“Guatemala-Reisehandbuch – Alternativtouristische Realsatire”

Tourismus nach Guatemala? Nachdem das Tourismusgeschäft in und mit Guatemala An­fang der 80er Jahre wegen international verbreiteter Nachrichten über einen eskalierenden Antigue­rillakrieg und Massaker an der Zivilbevölke­rung eine Flaute erlebte, können seit 1986 unter der zivilen Regierung Cerezo trotz anhaltender Re­pression und militäri­scher Auf­standsbekämpfung wieder anstei­gende Touristen­zahlen verzeichnet werden. Alte Kult­stätten der Mayas und das Er­scheinungsbild der indianischen Bevölkerungs­mehrheit, kombi­niert mit Naturschön­heit, locken trotz Tourismus­boykottkampagnen von Solidaritäts­gruppen auch und gerade den “Alternativtourismus” an. In diesem Trend wirbt auch das neu im Ver­lag edition aragon erschienene erste “kritische” deutschspra­chige “Dritte-Welt Reise­handbuch Guatemala” für Reisen in “das kulturell, histo­risch und eth­nologisch wohl inter­essanteste Land Mittel­amerikas”. Die Autorin, die österrei­chische Journalistin Han­nelore Rudisch-Gissenwehrer, will mit ihrem Buch die of­fensive These vertre­ten, daß “Reisen in Entwicklungsländer eine posi­tive Seite haben, wenn man nicht in einer Art Kolonisatoren-Mentalität aus­schließlich die touristischen Qualitä­ten des Landes genießt, sondern bereit ist, die Augen auch gegenüber Schwierig­keiten und Problemen zu öffnen.”
Der Inhalt, in Form eines chronologisch Tag für Tag erzählten Rei­setagebuches über den ersten und einzigen, nur 3-wöchigen (!) Auf­enthalt der kaum spanisch sprechenden Autorin in Gua­temala, ange­reichert mit Reisetips und hineingestreu­ten “Hintergrundinformationen”, lie­fert aber eher einen unbeab­sichtigt geradezu re­alsatirischen Anschauungsunterricht, wie weit dieser Anspruch mit der Wirklich­keit der/s Reisenden auseinanderklaffen kann. Touri­stische Selbstbezo­genheit ei­nerseits, sich selbst be­weihräuchernde “Betroffenheit” anderer­seits, mischen sich da mit der Idealisierung der “edlen Wilden” sowie Greuelstories über Mili­tärherrschaft zu einem extremen Negativbeispiel von “engagiertem Reisejournalismus” und “Alternativtourismus”.
Im ersten Teil des Reisehandbuches beschreibt die mehrfach prä­mierte und schon in un­zähligen Ländern herumgereiste Journali­stin ihre kurzfristige Einla­dung und Teilnahme an einer organi­sierten Journalisten­reise, die im insgesamt einwö­chentlichen Ab­klappern der üblichen Tourismus­orte wie Antigua, Tikal, Panaja­chel und Chi­chicastenango besteht. Ihre Umgebung sind Luxus­hotels mit Marimba­combos am Swimmung­pool, einzige Gesprächs­partner au­ßer einem Reiseleiter der staatlichen guatemaltekischen Tou­rismusbehörde der österreichi­sche Konsul, österreichische Lehrer und Präsident Cerezo höchstper­sönlich bei einer Stippvisite in seiner Finca. Daneben bemüht sich die Autorin, eth­nologische und historische Standardlektüre zu Guatemala einzuflech­ten, was allerdings auf­gesetzt und zufällig bleibt. So widmet sie entspre­chend der ver­wendeten Litera­tur der Zu­sammenfassung des “Bananenkriegs” von Schlesin­ger/Kinzer über die US-Interven­tion und den Militärputsch 1954 immerhin ganze 12 Seiten, verliert aber kaum ein Wort über Hinter­gründe und Geschichte der heu­tigen Guerilla­organisationen oder über aktuelle Gewerk­schafts- und Massenbewe­gungen. Politische Einschätzun­gen plädieren zwar emotional und überbetont für die Seite der “Unterdrückten”, sind aber pauschal oder personali­sierend: Die In­formationen über den Massenter­ror unter Militär­regierungschef Rios Montt 1982/83 werden eingebettet in Beschrei­bungen seines fundamentalisti­schen, reli­giösen Fa­natismus; der christdemokratische Präsident Cerezo erscheint mal als engagierter Sozialrefor­mer, dem leider die Hände gebunden sind, mal als Bünd­nispartner im Block der Mächtigen gegen die Entrechteten.
