Weniger Öffentlichkeit

Genau wie mit der El Salvador-Solidaritätsbewegung ging es auch mit dem ides steil nach oben. Erst ein Jahr zuvor waren die SandinstInnen in Managua eingezogen und hatten die Somoza-Diktatur weggefegt, und so lautete die Parole nicht nur in Zentralamerika: “Wenn Nicaragua gesiegt hat, dann wird auch El Salvador siegen!” Allerorten entstanden neue Komitees und Soligruppen und so wuchs auch die Zahl der LeserInnen des ides. In seinen besten Tagen erschien er Woche für Woche mit einer Auflage von über 4.000 Exemplaren.
Bezeichnend für die Zeit zu Beginn der achtziger Jahre war auch, daß von fast allen Engagierten für die vom ides initiierte Kampagne “Waffen für El Salvador” gesammelt wurde: GewerkschafterInnen, StudentInnenorganisationen und selbst Kirchenleute unterstützten explizit den bewaffneten Kampf der FMLN. Möglich wurde dies nicht zuletzt durch die taz, die die Kampagne von Beginn an unterstützte und damals auch personell noch mit der Solibewegung verflochten war. (So verlor die Kampagne später nicht nur deshalb an Schwung, weil die FMLN den Triumph der FSLN nicht wiederholen konnte, sondern auch, weil die taz zunehmend ihre Unterstützung entzog. Auf dem Weg in die Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft sollten potentielle neue LeserInnen nicht verschreckt werden.)
Seit 1982 berichtete der ides auch über die anderen zentralamerikanischen Länder, später kamen schwerpunktmäßig noch Mexiko und Kolumbien dazu. Der ides war für die Zentralamerika-Solidaritätsbewegung ein unverzichtbares Medium, die wenigsten ließen sich von den wöchentlichen Bleiwüsten abschrecken. Das Informationsbedürfnis war groß und Mailboxen in der Szene noch unbekannt.
Infos aus erster Hand, direkt von den zentralamerikanischen Befreiungsbewegungen und Volksorganisationen, waren die große Stärke des ides. Eine solidarische Diskussion über den revolutionären Prozeß in Zentralamerika gelang hingegen nur selten. Rückblickend schreibt einer vom ides dazu: “Wir taten uns schwer, die Widersprüchlichkeiten der revolutionären Prozesse in LA darzustellen. Wir diskutierten sie, hatten aber oft Schiß, das, was wir als Wahrheiten begriffen hatten, im ides zu benennen.” So schwieg der ides – wie fast die gesamte Bewegung – auch erstmal zur Ermordung der Guerilla-Comandantin Melida Anaya Montes durch ihre eigenen GenossInnen im März 1983. Der Mord, Resultat von Machtkämpfen innerhalb der FPL (eine der fünf FMLN-Organisationen), bedeutet nicht nur einen Einschnitt in der Geschichte der FMLN. Auch in der El Salvador-Solidaritätsbewegung ändertes sich einiges. Über Monate hinweg wurde von Seiten der FPL die Wahrheit verschwiegen oder je nach politischem Kalkül eine andere Version geliefert. Die Solibewegung reagierte anfangs mit Nicht-wahr-haben-wollen und Verdrängen. Die Auseinandersetzung mit dem Ungeheuerlichen kam nur langsam in Gang und hatte unterschiedliche Konsequenzen: ein Teil der Gruppen löste sich auf, andere unterstützten nicht mehr ausschließlich die FMLN. Die Bewegung hatte in der BRD ihren Zenit überschritten. Der ides war zumindest teilweise Forum dieser Diskussionen.
Das Ringen um die richtige Haltung und die Suche nach einer möglichen solidarischen Kritik beschäftigte den ides immer wieder. So auch in der Nummer 300: “Wir müssen endlich Kriterien erarbeiten, mit denen wir weg von der Jubelsolidarität kommen, nach der alles richtig, weil in der Situation verständlich ist, was die Befreiungsbewegungen unternehmen. (…) Aber auch weg von den ‘Kritischen’, die hinter der Kritik ihren eigenen Unwillen verstecken, weiterzuarbeiten, die heimlich eben doch ein bißchen den Kloses glauben, die Gewalt, wie die Ausweisung von Vega [reaktionärer nicaraguanischer Bischof, den die sandinistische Regierung vorübergehend nicht mehr ins Land ließ, nach dem er in den USA auf Unterstützungstournee für die Contra gegangen war; Anm. LN], schon immer verabscheut haben.”
Damals (1986) war die Zahl der zahlenden AbonentInnen jedoch bereits auf ca. 500 gesunken. Die El Salvador-Solidaritätsbewegung war klein und für die wesentlich größere Nicaragua-Solidarität war der ides nie von großer Bedeutung. Der ides verstand sich immer als Teil der Solibewegung, doch die löste sich in West-Berlin nach und nach auf, so im Herbst 1990 auch das El Salvador-Komitee. Die direkten Verbindungen nach Zentralamerika gingen zunehmend verloren und die meisten Informationen waren auch über andere Medien zu bekommen. Außer einigen Einzelpersonen arbeitete zum Schluß nur noch das Guatemala-Komitee beim ides mit.
In diesem Sinne ist die Entscheidung, den ides dicht zu machen, richtig. Für die wöchentlichen Infos gibt’s den Nachrichtendienst Poonal. Wieso also eine Zeitschrift machen, die keine LeserInnen mehr hat? In der BRD des Sommers 1993 gibt es genug zu tun.

Urgent Action

Die Namen der Bedrohten sind:
Helmer Velasquez, Hugo Arce, Alberto Monterroso, Marco Quiroa, Raquel Gartz, Rodolfo Jimenez, Byron Morales, Alberto Echevarria, Ricardo Stein, Hector de Leon Sagastumo, Romeo Monterrosa, Victor Gudiel, Oscar Asmitia,Ruben Mejia, Otto Morán, Carlos Rafael Soto, Harold Sanchez, Andrés Campos, Vinicio Mejia, Mario, Silvestre Byron Moráles, Mario Roberto Morales, Rivera und Danielo Rodriguez.
In der Drohung heißt es:
“WARNUNG! Die folgenden Individuen werden ab 31. März 0.00 Uhr zu unseren Zielobjekten werden, weil sie Sprecher, Verteidiger und Sympathisanten der Subversion und ihrer Organisationen sind und weil sie davon leben, diejenigen unter uns zu diskreditieren, die wirklich für Freiheit und Frieden in unserem Land kämpfen. Die folgenden Personen schenken ihren Zeitungen , ihre Zeit und ihre Anstrengungen der Subversion und sind durch ihre Taten oder Unterlassungen Komplizen der selbsternannten “Kommandanten”, die in Europa und in Mexiko in luxuriösen Hotels leben. Andere, die ins Land zurückgekehrt sind, indem sie ihren Nutzen aus der Konsolidierung des Rechtsstaates gezogen haben, sind Speerspitzen der Subversion. Wenn einige von ihnen getäuscht worden sind, würden sie gut daran tun, sich öffentlich zu erklären und ihre Taten richtigzustellen. Sonst werden sie, eher früher als später, dem Tod begegnen, und wir werden so unsere Mission zum Guten und für die Zukunft unserer Kinder und Guatemala erfüllen. Wir warnen alle, die straflos agierende öffentliche Subversive kennen, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, denn sie könnten dieselben traurigen Folgen erleiden. Wir sind daher nicht dafür verantwortlich, wenn sie diese Warnung mißachten. Die öffentlichen Subversiven können ihr Leben und ihr Eigentum auf zwei Wegen retten: indem sie öffentlich ihren destabilisierenden Aktivitäten abschwören und indem sie nach neuen Horizonten in anderen Teilen der Welt suchen.”
Es ist das erste Mal seit mehreren Jahren, das eine solche Liste in Umlauf gesetzt wird. Wir sehen darin eine eindeutige Verschärfung der Verfolgung. Die Drohung gegen alle eventuellen BegleiterInnen der Genannten unterstreichen, daß es sich hier um den Versuch handelt, unabhängig öffentliche, gar internationale Berichterstattung und Proteste zu verhindern.
Wir bitten Sie / Euch daher dringend,
a. Faxe, Telexe oder Briefe an Präsident Serrano Elias, den Verteidigungsminister Garcia Samayoa, sowie den Innenminister Fernando Hurtado Prem zu schreiben und darin Ihre / Eure Besorgnis über die erneute Morddrohung auszudrücken. Bitte fordern Sie / fordert auch, daß diese Einschüchterungsversuche sofort untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
b. sich schriftlich an Ihre / Eure Bundes- und Landtagsabgeordneten zu wenden und sie zu bitten, ebenfalls solche Briefe an den Präsidenten und Verteidigungsminister zu verfassen.
c. sich an den Menschenrechtsprokurator Ramiro de Leòn Carpio, den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen Amos Waco und den Beauftragten der Vereinten Nationen Christian Tomuschat zu wenden, mit der Bitte, sich für die persönliche Sicherheit der Bedrohten und eine unverzügliche Aufklärung und Verfolgung dieser Drohung einzusetzen.
Im Anhang finden Sie/ findet Ihr einen spanischen Textvorschlag und die deutsche Übersetzung sowie die für die Briefe notwendigen Adressen.
Wir danken allen die sich an dieser Aktion beteiligen

Textvorschlag (spanisch):

Señor Presidente,
con suma preocupación hemos recibido informaciones de organizaciones defensores de los derechos humanos sobre la grave situación que estan viviendo 24 personas que han sido amenazadas de muerte en Guatemala.
El 27 de marzo circuló en forma anónima por varios comunicación las amenazas de meurte de 24 personas entre las cuales se mencionan a: periodistas, dirigentes sindicales, personal de la Universidad de San Carlos, funcionarios internacionales, organizaciones no gubernamentales, afiliados al Consejo de Instituciones de Desarrollo COINDE y Cooperativas que estan acompañando a la población retornada por el conflicto armado.
Esta persecución tiene como finalidad obligar a estas personas a emigrar a otro país o se les acosa para que renuncien públicamente de sus cargos, se le está acusando der ser simpatizante de guerilla.
Estas amenazas se producen en momentos en que Usted reinicia las conversaciones con la URNG, donde la población civil está buscando alternativas hacia la democratización, el desarrollo y la paz en Guatemala por que acrecenta el clima de inseguridad y deja en la impunidad estos hechos de violencia.
Expresamos nuestra enérgica protesta ante estos hechos y la exhortamos a Usted a garantizar:
1. Que se respete la integridad física y psicológica de 24 personas que han señaladas como subversivas.
2. Que se investigue exhaustivamente estas amenazas, para descubrir a los responsables que en este momento se encuentran en el anonimato.
3. Que se informa públicamente sobre los resultados de estas investigaciones.
4. Que su gobierno legitima el trabajo humanitario de las organizaciones no gubernamentales, así como respeto.
Atentamente

Textvorschlag (deutsch):

Herr Präsident,
mit tiefer Besorgnis haben wir von Menschenrechtsorganisationen Informationen über die schwierige Lage erhalten, in der sich 24 Personen befinden, die in Guatemala Todesdrohungen erhalten haben.
Am 27.März gingen bei verschiedenen Kommunikationsmedien anonyme Todesdrohungen gegen 24 Personen ein, darunter gegen JournalistInnen, GewerkschafterInnen, Lehrpersonal der Universität San Carlos, VertreterInnen internationaler und Nichtregierungsorganisationen, Mitglieder des Entwicklungsrates COINDE und der Kooperativen, die die nach dem bewaffneten Konflikt zurückkehrende Bevölkerung begleiten.
Mit dieser Verfolgung sollen diese Personen gezwungen werden, in ein anderes Land auszuwandern oder sie werden so unter Druck gesetzt, daß sie öffentlich auf ihre Ämter verzichten, da sie angeklagt sind, SymphatisantInnen der Guerilla zu sein.
Diese Drohungen werden in einem Augenblick ausgesprochen, in dem Sie die Gespräche mit der URNG wieder aufnehmen, wo die Bevölkerung auf der Suche nach Alternativen, auf dem Weg zur Demokratie, Fortschritt und Frieden ist. Daher gefährden diese anonymen Drohungen in hohem Maße den Friedensprozeß in Guatemala, weil das Klima der Unsicherheit verstärken und diese Gewalttaten ungestraft lassen.
Wir drücken unseren energischen Protest gegen diese Taten aus und fordern Sie auf zu garantieren, daß
1. die physische und psychische Integrität der 24 Personen, die als Subversive gebrandmarkt wurden, respektiert wird.
2. diese Drohungen umfassend untersucht werden, um die Verantwortlichen zu finden, die sich momentan in der Anonymität befinden.
3. die Ergebnisse dieser Untersuchungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
4. Ihre Regierung die humanitäre Arbeit der Nichtregierungsorganisationen legitimiert und respektiert.

ADRESSEN:

– S.E. Jorge Serrano Elias, Pte. de la Republica, Palacio Nacional, Guatemala, Guatemala.
Telex: 5331 CAPRES GU
Tel: 00502-2-21212 und 00502-2-22268, Fax: 00502-2-537472
– Llc. Fernando Hurtado Prem, Ministro de Gorbernación, Despacho Ministerßial, Of. No 8, Primer Nivel Palacio Nacional, Guatemala.
Telex: 5085 MINGOB GU
Tel: 00502-2-21212 ext. 500, Fax: 00502-2-518105
– Llc. Ramiro de León Carpio, Procuraduria Los Derechos Humanos, 12 Av. 12-72 Zona 1, Ciudad Guatemala, Guatemala.
Fax: 00502-2-512026
– Sr. Amos Waco Relator, Especial de Naciones Unidas para Ejecuciones – Sumarias o Arbitrarias.
– Sr. Christian Tomuschat, Encargado por Naciones Unidas Para la Asitencia a Guatemala en materia de derechos humanas.
Fax: Genf 0041-22-7339879 für beide Menschenrechtsorganisationen.

“Wir machen unsere eigene Einigung!”

LN: Ab dem 1.1.1994 werden Argentinien und Brasilien einen gemeinsamen Markt haben, dem 1995 auch Uruguay und Paraguay beitreten werden. Mit welchen Gefühlen stehen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern dem gegenüber und welche Erwartungen verbinden sie damit?
J.K.: Hier in Lateinamerika gibt es einen Traum, den wir von unseren Vorfahren geerbt haben. Das ist die Vision eines vereinigten Lateinamerika, eines großen Vaterlandes. Daher kommt es, daß wir einer Integration, in diesem Fall der Länder des Cono Sur, nicht prinzipiell ablehnend gegenüberstehen. Wir stellen uns jedoch frontal gegen die Integrationspolitik, die von den Regierungen unserer Staaten in den Verhandlungen zum MercoSur betrieben wird. Sie treffen und trafen Entscheidungen, ohne irgendjemanden zu fragen – nicht einmal die Bevölkerung, die sie gewählt hat. Und dazu kommt, daß die Einigung, die sie wollen, eine rein wirtschaftliche ist. Wenn wir sagen, daß wir eine Gemeinschaft wollen, dann meinen wir damit etwas viel umfassenderes, eine Einigung von Volk zu Volk, eine geschwisterliche Einigung, die von Kooperation und gegenseitiger Hilfe geprägt ist. Wir wollen eine Zusammenarbeit zwischen brasilianischen Bäuerinnen und Bauern sowie paraguayischen Bäuerinnen und Bauern, zwischen ArgentinierInnen und UruguayerInnen: eine Integration zwischen ProduzentInnen, wo gemeinsam Verbindungen geknüpft werden, die nicht nur durch die Spielregeln des Marktes bestimmt sind, sondern vor allem durch Solidarität.
Die Frage des MercoSur beschäftigt inzwischen sehr viele Leute hier in Argentinien, nicht nur landwirtschaftliche ProduzentInnen. Auch Organisationen der KleinuntemehmerInnen sind besorgt, weil niemand wirklich die Folgen absehen kann. Um Widerstand zu organisieren, haben wir es aber mit sehr kurzen Zeiträumen zu tun – ein, zwei Jahre. Das ist sehr wenig Zeit angesichts der wenigen Kontakte, die wir bisher hatten.

Wie ist denn die momentane Situation der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Argentinien?
Das ist stark abhängig vom jeweiligen Produkt. Argentinien ist ja sehr groß, so daß jede Region ein bestimmtes Produkt hervorbringt. Beispielsweise finden wir ProduzentInnen von Tee und Yerba Mate in Misiones, Baumwolle im Chaco. Im Zentrum gibt es Weizenanbau, Mais und Soja, während aus dem Süden vor allem Wolle, Felle, Früchte, Zwiebeln und Kartoffeln kommen. Einige Produkte erzielen einen guten Preis auf dem internationalen Markt, beispielsweise Früchte, und diejenigen, die sie anbauen, befinden sich in einer verhältnismäßig guten Situation.
Aber fast alle KleinproduzentInnen haben große Schwierigkeiten mit der Kommerzialisierung ihrer Produkte. Es gibt ZwischenhändlerInnen, die wiederum zu größeren Unternehmensgruppen gehören, die man als die eigentlichen BesitzerInnen der Produktion betrachten kann. Hier gibt es fünf Gruppen, die die Preise für Baumwolle bestimmen und die Produktion unter sich aufteilen. Die ganze Produktion an Lebensmitteln wird hier von drei Gruppen bestimmt, zum Beispiel die Getreideproduktion von “Molinos del Rio de La Plata”, die zum Multi Bunge y Born gehören und in Argentinien genauso wie in Brasilien die Preise für Mais und Sonnenblume bestimmen. Ähnlich sieht es im Fall von Geflügel aus, wo die internationale Gruppe Targil wegen ihrer Monopolstellung die Preise für die gesamte Produktion bestimmt. Die größte Schwierigkeit für KleinproduzentInnen besteht darin, daß der gesamte Zwischenhandel von diesen drei oder vier Gruppen bestimmt wird. Genauso bestimmen die auch die Preise die KonsumentInnen und stecken sich die Gewinnspanne in die Tasche.

