Niedergerissen und abgebrannt Die Bewohner*innen des Dorfes Chinebal mussten fliehen (Foto: Prensa Comunitaria)
„Dieser Räumungsbefehl, war eine illegale Anordnung. Der Richter Anibal Arteaga stempelte und unterschrieb lediglich ein Blatt Papier ohne Ortsangabe, auf dessen Basis die Räumung angeordnet wurde.“ So äußerte sich ein Gemeindemitglied, das aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, gegenüber dem Radiosender America Rompe El Cerco. Im Zuge der Räumung, ging die Polizei gewaltsam gegen die Bewohner*innen vor, die sich weigerten ihre Häuser zu verlassen, insbesondere gegen Frauen und Kinder. Nur eine Stunde nach der Räumung wurden die Häuser der Gemeindemitglieder von Beauftragten des Unternehmens NaturAceites angezündet, wie die guatemaltekische Tageszeitung Prensa Comunitaria berichtet.
Tatsächlich ist die Anordnung, die im Juni ausgestellt wurde, unvollständig und enthält keine Details zum Datum oder Motiv der Räumung. Darüber hinaus sind laut Prensa Comunitaria zahlreiche Verbindungen des genannten Richters zu Korruptionsfällen, Drogengeschäften und der Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen bekannt.
Die Quiché Aktivistin Lucia Ixchíu begleitet das Gebiet rund um El Estor, in dem Chinebal liegt, seit 2016 im Rahmen der Solidaritätsfestivals, einem Kollektiv von Künstlern, Korrespondent*innen und indigenen/mestizischen Forscher*innen, die sich mit historischer Erinnerung, territorialer Verteidigung und politisch motivierter Inhaftierung beschäftigen.
Im Interview mit LN bestätigt Lucía Ixchíu: „Was in El Estor geschah war buchstäblich eine Strategie des Staatsterrorismus, eine Schock-Strategie und die Fortsetzung des rassistischen und kolonialen Genozids.” Über Prensa Comunitaria erkärt sie: „Die indigenen Q’eqchi’ Gemeinden kämpfen seit etlichen Jahren darum, dass ihr Landbesitz anerkannt wird. Sie bewohnten dieses Land als Erste.”
Seit der liberalen Landreform von 1871 andauernde Repression
Die vertriebenen Familien sind Nachkommen derer, die 1978 flohen, als 57 Bauern der Q’eqchi’ während des Massakers von Panzós von der guatemaltekischen Armee ermordet wurden. Großgrundbesitzer benutzten daraufhin die Ländereien für Viehhaltung und später für den industriellen Anbau der afrikanischen Palme. Zur Zeit der Unterzeichnung der Friedensverträge kehrten die Gemeinden auf ihr Land zurück und bauten ihre Häuser in demselben Gebiet wieder auf. Die Räumung im November 2021 war innerhalb der vergangenen zwei Jahre der elfte Versuch die Gemeinschaft zu vertreiben.
Guatemala ist nach Kolumbien in Lateinamerika das zweitgrößte Erzeugerland von Palmöl und das sechste weltweit. Palmöl wird genutzt für verarbeitete Lebensmittel, Kosmetik und Reinigungsprodukte. Zu den Auswirkungen dieser Industrie gehören die Umweltzerstörung, wie der Ökozid am Fluss La Pasión in Guatemala, sowie Hunderte von Landkonflikten und die Verletzung der Menschenrechte der indigenen und bäuerlichen Bevölkerung.
Juan Maegli Müller ist der Eigentümer der Palmölfirma NaturAceites. Er stammt aus einer Familie deutscher und schweizerischer Herkunft, die während der Liberalen Reform 1871 nach Guatemala kam.
Er beteiligte sich an der rechtsextremen Partei Nationale Befreiungsbewegung (MLN), finanzierte während des Bürgerkriegs 1970 und 1980 Paramilitärs und die repressive Aufstandsbekämpfungskampagne. Seine Familie gehört nach wie vor zu den reichsten der wirtschaftlichen und politischen Oligarchie des Landes sowie zu den größten Großgrundbesitzerfamilien in der Region. Sein Unternehmen NaturAceites exportiert in verschiedene Länder der Welt, darunter auch Deutschland. Es verfügt über das Zertifikat für Nachhaltigkeit RSPO, welches Kriterien der umweltbezogenen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit fördert, wie die Webseite des Unternehmens mitteilt.
Lucía Ixchíu stellt im Interview mit der Prensa Comunitaria fest, dass die Region rund um El Estor zusätzlich zu seiner jüngeren Geschichte des Genozids eines der komplexesten Gebiete in Guatemala ist. Es ist die Region Guatemalas, in der gerade ein starker Widerstand gegen den Bergbau stattfindet, und in der wo seit dem 25. Oktober 2021 ein Belagerungszustand herrscht, der auch die gewaltsame Räumung von Chinebal und die Straflosigkeit erleichterte. Im Gespräch mit LN sagte Lucía Ixchíu: „Der Widerstand gegen den Bergbau in El Estor besteht aus indigenen Autoritäten aus der gesamten Region, 97 indigenen Gemeinden, und einigen der Sprecher*innen von El Estor. In Anbetracht der Art und Weise wie die Aktion durchgeführt worden ist, glauben wir, dass die Räumung ein Racheakt gegen den Widerstand ist.“