Insgesamt ergibt sich so ein folkloristisches Schwarzweißbild einer “Bananenrepublik” als Hinterhof der USA mit Korruption, “grundlosen” Massa­kern, militärischer Gewaltherr­schaft, unge­rechter Landverteilung, extremer Aus­beutung usw., das aber dar­überhinaus keine innere Widersprüchlichkeiten, poli­tische, kul­turelle und sozioökonomische Differenzie­rungen oder Bezüge zu europäischen Industrie­ländern wahrnimmt, die als “westlich”, “demokratisch”, “ruhig” und “zivilisiert” immer wieder das Gegen­bild liefern. Diese Kulisse ist aber nur der Hintergrund der Reise­beschreibung, die sich ansonsten wechsel­badartig den Ho­tels, schönen Blumen und Land­schaften, Unbehagen beim Anblick von Militärs und aus­führlich indiani­schen Trachten und verschiedenen Mayakultstätten zuwendet.
Im zweiten Teil, in dem historische und politische Informationen gänzlich rar werden, driftet die Autorin bei der minutiösen Be­schreibung ihrer Tagesabläufe während einer zweiwöchigen Al­leinreise – ebenfalls fast nur durch Tourismus­gebiete und Provinz­hauptstädte – völlig in Selbstbezogenheit ab. Keine dramati­sierende Wie­derholung von Langeweile, Darmproblemen, Ekel vor der gua­temaltekischen Küche (die sie nie zu testen wagt) oder Pensionen (“Viehställe”) wird der LeserIn er­spart. In ihrer Naivität immerhin unglaublich und peinlich offen lesen sich diese Litaneien wie eine entlarvende Charakterstu­die der/s europäischen “AlternativtouristIn”: Stolz überwundene Abenteuer mit Sprach-, Ess-, Transport oder Krankheitsproblemen vermischen sich da mit der aus gehörten Schüssen und Autos mit schwarzgetönten Schei­ben immer wieder selbst inszenierten Kulisse ei­nes Bürgerkrieges, von dem die Autorin sich unmittelbar betroffen und bedroht fühlt. Dazu kommt neben dauernder Angst, bestohlen oder übers Ohr gehauen zu werden ein unglaublicher Geiz bei der Über­prüfung von Prei­sen und Wechselkursen und Stolz auf die Bescheidenheit der eigenen Geld­ausgaben. Bei soviel hauptsäch­lich in der Phanta­sie genährten Bedrohungsgefühlen ist es kein Wunder, daß sich unsere Jour­nalistin ebenso typisch zwar als erste und ein­zige Er­kundschafterin fühlen möchte, gleichzeitig aber einsam und ver­zweifelt Kontakt und Verbündet­heit mit anderen Auslände­rInnen sucht.
Mit der guatemaltekischen Bevölkerung wechselt sie nämlich in ihren 3 Wo­chen nur we­nige, aber immer stolz zitierte Worte. Den­noch fühlt sich Hannelore Rudisch-Gissenwehrer bald als Kenne­rin des “auffallend friedlichen und sanften Wesens der Indios” und grenzt sich perma­nent gegenüber anderen TouristInnen durch ihre doch so viel taktvollere Umgehens­weise mit denselben ab, nimmt sich dabei einerseits ungeheuer wichtig in ihrer Angst zu stören und will gleichzeitig schon dazugehören, schwärmt von Glücksge­fühlen in “Zivilisationsferne” und läßt kein Klischee über die als völlig homogen angesehene indianische Bevölke­rung aus: “Stolz”, “friedliebend”, “würdevoll”, “lächelnd”, “schüchtern”, “still”, “traditionell”, “naturnah”, “tierlieb”, “kindlich”, “samthäutig”, “knopfäugig”, “zartgliedrig” sind die meistverwandten verniedli­chenden und idealisierenden At­tribute für die – meist nur im Bus oder auf Touristenmärkten beobachtete – Hochland­bevölkerung; dementsprechend ergeben sich aus diesem positiven Rassismus unge­heuer arro­gante Bemerkun­gen der Autorin über indianische Naivität, Abge­stumpftheit, Unter­würfigkeit, Unzivilisiertheit und “Wirtschaft im Steinzeitniveau” sowie Anal­phabetismus, und die Vorstellung einer völlig stati­schen, unpolitischen traditionsver­hafteten Welt­sicht.
Fazit: Unglaublich, wie anscheinend allein das Renommee der Au­torin dazu aus­reichte, dieses bornierte und noch dazu mit falschen Jahreszahlen und falscher spanischer Schreibweise belassene Ta­gebuch als “kritisches” Guatemala­reisehandbuch herauszugeben.
Allerding können solche Ergüsse nicht nur ebenso abgrenzend und selbstherr­lich belä­chelt werden, sondern der Analyse des eigenen Reiseverhaltens und -wahr­nehmung als sati­rischer Zerrspiegel dienen, der schonungslos auf die Wider­sprüche, Sprunghaftigkei­ten und uneingestandenen Faszinationen von “Alternativ”- oder “Polittourismus” hinweist!