Gibt es denn Möglichkeiten, dagegen Widerstand zu leisten?
Es gibt einige Bestrebungen, sich von, dieser Abhängigkeit zu lösen, was aber sehr schwierig ist. Zum Beispiel haben WollproduzentInnen im Süden acht Kooperativen gegründet, um die Vermarktung zu organisieren. Gleichzeitig organisieren die Kooperativen auch den Großeinkauf von Grundnahrungsmitteln wie Zucker, Milch, Yerba für ihre Mitglieder.
Kooperativen haben hier in Argentinien eine lange Geschichte; es hat lange Zeit funktioniert, daß ProduzentInnen ihre Waren mittels eines Systems von Kooperativen vermarkteten. Das erfordert allerdings einige Voraussetzungen, wie beispielsweise Ehrlichkeit, die heute aber oft nicht gegeben sind: Vor kurzem ist eine der ältesten Kooperativen Argentiniens eingegangen, die Kooperative “El hogar obrero”, die seit 1905 bestand. Diese Kooperative bestand aus mehreren Teilen; sie war Konsumkooperative, auch Wohnungsbaukooperative und besaß ungefähr 100 Fabriken und circa 600 Verkaufsstellen in jedem größeren Dorf in Argentinien. Es gab auch eine Zeit des argentinischen Peronismus, wo vom Staat Initiativen ausgingen, Gruppen von KleinproduzentInnen gegenüber den Großen zu schützen, aber heute geht in dieser Richtung nichts mehr vom Staat aus. Es wird immer nur vom sogenannten freien Markt gesprochen, der in Wirklichkeit von Oligopolen oder Monopolen beherrscht wird.
Eine andere Aktion des Widerstands haben wir in Paraguay beobachtet, wo eine Kampagne gegen Multis organisiert wurde. Statt Baumwolle zu säen, soll die eigene Produktion diversifiziert werden, um der eigenen Familie eine einigermaßen gute Ernährungsgrundlage zu schaffen. Nur die Überschüsse sollen auf dem Markt verkauft werden. Die “Baumwollbarone” reagierten, indem sie den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern Samen aus den USA versprachen, die 2000 Kilogramm pro Hektar an Ertrag liefern (normaler Samen liefert ungefähr 1200 Kilogramm je Hektar). Dieser Samen sollte verschenkt werden und die notwendige Chemie gleich mit dazu. Da Samen für die KleinproduzentInnen sehr teuer ist, wurde also auf diese Weise versucht, die Abhängigkeit der Kleinen zu erhalten.

Inwieweit könnt Ihr denn einschätzen, welche Auswirkungen die wirtschaftliche Integration des Cono Sur haben wird?
Zollschranken und staatliche Kredite stellen bisher einen Schutz für einheimische, vor allem bäuerliche ProduzentInnen dar. In den nun abgeschlossenen Verträgen sind die Regierungen übereingekommen, sich so weit wie irgend möglich aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückzuziehen und alles den von ihnen so gepriesenen Marktkräften zu überlassen. Auf einem solchen Markt werden nur die Großen bestehen können, vor allem die transnationalen Konzerne. Außerdem wurden die Verträge sehr eilig ausgearbeitet. Vergleiche das doch mit den Verhandlungen zum EG-Binnenmarkt, über den seit fast 30 Jahren verhandelt wird, und jetzt ist immer noch nicht abzusehen, was passieren wird! Wenn wir das beobachten, dann drängt sich doch der Verdacht auf, daß diese Verhandlungen ganz entscheidend von den transnationalen Gruppen beeinflußt wurden, denn die werden sicher Vorteile haben und wollen die nationalen Ökonomien noch ausschließlicher als heute unter sich aufteilen.
Es ist schon abzusehen, wer den Nutzen aus diesem gemeinsamen Markt ziehen wird. Beispielsweise hat Argentinien gute Chancen, Weizen nach Brasilien zu exportieren, oder nach Paraguay oder auch Uruguay – Fleisch ebenso und auch Milchprodukte. Die kleineren Länder wie Paraguay und Uruguay werden dagegen keine Chance haben. Die Zuckerindustrie in Paraguay etwa wird sicher nicht gegenüber dem argentinischen Zucker bestehen können. Die Kleineren werden ruiniert oder zumindest erheblich schlechter dastehen. Zum Beispiel ist die Sojaproduktion in Brasilien um die Hälfte billiger als in Argentinien. Wer also wird in Argentinien noch Soja produzieren?

Warum ist Brasilien so viel billiger?
Das hat verschiedene Gründe. Vor allem sind die Arbeitskräfte viel billiger. Aber auch insgesamt ist das Land industrialisierter als Argentinien. Niemand spricht über die sozialen Auswirkungen – darüber, was es bedeutet, wenn ganze Industriezweige eingehen werden. Eine Angleichung der Produktionskosten im Sinne der Industrie wird sich an den niedrigsten Standards orientieren. Das bedeutet noch niedrigere Löhne, Abfindungszahlungen und schlechtere Arbeitsbedingungen für die ArbeiterInnen. Außerdem besteht natürlich ein Interesse die Macht der Gewerkschaften so weit wie nur möglich einzuschränken. Über diese Faktoren gibt es keine Verhandlungen, da wird nichts vertraglich geregelt. Deswegen ist es wichtig, daß wir uns ein Bild verschaffen, nicht nur über unser eigenes Land, und daß wir mit den ArbeiterInnen, den Gewerkschaften zusammen arbeiten.

Im August 1992 gab es ein Treffen von Kleinbauern- und KleinbäuerInnenorganisationen des Cono Sur in Asunción, Paraguay, das unter dem Motto “Wir machen unsere eigene Einigung!” stand. Wie kam es zu diesem Treffen?
Im Rahmen des Treffens der 500-Jahre-Kampagne 1991 in Guatemala trafen sich Bäuerinnen- und Bauernorganisationen aus Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien zum ersten Mal. Dort entstand die Idee zu einem Kongreß in Asunción, Paraguay zum Thema “MercoSur”. Es gab dann in Argentinien einige Vorbereitungstreffen, die hier in Buenos Aires stattfanden und schließlich fuhren wir zu dem Kongreß nach Paraguay.

Wer waren denn die teilnehmenden Organisationen?
Aus Brasilien kamen die Landlosenbewegung “Sem Terra” und VertreterInnen der Abteilung Landwirtschaft des Gewerkschaftsverbandes CUT. Aus Paraguay nahmen die Vereinigung der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern (Federación Campesina de Paraguay) und auch die Bewegung der LandbesetzerInnen teil. Auch aus Chile waren VertreterInnen gekommen, obwohl Chile ja gar nicht am MercoSur beteiligt ist. Es kamen Leute von der bäuerlichen Organisation “El Surco” und von der Mapuche-Organisation AD MAPU. Aus Argentinien schließ- ‘lich nahmen aus dem Süden der CAI (Consejo Asesor Indígena), aus dem Nordosten VertreterInnen des MAM (Movimiento Agrario de Misiones, Landbewegung Misiones) und aus dem Zentrum, aus der Pampa, nahm MARP (Movimiento Agrario de la Region Pampeana) teil.
Ein Ergebnis dieses Treffens war der Beschluß der Organisationen, sich und ihre Arbeit regional zu koordinieren. Dazu wurde eine Organisation mit dem Namen Asociación Regional de los Movimientos Campesinos gegründet.

Worin soll die Arbeit dieser Organisation bestehen? Glaubt Ihr, an der bestehenden Konzeption des gemeinsamen Marktes noch etwas ändern zu können? Bisher wurden verschiedene Arbeitsgruppen gegründet, zum Beispiel eine, in der Wissenschaftlerinnen aus den verschiedenen Ländern sich austauschen und sich gemeinsam eine Vorstellung davon erarbeiten, was der MercoSur für uns bedeuten wird. Außerdem wurde eine Menschenrechtskommission ins Leben gerufen, weil es eine große Zahl von Menschenrechtsverletzungen, Repressionen und Verfolgung gegenüber KleinbäuerInnen und Bauern gibt – vor allem gegen über den LandbesetzerInnen in Brasilien und Paraguay. Außerdem gibt es eine Kommission für Kommunikation und Erziehung, die eine gemeinsame Zeitschrift herausgeben wird. Auf diese Weise wollen wir uns so gut wir können den Vereinigungsplänen der Regierungen entgegenstellen.

Auf welchen Weg wollt Ihr das erreichen, wie stark seid Ihr in eurem Widerstand?
Eine Schwierigkeit ist, daß es hier in Argentinien im Gegensatz zu Brasilien keine nationale Organisation der KleinbäuerInnen und Kleinbauern gibt. Es gibt viele unterschiedliche Grüppchen, Gruppen und Organisationen, aber alle haben eine sehr geringe “Reichweite”, sie umfassen im Höchstfall eine oder zwei Provinzen. Wir haben uns mit VertreterInnen des CAI aus dem Süden, des MAM und des MARP hier in Buenos Aires getroffen und darüber eine Menge diskutiert. Dann haben wir einen Arbeitsplan entworfen, mit dem es möglich sein könnte, daß sich drei regionale Organisationen (Norden, Süden, Zentrum) aus den kleinen
Organisationen bilden. Das bedeutet für die drei Organisationen Arbeit für das ganze Jahr, um all diese Gruppen zu versammeln. Es sollen drei regionale Treffen stattfinden, bevor dann ein nationales Treffen vorbereitet werden kann. Nur auf diese Weise können wir eine starke Opposition gegen die Regierung bilden und selbst mehr Klarheit erlangen über die zu erwartenden Auswirkungen der Integration.
In einer ähnlichen Situation der Uneinigkeit befinden sich auch die meisten Indigena-Organisationen und Comunidades. Für unsere gemeinsame Opposition gegen den MercoSur wäre es gut, wenn auch sie sich zusammenschließen würden. Es gibt bisher einige größere Organisationen, wie die Asociación de Pueblos Guaraníes (Zusammenschluß der Guaraní in Misiones) oder den CAI im Süden, in dem sich mehrere Comunidades Mapuche zusammengeschlossen haben. Wenn sich landwirtschaftliche ProduzentInnen und Indígenas auf nationaler Ebene zusammenschließen würden, dann gäbe uns das ein viel stärkeres Gewicht in der Diskussion um die Integration.
Nur wenn sich auf regionaler Ebene und in allen betroffenen Ländern die Organisationen zusammenschließen, haben wir die Möglichkeit, unseren Forderungen gegenüber den Regierungen Ausdruck zu verleihen. Nur wenn wir Unterstützung von vielen haben, wenn es Unterschriftensammlungen gibt oder Demonstrationen oder Straßenblockaden, Sitzstreiks, können wir die Regierenden dazu bringen, ihre Positionen zu überdenken.
Auch wenn wir nicht viel Zeit haben, können wir bei guter Arbeit in zwei Jahren so stark sein, daß wir wirkungsvoll Widerstand leisten können.

Da bist Du ja ganz schön optimistisch! Arbeitet Ihr denn schon mit anderen Gruppen oder Organisationen zusammen?
Die Klein- und mittelständischen UnternehmerInnen haben eine Organisation, APYME (Asociación de la pequeña y mediana empresa), in der sich genau diejenigen zusammengeschlossen haben, die die größten Befürchtungen vor dem MercoSur haben. Außerdem haben wir Kontakte zu einigen Gewerkschaften. Es ist uns sehr wichtig, die Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu suchen, damit die Integration, die wir wollen, die zwischen Bäuerinnen und Bauern, aber auch zwischen allen anderen, den ArbeiterInnen, den StudentInnen stattfindet.

Kasten:

Gemeinsamer Markt im Cono Sur – MercoSur

Im “Vertrag von Asunción” vom März 1991 verständigten sich die vier Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay auf die Schaffung eines “Gemeinsamen Marktes im Cono Sur”. Dieser Prozeß soll bis zum 31.12.1994 abgeschlossen sein. Im Vertrag werden vier Ziele festgelegt:
1. Freier Austausch von Waren, Kapital, Technologie und Arbeitskräften
2. Die Festlegung einheitlicher Zollschranken an den Grenzen des gemeinsamen Marktes
3. Abstimmung der makroökonomischen Politik
4. Abstimmung der Außenpolitik, vor allem bezüglich der Handlungsweise innerhalb internationaler Organe, wie GATT oder ALADI (Asociación Latinoamericana de Integración).
Die einzigen erkennbaren Fortschritte, die bisher erzielt wurden, bezogen sich auf den Abbau der Zollschranken innerhalb des MercoSur. Zwischen Argentinien und Brasilien sollen diese bis zum 1.1.1994, im Handel mit den beiden anderen Staaten bis zum 1.1.1995 vollständig abgebaut sein. Unter den Bedingungen des MercoSur soll auf brasilianische Produkte eine Importsteuer von 14 Prozent erhoben werden. Allerdings hat Argentinien unter Wirtschaftsminister Cavallo schon jetzt nur noch Importsteuern von durchschnittlich 9 Prozent eingeführt, so daß brasilianische Waren in Argentinien starker internationaler Konkurrenz ausgesetzt sind.
Aufgrund der unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation der vier Staaten erscheint es außerordentlich rätselhaft, wie eine Abstimmung der Wirtschafts- und Außenpolitik erreicht werden soll.
In Argentinien und Brasilien konzentrieren sich 92 Prozent der gesamten Außenhandelsaktivitäten der vier Länder. Gleichzeitig sind aber die beiden kleineren Staaten weitaus abhängiger vom Handel innerhalb der Region. Der Handel innerhalb des MercoSur hat in Uruguay einen Anteil von 33 Prozent am gesamten nationalen Außenhandel, für Brasilien hingegen sind es nur 4 Prozent. Währenddessen wickelt Brasilien drei Viertel seines Außenhandels mit den “entwickelten” Ländern ab.
Während der achtziger Jahre führten Argentinien und Brasilien Verhandlungen, die zu einer Vereinfachung des Handels in bestimmten Industriezweigen führen sollten. Damals war von einem gemeinsamen Markt noch nicht die Rede, aber im Bereich der Maschinenindustrie wurden, vor allem für Argentinien, bedeutende Handelserleichterungen vereinbart.
Im Zuge der “Initiative für Amerika”, die US-Präsident Bush im Juni 1990 propagierte und mit der eine “Freihandelszone von Alaska bis nach Feuerland angestrebt wird, wurde dann von Vereinbarungen über bestimmte Wirtschaftszweige Abstand genommen. Neues Ziel war nun die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, der auch Uruguay und Paraguay einschließen sollte. Wofür die EG Jahrzehnte brauchte, das wollten die vier Regierungschefs in ein paar kurzen Jahren abhandeln. DiplomatInnen geben inzwischen ZU, dass diese Ansprüche vielleicht doch ein wenig zu hoch gegriffen sind.
Dafür wird jetzt Chile als möglicher zusätzlicher Partner umworben. Worin Vorteile des MercoSur für Chile liegen sollten, ist unklar, zeigt sich doch das Lieblingskind der WirtschaftswissenschaftlerInnen viel eher an einem bilateralen Abkommen mit den USA interessiert.
Um deutlich zu machen, daß die Integrationsbemühungen am lateinamerikanischen Südkegel nicht gegen die USA gerichtet sind, unterzeichneten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay 1991 ein “Rahmenabkommen über Handel und Investitionen” (auch “4+1-Abkommen”) mit den USA.
Nachdem sie die Rahmenbedingungen für den gemeinsamen Markt geschaffen hatten, ziehen sich die Regierungen immer weiter zurück, um die konkrete Ausgestaltung des MercoSur den privaten Unternehmen zu überlassen. Die transnationalen Unternehmen haben schon jetzt mit massiven Firmenaufkäufen, Kooperationsverträgen und Absprachen reagiert. Unternehmen mit Produktionsstätten in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern sind zur Strategie der Konzentration von Produktionsstätten übergegangen, was natürlich mit Entlassungen verbunden ist. Von staatlicher Seite aber gibt es keine Anstrengungen, die sozialen Folgen des Liberalisierungs- und Umstrukturierungsprozesses abzufangen. Von einem einheitlichen Arbeitsrecht oder Sozialsystem ist erst gar nicht die Rede.

Ökoterrorismus als Befriedungsstrategie

Der Umweltkrieg wird in Guatemala auf direkte und indirekte Weise betrieben. Die direkte Form ist der sogenannte Kampf gegen den Drogenanbau. Guatemala ist das Extrem-Beispiel für US-unterstützte Sprühaktionen aus der Luft, die sich offiziell gegen Drogenanbaugebiete richten, tatsächlich aber Langzeit-Anti-Guerilla-Strategie sind. Seit Frühjahr 1987 werden diese Einsätze geflogen, seit 1989 begleitet von vietnamerprobten Kriegshubschraubern. Ein Großteil der Gebiete, in denen Sprüheinsätze geflogen werden, sind geographisch und klimatisch für den Mohn- und Marihuana-Anbau ungeeignet. Aufschlußreich bezeichneten RegierungssprecherInnen die Einsatzgebiete selber als “Konfliktzonen”. Diese Regionen sind Hauptoperationsgebiete der Guerilla. Dies verdeutlicht die eigentliche Absicht der Pestizidbombardements. Mit den Entlaubungseinsätzen soll der Guerilla der natürliche Schutz, durch andere Giftbesprühungen die Nahrungsgrundlage entzogen werden. Deswegen besprüht das Militär gezielt auch die Felder der Zivilbevölkerung.
Bei den Sprühaktionen wurden die Pestizide Glyphosate und 2,4 D in stärkerer Konzentration als in den USA erlaubt verwendet. Dies hat den aus Vietnam bekannten “Agent-Orange-Effekt”, der Krebs und Mißbildungen bei Neugeborenen provoziert. Außerdem wurden das die Parkinson’sche Krankheit verursachende Paraquat, Manathion, EDB, 2,4,5-T und Methylparathien verwendet. Wenn diese Gifte in die Umwelt gelangen, verseuchen sie Wasser, Nutzpflanzen und -tiere, und es kommt zu akuten Pestizidvergiftungen bei Menschen, die in häufigen Fällen zum Tod zumindest aber schweren Erkrankungen der Atemwege und Verdauungsorgane führen. Zusätzlich zu diesen chemischen Verwüstungen wurden im Norden Guatemalas 1500 Hektar des Petén durch Napalmbombardements zerstört.

