zu ernähren, verloren ging. Wie erwartet kam keine Unterstützung vom Staat. Als beispielsweise Präsident Giammattei zu einem Besuch in die Region kam, wollte der Bürgermeister von Carchá im Departement Alta Verapaz um Unterstützung bitten, doch ein Gespräch wurde ihm verwehrt. Deshalb setzen wir uns dafür ein, das Wissen der Vorfahren für die Bepflanzung von Maisfeldern, die Erhaltung von Boden und Wasser zu retten, immer mit Rücksicht auf die Umwelt. Ernährungssicherheit wird durch die Rettung einheimischen Saatguts erreicht. Das Problem ist, dass wirtschaftliche Ressourcen benötigt werden, um diese Projekte durchzuführen und Gehälter zahlen zu können.

Was waren die Konsequenzen für Ihre Arbeit innerhalb der Organisation?
Die schwerwiegendste Folge ist der Mangel an finanziellen Mitteln. Vorher gingen die Leute aus den abgelegenen Gemeinden der Region für eine Zeit lang an die Küste, um Arbeit zu suchen. Aber jetzt können wir uns aufgrund der Ausgangssperren nicht aus der Region bewegen, um ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten. Es ist sehr schmerzhaft, denn es geht darum, mit dem zu überleben, was man ernten kann, aber oft ist es nicht genug. Für die Fortsetzung unserer Bildungsprojekte zu Ernährungssouveränität im ökologischen Landbau und für die weitere Ausbildung der Jugendlichen fehlen uns auch die Mittel.

Was sollte sich in Zukunft ändern, um diese Art von Katastrophen zu verhindern?
Es ist schwierig, weil diese Region immer von Regenfällen betroffen sein wird, die eigentlich ein Segen für das Land sind. Das Problem ist, dass viele gewaltsam vertriebene Gemeinden keine andere Möglichkeit hatten, als sich in Regionen anzusiedeln, die sich nicht zum Leben eignen und hohe Risiken bergen. Die Lösung wäre, dass die Menschen dorthin ziehen, wo das Land besser standhält und sicherer ist. Aber die Regierung müsste dafür die Menschen unterstützen, damit sie Land kaufen und sich anderswo niederlassen können. Hier obliegt dem Staat die Verpflichtung.


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