Hannelore Rudisch-Gissenwehrer: GUATEMALA-“DRITTE-WELT” REISEHANDBUCH; edition aragon; Moers 1990; ISBN 3-924690-37-5


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Die Qual der Wahl

Am 11. November sollen die GuatemaltekInnen einen Präsidenten, seinen Vize, die nationalen und kommunalen Parlamentsabgeordneten und die Repräsen­tantInnen für das Zentralamerikanische Parlament wählen. So viele Kreuze und eigentlich steht nichts zur Wahl. Am 9. Juni wurde der Wahlkampf offiziell eröffnet. Die Suche nach ernsthaften politischen Standpunkten haben mittler­weile wohl alle BeobachterInnen aufgegeben. Um weiter täglich die Meldungen zu verfolgen, ist eine gehörige Portion von schwarzem Humor nötig. Die Wahl­kampfnachrichten hätten eher einen Platz im “Kuriositätenkasten” verdient als in den öffentlichen Medien. Skandale, Tumulte und Absurditäten beherrschen den Kampf um die WählerInnengunst. Da taucht eine “Feministische Partei Guatemalas” auf. Ein Lichtblick zwischen den 19 eingeschriebenen Mitte- bis Rechtsaußen-Parteien? Bis sich herausstellt, daß die Frauen, die sich als national-humanistisch bezeichnen, am liebsten einen General als Präsidenten hätten. Ihr Wunschkandidat war Benedicto Lucas, Generalstabschef während der Diktatur seines Bruders Romeo Lucas von 1978 bis 1982. Doch der General lehnte ab – sich von Frauen unterstützen zu lassen, bringt einem Militär in einer machistischen Gesellschaft mehr spitze Bemerkungen ein als Stimmen. Der neue Mann der “Feministinnen” heißt Galvez Pena und gilt als einer der Köpfe des Drogen­handels in Guatemala. Ging es den Damen aus gutem Hause etwa ähnlich wie dem Vorsitzenden der Partei “Front für Nationalen Fortschritt”, Herrn Maldonado? Dieser hatte kürzlich zum besten gegeben, daß er die Partei gegründet habe, weil er nichts besseres zu tun hatte.
Es ist eine der traurigsten Absurditäten, daß der Begriff “Feminismus” jetzt sogar von ultrarechten Frauen mit einer Vorliebe für ausgesprochen autoritäre Männer besetzt wird. Die anderen Rollen, die die Frauen auf der Bühne der guatemal­tekischen Regierungs- und Parteipolitik spielen, sind zwar überwiegend komisch, lassen das Lachen aber im Hals stecken bleiben.
Die Präsidentengattin und stellvertretende Generalsekretärin der Christdemo­kratischen Partei, Raquel Blandón de Cerezo, weihte vor einigen Wochen eine Ausstellung im Nationalpalast ein, die den Titel trug: “Die Frau in der Demo­kratie”. Auf den 110 Fotografien ist 97mal Frau Blandón zu sehen.
Die Tochter des Ex-Diktators Ríos Montt, die seine Wahlkampagne leitet, stiftete Tumulte im Parlament an, als sich dort die Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung von 1985 trafen. Sie äußerten dabei die Meinung, daß die Präsidentschaftskandidatur von Ríos Montt verfassungswidrig sei und bekamen von wütenden AnhängerInnen des Generals Chili in die Augen gestreut.
Wie kein anderer Präsidentschaftskandidat hat Ríos Montt die Aufmerksamkeit im Ausland auf sich gezogen. In seiner 16monatigen Regierungszeit von 1982 bis 1983 wütete der General unter der Landbevölkerung. Um der Guerilla das Wasser abzugraben, ordnete er die systematische Zerstörung von über 400 Dörfern an. Während dieser Zeit wurden schätzungsweise 15 000 Menschen getötet. Seine jetzige Kandidatur wurde in einer US-amerikanischen und einer bundesdeutschen Zeitung als Wunsch der GuatemaltekInnen nach einer starken Hand und nach einer Diktatur interpretiert. Verständlicherweise war mensch in Guatemala empört. “Es gibt Sektoren, die sehr unglücklich über die Regierung Cerezo sind, das ist wahr; aber keinE GuatemaltekIn sehnt sich nach einem Diktator. Es ist schon unangenehm, einem nationalen Politiker zuzuhören, wie er sich als Repräsentant ‘seines’ Volkes bezeichnet; es ist es noch mehr, wenn einE AusländerIn, die das Land nicht kennt, sich anmaßt, für ‘die GuatemaltekInnen’ zu sprechen”, antwortete die größte guatemaltekische Tageszeitung in einem Editorial auf den Artikel der US-amerikanischen Zeitung.