Maisanbau-Verbot und chemische Keule

In indirekterer Form tritt der Ökoterror beim Anbau nicht-traditioneller Agrarexportgüter auf. Anstelle von Produkten wie Bohnen, Chili, Tomaten und vor allem Mais, müssen jetzt Broccoli, Erd- und Himbeeren, Spargel, Rosenkohl etc. angebaut werden. Diese werden in unzähligen Modelldörfern angepflanzt. Dort wird seit Anfang der 80er Jahre ein großer Teil der Bevölkerung zwangsangesiedelt, der der “Politik der verseuchten Erde” zum Opfer fiel. Hier wird ideologisch und agrarpolitisch nach westlichen Vorstellungen gesät.
Geplant wurden diese Lager mit Hilfe israelischer Militärberater. Große finanzielle Unterstützung haben sie vor allem von US-amerikanischen und bundes¬deutschen Entwicklungsorganisationen (AID und COGAAT – “Guatemaltekisch-Deutsche Zusammenarbeit Lebensmittel gegen Arbeit”). Die Lager stehen unter strikter militärischer Kontrolle. Die Indígenas arbeiten hier in Food-for-Work-Programmen. Das heißt, sie sind in keiner Weise am Ertrag beteiligt. Von Anfang an haben die Militärs in den Modelldörfern den Anbau von Mais sowie anderer traditioneller Produkte verboten. Dadurch entziehen sie den Indígenas die Möglichkeit zur Selbstversorgung. Mittlerweile importiert Guatemala Mais aus den USA. Das Verbot, Mais anzupflanzen, erfüllt für die Militärs einen doppelten Zweck: Zum einen erzielen sie mit den statt dessen angebauten Produkten bes¬sere Preise auf dem Weltmarkt. Zum anderen bringen sie die indianische Bevölkerung in eine völlige wirtschaftliche Abhängigkeit und versetzen der Ideologie und Kultur der “Maismenschen” einen empfindlichen Schlag.
Um dem Land die “exotischen Früchte” zu entreißen wird es – wie auch bei der Drogenbekämpfung – mit Pestiziden traktiert. Zu 98 Prozent sprühen die PflanzerInnen nach dem Kalendersystem. Das heißt, ohne abzuwarten, daß sich Schädlingskulturen bilden, und diese dann zu vernichten, sondern sozusagen vorbeugend. Das Kalendersprühsystem ist Hauptursache für exzessiven Pestizidgebrauch und der daraus resultierenden Schädlingsresistenz. Darüberhinaus werden auch die natürlichen Feinde der Schädlinge mit zerstört. Zehn Prozent der BäuerInnen verwenden Pestizide, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als extrem giftig eingestuft werden. Mindestens sechzehn der verwendeten Pestizide stehen im Verdacht, Mißbildungen, Krebs, Organschäden und andere chronische Krankheiten hervorzurufen. Die WHO stellte bei Muttermilchuntersuchungen an Frauen von der Südküste Guatemalas die höchsten Werte des krebserzeugenden DDT fest, die jemals bei Menschen ge¬messen wurden.
Die Pestizidrückstände bei den Agrarprodukten sind teilweise so hoch, daß die USA den Import verbieten. Die – englischen! – Warnungshinweise auf den Verpackungen der Pestizide sind für die mit Anbau und Ernte beschäftigten ArbeiterInnen völlig nutzlos. Weder können sie sie lesen, noch haben die Arbeitgeber irgendein Interesse daran, sie auf die Gefährlichkeit der Pestizide aufmerksam zu machen. Um die Gewinnspanne aus den Exporten so hoch wie möglich zu halten, wird munter zwölf Monate im Jahr das Gift gesprüht. Das Land kommt nicht mehr dazu, sich zu erholen, so daß es nur eine Frage der Zeit ist, wann sich das “Land des ewigen Frühlings” in das “Land der ewigen Sommerdürre” verwandelt. Ganz zu schweigen von den Tausenden GuatemaltekInnen, die in bewährter, jahrhundertealter Tradition ihr Land bestellen könnten, ohne mit jedem Atemzug giftige Chemikalien aufzunehmen, wären sie nicht in den sogenannten “Befriedungsprozeß” gezwungen.
Quelle: cerigua

Kurioses: “Bwehn – pro – veh – choh” !

Argentinien

Konversation: Sprechen Sie mit Geschäftsleuten über die Rolle der Inflation in der Wirtschaft wie auch über die neuesten Regierungsdekrete und wie diese die Preise beeinflussen. – Frauen sollten persönliche Fragen er­warten, wie “Haben Sie Kinder?” und “Wenn nicht, warum?”. – Beglückwünschen Sie ihre Gastgeber we­gen ihres Heimes und ihrer Kinder. – Diskutieren Sie nie­mals ber Politik oder die Regierung, wenn Sie jemanden das erste Mal treffen. (Vermeiden Sie es insbe­sondere die Perón-Jahre zu erwähnen). Die Menschen neigen dazu sehr aggressiv zu werden, wenn ber Politik geredet wird… – Denken Sie daran, daß Argentinier Stolz auf ihr europäisches Erbe sind. Im Allgemeinen gibt es die Tendenz auf In­dianer herabzusehen. Fragen Sie nie jemanden, ob er oder sie indianischer Ab­stammung ist.

Essen im Restaurant: Rufen Sie nicht nach dem Kellner, indem Sie ein “Kuß”-Ge­räusch imitieren, wie Sie es bei einigen Personen höen werden: Das gehört sich nicht. Sagen Sie “mozo” (moh-zoh), um den Kellner zu rufen.

Chile

Konversation: Vermeiden Sie alle politischen Themen, insbesondere solche, die die Menschenrechte betreffen.

Costa Rica

Konversation: Haben Sie keine Hemmungen über Politik zu reden. Costa Rica ist sehr stabil, mit einer langen de­mokratischen Tradition.

Kleidung: Tragen Sie Shorts nur am Strand oder beim Sport.

Bei privaten Besuchen: Denken Sie daran, daß wenige Familien eine Haushalts­hilfe haben. Wenn Sie bei einer Familie ohne Dienstmädchen wohnen, bieten Sie ihre Hilfe beim Tischabräumen und Abwaschen an und machen Sie Ihr Bett.

Geschenke: Wenn Sie zu einem Essen eingeladen sind, bringen Sie Blumen oder einen guten Wein mit. Bringen Sie niemals Kalla-Lilien, da diese bei Beerdigun­gen verwendet werden.

Geschäftspraktiken: Um einen guten Eindruck zu machen, sollten Sie ein Kom­pliment über die Schöheit des Lan­des machen. Sprechen Sie politische Themen Zentral­amerikas nicht bei Ihrem ersten Treffen an, da man dann meist bei diesem Thema verbleibt und es für Sie schwer sein wird, auf das Geschäftliche zurück­zukommen. – Hinweis: Ausländische Investoren dürfen bis zu 100% eines Unter­nehmens oder Grundstckes erwerben.

Guatemala

Kleidung: Jedes Dorf hat seine eigenen handgewebten Kleidungsstcke für Männer und Frauen. Sollten Sie sich entscheiden einheimische Kleidung zu tragen, verge­wissern Sie sich, daß sie die Ihrem Geschlecht entsprechende Tracht tragen. Sie machen sich sonst zum Narren.

Bei privaten Besuchen: Benutzen Sie den Warm­wasserheizer nicht ohne ihn sich von Ihrem Gastgeber erklären zu lassen. Sie könnten einen elektrischen Schlag bekommen. – Wenn Sie bergwandern wollen, wird Ihr Gastgeber wahr­scheinlich sehr dagegen sein, aus Angst vor Guerilla-überfällen. Sie sollten sich seine Bitte zu Herzen nehmen. – Tragen Sie keine Taschen­messer bei sich, es sind illegale Waffen. – Es ist ver­boten Militärkleidung o.ä. zu tragen oder ins Land zu bringen.

Mexiko

Konversation: Um einen guten Eindruck zu machen, sollten Sie etwas über mexi­kanische Kunst und Literatur wissen. – Männer sollten den Gesten von Wärme und Freundlichkeit mexikanischer Männer – wie z.B. das Be­rühren der Schulter, die Hand auf dem Arm oder das An­fassen des Jackenrevers – nicht ausweichen. -Kritisie­ren Sie nicht die mexikanische Regierung oder machen Sie keine Verbes­serungsvorschläge. Vermeiden Sie die illegalen Einwanderer oder den Krieg U.S.A.-Mexiko zu erwähnen. Bedenken Sie, daß die gegenwärtigen Staaten Te­xas, Californien, Nevada, Utah, Colorado, New Mexico und Arizona bis Ende 1840 Teil Mexikos waren.

Getränke: Bereiten Sie sich darauf vor einen Mezcal (mehs – cahl), einen Schnaps, der aus der Maguey-Pflanze hergestellt wird, nach dem Essen angeboten zu be­kommen. Er ähnelt Aquavit, Grappa oder Brandy. Lassen Sie sich nicht vom Wurm in der Flasche überraschen. Wenn die Flasche geleert wird, essen Mexika­ner den Wurm meist mit!

Geschäftspraktiken: Seien Sie bei geschäftlichen Verab­redungen pünkt­lich, er­warten Sie Ihre mexikanischen Ge­schäftspartner aber erst nach einer halben Stunde. Beschweren Sie sich niemals über dieses Zuspätkommen. Bringen Sie sich für die Wartezeit etwas zum Arbeiten oder ein Buch mit. – Reden Sie die Se­kretärin immer mit “señorita” an, unabhängig von Alter und Familienstand. – Be­nutzen Sie stets die Titel der Personen bei der An­rede: Das ist für die geschäft­lichen Umgangsformen sehr wichtig. Einige häufig gebrauchte Titel sind: Doctor (doc – tohr), Profesor (pro – feh -sohr), Quémico/Chemiker (kee – mee – coh), In­geniero/ Ingenieur (een – heeh – nyeh – roh), Arquitecto/Architekt (ahr – kee – tek – toh). – Sollten Sie versuchen eine persönliche Beziehung aufzubauen, bevor Sie zum Geschäftlichen kommen, wirken Sie dem Stereotyp eines zu direkt und ag­gressiv auftretenden Nordamerikaners entgegen. – Frauen in der Geschäftswelt wird nicht der gleiche Respekt entgegengebracht wie Männern. Eine Geschäfts­frau sollte sich besonders professionell geben. – Wenn Sie Ihre Präsentation vor­bereiten bedenken Sie, daß Mexikaner von einem wissen­schaftlichen Auftreten beeindruckt sind. Sie sollten also Computer-Ausdrucke, Tabellen und Grafiken dabei haben. – Haben Sie Geduld, für Mexikaner sind Menschen wichtiger als Zeitpläne. – Versuchen Sie stark und zu­versichtlich aufzutreten, um den Respekt der mexikanischen Arbeiter zu gewinnen; Mexikaner aller Schichten halten Grin­gos für naiv.

Uruguay

Private Besuche: Wenn Sie von einer Familie der Mittel­schicht eingeladen wor­den sind, bei ihnen zu wohnen, denken Sie daran, daß sie wahrscheinlich gerade schwierige wirtschaftliche Zeiten durchgemacht haben. Erwarten Sie keinen Lu­xus.

Geschenke: Fr junge Leute können Sie amerikanische Pop-Musik mitbringen. Sie freuen sich auch ber T-Shirts und Sweatshirts mit Aufdrucken von U.S.-Univer­sitäten.

Geschäftspraktiken: Erwarten Sie sehr gebildete Geschäftsleute. Uruguayer ver­stehen Geschäftsmethoden besser als andere in lateinamerikani­schen Ländern. Sie wissen genau, daß Nordamerikaner praktisch und direkt sind und im Ge­schäft rasch vorankommen wollen.

Feiertage und besondere Ereignisse: Seien Sie während des Kar­nevals vorsichtig und tragen Sie wasserdichte Kleidung. Junge Leute bewerfen alle mit Wasser.

Entnommen dem “Traveller’s Guide to Latin American Customs and Manners”; E.Devine/N.L.Braganti; New York 1988

Interview mit AEU-VertreterInnen

Präsident Serrano Elias: Rechter Demagoge

Frage: Der neue Präsident Serrano Elias ist in Guatemala einerseits als Mitglied der Nationalen Versöhnungskommission (CNR) bekannt und war damit maßgeblich am Dialogprozeß mit der Guerilla beteiligt, andererseits war er an der extrem repressiven Militärregierung von Rios Montt beteiligt. Wie schätzt ihr sein Verhältnis zu den Militärs ein?
Otto: Serrano Elias nahm an der CNR als Vertreter der Oppositionsparteien teil und war einer derjenigen, die im März 1990 die Abkommen von Oslo unterschrieben. Seine Geschichte zeigt jedoch sehr enge Verbindungen mit den Militärs, die am meisten in das guatemaltekische Aufstandsbekämpfungsprojekt verwickelt sind. So war er Staatsratspräsident unter Rios Montt und Unterstützer und Berater des Fuero Especial, des geheimen Sondergerichtes gegen Oppositionelle. Auch war er einer derjenigen Sektenführer, die die Religion als eine Methode der Aufstandsbekämpfung etablierten. Mit dieser Vorgeschichte trat Serrano Elias die Präsidentschaftskampagne an. Er äußerte sich zwar zunächst sehr kritisch gegenüber Cerezos Regierung und griff in Debatten teilweise scharf die Verdeckung von Korruption und Menschenrechtsverletzungen an; aber jetzt sieht man, daß das pure Demagogie war, um einen bestimmten Wählerkreis anzusprechen. Der verbrecherischste Teil der Militärs sitzt jetzt in der Regierungsmannschaft von Serrano Elias. Das zeigt zur Genüge, daß auch Serrano Elias das militärische Aufstandsbekämpfungsprojekt, die Politik der Zerschlagung der Volksbewegungen, fortführen wird.

Frage: Wird Serrano Elias den letztes Jahr begonnenen nationalen Dialog jetzt als Präsident weiter fördern?

Otto: Der Dialogprozeß könnte jetzt zum Stillstand kommen, wenn wir, die beteiligten Organisationen, ihn nicht weitertreiben, da jetzt neue Strategien wie etwa der Sozialpakt eingeführt werden, die die Aufmerksamkeit von dem ablenken könnten, was mit dem Dialogprozeß schon er¬reicht wurde. Jetzt, wo Serrano die Präsidentschaft angetreten hat, erklärte er bisher nur, daß die Regierung mit der Guerilla (URNG) in Dia¬log treten wird. Dies aber nur bis Juni, und das be¬deutet einen langen Zeit¬raum, der dem Heer als Spielraum zugestanden wird. Denn die Militärs wol¬len nicht, wie im nationalen Dialog vorgesehen, direkt, sondern nur über die Regierung am Dialogprozeß teilnehmen. Sie wissen, daß der Dialogpro¬zeß und die darin erreichten Beschlüsse uns Volksbewegungen dazu dienen können, politischen Spielraum zu gewinnen und die Regierung und die Armee unter Druck zu setzen.

Frage: Könntet ihr erklären, um was es sich bei dem Sozialpakt handelt und wie die Volksbewegungen darauf reagieren wollen?

Carmen: Uns scheint, daß die neue Strategie des “Sozialpaktes” eine Fortset¬zung der Strategie der “Concertacion”, der “Versöhnung” unter Vinicio Cerezo ist, die 1986 eröffnet wurde, um unter der Zivilregierung durch interne Vermittlungsbemühungen langfristig eine politische und ökonomische Stabilisierung zu erreichen. Auf diese Weise soll dem Ziel der Auflösung der Guerillabewegungen nähergekommen werden. Die Politik der Concertacion wurde jedoch von der nationalen Bourgeoisie und den Militärs blockiert und ein solches Projekt verunmöglicht. Heute nennt sich die neue Strategie “Sozialpakt”. Zunächst soll es eine Annäherung zwischen Unternehmer- und Arbeiterschaft sein, ohne daß jedoch Fragen wie z. B. Lohnerhöhungen oder Höchstpreise für Grundbedarfsprodukte überhaupt angesprochen werden sollen, weil die Unternehmerschaft und die Regierung dazu nicht bereit sind. Deswegen sollen in diesem Sozialpakt wohl vor allem einige allgemeine soziale Fragen, wie z. B. Gesundheitsversorgung oder staatliche Sozialleistungen besprochen werden. Das erscheint zwar positiv, aber die Art und Weise, wie sie es entwickeln und der politische Hintergrund dabei ist eine Strategie der Vereinnahmung der Volksbewegungen. Für den Sozialpakt ist der populistische Sozialdemokrat Mario Solórzano als Arbeitsminister eingesetzt worden, der unserer Einschätzung nach für Strategien wie die von Unternehmern unterstützte, gegen die Gewerkschaften gerichtete Solidarismobewegung eintreten wird.
Uns erscheint der Sozialpakt als unsinnige Parallelstruktur und Ablenkungsmanöver von dem tiefergehenden Dialogprozeß, innerhalb dessen bereits strukturelle gesellschaftliche Veränderungen angesprochen wurden. Verschiedene Volksorganisationen haben bereits erklärt, daß sie dieses Spiel nicht mitspielen werden. Es scheint, daß das Ziel des Sozialpaktes es ist, einerseits Arbeitsgruppen für Verhandlungen aufzubauen, um öffentliche Demonstrationen, den Kampf und Protest auf der Straße, zu verhindern und andererseits die eigentlichen Konfliktparteien, nämlich die Armee und die Guerilla aus der öffentlichen Auseinandersetzung herauszuhalten.
Wir Volksorganisationen haben deswegen folgendes vor: Wir werden den Sozialpakt zwar nicht ablehnen, aber nur in Verbindung mit dem nationalen Dialog zulassen, für dessen Fortsetzung als viel weitergehender politischer Diskussionsprozeß wir Druck ausüben wollen.

Frage: Wie sieht denn überhaupt die wirtschaftspolitische Orientierung der neuen Regierung aus?

Carmen: Serrano Elias wird mit der neoliberalen Strukturanpassungspolitik fortfahren müssen, die der IWF und die Weltbank für verschuldete Länder der Dritten Welt vorschreiben. Der Schuldendienst und der Etat des Verteidigungsministeriums für den internen Krieg werden weiterhin einen Großteil des Staatshaushaltes verschlingen.
Bis jetzt kann die Wirtschaftspolitik Serrano Elias’ allerdings noch nicht in allen Einzelheiten analysiert werden. Erst nach dem 2. Wahlgang ist seine Wirtschaftstruppe mit der ihn unterstützenden Allianz der Rechten, insbesondere dem CACIF (Unternehmerverband des Agrar-, Finanz- und Industriesektors) ausgehandelt worden. Der CACIF hat damit direkt die wirtschaftspolitischen Schlüsselministerien übernommen. Der CACIF hat bereits letztes Jahr einen Wirtschaftsplan ausgearbeitet, der unter dem Namen der Unternehmergruppe Piramide bekannt wurde. Der neoliberale Plan Piramide des CACIF sollte zunächst den Präsidentschaftskandidaten Jorge Carpio der UCN unterstützen, dem ca. 9 Millionen Quetzales angeboten wurden, falls er dem CACIF das Wirtschafts- und Finanzministerium überließe, wurde von diesem aber abgelehnt. Jetzt soll er unter Serrrano Elias verwirklicht werden.

Neuanfang studentischer Organisierung und der Aufbau von Frau¬engruppen

Frage: Wie habt ihr nach dem Massaker 1989 die Arbeit der AEU wieder aufgebaut und welche organisatorischen Veränderungen haben sich danach ergeben?

Otto: Die studentische Bewegung wurde mit verschiedenen Aktivitäten reorganisiert. Als erstes wurden 5 progressive studentische Gruppen zur Unidad Estudiantil zusammengeführt, die zusammen mit Resten der alten AEU die Arbeit aufrechterhielten. Innerhalb dieses Reorganisierungsprozesses wurden die Statuten und die Organisationsstruktur der AEU verändert und die AEU für neue Compañeros geöffnet. Im September 1990 gewann die Unidad Estudiantil die AEU-Wahlen und kann so seitdem die Arbeit innerhalb der Leitung der AEU weiterführen. Wir befinden uns heute in einem Prozeß der organisatorischen Umstrukturierung, der vor allem darauf abzielt, eine stärkere Partizipation und eine Verbreiterung der studentischen Basis der AEU zu erreichen. Dafür bieten wir vorzugsweise wissenschaftliche Arbeitsgruppen innerhalb von studentischen Forschungszentren, aber auch kulturelle und sportliche Aktivitäten an. Das Zentrum “Juventud Universitaria para la Paz” möchte z. B. im Rahmen des Studiums über den Friedensprozeß in Zentralamerika aufklären, das Centro de Promocion Estudiantil möchte die Aktivitäten und Forschung von StudentInnen im Bereich Umweltschutz, Menschenrechte, die Situation von Frauen, Educación Popular u.a. unterstützen. Wir wollen die Beteiligung an der StudentInnenbewegung über wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Themen fördern, weil nämlich die rein politische Beteiligung z. B. auf Demonstrationen und der traditionelle politische Diskurs wegen der großen Angst vor der Repression oftmals nicht angemessen ist, um die StudentInnen einzubeziehen. Im Rahmen dieser neuen Or¬ganisationsformen sind wir auch dabei, eine Volksklinik aufzubauen und haben eine Gruppe von MedizinstudentInnen, die bereit sind, dort zu arbeiten. Es gibt viele StudentInnen, die wir über solche Aktivitäten jetzt neu kennengelernt haben, und die dieselben Themen beschäftigen wie uns von der AEU, die diese Themen aber gern im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit behandeln möchten, die also gleichzeitig die Realität unseres Landes in ihrem Studium besser kennenlernen und an einem politischen Projekt studentischer Organisierung teil¬nehmen möchten.
Carmen: Ich möchte hinzufügen, daß diese neuen alternativen Formen der studentischen Partizipation nicht nur eine Strategie sind, um Fliegen auf eine andere Art und Weise für die politische Arbeit der AEU anzulocken, sondern daß sie aus dem Gefühl heraus entstanden sind, daß es der guatemaltekischen Jugend versagt ist, sich persönlich zu entwickeln. Guatemala ist eine kulturell sehr beschränkte und sehr repressive Gesellschaft, die über das individuelle Überleben hinaus keine menschliche Entwicklung zuläßt. Deswegen sollen die Leute eine Möglichkeit finden, sich der Realität dieses Landes nach ihren eigenen spezifischen Interessen anzunähern und ihre Fähigkeiten für den Aufbau einer demokratischeren Gesellschaft so zu entwickeln, daß sie sich damit identifizieren können. Wir wollen sie nicht ausnutzen, um sie auf eine subtilere Art und Weise für unsere Zwecke einzufangen. Es gibt zum Beispiel eine Gruppe von ÖkologInnen, denen wir nie gesagt haben, sie sollten den Sitz der AEU mit Grünzeug schmücken, sondern die von uns unterstützt werden, ihre eigenen Projekte zu entwickeln, und die nicht unter dem Namen der AEU auftreten müssen, wenn sie nicht wollen. Es geht um eine breite Bewegung, die auch z. B. im Bereich von Kunst und Kultur die grundlegenden Probleme unseres Landes erkennt und zusammen mit den Volksorganisationen für demokratische Veränderungen kämpfen möchte. Jede/r StudentIn soll den Bereich finden, mit dem sie/er sich identifiziert und wo er/sie gerne mitmachen möchte.

Frage: Wie funktioniert das bei den neuen Frauengruppen, von denen du erzählt hast?

Carmen: Die Entwicklung der Frauengruppen ist eine ganz besonders wichtige Angelegenheit. Wenn mensch sich die Situation von Frauen in Guatemala und überhaupt in Latenamerika anschaut, wird klar, daß hier ein Schema der Unterdrückung und Ausbeutung reproduziert wird, das seit der Kolonisierung besteht, und außerdem von Frauen durch eine patriarchale Kultur und Sozialisation internalisiert wird, indem sie sich selbst als Sexualobjekt betrachten und sich minderwertig fühlen. Diese Kultur des Machismo setzt sich auch innerhalb der AEU fort; so bin ich in der Leitung der AEU die einzige Frau. In den anderen studentischen Organisationen sind noch einige mehr, aber auch nicht viele. Uns Studentinnen geht es aber nicht nur darum, einfach mehr Frauen an der AEU zu beteiligen, sondern wir wollen eine neue Perspektive zugunsten der Emanzipation von Frauen in die AEU hineintragen. Wir stoßen dabei jedoch auf viele Hindernisse nicht nur von Seiten der Männer, sondern auch vieler Frauen.
Wir haben zwei Frauengruppen, eine bei den Wirtschaftswissenschaften und eine bei den Agrarwissenschaften. Die Gruppe der Wirtschaftswissenschaftlerinnen entstand auf die denkbar antifeministischste Art und Weise, nämlich aus einem Schönheitswettbewerb heraus! Die studentische Vertretung hat nämlich nicht erlaubt, an eine Frauengruppe überhaupt nur zu denken. Sie sagten, daß eine Frauengruppe zur Spaltung der StudentInnenbewegung beitragen würde, einen Irrweg, ja eine Degeneration darstelle und den reaktionären Kräften an der Uni Vorschub leisten würde! So übernahmen ich und eine andere Frau die Leitung des Schönheitswettbewerbes, denn das fanden sie gut; ja sie hatten sogar vor, hübsche Frauen mit Miniröcken zur Werbung einzusetzen! Die Handhabung von Frauen als Sexualobjekt findet also selbst in den demokratischsten Gruppen der Volksbewegungen statt. Wir aber gaben dem Schönheitswettbewerb einige feministische Inhalte, nahmen Studentinnen der AEU in die Jury und riefen die Teilnehmerinnen dazu auf, ihr Konkurrenzdenken aufzugeben und untereinander solidarisch zu sein. Aus dem Schönheitswettbewerb entstand dann eine Gruppe von 15 Frauen, die sich seitdem zu Gesprächen und Diskussionen über Frauenbefreiung und ihren gesellschaftlichen Kontext trifft.

Frage: Welche feministischen Themen besprecht ihr in euren Gruppen und welche Aktionen habt ihr bisher gemacht?

Carmen: Wir sind noch in einem sehr embrionalen Stadium. Diese Gruppen sind noch nicht einmal 6 Monate alt und als aller erstes müssen die Studentinnen ein Selbstbewußtsein darüber erlangen, daß es berechtigt ist, ihre untergeordnete, gesellschaftliche Rolle als Frauen in Frage zu stellen. Sie müssem sich gegen Belästigungen der männlichen Mitstudenten zur Wehr setzen, die die Frauengruppen nicht akzeptieren. Ansonsten versuchen wir zur Zeit an den anderen Fachbereichen auch Frauengruppen aufzubauen. Als Aktionsformen haben z. B. die Agrarwissenschaftlerinnen verschiedene Theaterstücke entwickelt, die sie selbst geschrieben haben und aufführen und die von Vergewaltigung und Ausbeutung von Frauen, aber auch von ihrer Beteiligung an politischen Veränderungsprozessen handeln.
Insgesamt wollen wir von unseren konkreten, alltäglichen Erfahrungen ausgehen und uns von daher an allgemeine Zusammenhänge annähern. Die Frauen in den Gruppen sind noch sehr jung, aber sie haben alle schon auf Arbeitsplätzen, in der Uni usw. unter verschiedensten Formen geschlechtsspezifischer Diskriminierung gelitten.
Für uns muß es in einer so extrem gespaltenen Gesellschaft wie Guatemala drei gleichwertige grundsätzliche Ebenen gesellschaftlicher Auseinandersetzung geben: den Klassenkampf zwischen der extrem reichen herrschenden Oberschicht und den 70% unter der Armutsgrenze lebenden GuatemaltekInnen; die ethnische Problematik, da doch 70% und damit auch die am meisten diskriminierten und marginalisierten Frauen Indígenas sind; und den Geschlechterkampf für die Be¬freiung der Frauen, der in alle sozialen Auseinandersetzungen der Volksbewe¬gungen integriert werden muß.

Frage: Habt ihr Kontakt mit anderen Frauengruppen, wie z. B. der Witwenorganisation CONAVIGUA?

Carmen: Es gibt Kontakte zu CONAVIGUA. Aber wir haben uns gesagt, daß wir zunächst innerhalb der Uni als Studentinnen ein Bewußtsein für Frauenkampf schaffen müssen, um uns dann erst mit ganz anderen Frauenwelten auseinanderzusetzen. Denn die Studentinnen kommen meistens von der Mittelschicht, haben deren Werte verinnerlicht und leben eine ganz andere Realität als z. B. die direkt mit der Repression der Armee konfrontierten Indígenafrauen von CONAVIGUA, die meistens alleinstehende Mütter und Arbeiterinnen sind. Wir müssen von der konkreten Lebenssituation von Studentinnen ausgehen, denn wir erleiden eine spezifische Diskriminierung z. B. durch die Ausgrenzung von Arbeitsgruppen, durch die Minderbewertung unserer intellektuellen Fähigkeiten oder durch die Ausnutzung und Betrachtung als reines Sexualobjekt, wie es auch innerhalb der studentischen Organisationen geschieht. Auch dort gewähren viele Männer Frauen nur einen Aufstieg, weil sie attraktiv sind und versuchen immer wieder, sie sexuell zu mißbrauchen. Wir müssen erst von unseren eigenen Erfahrungen ausgehen und uns darüber bewußt werden, um dann längerfristig für eine nationale Einheit von Frauen einzutreten. So als kleine Grüppchen wollen wir uns erst in der Uni formieren, bevor wir uns z. B. CONAVIGUA anschließen, die schon eine große, erfahrene und kämpferische Organisation ist.

Danke für das ausführliche Gespräch.

“Der Golf ist weit weg, aber den Weltpolizisten haben wir auf der anderen Seite der Grenze!”

Der mexikanische Präsident Salinas hält eine Rede an die Nation. Er stellt seine Anstrengungen für eine Verhandlungslösung heraus. Und mit sanfter Stimme versichert er den MexikanerInnen, sie hätten allen Grund, Ruhe zu bewahren. Mexiko als Ölproduzent werde keine unmittelbaren Auswirkungen spüren. Die Versorgung mit Treibstoffen und Nahrungsmitteln sei gesichert. Damit spricht er die Hauptsorge der MexikanerInnen an. “Die Leute haben Angst, daß die Preise steigen,” erzählt mir ein Straßenverkäufer der populären Schlagzeilen-Zeitungen. Die erste größere Unruhe habe er gespürt, als die Ölpreise fielen. Das war, als die CNN allen Anschein erweckte, als ob die USA den Krieg schnell gewinnen würden.
Mit den Angriffen des Irak auf Israel ändert sich die Stimmung. Die Nachrichtenbombardierung von CNN verfehlte die vorgesehene Wirkung, verbale Angriffe gegen die USA wurden nun häufiger. “Ein ganzer Kerl ist der Saddam”. “Die Yankees haben Abschußrampen aus Pappe bombardiert”. Mit Schadenfreude und einem Schuß Machismo werden die Angriffe Iraks auf Israel kommentiert. Auch der Unmut über die “Desinformation” wächst. Besonders die offensichtliche Lüge der Medien, die berichten,. im Irak seien bisher zwanzig Menschen umgekommen, erregt die Gemüter. Über die ständigen Demonstrationen vor der US-Botschaft in Mexiko informieren die großen Radiosender nur indirekt. Sie warnen vor Staus und Verzögerungen in der Gegend um die Botschaft und empfehlen, sie weiträumig zu umfahren. Diese gegen die US-Regierung gerichteten Demonstrationen hatten einige Tage vor Ablauf des Ultimatums begonnen. Spontan versammelten sich dort die Leute, denen plötzlich die Gefahr eines Krieges bewußt wurde -eine winzige Minderheit.