Zweifelhafte Wahlslogans

Ríos Montt bleibt trotzdem ein Phänomen. In Wahlumfragen konnte er die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Obwohl diese Umfragen bekanntlich zweifelhaft sind, erschreckt es, daß er überhaupt wieder soviel Einfluß bekommen konnte. Am ehesten wird dieser Einfluß noch durch die charis­matische Persönlichkeit des evangelikalen Predigers erklärt. Bei seinen Wahlauf­tritten schaut Ríos Montt seinem Publikum tief in die Augen, dann zückt er seinen Zeigefinger wie eine Waffe: “Ich möchte die guatemaltekische Familie um Aufmerksamkeit bitten. In ihrem Schoß werden die Regierenden gemacht. Die erste und einzige große Schule der Politik ist das Heim. Dort werden die Regeln des Zusammenlebens erstellt und dort materialisiert sich die Kunst des Regierens.” Und dann sagt er auch etwas über Wirtschaftspolitik: “1. Geben Sie nicht mehr aus als Sie verdienen. Glauben Sie nicht, daß die Mittel den Zweck heiligen. 2. Laßt uns nur das Unverzichtbare kaufen und das Unnötige ver­meiden. Die Mauern, die antagonistische politische Philosophien getrennt haben, sind gefallen, und jetzt können sie uns keine Ammenmärchen mehr erzählen. Die Familie ist die Grundlage der Gesellschaft. Sie muß gestärkt werden, um die Nation zu versöhnen. Wie? Indem wir Gott lieben und fürchten.”
Bei Ríos Montt weiß mensch immerhin noch, woran sie ist. Von den anderen Parteien bleiben nur die Wahlslogans im Ohr, die täglich über Fernsehen und Rundfunk ausgestrahlt werden. In der Reihenfolge ihrer Stimmengewinne bei Wahlumfragen:
“Weil er ein Führer des Volkes ist, Jorge Carpio, jetzt!”- Union des Nationalen Zentrums
“Arzú, antworte!” – Partei des Nationalen Fortschritts
“Alfonso, ein Mann des Volkes!” (Vamos con Alfonso, todo el pueblo a ganar, porque Alfonso es del pueblo, esperanza popular!) – Christdemokratische Partei
“Mit Serrano findet sich eine Lösung!” – Bewegung für Solidarische Aktion
“René ist anders!” – Sozialistische Demokratische Partei
“Ingenieur Lee, Präsident!” – Revolutionäre Partei
“Wähle den Oberst Sosa Avila!” (Para un mal general, un buen coronel) – Nationale Befreiungsbewegung.
Sosa Avila, ein Waffenbruder von Ríos Montt, will diesen als “übergeordneten Minister” einsetzen, falls seine Partei, die rechtsextreme Nationale Befreiungs­bewegung, die Wahlen gewinnt. Der Vizepräsidentschaftskandidat dieser Partei, David Eskenasy, kündigte an, im Falle eines Wahlsiegs in den ersten 72 Stunden alle SchwerverbrecherInnen erschießen zu lassen. So verwundert auch die Stel­lungnahme der guatemaltekischen Bischofskonferenz nicht mehr: Wenn sie keine Partei für eine gute Regierung finden könnten, sollten die WählerInnen für die am wenigsten schlechte stimmen, raten die Geistlichen. Außerdem sollten die GuatemaltekInnen einen Kandidaten suchen, dessen “Hände unbefleckt vom Blut seiner Landsleute” seien.
Am allerwenigsten verwundert es, daß die Prozentzahl der “Unentschiedenen” von Umfrage zu Umfrage wächst. Mindestens 40% der Befragten wissen nicht, für wen sie stimmen sollen oder wissen, daß sie überhaupt nicht zur Wahl gehen werden. Zum Vergleich: Der Kandidat mit den meisten Stimmen, Ríos Montt, erhielt bei der letzten Umfrage 19 Prozent. Doch die Herren wollen gerne ge­wählt werden und die Herrschenden brauchen eine Legitimation. Die aner­kannteste Legitimation sind Wahlen. Viele WählerInnen, ein großer Teil der Landbevölkerung, leben in militärisch kontrollierten Gebieten. Dort haben die Militärs schon exemplarisch einzelne Personen bedroht, die geäußert haben, sie würden nicht wählen wollen. “Wer nicht wählt, ist subversiv, der gehört zur Guerilla, der wird getötet”, warnen die Militärs die Landbevölkerung, laut Erzählungen von BäuerInnen.
Daß Wahlen etwas mit Demokratie zu tun haben, darauf kommt die Beo­bachterin des guatemaltekischen Wahlkampfes nie.


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Auch Verhandlungswege bergen Hinterhalte

Das Treffen zwischen Parteien und Guerilla war im vergangenen März in Oslo zwischen der Nationalen Versöhnungskommission und der Guerilla als erste von mehreren Dialogrunden festgelegt worden. Als nächstes sollen sich die Aufständischen mit UnternehmerInnen, dann mit sozialen und religiösen Gruppen und zuletzt mit der Regierung und mit den Streitkräften treffen. Bei dem Treffen in Madrid konnte es um nicht viel mehr als um juristisch-institutionelle Veränderungen gehen. Einen Waffenstillstand oder die Entmilitarisierung bestimmter Landesteile müssen mit dem Militär verhandelt werden. Einer der wichtigsten Punkte in dem Abkommen von El Escorial verpflichtet denn auch die Parteien, ab 1991 eine Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, an der sich die Guerilla, die “Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas” (URNG), beteiligen wird. Die URNG erklärte in Spanien, daß durch eine Verfas­sungsreform vor allem die Rolle des Militärs als Hüter der inneren Sicher­heit abgeschafft werden müsse, und die Indígenas die Möglichkeit erhal­ten müßten, sich politisch zu beteiligen. Außerdem legt das Abkommen fest, daß Parteien und Guerilla sich regelmäßig treffen werden. Für die Zeit des Wahlkampfs bis zur Amtsübergabe, die sich vom 8. Juni 1990 bis zum Januar 1991 erstreckt, verpflichtet sich die URNG, alle Sabotage­aktionen wie z.B. Anschläge auf Strommasten und Produktionsanlagen einzustellen.