‘Hussein, gib’s dem Yankee kräftig!’
Die erste große Demonstration in Mexiko-Stadt fand erst neun Tage nach Beginn des Krieges statt. 40.000 Menschen folgten dem Aufruf der Parteien: “Alle vereint für den Frieden”. Es war abgemacht, daß keine Parteifahnen getragen werden sollten. Daraus ergab sich das seltsame Bild von offensichtlich organisierten Blöcken, die mensch aber nicht zuordnen konnte. Die weißen Fahnen und die Friedenstauben konnten keine Einheit herstellen. Die beiden großen Oppositionsparteien rechts und links von der regierenden “Partei der institutionalisierten Revolution” (PRI) hatten ihre Mitglieder erst nach heftigen internen Auseinandersetzungen dazu aufgerufen, gemeinsam mit der PRI zu demonstrieren. Doch im Laufe der Demonstration ließ sich der vorgesehene Pazifismus nicht durchhalten, die DemonstrantInnen gingen zu antiimperialistischen Parolen über. Überall waren Plakate zu sehen, auf denen der Abzug der USA aus Panama gefordert wurde. Und sogar die PRI-Blöcke wechselten zu Sprechchören im Stil von “Hussein, seguro, al yanqui dale duro!” über (“Hussein, gib’s dem Yankee kräftig!”).
Am Tag darauf fand ein nationales Treffen der mexikanischen Solidaritätsgruppen (mit Zentralamerika und Haiti) statt. Dort wurde die Unfähigkeit der Bewegung beklagt, sich in spontane Mobilisationen wie die vor der US-Botschaft einzugliedern. Die PRI dagegen habe es wieder einmal verstanden, die Friedensdemonstration unter ihrer Schirmherrschaft stattfinden zu lassen und politisch zu nutzen. Die Diskussion der Soli-Gruppen über den Golfkrieg begann sich schnell um die Frage zu drehen: Ist es besser für uns, wenn die USA gewinnen, oder wenn sie verlieren? Ein Vertreter der salvadorenischen Guerilla, der FMLN, stellte klar: “Wenn die USA schnell gewinnen, und gestärkt aus diesem Krieg hervorgehen, wird der ganze Kontinent unter dieser Militärmacht zu leiden haben. In dem Maße, in dem der Krieg andauert und die USA schwächt, wird auch ihr Interesse an einem Ende des Krieges in E1 Salvador wachsen”. Bei der Diskussion mit ihm forderten die Soligruppen, die Rolle der UNO bei den Verhandlungen in E1 Salvador neu zu bewerten. Es habe sich gezeigt, daß die UNO keine Organisation für den Frieden ist, sondern daß sie dem Weißen Haus als Vorzimmer gedient und den Krieg unterstützt hat.
Die Soli-Bewegten warfen außerdem die Frage auf, ob es überhaupt richtig sei,
für Hussein Partei zu ergreifen, für einen Mann, der Ausrottungskampagnen
gegen die KurdInnen geführt habe, und von dem man nicht wüßte, ob er das
irakische Volk unterdrücke. Diese Diskussion erinnerte viele an die Auseinandersetzungen während des Malvinen-Krieges, als darum gestritten wurde, ob
eine Stellungnahme gegen die Briten die argentinische Militärdiktatur aufwerten
würde. Ergebnis der Diskussion: Jede imperialistische Unterdrückung macht es
einem Volk noch schwerer, sich gegen die nationalen Herrschaftsstrukturen , aufzulehnen.
Reisende aus den rnittelamerikanischen Ländern beschreiben die Stimmung dort als ganz anders als in Mexiko-Stadt. Die Abhängigkeit dieser Länder von Energie-Importen hat die Regierungen schon zu Sparmaßnahmen greifen lassen und bei der Bevölkerung eine viel größere Unsicherheit ausgelöst als in Mexiko. In Guatemala-Stadt beispielsweise sollen Hamsterkäufe getätigt worden sein. In E1 Salvador zeigt sich deutlich, daß jeder noch so schwachsinnigen Nachricht, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Golf-Krieg steht, eine größere Bedeutung zugemessen wird als den wirklich wichtigen Informationen. Während E1 Salvadors Präsident Cristiani einen Tag lang in den Nachrichten auftauchte, weil er die “alliierten Truppen am Golf einen Monat lang mit Kaffee versorgen” will, fand das Massaker an 15 Bauern.. und Bäuerinnen am 22.Januar nicht die angemessene Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit.
Obwohl der Krieg am Golf weit weg ist, gibt es auch hier Menschen, die ihn als eine unmittelbare Bedrohung empfinden. In der mexikanischen Region Chilapa beispielsweise treffen sich christlichen Basisgemeinden jeden Abend, um gemeinsam zu beten.
Die GuatemaltekInnen, die im Süden Mexikos in Flüchtlingslagern leben, verfolgten die Ereignisse seit August aufmerksam. Als sich das Ultimatum vom
15. Januar näherte, besorgten sich viele von ihnen Kurzwellenradios, melden die “Witnesses for Peace”. In den Lagern in den Bundesstaaten Chiapas, Campeche und Quintana Roo, in denen ungefähr 43.000 guatemaltekische Flüchtlinge leben, sei der Beginn des Krieges mit Entsetzen aufgenommen worden, “Den Führern sind all die armen Leute, die sterben werden, egal”, sagte eine Flüchtlingsfrau. “Sie sorgen sich nur um ihr Geschäft und ihre Profite.” Ein älterer Mann meinte: ‘Wenn es doch so viele arme Menschen in den USA gibt, warum schickt die US- Regierung dann soviel Geld ins Ausland, wenn sie nicht einmal ihre eigenen Leute versorgen kann?” Als eine Gruppe von Jungen aufgeregt ihr Wissen über die High-Tech-Flugzeuge und die Bombardierungen austauschte, sagte ein Vater traurig: “Diese Kinder wissen nicht, worüber sie reden. Sie waren klein, als wir (vor dem Militär; d.Red) aus Guatemala fliehen mußten. Aber wir erinnern uns genau daran, was Krieg bedeutet und darum sind wir so traurig und besorgt über diesen Krieg.”

“Das einzige was wir wissen, ist, daß sie uns töten wollen”

Das Massaker von Santiago Atitlán

Fragt mich jetzt nicht nach Liebe, Brot oder Rosen
hier, wo es ein Verbrechen ist, zu denken, zu
träumen
und zu sagen, was Du fühlst,
hier wo die Hoffnung jeden Tag getötet wird.
Das Unsagbare, das Brutale, das Unzulässige
passiert
in meinem gepeinigten Land: Gewehrschüsse hallen
wider,
Kugeln im Herzen, im Kopf!
Flüsse von Blut fliessen die Strassen hinunter,
ungehemmt ins Martyrium.
Opfer, KomplizInnen, ZeugInnen. Fragt nicht
nach Menschenrechten, Gerechtigkeit,
Frieden
(sie werden ständig verletzt, sie werden ignoriert)
Hier reicht es, den kalten,
kalten Stoß in unseren Eingeweiden zu fühlen,
oder in einem Wald fieberhafter Träume zu verbrennen,
um die Ausrottung der Menschen zu verstehen.
Also fragt mich jetzt nicht nach Liebe, Brot oder
Rosen,
während die Feuer der Barbaren uns umgeben
und das Töten.
Fragt mich nicht nach dem Leben,
fragt mich nicht nach dem Tod
und erhebt die zornigen Fäuste
und den Haß der Völker.

Ein Gedicht von der guatemaltekischen Revolutionärin Guadalupe Navas als Einleitung. Wie sonst anfangen, wie über die Morde berichten, die die guatemaltekischen Militärs in der Stadt Santiago Atitlán am 2. Dezember began­gen haben? Die Landkarte der Massaker in Guatemala wird schwärzer. Hinter diesen Punkten auf der Landkarte verbergen sich unzählige Morde und das Leid der Angehörigen, FreundInnen, NachbarInnen. Jeder Mord und jedes Massaker sind einzigartig. Doch in Guatemala haben sie System, und das System versucht, sich mit ihrer Hilfe aufrechtzuerhalten. Wirklich einzigartig sind die Reaktionen auf dieses neue Massaker, im Ausland, in Guatemala und vor allem in Santiago Atitlán. Die BewohnerInnen der Stadt haben extrem mutig reagiert. Sie haben öffentlich protestiert, Widerstand organisiert und sich damit unweigerlich in Lebensgefahr gebracht.
Schon ihre erste Reaktion war erstaunlich. Woher nahmen ungefähr 3000 unbe­waffnete Alte und Kinder, Männer und Frauen den Mut, in der Nacht vom 1. auf den 2. Dezember vor die Militärkaserne zu ziehen? Sie wollten dagegen pro­testieren, daß die Militärs am Abend in der Stadt einen Laden ausgeraubt hatten und den Besitzer, Andrés Ajuchán, entführen wollten. Als dieser sich wehrte, be­gannen die Soldaten zu schießen und verwundeten ein Kind. Darauf läuteten Familienangehörige und NachbarInnen von Andrés Ajuchán die Kirchenglocken und versammelten die EinwohnerInnen, die dann vor den Militärstützpunkt zo­gen. Die Soldaten eröffneten sofort das Feuer. Neun Männer und zwei Jungen waren auf der Stelle tot. Von den ungefähr 20 Verletzten sind bisher vier gestor­ben. Der Rat für ethnische Gemeinschaften “Runujel Junam” (CERJ) berichtete außerdem von neun Personen, die seit dem Massaker verschwunden sind. Nach dem Massaker setzten die EinwohnerInnen ihre Unterschriften oder Fingerab­drücke unter die an die Regierung gerichtete Forderung, den Militärstützpunkt aufzulösen. Bis zum 4. Dezember waren es 15.000.

“Wir können zu Fuß hierherkommen…”

In seinem Bericht über das Massaker schlägt der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung einen von ihm bisher noch nicht vernommenen Ton an. Er nennt nicht nur drei Offiziere als direkt Verantwortliche, sondern klagt das Militär als ge­samte Institution für die Menschenrechtsverletzungen an. Der am 11. November neu gewählte Bürgermeister erklärte, er werde sein Amt nicht antreten, wenn das Militär nicht abzieht. Drei Tage später sagten einige Atiteken, die vor den Natio­nalpalast in Guatemala-Stadt gezogen waren: “Wir unterstützen unseren neuen Bürgermeister. Er hat Recht, denn wer das Volk regiert, sind die Militärs. Wenn die Regierenden die Militärs nicht aus Santiago Atitlán abziehen, zwingen sie unsere ganze Stadt, zu protestieren, alle 45.000 EinwohnerInnen… Wir können zu Fuß hierherkommen.”
Für die CERJ ist das Massaker einmal mehr ein Zeichen dafür, daß die Regierung gescheitert ist und die formal demokratischen Institutionen nur dekorativ sind.
Am 6.Dezember erschien eine Erklärung der Organisationen, die am “Internationalen Seminar der Indio-Völker über den fünfhundertsten Jahrestag der Entdeckung Amerikas” teilnahmen. “Diese Vorfälle bestätigen wieder einmal …die geringschätzige Haltung gegenüber dem Leben der Indios und der armen Ladinos” heißt es darin.
An der Beerdigung am 3. Dezember nahmen Tausende von Trauernden und über 50 JournalistInnen teil. Bevor die Särge in die Gräber hinabgelassen wurden, hoben die Sargträger sie dreimal über ihre Köpfe – ein Zeichen des Protestes. Die JournalistInnen berichteten, daß die EinwohnerInnen sich an sie wandten, um ihnen von früheren, nicht bekannten Massakern zu berichten. Außerdem baten sie sie weinend, dafür zu sorgen, daß das Militär keine Hilfe aus dem Ausland mehr bekommt. Daß sich die Indígenas von sich aus an die Fremden wenden, ist völlig ungewöhnlich. Am 4. Dezember verurteilte das Nationale Parlament zum ersten Mal in der Geschichte einstimmig ein Massaker und forderte den Abzug des Militärs aus Santiago Atitlán.
Diesmal finden die Militärs für ihre Version keine Unterstützung. Innenminister General Morales und Verteidigungsminister General Bolaños erklärten, die Ein­wohnerInnen hätten versucht, die Kaserne einzunehmen. Die Soldaten hätten sich nur verteidigt. In anderen Fällen haben sie die Guerilla für vom Militär be­gangene Massaker verantwortlich gemacht. Erst in der letzten Novemberwoche hat der Heeressprecher einen angeblichen Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission der OEA (Organisation amerikanischer Staaten) be­kanntgegeben, wonach die Guerilla das Massaker im November 1988 im Dorf El Aguacate begangen habe. Ein plumpes Manöver der Militärs: Das Dementi der OEA ließ nicht lange auf sich warten.

Polizeihilfe der Bundesregierung endlich eingestellt

Die internationale Kritik an dem Massaker von Santiago Atitlán war einhellig. In San Francisco und Washington gab es Protestdemonstrationen vor den guatemaltekischen Botschaften. Schon am 5.Dezember empfing Außenminister Ariel Rivera die Botschafter der Europäischen Gemeinschaft, die ihm ihre “tiefe Besorgnis” über die Vorfälle mitteilten. Seitdem geben sich die ausländischen Botschafter bei ihm die Klinke in die Hand. Rivera erklärte, das Massaker werde Konsequenzen auf internationaler Ebene nach sich ziehen, besonders in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, die im Februar ihren jähr­lichen Bericht vorlegen wird. Die Bundesregierung hat am 3. Dezember die Poli­zeihilfe an Guatemala eingestellt, nachdem noch am 24. Oktober der SPD-Antrag gegen den der GRÜNEN angenommen worden war, die ausstehenden drei Millionen Polizeihilfe doch noch auszuzahlen.
Das internationale Echo auf das Massaker von Santiago Atitlán führt inzwischen auch bei Regierung und Militärs zu hektischen Reaktionen. Am 6.Dezember übergab Ministerin Sara Mishaan den aus dem Amt scheidenden und den neu gewählten lokalen Ratsherren ein Schreiben des Noch-Präsidenten Vinicio Cerezo. Darin verspricht er, den Militärstützpunkt so schnell wie möglich ab­bauen zu lassen. “Ich habe Anweisungen gegeben, die nötigen Maßnahmen in die Wege zu leiten, um den Stützpunkt in ein Gebiet außerhalb der Gerichtsbarkeit von Santiago Atitlán zu verlegen. Damit wird der Wunsch der Bevölkerung ak­zeptiert. Es kann erwartet werden, daß dies in ungefähr zwei Wochen geschieht.” Die Neuigkeit wurde in Santiago Atitlán mit Jubel aufgenommen. Schon am 4.Dezember war Heeressprecher Carlos Durán gefeuert worden, für ihn offenbar völlig überraschend. General Bolaños übt sich währenddessen in Schadensbe­grenzung: ebenfalls am 6.Dezember erklärte er, gegen zwei Offiziere würden wegen des Massakers Gerichtsverfahren eingeleitet. Ein Bauernopfer soll die selbsternannten Könige retten.

Wahlen: Die Macht wird nicht an den Urnen erobert

Am 11. November erlebte Guatemala ein weiteres Mal allgemeine Wahlen.
Diesmal traten zwölf Kandidaten an, die “Interessen des Volkes” zu vertreten. Zwei Militärs und zehn Zivile von 17 Parteien boten Allheilmittel an: von kon­zeptlosen SozialdemokratInnen bis zu KandidatInnen mit dem Vorzeichen “christlich”, und natürlich den unvermeidlichen VertreterInnen der “harten Hand”, angeführt von den Militärs. Von den 3,2 Millionen beim Wahlregister eingeschriebenen GuatemaltekInnen enthielten sich 44 Prozent der Stimme, in einigen Provinzen auf dem Land waren es über 70 Prozent. Darüberhinaus hat­ten sich ungefähr anderthalb Millionen Wahlberechtigte nicht einmal einge­schrieben. Der wirkliche Anteil der Enthaltungen lag also bei circa 70 Prozent.
Die beiden Kandidaten, Jorge Carpio von der Nationalen Zentrumsunion (UCN) und Jorge Serrano Elías von der Bewegung der Solidarischen Einheit (MAS) ver­treten die “neue” oder sogar “progressive” Rechte. Carpio, Bruder des augen­blicklichen Vizepräsidenten, Roberto Carpio, taucht täglich in seiner Zeitung “El Gráfico” auf und ist als Sportmäzen und Verteidiger des
Wirtschaftsliberalismus bekannt. Gegenkandidat Serrano hat enge Beziehungen zu fundamentalistischen Sekten in den USA. Er war seit 1983 im Staatsrat von Ex-Diktator Ríos Montt bis ein erneuter Staatstreich den Diktator, mit dem Serrano religiöse Erleuchtungen teilt, absetzte. Außerdem war er Berater des militärischen Geheimdienstes. Als Mitglied der Nationalen Versöhnungskom­mission und durch einen geschickt geführten Wahlkampf, der die direkte Kon­frontation mit anderen Kandidaten vermied, konnte er wieder politischen Boden gutmachen. Die Zeitung El Gráfico im Besitz von Jorge Carpio und die evangeli­schen Kanzeln der Kirche Elim, der Jorge Serrano angehört, sind die Tribünen, von denen aus die beiden Gewählten in den nächsten Wochen die Bevölkerung von ihrer Berufenheit überzeugen wollen, bevor am 6. Januar das Präsidentenamt endgültig für 1991 bis 1995 einem dieser Rechten zugesprochen werden wird, die entweder Jesus Christus oder Milton Friedman nachbeten.
Unabhängig von den Persönlichkeiten der Kandidaten werden zwei Elemente Sieg oder Niederlage bestimmen: Die 44 Prozent der eingeschriebenen Wähler­Innen, die sich bei der ersten Runde enthalten haben werden heiß umworben sein, ebenso wie die Unterstützung der anderen wichtigen Parteien, besonders der Partei der Nationalen Aktion (PAN), die große Sympathien in der Hauptstadt genießt, und der Christdemokratischen Partei (DC), die trotz ihrer Niederlage einige Bastionen auf dem Land halten konnte.

Der Dialog auf dem Weg in die Sprachlosigkeit

Darüberhinaus ist der Krieg zum zentralen Thema der Wahlen geworden. Für die guatemaltekische Bevölkerung hängt der Aufbau einer “realen Demokratie” vom Ende des Krieges ab, und dieses ist wiederum von der Entwicklung des Dialogprozesses abhängig. Der Dialog hat im März in Oslo mit dem “Abkommen über die Suche nach Frieden mit politischen Mitteln” begonnen, unterzeichnet von der Nationalen Versöhnungskommission und der Revolutionären Nationa­len Einheit Guatemalas (URNG), in der die Guerilla-Gruppen zusammenge­schlossen sind. Seitdem haben sich viele gesellschaftlich wichtige Gruppen mit der UNRG an einen Tisch gesetzt: die Parteien , die großen und mittleren Privat­unternehmerInnen, die religiösen Gruppen, die Volksorganisationen, Gewerk­schaften und Universitäten. Jetzt steht das Zusammentreffen mit der Regierung und dem Militär aus. Serrano und Carpio hatten eingewilligt, sich schon im Dezember gemeinsam mit dem amtierenden Präsidenten Cerezo mit der Gene­ralkommandantur der URNG zu treffen.
Der bisherige Präsident Cerezo war vor vier Jahren noch mit dem Versprechen angetreten, die Macht der Militärs einzuschränken und gegen die Menschen­rechtsverletzungen vorzugehen. Er wollte damit das Land in der Weltöffentlich­keit wieder hoffähig machen. Sein Scheitern wird durch Tausende von nie aufge­klärten Morden und Entführungen überdeutlich belegt. Die Präsidentschaftskan­didaten 1991 versprechen nicht einmal mehr, dies alles zu ändern. Serrano sagte in der ersten Pressekonferenz nach der Wahl: “..man muß anerkennen, daß die Militärs die Macht haben. Eine zivile Regierung hat nur die Wahl, sich gegen sie zu stellen und zu scheitern, oder mit ihnen zusammenzuarbeiten.”
Nachdem der Menschenrechtsbeauftragte harte Kritik an den Militärs geübt hatte und das Ansehen der Armee damit auch auf konservativer Seite litt, haben die Kandidaten ihre ursprüngliche Zustimmung zu einem Treffen mit Cerezo und der UNRG nun plötzlich wieder zurückgezogen. Offenbar soll die harte Linie des Kampfes gegen die Guerilla wiederbelebt werden, zurück also zu den ewigen Werten der Retter des Vaterlandes. Der Chef des Generalstabs, Roberto Mata, erklärte schon im November, die Regierung könne nur mit entwaffneten Gruppen in den Dialog treten. Der harte Standpunkt wird nun auf einmal wieder von der zivilen Rechten mitgetragen. Auch der Präsident der Zentrale der Unter­nehmerInnen, Jorge Briz, wandte sich mit der Forderung nach Waffenniederle­gung der Guerilla an die Öffentlichkeit. Die Nationale Versöhnungskommission ist damit brüskiert worden. Die vorsichtigen Hoffnungen auf die Möglichkeit eines Dialoges zur Beendigung des Krieges drohen sich dem Nullpunkt zu nähern.

Wahlen im Krieg

Seit über drei Jahrzehnten stellen sich die KämpferInnen der Befreiungsbewegung den Streitkräften der Herrschenden entgegen. Diese beiden Kräfte seien die eigentlichen Vertreter der GuatemaltekInnen, war in den letzten Tagen in mexikanischen Zeitungen zu lesen. Deshalb seien die Wahlen so absurd und unreprä­sentativ.
Bei den letzten Wahlen 1985 waren die Hoffnungen noch etwas größer: Zum ersten Mal standen ausschließ­lich zivile Kandidaten zur Wahl. Doch die Regierung Cerezo nahm dem Militär und der Agraroligarchie nicht das kleinste Stück ihrer Macht. Mit der in den letzten Monaten ständig ansteigenden Gewalt gegen das Volk, seine VertreterInnen und auch gegen die bürgerlichen PolitikerInnen zeigte die Rechte sich ungebrochen reaktionär und demonstrierte ihren Willen, jeden neuen Präsidenten genauso unter Kontrolle zu halten, wie den aus dem Amt scheidenden Vinicio Cerezo.
Der Vizepräsidentschaftskandidat der regierenden christdemokratischen Partei, Antonio Villamar, erklärte kurz vor den Wahlen, daß die Todesschwadrone besser organisiert seien als die 19 konkurrierenden Parteien. Die Schwadrone bestünden aus 7000 Männern zur Verfügung der Rechten. “Die Rechte” sei ein beschönigen­der Ausdruck für die Generäle des Heeres, die Polizeichefs, die Großgrundbesitzer und Industriellen und natürlich die nordamerikanischen Berater für Aufstandsbekämpfung, schreibt der Journalist Manuel Mora heute in der mexikanischen Zeitung “El Financiero”.
Diejenigen, die auch in der Regierungszeit Cerezo unvermindert ausgebeutet wurden, wußten, daß auch diese Wahlen nichts ändern. In den vergangenen Wochen haben verschiedene Volksorganisationen deutlich erklärt, daß sie sich durch keinen der Kandidaten vertreten fühlen. Dies wird auch an den Wahlergebnissen deutlich. Es gab 44 Prozent Enthaltungen, dazu kommen fast 30 Prozent Wahlberechtigte, die gar nicht registriert waren. In den Provinzen, in denen die Repression am härtesten ist, Quiché und Petén, erreichten die Enthal­tungen 80 Prozent und an der Südküste, an der die Baumwoll- und Kaffeeplantagen liegen, enthielten sich 70 Prozent der WählerInnen. In insgesamt 15 der 22 guatemaltekischen Provinzen lagen die Enthaltungen über 50 Prozent. WählerInnen teilten ReporterInnen mit, daß sie zur Wahl gegangen seien, um nicht als Guerilla-Sympathisanten zu gelten. Aus dem gleichen Grund hätten sie “möglichst rechts” gewählt.
Unter den 5 Prozent ungültigen Stimmen sind diejenigen, die die Wahlzettel auf Anweisung von Ex-Diktator Rios Montt durch seinen Namen ungültig gemacht haben. Die URNG hatte am 8.November dazu aufgerufen, sich bei den Wahlen zu enthalten, was in der Presse- und offiziellen Politiklandschaft Kritik ausgelöst hatte. “Die extreme Rechte und die linken Extremisten verbünden sich gegen die Demokratie”. Es erscheine wie ein schlechter Witz, “daß in Guatemala so viel über Demokratie geredet wird, während in ihrem Namen gemordet und gefoltert wird, und das Volk, das für seine Würde kämpft, entführt wird”, erklärte der Führer des Indianerrats Runujel Junám, Amílcar Méndez, am Tag nach den Wahlen. Dies sei einer der Gründe, aus dem auch er nicht gewählt habe. Die bedrohliche Situation der Indígenas sei an ihre Grenzen gelangt: “Wir stehen mit einem Bein auf der Erde und mit dem anderen über dem Abgrund”. Die nächste Regierung werde auf jeden Fall noch weiter rechts sein.

Die Stichwahl im Januar

Die Stichwahl zwischen den beiden Männern, die am vergangenen Sonntag die meisten Stimmen ergattern konnten, wird am 6. Januar stattfinden. Jorge Carpio Nicolle von der Nationalen Zentrumsunion (UCN) und Jorge Serrano Elias von der Bewegung für Solidarische Aktion (MAS) bezeichnen sich selbst als “moderne Rechte”. Damit versuchen sie, sich von der “reaktionären Rechten” abzusetzen. Beide unterlagen bei den Wahlen von 1985 dem jetzigen Präsidenten Vinicio Cerezo.
Serrano gehört einer evangelikalen Sekte an und gehörte zur Regierung des Diktators Rios Montt. Er habe die Stimmen der Montt-AnhängerInnen gewonnen, heißt es nach ersten Auswertungen. Die Militärs hätten die Macht in Guatemala, und eine zivile Regierung habe nur die Wahl, sich gegen sie zu stellen und zu schei­tern, oder mit ihnen zusammenzuarbeiten, sagte Serrano letzte Woche. In einem Interview kurz nach der Wahl erklärte Serrano, der bis zu Beginn des Wahlkampfs Mitglied der “Nationalen Versöhnungskommission” war, seine Haltung zu dem Dialogprozeß mit der URNG: “Die anderen Kandidaten verstehen den Dialog­prozeß nicht. Wir verlangen nicht, daß die Guerilla die Waffen niederlegt, um zu verhandeln. Wir sind bereit, die Verhandlungen weiterzuführen.” Auf die Frage nach seiner Beteiligung an der Regierung Montt sagte Serrano: “Es gab keinen Anstieg der Menschenrechtsverletzungen. Es gab keine Massaker, sondern einen langsamen Befriedungsprozeß. Guatemala war zu 20 Prozent vietnamisiert. Ich war nur dafür zuständig, Bedingungen für die demokratische Öffnung zu schaffen.”
Sowohl Serrano als auch Carpio vertraten vor der Wahl die Meinung, daß den Verantwortlichen für die Men­schenrechtsverletzungen verziehen und die Vergangenheit vergessen werden müsse. Nach Angaben des Obersten Wahlgerichts lautet das vorläufige Wahlergebnis: Carpio hat 25.7 Prozent der Stimmen erhalten, Serrano 24.2 Prozent. Der Kandidat der Regierung, Alfonso Cabrera, erhielt 17.4 Prozent und Alvaro Arzú von der Partei des Nationalen Fortschritts (PAN) 17.3 Prozent.

Indígena-Proteste am 12. Oktober

Der spanische König Juan Carlos verlas die Einladung zur Konferenz im “Institut für Iberoamerikanische Kooperation” in Madrid. Sie sei der geeignete Augenblick für die iberoamerikanische Gemeinschaft, so der spanische Monarch, um sich ihrer selbst bewußt zu werden. Die Konferenz solle der Welt ihren Willen zeigen, für eine brüderliche und solidarische Gemeinschaft zusammenzuarbeiten.
Nach letzten Informationen haben alle lateinamerikanischen Staatsoberhäupter – Fidel Castro eingeschlossen – die Einladung angenommen.
Währenddessen protestierten in Chile hunderte von Indígenas gegen die Gedenkfeiern am 12.Oktober. An diesem “Tag der Rasse” (día de la raza) wird in ganz Amerika die Landung von Kolumbus gefeiert. Vor dem Monument des Indígena-Führers Caupolican in Santiago de Chile hielt José Painiqueo, Vorsit­zender der “Metropolitanen Koordination der Indígena-Völker” eine Rede, in der er die Demonstration als Gedenkveranstaltung für den “Jahrestag der Invasion und die Ankunft der Fremden in unserem Vaterland” bezeichnete.
Die bolivianischen Indígenas kündigten im Zentrum von La Paz die Bildung einer eigenen Regierung für 1992 an.
In Ecuador fanden mehrere Demonstrationen gegen “den schlecht benannten Tag der Rasse” statt. “Dieses Ereignis bedeutete die Ausrottung unserer Sitten”, hieß es.
Im Südosten von Venezuela forderte der “Nationale Indio-Rat” (CNI), daß sich die lateinamerikanischen Nationen als multi-ethnische Staaten definieren sollten. Vor RepräsentantInnen von 21 venezolanischen ethnischen Gemeinschaften sagte ein Vertreter des CNI: “Wir Indígena-Völker weisen die “Entdeckung Amerikas”, den “Tag der Rasse” und die “Begegnung der Völker” als kolonialistische Begriffe zurück. Sie sollen nur den Völkermord verschleiern, der auf den 12. Oktober 1492 folgte.” Der CNI forderte eine kritische Bilanz des 500sten Jahrestages, Land- und Besitztitel für die Indígena-Gemeinschaften und einen Schutz vor dem Verkauf von Indígena-Land, um die Auslandsschulden zu bezahlen.
Panamaische Indígenas demonstrierten vor der spanischen Botschaft in ihrem Land und verlangten von ihrer Regierung, sich nicht an den Vorbereitungen zu den Feiern zum 500sten Jahrestag der Eroberung zu beteiligen.
In San Salvador versammelten sich Indígenas der Nahuatl. Vor der Statue der spanischen Königin Isabel erklärten sie den 12.Oktober zum “Tag der Trauer, an dem wir unsere Identität verloren haben”.
In San José, der Hauptstadt Costa Ricas, marschierten protestierende Indígenas durch die Stadt, während Staatspräsident Calderón ein Geschenk vor der Statue der Königin Isabel niederlegte. “Wir verlangen Personalausweise, jetzt sofort, wir sind Kinder dieses Landes”, forderten die costaricanischen Indígenas.
In Guatemala, einem der Länder mit dem höchsten Indígena-Anteil der Bevölke­rung, gaben verschiedene Volksorganisationen Stellungnahmen zum 12. Oktober heraus. Die Union der LandarbeiterInnen des Südens (UCS) forderte, die Mittel, die für diese “dummen Feiern” 1992 vorgesehen sind, für die medizinische Ver­sorgung und für Lebensmittel für die Armen auszugeben. Mit der Invasion 1492, so erklärte die UCS, habe das Leiden und die Ausbeutung der Indígena-Bevölke­rung begonnen, die bis heute andauere. Noch krasser drückte es das “Komitee für die Einheit der LandarbeiterInnen” (CUC) aus. Die Gewerkschaft verglich die von den Spaniern errichteten Kolonialdörfer mit den vom guatemaltekischen Heer geschaffenen militärisch kontrollierten Modelldörfern. “Die Spanier haben uns das Land geraubt und es an jene vergeben, die heute die Großgrundbesitzer sind”, erklärte das CUC und forderte die Rückgabe des Bodens an die rechtmäßi­gen BesitzerInnen. Die LandarbeiterInnengewerkschaft erklärte, die unterdrück­ten Völker und die armen Bevölkerungsschichten müßten sich zusammenschlie­ßen, um den offiziellen Feiern eine alternative Kampagne “500 Jahre Volks- und Indígena-Widerstand” entgegenzusetzen. Als Vorbild für den Widerstand empfahl CUC das Beispiel der geheimen Widerstandsdörfer in Guatemala. In diesen versteckten Bergdörfern leben Menschen, die vor der Repression des Hee­res geflüchtet sind.
Schon am Tage zuvor hatten auf ihrem vierten Treffen die lateinamerikanischen Indígena-Parlamentarier in Guatemala-Stadt eine Abschlußerklärung veröffent­licht. Darin kündigten sie jeglicher Form von Diskriminierung, Ausbeutung und politischer Vernichtung ihrer Völker den Kampf an und forderten die Regierun­gen ihrer Länder auf, ihre Sprache, ihre Kultur und die Institutionalisierung von Indígena-Regierungen zu unterstützen. Sie wiesen die offiziellen Feiern des Fünften Jahrhunderts der spanischen Eroberung zurück, da sie “beleidigend sind und die Indígena-Kultur zudem als touristisches Spektakel präsentiert werden soll”.
In den USA wurde folgende Erklärung des Cherokee-Indianers Jan Elliot publi­ziert: “Kolumbus war ein Mörder. Seine Landung am 12. Oktober 1492 löste einen der größten Verluste an Menschenleben in der ganzen Geschichte aus.”

Zwischen Aufstand und Verhandlung

Ein Dialog über “die Dialoge”

Maria: Laß uns als ersten Schritt beschreiben, was in jedem Land passiert.

Lea: In Guatemala hat die URNG seit März Gespräche mit den Parteien, mit den UnternehmerInnen und mit den religiösen Gruppen geführt. Ende Oktober wird sie sich mit den Gewerkschaften und anderen Volksorganisationen tref­fen. Am Ende dieses Weges sind Verhandlungen mit der Regierung und dem Militär vorgesehen. Bisher gibt es ein Abkommen, das in spanien unterzeich­nete “Abkommmen von El Escorial” (siehe LN 194/195), in dem sich die Par­teien verpflichten, eine “Verfassungsgebende Versammlung” einzuberufen. Beim letzten Treffen mit den religiösen Gruppen Ende September hat die URNG einen Katalog mit Vorschlägen für soziale, politische und wirtschaftli­che Veränderungen aufgestellt.

Maria: Die FMLN dagegen hat Ende September ihre Vorschläge in Form eines Regierungsprogramms präsentiert (siehe Artikel in diesem Heft). Der Dialog-Prozess in El Salvador ist schon weiter fortgeschritten als in Guatemala. Zwar stagnieren die Verhandlungen zwischen Regierung und Guerilla seit dem zweiten Treffen in San José im August, weil es keine Annäherung bei dem wichtigsten der sieben zu verhan­delnden Themen gibt, der Entmilitarisierung. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Prozess der Verhand­lungen selbst ein unheimlich wichtiger ist. Die Verhandlungen, die im April in Genf begonnen haben, sind schon der vierte Dialogzyklus zwischen Regierung und Guerilla seit 1984. Und die neue Qualität der Treffen in diesem Jahr ist in drei Punkten zusammen­zufassen: Allein die Tatsache, daß die Regierung Christiani überhaupt Verhandlungen akzeptiert, ist ein großer Fortschritt. Bei den Treffen 1984, 1987 und 1989 hat es sich lediglich um “Gespräche” gehan­delt. Es ist niemals soweit gekommen, daß die Regierung tatsächlich bereit war, über Strukturen der Gesellschaft zu verhandeln. Der zweite wichtige Punkt ist, daß die Verhand­lungen jetzt unter Aufsicht der Vereinten Nationen stattfinden. Das bedeutet, daß beide Verhandlungsseiten unter dem Druck stehen, sich ernsthaft um Ergebnisse zu bemühen. Der dritte wichtige Punkt ist die Einbeziehung gesell­schaftlicher Gruppen. Das heißt, beide Verhandlungs­seiten, sowohl die FMLN als auch die Regierung treten regelmäßig mit den gesellschaftlichen Kräften in Kontakt. Die Ergebnisse der nationalen Diskus­sion werden ständig in die Verhandlungen hineingetragen.

Lea: Auch in Guatemala hat es schon frühere Versuche zu einem Dialog gegeben, beispielsweise nachdem 1987 der mittelamerikanische Friedensvertrag “Esquipulas II” unterzeichnet wurde. Doch offensichtlich setzten die guatemaltekischen Militärs die Regierung Cerezo unter Druck, so daß diese das Treffen mit der URNG im September 1987 aus rein formalen Gründen abhielt, aber schon im voraus klar war, daß es platzen würde. Und warum ist bei den vorherigen Dialogrunden in El Salvador kein Ergebnis heraus­gekommen?

Maria: Bisher hat die Regierung immer gesagt: Grundbedingung für eine Verhandlung ist, daß die FMLN die Waffen niederlegt. Das hat die FMLN nie akzeptiert.

Lea: Jetzt haben also beide Regierungen zum ersten Mal in Verhandlungen eingewilligt, obwohl die Guerillas ihre Waffen behalten.

Maria: Und Cristiani hat sich darauf eingelassen, daß zuerst politische Abkom­men geschlossen werden, bevor über einen Waffenstillstand geredet wird.

Lea: Um es bis hierher zusammenzufassen: Hinter dem Wort “Dialog” verbergen sich ganz verschiedene Inhalte. Das können Verhandlungen oder Gespräche sein. Verhandlungen können nur zwischen Machtgruppen stattfinden. In Guatemala hat es bisher noch keine Verhandlungen gegeben, weil die URNG noch nicht mit Regierung oder Militär an einem Tisch gesessen hat.