Kein Krieg macht noch keinen Frieden

Seit den ergebnislosen Gesprächen zwischen Regierung und Guerilla im Oktober 1987 hat der christdemokratische Präsident Vinicio Cerezo über 20 Dialogvorschläge der URNG abgelehnt. Anfang dieses Jahres ließ er zum ersten Mal Gesprächsbereitschaft erkennen, vermutlich aufgrund der wachsenden militärischen Stärke der URNG und dem Druck einiger gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere der Nationalen Versöhnungs­kommission. Unmittelbar nach der Wahlniederlage der SandinistInnen in Nicaragua jedoch fiel er wieder in die knallharte Position zurück: “Gespräche mit der Subversion wären wie ein Dialog unter Taubstum­men.” Er schloß sich damit der Meinung der guatemaltekischen Rechten an, daß die URNG sowieso bald verschwinden werde, wenn der unter­stellte Waffennachschub aus Nicaragua ausbliebe.
Doch dann änderte sich die Taktik erneut, ungefähr zeitgleich wie auch in El Salvador, offensichtlich auf “Anregung” der USA. Plötzlich bekam die Nationale Versöhnungskommission grünes Licht von Regierung und Militär für das Treffen in Oslo. Nach Oslo beglückwünschte Bernard Aronson, Unterstaatssekretär für Lateinamerika-Angelegenheiten des US-State-Departments, den Vorsitzenden der Nationalen Versöhnungs­kommission, Bischof Quezada Toruños, und die URNG für ihre “Friedensverpflichtung”. Dahinter steht sicherlich die Absicht, die Guerilla “in diesem günstigen Augenblick” zu überreden, die Waffen abzugeben. Dafür soll ihr bestenfalls angeboten werden, sich ins politische Leben ein­zugliedern, jedoch ohne irgendwelche grundlegenden gesellschaftlichen Änderungen zuzugestehen.
Vor allem den USA geht es darum, das “Problem Befreiungsbewegungen” auf dem Verhandlungsweg aus der Welt zu schaffen. Wenn mensch den Machtwechsel in Nicaragua – auch – als Ergebnis des “Friedensprozesses” interpretiert, der in Esquipulas begann, dann war diese Strategie ja durch­aus erfolgreich. Die URNG hat ihre Ziele bei den Verhandlungen klar­gestellt. Es geht ihr nicht darum, einen politischen Raum für sich zu gewinnen. “Wir wollen politische Lösungen für die Gründe, die zu dem internen bewaffneten Konflikt geführt haben. Zusammen mit den verschiedenen politischen, ökonomischen, sozialen und religiösen Kräften streben wir ein integrales Modell der Entwicklung in wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Aspekten an. Darin sollen die unter­schiedlichen Sektoren der Gesellschaft, insbesondere die traditionell unterdrückten Indígenas, volle Mitwirkungsmöglichkeiten besitzen. Dafür suchen wir den notwendigen Handlungsspielraum”, äußerte Luís Becker von der politisch-diplomatischen Vertretung der URNG.
Mit einem klaren Nein antworteten die Vertreter der URNG deshalb auch auf die in Spanien immer wieder gestellte Frage, ob sie sich an den Präsidentschaftswahlen im November beteiligen wollten. Nach “El Escorial” begann dann das Knobeln, ob die Guerilla zur Verfassungs­gebenden Versammlung eine Partei gründen werde. Bis Comandante Pablo Monsanto, Mitunterzeichner von El Escorial, in einem Interview gegenüber der kubanischen Zeitung “Granma” erklärte: “Wir werden als politische Kraft teilnehmen, nicht als politische Partei. Dies bedeutet weder die Entwaffnung der Guerilla noch die Demobilisierung unserer Streitmacht. Das Abkommen legt nur unsere Beteiligung an der Verfas­sungsgebenden Versammlung fest. Das haben wir nicht nur getan, um für die Guerilla Spielräume zu eröffnen, sondern auch für die sozialen Kräfte. Aber auf keinen Fall werden wir die Waffen aus den Händen legen, weil sie die Garantie für die Veränderungen sind, für die wir gekämpft haben. Außerdem: Auch wenn sich die URNG zu irgendeinem Zeitpunkt demo­bilisieren würde, würde der Krieg in Guatemala nicht verschwinden. Andere würden zu den Waffen greifen, weil der Ursprung des Krieges die Ungerechtigkeit, die Unterdrückung, die Ausbeutung und die Diskrimi­nierung sind”.

Erste Risse zwischen den Herrschenden?

Die Taktik der URNG, sich politische Bündnispartner zu suchen, erscheint durchaus nicht aussichtslos. Auch innerhalb der bürgerlichen Gruppen geht vielen die Abhängigkeit Cerezos vom Militär und von der Oligarchie zu weit. Seine Weigerung, mit der URNG zu verhandeln beispielsweise, war eindeutig auf den Druck des Militärs zurückzuführen. Obwohl – oder vielleicht auch weil – Cerezo das Abkommen von Esquipulas II nicht ein­hielt, begann in Guatemala als einzigem der mittelamerikanischen Länder die in Esquipulas festgelegte Nationale Versöhnungskommission ernsthaft zu arbeiten. Besonders auf Initiative der katholischen Kirche, aber auch einiger PolitikerInnen und kleiner UnternehmerInnen und natürlich der Volksorganisationen, wurde im März 1989 der “Nationale Dialog” eröff­net. Obwohl die URNG auf Druck des Militärs nicht teilnehmen konnte, erhielt der Nationale Dialog eine nicht vorhergesehene Dynamik, vor allem durch die “Vereinigte Vertretung der guatemaltekischen Opposi­tion” (RUOG).
Mit dem Putschversuch im Mai desselben Jahres warnte das Militär die Regierung davor, durch den Druck dieses Forums “weich zu werden” und einen Dialog mit der Guerilla zu beginnen. Gleichzeitig begannen Atten­tate und Drohungen gegen die RUOG-Mitglieder, woraufhin sie das Land verließen. Dem Dialog wurde damit die Luft abgeschnürt. Doch die Nationale Versöhnungskommission hat gezeigt, daß sie Personen versammelt, die bereit sind, nach den Gründen des bewaffneten Konflikts zu fragen. Deshalb droht die jüngste Taktik der Regierung, nicht direkt mit der Guerilla zu verhandeln sondern sie auf die Nationale Versöh­nungskommission abzuschieben, in ihr Gegenteil umzuschlagen. Die Gespräche, die in Oslo beschlossen wurden und die in El Escorial begon­nen haben, sind eigentlich ein “Nationaler Dialog”, in dessen Mittelpunkt die URNG steht. Sie bieten ihr die beste Gelegenheit, Allianzen aufzu­bauen. Mit diesem Rückhalt werden sie sich mit Regierung und Militär treffen.
Die unmittelbaren Reaktionen nach dem Abkommen von El Escorial zeigen, daß sich die ersten Gräben innerhalb der Herrschenden auftun. Während einige Finanziers und Industrielle das “Abkommen für den Frieden” öffentlich lobten und ihre Gesprächsbereitschaft für die nächste Runde bekundeten, reagierte die Agraroligarchie wie erwartet wenig enthusiastisch. Seine Äußerung wollte Roberto Cordón, Direktor des Großgrundbesitzerverbandes UNAGRO, allerdings nur als “persönliche Meinungsäußerung” verstanden wissen: “Wenn die Kommandatur der URNG mit ihnen (den Großgrundbesitzern) reden will, müssen sie erst ihre Waffen niederlegen.” Auch Verteidigungsminister General Hugo Bolaños drückte stellvertretend für das Militär die harte Haltung aus: “Gespräche zwischen der Regierung und den Subversiven wird es nur geben, wenn sie die Waffen niederlegen.”
Besonders nach den Äußerungen von Comandante Pablo Monsanto in “Granma” wurde wohl einigen klar, daß die URNG nicht aus einer defen­siven Position heraus verhandelt. Deshalb besteht immer noch die Möglichkeit, daß sich die Militärs weiterhin weigern zu verhandeln. Die im November neugewählte Regierung wird es sich allerdings nur schwerlich leisten wollen, sich gleich am Anfang genauso bedingungslos den Militärs unterzuordnen, wie es die Regierung Cerezo getan hat.