“Was be­deutet aber jetzt der Dialog innerhalb
der Strategie der FMLN und der URNG?”

Maria: Sie konnte also noch keine Abkommen über eine Entmilitarisierung schließen. Bisher ging es lediglich darum, klarzustellen, welche Position jedeR vertritt. Im Unterschied zu El Salvador werden in Guatemala innerhalb der Gesellschaft Diskussionen geführt, bevor die Guerilla in Verhandlungen mit der Regierung eintritt, während diese Prozesse in El Salvador gleichzeitig laufen.

Lea: Okay, Du kannst zwar nicht mit Gruppen verhandeln, die nicht an der Macht beteiligt sind. Auf der anderen Seite kannst Du aber auch mit der Regie­rung einen Dialog führen, der über die Qualität eines Gesprächs nicht hinaus­kommt, so wie es in El Salvador in den letzten Jahren der Fall war. Was be­deutet aber jetzt der Dialog innerhalb der Strategie der FMLN und der URNG?

Maria: Die FMLN hat immer einen integrierten Kampf geführt. “Integriert” heißt Einheit von bewaffnetem Kampf mit gleichzeitigem Bemühen um Verhand­lungen und politischer Arbeit mit den Massenbewegungen. Seit zwei Jahren wird von der FMLN auch die internationale diplomatische Ebene mit einbezo­gen. Entscheidend ist, diese vier Standbeine der revolutionären Strategie zu gewichten. Bis fast Mitte der 80er Jahre war der bewaffnete Kampf das stärkste Standbein. Seitdem hat die FMLN ihre Stärke auf politisch-diplomatischer Ebene ausgebaut.

Lea: Diese generelle Strategie wird so ähnlich auch von der URNG formuliert. Sie fordert schon seit 1986 Verhandlungen mit der Regierung. Die politisch-diplomatische Ebene ist aber erst seit 1990 von einem taktischen Element zu einem strategischen geworden, neben dem bewaffneten Kampf, dem Kampf der Massen und der internationalen Arbeit. Die Begründung erscheint mir widersprüchlich. Einerseits sagen sie optimistisch, auf diesem Gebiet ist jetzt etwas zu erreichen, auf der anderen Seite sieht die URNG die Befreiungs­bewegungen in einer defensiven Position. Durch den Ausbau der militärischen Hegemonie der USA nach der Intervention in Panama, der Regierungsüber­gabe der SandinistInnen in Nicaragua und der Auflösung des sozialistischen Lagers hätten sich die äußeren Bedinungen so verschlechtert, daß eine Revolu­tion im Augenblich nicht möglich sei.

Maria: Aber ich glaube, es geht nicht darum, die verschiedenen Ebenen der Stra­tegie gegeneinander auszuspielen. Für die FMLN war die Novemberoffensive die Grundlage für die jetzigen Verhandlungen, ohne die die Unternehmer heute nicht so einen Druck auf die Regierung ausüben würden. Sie haben materielle Verluste durch die Offensive der Guerilla gehabt und wollen jetzt politisch verhandeln. Eine Ebene unterstützt die andere. So wie die internatio­nale Diplomatie der Comandantes der FMLN dazu beigetragen hat, daß sie heute von der Regierung als politischer Machtfaktor ernster genommen wer­den. Aber beide Ebenen wären ohne den bewaffneten Kampf nicht denkbar. Also, für die FMLN und die URNG sind die Verhandlungen wichtig als Teil ihrer Strategie. Aber ebenso wichtig ist die politische Arbeit. Und ein Aus­druck davon ist der Diskussionsprozess innerhalb der Gesellschaft, das Suchen nach dem “Nationalen Konsens”.

Lea: Genau, der “Nationale Konsens” ist auch eines der viel benutzten Schlag­wörter.

Innerhalb eines ungünstigen Rahmens Spielräume schaffen…

Maria: Aber er ist mehr. Jetzt ist die Guerilla ernsthaft bereit, über ein Gesell­schaftsmodell mit Gruppen zu diskutieren, die bis vor einigen Jahren nur mit Waffen bekämpft wurden. 1986 hat die FMLN zum ersten Mal einen Konzer­tationsprozess allen Kräften des Landes ohne Ausnahme angeboten: “Es schliessen sich nur diejenigen selbst aus, die keine politische Lösung wollen”.

Lea: Eigentlich ist es nur ein sprachlicher Unterschied: Die URNG sagt, daß sie einen “Nationalen Konsens” schaffen will, der nur die Agraroligarchie und die reaktionärsten Teile des Militärs ausschließt.

Maria: Wenn wir jetzt sagen, daß es ein Erfolg für die Guerilla ist, mit der Regie­rung zu verhandeln, woran ist dieser Erfolg dann gemessen? Noch vor einigen Jahren galt für die FMLN: Ende des Krieges, das heißt, Sieg durch bewaffneten Kampf, gleich Machtübernahme. Diese Gleichung stimmt heute so nicht mehr. Die erste Hälfte – Sieg durch bewaffneten Kampf – wird heute von den Befrei­ungsbewegungen als unrealistisch angesehen und die zweite Hälfte, die Machtübernahme, ist zwar weiterhin das Ziel, aber es ist weiter in die Ferne gerückt.

Lea: Das heißt, daß versucht wird, innerhalb eines ungünstigen Rahmens Spiel­räume zu schaffen. Das hat ein ganz wichtiges Ergebnis: Die Befreiungsbewe­gungen sind diejenigen, die die Spielräume mit Waffen und am Verhand­lungstisch durchsetzen. Diese Spielräume werden aber von allen Volksorgani­sationen genutzt. So daß das langfristige Ziel, nämlich eine Änderung der Gesellschaft, von mehr Gruppen bestimmt wird, als nur von den bewaffneten. Das ist etwas worauf die URNG und die FMLN viel Wert legen. Ein Chef­kommandant der URNG hat das so ausgedrückt: “Für eine sozialistische Gesellschaft muß sich das guatemaltekische Volk selbst entscheiden, das werden wir, die Revolutionäre, ihm nicht aufdrücken”.

Maria: Auch die FMLN redet jetzt nicht vom Sozialismus, sondern von der “Demokratischen Revolution”. 1989 hat Joaquin Villalobos von der FMLN geschrieben: “Der Schritt zu einer Radikalisierung der Massen ist die Antwort auf die Repression und die Unterdrückung des Regimes, das keine Zugeständ­nisse machen will”. Vielleicht ist es möglich, aus dem Zitat den umgekehrten Schluß zu ziehen: Der Guerilla werden zur Zeit Spielräume eingeräumt. Dadurch hat sie die Möglichkeit, ein weniger radikales Element, die Verhand­lungen, in ihre Strategie zu integrieren. Der Grund, ihnen diese Spielräume zuzugestehen, beruht auf der Einschätzung, daß – durch die Veränderungen im Ost-West-Konflikt und in Nicaragua – die Guerilla schwächer sei. Das ist die Widersprüchlichkeit: Spielräume zu bekommen, aufgrund einer ange­nommenen Schwäche, diese aber zugleich auszunutzen zur Stärke.

Lea: Um zu verstehen, warum diese Verhandlungen eine Hoffnung bedeuten, war es für mich wichtig, mir klar zu machen, wie lange in den beiden Ländern schon gekämpft wird, wie lange es die Guerilla schon gibt, nämlich 30 Jahre in Guatemala und 20 Jahre in El Salvador. Und in beiden Ländern wurden die Revolutionen ja schon versucht, nämlich nach dem Sieg der SandinistInnen in Nicaragua. Und stell Dir vor, was das gekostet hat, wieviele Menschen schon gestorben sind! In der URNG gibt es dazu sehr kritische Stimmen: “Als wir dachten, die Revolution steht kurz vor der Tür, haben wir andere Mittel vernachlässigt und sind gescheitert; damals haben sich die Volksorganisatio­nen erhoben und sind ins Verderben gerannt”.

Maria: Ist denn die Guerilla wirklich in der Defensive, weil sie nicht militärisch die Macht ergreifen kann?

Lea: Andererseits kann sie ja auch nicht militärisch besiegt werden. – Das Paradox besteht doch darin: In beiden Ländern wird heute mit Waffen dafür gekämpft, eine Gesellschaft zu schaffen, in der der Zugang zur Macht ohne Waffen möglich ist. Für uns riecht das nach bürgerlicher Demokratie.

Maria: Ja, und innerhalb der FMLN werden auch sozialdemokratische Stand­punkte vertreten. Standpunkte, die ich nicht als radikal bezeichnen würde, aber die sie mit so radikalen Mitteln, mit Waffen, erkämpfen müssen. Die Schwierigkeiten, diesen ganzen Prozess klarzukriegen, hängen damit zusam­men, daß wir aus Europa kommen. Wir denken die Begriffe “Demokratie”, “bürgerlich” und “sozialdemokratisch” so, wie wir sie von uns kennen.

Lea: “Links” ist auch so ein Begriff. Für uns ist die Guerilla immer “links”. Links, aber in welcher Gesellschaft? Neulich hat jemand gesagt, die Guerilla entsteht nicht aus der extremen Linken sondern aus der extremen Notwendigkeit.

Bundesregierung stellt Polizeihilfe für Guatemala ein

Hugo Christen, bundesdeutscher Berater des Polizeidirektors von Guatemala, ist zutiefst frustriert. “Während ich hier von Ministern empfangen werde, nimmt mich in Bonn kaum noch jemand ernst.” Vor wenigen Tagen mußte der ehema­lige Polizist aus dem rheinischen Bergheim seine größte Enttäuschung er­leben: Die Bundesrepublik wird spätestens Ende dieses Jahres ihre Polizeihilfe an Guatemala einstellen, sagte Christen einer deutschen Studentendelegation in Guatemala-Stadt.
Seit 1986 hat die Bundesregierung die guatemaltekische Polizei mit Gelände­wagen, Omnibussen, Motorrädern und der technischen Ausrüstung für eine Reparaturwerkstatt versorgt sowie die Erweiterung einer Polizeischule finan­ziert. Die Polizeihilfe umfaßte ein Volumen von 10,6 Millionen Mark, aller­dings sind nach Angaben von Christen etwa drei Millionen Mark noch nicht an das guatemaltekische Innenministerium überwiesen worden. Ob sie noch ausge­zahlt werden sei noch unklar. (Klar ist jedenfalls, daß sie dringend zur Polizeiaufrüstung im Osten gebraucht werden; d.Säzzer)
Noch am 20. September hatte der ehemalige Polizist in einem bislang unver­öffentlichten Zwischenbericht für das Bundesinnenministerium vehement dafür plädiert, auch in Zukunft mit deutschem Geld die Schlagkraft der gua­temaltekischen Polizei zu sponsern. Die zugesagten Mittel würden nicht aus­reichen , um die geplante Errichtung einer neuen Polizeischule zu finanzie­ren.
Die Finanzspritzen für die guatemaltekische Polizei waren in den vergangenen Jahren ein ständiger Kritikpunkt, da damit ein Sicherheitsapparat unterstützt wurde, der für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war.
Wie weit die mit bundesdeutschen Geldern geputschten Reformbemühungen bislang gediehen sind, hat die Polizei in den vergangenen Wochen selbst ein­drucksvoll unter Beweis gestellt. Völlig hilflos steht sie der eskalierenden Gewalt von paramilitärischen Verbänden und Todesschwadronen gegenüber, die vor allem Gewerkschafter, Studenten, oppositionelle Politiker und Aktivisten von Indigena-Organisationen entführen, foltern und umbringen.
Im August wurden nach Angaben der guatemaltekischen Nachrichtenagentur Cerigua 139 Menschen entführt, ermordet oder Opfer von Anschlägen, im September 181 Personen. In den ersten beiden Oktoberwochen wurden 53 Fälle registriert. Die Ermittlungsergebnisse der Polizei sind beschämend: Kaum ein Verbrechen wurde aufgeklärt, die Polizei führe nicht einmal “eigene diesbezüg­liche Statistiken”, räumt Christen ein.
Die guatemaltekischen Behörden bezichtigen sich derweil gegenseitig für die Er­folglosigkeit der offiziellen Untersuchungen verantwortlich zu sein. Der guatemaltekische Innenminister General Morales gibt dem Justizapparat die Schuld: “Er ist der korrupteste von allen”. Der Präsident des obersten Gerichts­hofs Edmundo Vázques Martínez sagte, den politisch Verantwortlichen fehle der Wille, die Fälle aufzuklären. Und der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Ramiro de Leon, schob der Polizei den schwarzen Peter zu. “Sie ist korrupt und unfähig, sie ist die schlechteste, die man sich vorstellen kann.”
Tatsächlich ist der Versuch, mit deutschen Millionen einen sich an rechtsstaat­lichen Normen orientierenden Polizeiapparat aufzubauen, schon vor zwei Jahren kläglich gescheitert. 1988 mussten Innenminister Juan Jose Rodil und der Chef der Nationalpolizei, Julio Caballeros, zurücktreten. Ihre Entlassung hatten rebel­lierende Militärs im Mai 1988 gefordert.
Rodil hatte nach dem Amtsantritt der Regierung des Christdemokraten Vinizio Cerezo 1986 einen ehrgeizigen Plan entwickelt: Er wollte die Polizei zu einem effizienten Instrument der Verbrechensbekämpfung, die nicht auf Repression und Folter angewiesen ist, ausbauen. Der Hintergedanke: Die Polizei sollte gleichsam ein Gegengewicht zu der übermächtigen Armee werden. Der Innen­minister konnte in seiner Amtszeit zwar tatsächlich einige spektakuläre Erfolge aufweisen – unter anderem liess er den Direktor der Finanzpolizei, Oberst Oscar Diaz Urquizu, als Chef einer Entführerbande verhaften – er verlor jedoch den Machtkampf mit den Militärs. Im Oktober des vergangenen Jahres urteilte er über seine Reformversuche: “Selbst von zehn Prozent Erfüllung zu sprechen ist gewagt. Leider waren alle meine Nachfolger der Meinung, daß das Programm gestoppt werden müßte.”
Eine vernichtende Bilanz der bundesdeutschen Polizeihilfe zog auch der grüne Bundestagsabgeordnete und Ex-Polizist Manfred Such im Juni des vergangenen Jahres nach einem Besuch in Guatemala: “Die Nationalpolizei ist nach wie vor an Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen beteiligt”, die bundesdeutschen Millionen hätten lediglich eine “Verfeinerung des Repressionsapparates” bewirkt. Die Grundbedingung für eine Polizeireform, so erkannte Such, sei die Trennung von Armee und Polizei. Die wurde jedoch gerade durch die Einführung von SIPROCI, einer neuen Koordinationsinstanz zwischen Polizei und Streitkräften zusätzlich verstärkt. Ex-Innenminister Rodil räumt freimütig ein: “Jetzt ist es so, daß das Militär die Polizei für ihre militärischen Operationen einspannt.”
Obwohl diese Kritikpunkte dem Bundesinnenministerium bekannt sind, hat es jahrelang bereitwillig die Geldschatulle für die guatemaltekische Polizei geöffnet. Hugo Christen verbreitet sogar in seinem Report noch frohgemut die Erwartung, daß mit deutschem Geld “schon bald ein demokratisch-rechtsstaatlicher Geist in die gesamte Polizei einziehen” werde. Notwendig seien lediglich weitere bundes­deutsche Finanzspritzen für den guatemaltekischen Sicherheitsapperat. Christen weiß um die Finanzsorgen der guatemaltekischen Kollegen. Von den 10,6 Millio­nen DM ist ein Fünftel schlicht veruntreut worden. Das guatemaltekische Finanzministerium habe Anfang 1989 rund 3 Millionen Quetzales (nach dama­ligem Kurs nahezu 2 Millionen DM) nicht weitergeleitet, sondern für “andere dringende Verpflichtungen verausgabt”, enthüllt der Polizeibeamte in seinem Be­richt. Der Finanzskandal hat Folgen: Für den geplanten Neubau einer Poli­zeischule fehlt das Geld. Daher “hofft Guatemala auf weitere deutsche Hilfe” ansonsten drohten nun die gesamten Bemühungen, den Polizeiapparat zu refor­mieren, zusammenzubrechen, lamentierte Christen.
Und mit einer verblüffenden logischen Schärfe versucht er in seinem Zwischen­bericht seinen Vorgesetzten im Bundesinnenministerium die Lage vor Ort zu er­klären: Mit einer weiteren Unterstützung der Polizei “kann der Menschenrechts­situation mehr geholfen werden, als mit der Verlegung von wasserführenden Rohren, Strassenbau oder wenig erfolgreicher Wiederaufforstung.

Quelle: Cerigua 8. Okt. 1990

“Guatemala-Reisehandbuch – Alternativtouristische Realsatire”

Tourismus nach Guatemala? Nachdem das Tourismusgeschäft in und mit Guatemala An­fang der 80er Jahre wegen international verbreiteter Nachrichten über einen eskalierenden Antigue­rillakrieg und Massaker an der Zivilbevölke­rung eine Flaute erlebte, können seit 1986 unter der zivilen Regierung Cerezo trotz anhaltender Re­pression und militäri­scher Auf­standsbekämpfung wieder anstei­gende Touristen­zahlen verzeichnet werden. Alte Kult­stätten der Mayas und das Er­scheinungsbild der indianischen Bevölkerungs­mehrheit, kombi­niert mit Naturschön­heit, locken trotz Tourismus­boykottkampagnen von Solidaritäts­gruppen auch und gerade den “Alternativtourismus” an. In diesem Trend wirbt auch das neu im Ver­lag edition aragon erschienene erste “kritische” deutschspra­chige “Dritte-Welt Reise­handbuch Guatemala” für Reisen in “das kulturell, histo­risch und eth­nologisch wohl inter­essanteste Land Mittel­amerikas”. Die Autorin, die österrei­chische Journalistin Han­nelore Rudisch-Gissenwehrer, will mit ihrem Buch die of­fensive These vertre­ten, daß “Reisen in Entwicklungsländer eine posi­tive Seite haben, wenn man nicht in einer Art Kolonisatoren-Mentalität aus­schließlich die touristischen Qualitä­ten des Landes genießt, sondern bereit ist, die Augen auch gegenüber Schwierig­keiten und Problemen zu öffnen.”
Der Inhalt, in Form eines chronologisch Tag für Tag erzählten Rei­setagebuches über den ersten und einzigen, nur 3-wöchigen (!) Auf­enthalt der kaum spanisch sprechenden Autorin in Gua­temala, ange­reichert mit Reisetips und hineingestreu­ten “Hintergrundinformationen”, lie­fert aber eher einen unbeab­sichtigt geradezu re­alsatirischen Anschauungsunterricht, wie weit dieser Anspruch mit der Wirklich­keit der/s Reisenden auseinanderklaffen kann. Touri­stische Selbstbezo­genheit ei­nerseits, sich selbst be­weihräuchernde “Betroffenheit” anderer­seits, mischen sich da mit der Idealisierung der “edlen Wilden” sowie Greuelstories über Mili­tärherrschaft zu einem extremen Negativbeispiel von “engagiertem Reisejournalismus” und “Alternativtourismus”.
Im ersten Teil des Reisehandbuches beschreibt die mehrfach prä­mierte und schon in un­zähligen Ländern herumgereiste Journali­stin ihre kurzfristige Einla­dung und Teilnahme an einer organi­sierten Journalisten­reise, die im insgesamt einwö­chentlichen Ab­klappern der üblichen Tourismus­orte wie Antigua, Tikal, Panaja­chel und Chi­chicastenango besteht. Ihre Umgebung sind Luxus­hotels mit Marimba­combos am Swimmung­pool, einzige Gesprächs­partner au­ßer einem Reiseleiter der staatlichen guatemaltekischen Tou­rismusbehörde der österreichi­sche Konsul, österreichische Lehrer und Präsident Cerezo höchstper­sönlich bei einer Stippvisite in seiner Finca. Daneben bemüht sich die Autorin, eth­nologische und historische Standardlektüre zu Guatemala einzuflech­ten, was allerdings auf­gesetzt und zufällig bleibt. So widmet sie entspre­chend der ver­wendeten Litera­tur der Zu­sammenfassung des “Bananenkriegs” von Schlesin­ger/Kinzer über die US-Interven­tion und den Militärputsch 1954 immerhin ganze 12 Seiten, verliert aber kaum ein Wort über Hinter­gründe und Geschichte der heu­tigen Guerilla­organisationen oder über aktuelle Gewerk­schafts- und Massenbewe­gungen. Politische Einschätzun­gen plädieren zwar emotional und überbetont für die Seite der “Unterdrückten”, sind aber pauschal oder personali­sierend: Die In­formationen über den Massenter­ror unter Militär­regierungschef Rios Montt 1982/83 werden eingebettet in Beschrei­bungen seines fundamentalisti­schen, reli­giösen Fa­natismus; der christdemokratische Präsident Cerezo erscheint mal als engagierter Sozialrefor­mer, dem leider die Hände gebunden sind, mal als Bünd­nispartner im Block der Mächtigen gegen die Entrechteten.
Insgesamt ergibt sich so ein folkloristisches Schwarzweißbild einer “Bananenrepublik” als Hinterhof der USA mit Korruption, “grundlosen” Massa­kern, militärischer Gewaltherr­schaft, unge­rechter Landverteilung, extremer Aus­beutung usw., das aber dar­überhinaus keine innere Widersprüchlichkeiten, poli­tische, kul­turelle und sozioökonomische Differenzie­rungen oder Bezüge zu europäischen Industrie­ländern wahrnimmt, die als “westlich”, “demokratisch”, “ruhig” und “zivilisiert” immer wieder das Gegen­bild liefern. Diese Kulisse ist aber nur der Hintergrund der Reise­beschreibung, die sich ansonsten wechsel­badartig den Ho­tels, schönen Blumen und Land­schaften, Unbehagen beim Anblick von Militärs und aus­führlich indiani­schen Trachten und verschiedenen Mayakultstätten zuwendet.
Im zweiten Teil, in dem historische und politische Informationen gänzlich rar werden, driftet die Autorin bei der minutiösen Be­schreibung ihrer Tagesabläufe während einer zweiwöchigen Al­leinreise – ebenfalls fast nur durch Tourismus­gebiete und Provinz­hauptstädte – völlig in Selbstbezogenheit ab. Keine dramati­sierende Wie­derholung von Langeweile, Darmproblemen, Ekel vor der gua­temaltekischen Küche (die sie nie zu testen wagt) oder Pensionen (“Viehställe”) wird der LeserIn er­spart. In ihrer Naivität immerhin unglaublich und peinlich offen lesen sich diese Litaneien wie eine entlarvende Charakterstu­die der/s europäischen “AlternativtouristIn”: Stolz überwundene Abenteuer mit Sprach-, Ess-, Transport oder Krankheitsproblemen vermischen sich da mit der aus gehörten Schüssen und Autos mit schwarzgetönten Schei­ben immer wieder selbst inszenierten Kulisse ei­nes Bürgerkrieges, von dem die Autorin sich unmittelbar betroffen und bedroht fühlt. Dazu kommt neben dauernder Angst, bestohlen oder übers Ohr gehauen zu werden ein unglaublicher Geiz bei der Über­prüfung von Prei­sen und Wechselkursen und Stolz auf die Bescheidenheit der eigenen Geld­ausgaben. Bei soviel hauptsäch­lich in der Phanta­sie genährten Bedrohungsgefühlen ist es kein Wunder, daß sich unsere Jour­nalistin ebenso typisch zwar als erste und ein­zige Er­kundschafterin fühlen möchte, gleichzeitig aber einsam und ver­zweifelt Kontakt und Verbündet­heit mit anderen Auslände­rInnen sucht.
Mit der guatemaltekischen Bevölkerung wechselt sie nämlich in ihren 3 Wo­chen nur we­nige, aber immer stolz zitierte Worte. Den­noch fühlt sich Hannelore Rudisch-Gissenwehrer bald als Kenne­rin des “auffallend friedlichen und sanften Wesens der Indios” und grenzt sich perma­nent gegenüber anderen TouristInnen durch ihre doch so viel taktvollere Umgehens­weise mit denselben ab, nimmt sich dabei einerseits ungeheuer wichtig in ihrer Angst zu stören und will gleichzeitig schon dazugehören, schwärmt von Glücksge­fühlen in “Zivilisationsferne” und läßt kein Klischee über die als völlig homogen angesehene indianische Bevölke­rung aus: “Stolz”, “friedliebend”, “würdevoll”, “lächelnd”, “schüchtern”, “still”, “traditionell”, “naturnah”, “tierlieb”, “kindlich”, “samthäutig”, “knopfäugig”, “zartgliedrig” sind die meistverwandten verniedli­chenden und idealisierenden At­tribute für die – meist nur im Bus oder auf Touristenmärkten beobachtete – Hochland­bevölkerung; dementsprechend ergeben sich aus diesem positiven Rassismus unge­heuer arro­gante Bemerkun­gen der Autorin über indianische Naivität, Abge­stumpftheit, Unter­würfigkeit, Unzivilisiertheit und “Wirtschaft im Steinzeitniveau” sowie Anal­phabetismus, und die Vorstellung einer völlig stati­schen, unpolitischen traditionsver­hafteten Welt­sicht.
Fazit: Unglaublich, wie anscheinend allein das Renommee der Au­torin dazu aus­reichte, dieses bornierte und noch dazu mit falschen Jahreszahlen und falscher spanischer Schreibweise belassene Ta­gebuch als “kritisches” Guatemala­reisehandbuch herauszugeben.
Allerding können solche Ergüsse nicht nur ebenso abgrenzend und selbstherr­lich belä­chelt werden, sondern der Analyse des eigenen Reiseverhaltens und -wahr­nehmung als sati­rischer Zerrspiegel dienen, der schonungslos auf die Wider­sprüche, Sprunghaftigkei­ten und uneingestandenen Faszinationen von “Alternativ”- oder “Polittourismus” hinweist!

Hannelore Rudisch-Gissenwehrer: GUATEMALA-“DRITTE-WELT” REISEHANDBUCH; edition aragon; Moers 1990; ISBN 3-924690-37-5

Die Qual der Wahl

Am 11. November sollen die GuatemaltekInnen einen Präsidenten, seinen Vize, die nationalen und kommunalen Parlamentsabgeordneten und die Repräsen­tantInnen für das Zentralamerikanische Parlament wählen. So viele Kreuze und eigentlich steht nichts zur Wahl. Am 9. Juni wurde der Wahlkampf offiziell eröffnet. Die Suche nach ernsthaften politischen Standpunkten haben mittler­weile wohl alle BeobachterInnen aufgegeben. Um weiter täglich die Meldungen zu verfolgen, ist eine gehörige Portion von schwarzem Humor nötig. Die Wahl­kampfnachrichten hätten eher einen Platz im “Kuriositätenkasten” verdient als in den öffentlichen Medien. Skandale, Tumulte und Absurditäten beherrschen den Kampf um die WählerInnengunst. Da taucht eine “Feministische Partei Guatemalas” auf. Ein Lichtblick zwischen den 19 eingeschriebenen Mitte- bis Rechtsaußen-Parteien? Bis sich herausstellt, daß die Frauen, die sich als national-humanistisch bezeichnen, am liebsten einen General als Präsidenten hätten. Ihr Wunschkandidat war Benedicto Lucas, Generalstabschef während der Diktatur seines Bruders Romeo Lucas von 1978 bis 1982. Doch der General lehnte ab – sich von Frauen unterstützen zu lassen, bringt einem Militär in einer machistischen Gesellschaft mehr spitze Bemerkungen ein als Stimmen. Der neue Mann der “Feministinnen” heißt Galvez Pena und gilt als einer der Köpfe des Drogen­handels in Guatemala. Ging es den Damen aus gutem Hause etwa ähnlich wie dem Vorsitzenden der Partei “Front für Nationalen Fortschritt”, Herrn Maldonado? Dieser hatte kürzlich zum besten gegeben, daß er die Partei gegründet habe, weil er nichts besseres zu tun hatte.
Es ist eine der traurigsten Absurditäten, daß der Begriff “Feminismus” jetzt sogar von ultrarechten Frauen mit einer Vorliebe für ausgesprochen autoritäre Männer besetzt wird. Die anderen Rollen, die die Frauen auf der Bühne der guatemal­tekischen Regierungs- und Parteipolitik spielen, sind zwar überwiegend komisch, lassen das Lachen aber im Hals stecken bleiben.
Die Präsidentengattin und stellvertretende Generalsekretärin der Christdemo­kratischen Partei, Raquel Blandón de Cerezo, weihte vor einigen Wochen eine Ausstellung im Nationalpalast ein, die den Titel trug: “Die Frau in der Demo­kratie”. Auf den 110 Fotografien ist 97mal Frau Blandón zu sehen.
Die Tochter des Ex-Diktators Ríos Montt, die seine Wahlkampagne leitet, stiftete Tumulte im Parlament an, als sich dort die Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung von 1985 trafen. Sie äußerten dabei die Meinung, daß die Präsidentschaftskandidatur von Ríos Montt verfassungswidrig sei und bekamen von wütenden AnhängerInnen des Generals Chili in die Augen gestreut.
Wie kein anderer Präsidentschaftskandidat hat Ríos Montt die Aufmerksamkeit im Ausland auf sich gezogen. In seiner 16monatigen Regierungszeit von 1982 bis 1983 wütete der General unter der Landbevölkerung. Um der Guerilla das Wasser abzugraben, ordnete er die systematische Zerstörung von über 400 Dörfern an. Während dieser Zeit wurden schätzungsweise 15 000 Menschen getötet. Seine jetzige Kandidatur wurde in einer US-amerikanischen und einer bundesdeutschen Zeitung als Wunsch der GuatemaltekInnen nach einer starken Hand und nach einer Diktatur interpretiert. Verständlicherweise war mensch in Guatemala empört. “Es gibt Sektoren, die sehr unglücklich über die Regierung Cerezo sind, das ist wahr; aber keinE GuatemaltekIn sehnt sich nach einem Diktator. Es ist schon unangenehm, einem nationalen Politiker zuzuhören, wie er sich als Repräsentant ‘seines’ Volkes bezeichnet; es ist es noch mehr, wenn einE AusländerIn, die das Land nicht kennt, sich anmaßt, für ‘die GuatemaltekInnen’ zu sprechen”, antwortete die größte guatemaltekische Tageszeitung in einem Editorial auf den Artikel der US-amerikanischen Zeitung.

Zweifelhafte Wahlslogans

Ríos Montt bleibt trotzdem ein Phänomen. In Wahlumfragen konnte er die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Obwohl diese Umfragen bekanntlich zweifelhaft sind, erschreckt es, daß er überhaupt wieder soviel Einfluß bekommen konnte. Am ehesten wird dieser Einfluß noch durch die charis­matische Persönlichkeit des evangelikalen Predigers erklärt. Bei seinen Wahlauf­tritten schaut Ríos Montt seinem Publikum tief in die Augen, dann zückt er seinen Zeigefinger wie eine Waffe: “Ich möchte die guatemaltekische Familie um Aufmerksamkeit bitten. In ihrem Schoß werden die Regierenden gemacht. Die erste und einzige große Schule der Politik ist das Heim. Dort werden die Regeln des Zusammenlebens erstellt und dort materialisiert sich die Kunst des Regierens.” Und dann sagt er auch etwas über Wirtschaftspolitik: “1. Geben Sie nicht mehr aus als Sie verdienen. Glauben Sie nicht, daß die Mittel den Zweck heiligen. 2. Laßt uns nur das Unverzichtbare kaufen und das Unnötige ver­meiden. Die Mauern, die antagonistische politische Philosophien getrennt haben, sind gefallen, und jetzt können sie uns keine Ammenmärchen mehr erzählen. Die Familie ist die Grundlage der Gesellschaft. Sie muß gestärkt werden, um die Nation zu versöhnen. Wie? Indem wir Gott lieben und fürchten.”
Bei Ríos Montt weiß mensch immerhin noch, woran sie ist. Von den anderen Parteien bleiben nur die Wahlslogans im Ohr, die täglich über Fernsehen und Rundfunk ausgestrahlt werden. In der Reihenfolge ihrer Stimmengewinne bei Wahlumfragen:
“Weil er ein Führer des Volkes ist, Jorge Carpio, jetzt!”- Union des Nationalen Zentrums
“Arzú, antworte!” – Partei des Nationalen Fortschritts
“Alfonso, ein Mann des Volkes!” (Vamos con Alfonso, todo el pueblo a ganar, porque Alfonso es del pueblo, esperanza popular!) – Christdemokratische Partei
“Mit Serrano findet sich eine Lösung!” – Bewegung für Solidarische Aktion
“René ist anders!” – Sozialistische Demokratische Partei
“Ingenieur Lee, Präsident!” – Revolutionäre Partei
“Wähle den Oberst Sosa Avila!” (Para un mal general, un buen coronel) – Nationale Befreiungsbewegung.
Sosa Avila, ein Waffenbruder von Ríos Montt, will diesen als “übergeordneten Minister” einsetzen, falls seine Partei, die rechtsextreme Nationale Befreiungs­bewegung, die Wahlen gewinnt. Der Vizepräsidentschaftskandidat dieser Partei, David Eskenasy, kündigte an, im Falle eines Wahlsiegs in den ersten 72 Stunden alle SchwerverbrecherInnen erschießen zu lassen. So verwundert auch die Stel­lungnahme der guatemaltekischen Bischofskonferenz nicht mehr: Wenn sie keine Partei für eine gute Regierung finden könnten, sollten die WählerInnen für die am wenigsten schlechte stimmen, raten die Geistlichen. Außerdem sollten die GuatemaltekInnen einen Kandidaten suchen, dessen “Hände unbefleckt vom Blut seiner Landsleute” seien.
Am allerwenigsten verwundert es, daß die Prozentzahl der “Unentschiedenen” von Umfrage zu Umfrage wächst. Mindestens 40% der Befragten wissen nicht, für wen sie stimmen sollen oder wissen, daß sie überhaupt nicht zur Wahl gehen werden. Zum Vergleich: Der Kandidat mit den meisten Stimmen, Ríos Montt, erhielt bei der letzten Umfrage 19 Prozent. Doch die Herren wollen gerne ge­wählt werden und die Herrschenden brauchen eine Legitimation. Die aner­kannteste Legitimation sind Wahlen. Viele WählerInnen, ein großer Teil der Landbevölkerung, leben in militärisch kontrollierten Gebieten. Dort haben die Militärs schon exemplarisch einzelne Personen bedroht, die geäußert haben, sie würden nicht wählen wollen. “Wer nicht wählt, ist subversiv, der gehört zur Guerilla, der wird getötet”, warnen die Militärs die Landbevölkerung, laut Erzählungen von BäuerInnen.
Daß Wahlen etwas mit Demokratie zu tun haben, darauf kommt die Beo­bachterin des guatemaltekischen Wahlkampfes nie.

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