Der schwarze Christus von Esquipulas

Die PolitikerInnen der neun größten Parteien reisten mit dem Hinter­gedanken nach Spanien, sich für den Wahlkampf als FriedensstifterInnen zu profilieren. Nicht ohne sich vorher, genau wie die Nationale Versöh­nungskommission, mit dem Verteidigungsminister Bolaños und hohen Offizieren zu einem ausführlichen “Meinungsaustausch” zu treffen und abzusichern. Aus El Escorial übermittelte die bürgerliche Presse nur posi­tive Töne, freundliches Lächeln und viel Einverständnis zwischen Parteien und Guerilla. Auch aus den Reihen der ParteienvertreterInnen drangen keine Meinungsunterschiede an die Öffentlichkeit. Und
der Politiker Mario Sandoval Alarcón, Generalsekretär der rechtsextremen Partei namens “Bewegung für die Nationale Befreiung” (MLN), animierte die Journa­listInnen zu besonders harmonischen “Stimmungsreportagen”. Der international bekannte Antikommunist rührte die Anwesenden zu Tränen, als er seinen ideo­logischen Erzfeind, den Comandante Carlos Gonzáles, umarmte. Die Zeiten und die Welt hätten sich geändert, sagte er.
Zum krönenden Abschluß machte er der Guerilla sogar ein Geschenk: Er über­reichte jedem Comandante einen schwarzen Christus von Esquipulas – ein zwei­deutiges Symbol für Frieden. Aber GuatemaltekInnen mit einem scharfen Gedächtnis erinnern sich noch weiter zurück: Die Söldnertrup­pen, die 1954 mit Hilfe der USA die demokratische Regierung Arbenz stürzten, trugen diesen schwarzen Christus als “General des Befreiungs­heeres vom Kommunismus” vor sich her…


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Perspektiven

Seit November 1989 gibt es diese neue StudentInnenzeitung. Herausgegeben wird sie vom ASTA der Universität Frankfurt, in einer Auflage von beneidenswerten 6000 Stück, wovon allein 3000 nach Berlin (WEst unhd Ost) geschickt werden.
PERSPEKTIVEN ist eine internationale StudentInnenzeitung mit dem Hauptaugenmerk auf der Frage nach internationalistischen Perspektiven gerade jetzt, so die Redaktion in ihrem Editorial zur dritten Ausgabe (inzwischen ist schon die vierte Ausgabe erschienen) sei es wichtig, der marschierenden nationalen Einfalt eine Welt als Ganze entgegenzusetzen und ein Bewußtsein zu wecken, welches weder die “Grenzen von 1937” noch die der EG und auch nicht die der Ersten Welt kennt, sondern von universeller Verantwortung geprägt ist. In diesem Spannungsfeld such PERSPEKTIVEN nach Alternativen der Sichtweisen.
Neben der Konzeption, ein Forum für AutorInnen aus den Ländern der sogenannten “Dritten Welt” zu bieten, siond die Analysen des nationalismus, sowie die zu entfachende Diskussion über den Zustand und WEsen des Internationalismus Gegenstand der Artikel von PERSPEKTIVEN. Gleichzeitig unterstützt die Zeitung die aus Lateinamerika kommende Kampagne “Emancipación e Identidad”, indem sie aus der Publikation der Kampagne “América la Patria Grande” Artikel veröffentlicht und diskutiert.
Inhaltliche Schwerpunkte in den letzten vier Ausgaben bildeten: die Situation der Studierenden und der Universitäten der sogenannten “Dritten Welt”, Panama, Guatemala und Süd-Afrika. Auffallend an PERSPEKTIVEN ist nicht nur ihr Format (DIN A 3, der Druck bei der taz Frankfurt tut ein übriges zum klaren Lay-Out=, sondern auch die Berichterstattung in O-Sprache. D.h,. Artikel erscheinen zuerst in der Sprache des Autors / der Autorin oder des/der Interviewten und werden anschließend ins Deutsche übersetzt. Erwähnt sei noch, daß tzu jeder Ausgabe ein unbedingt lesenswerter Kultur- und Literaturteil gehört.

PERSPEKTIVEN sei allen internationalistisch interessierten Menschen aufs wärmste empfohlen.

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