Kniefall vor Washington

Neue außenpolitische Ausrichtung Milei blickt nach “Westen” (Foto: Cancillería Argentina)

Auch wenn man es als Lappalie abtun könnte: Die Symbolkraft ist nicht zu unterschätzen. Gleich zwei Mal erklang Anfang April auf argentinischem Staatsterritorium die Hymne der Vereinigten Staaten. Beide Male intoniert vom Orchester der Streitkräfte, beide Male im Beisein des ultralibertären Präsidenten Javier Milei und der Chefin des Südkommandos der US-Streitkräfte (Southcom), Laura Richardson.

Die Szenen wurden sowohl in der argentinischen Presse als auch in den sozialen Medien heiß diskutiert. Auch, weil nur kurz zuvor der Opfer des Malwinen-Krieges gedacht worden war. 1982 hatte Washington fest an der Seite des Vereinigten Königreichs gestanden. London hält die Inselgruppe im Atlantik bis heute unter Kontrolle.

Die Anekdote zeigt: Der Wind in der argentinischen Außenpolitik hat sich gedreht. In den Worten von Milei geht es um nicht weniger als eine „neue Doktrin in der Außenpolitik“. Das betonte er anlässlich des Besuchs von Richardson am 5. April. „In dieser vernetzten Welt, in der die Grenzen verschwimmen, was direkte Auswirkungen auf unsere Souveränität hat, ist es fundamental, strategische Allianzen zu schmieden“, sagte der Staatschef weiter. Die Grundlage dafür stelle ein „gemeinsames Weltbild“ dar.

Was sich Milei unter solch einer „strategischen Allianz“ vorstellt, machen er und Vertreter*innen seiner Regierung nahezu im Wochentakt deutlich. Zuletzt traf sich der argentinische Verteidigungsminister Luis Petri am 18. April in Brüssel mit dem stellvertretenden Generalsekretär der NATO, Mircea Geoană. Beim Besuch im Hauptquartier des Militärbündnisses übergab Petri das Gesuch seines Landes, als sogenannter globaler Partner in den Pakt aufgenommen zu werden.

Zwar ist ein „globaler Partner“ kein Vollmitglied – diesen Status dürfen derzeit nur Staaten Europas sowie die USA und Kanada innehaben –, trotzdem sind auf die Art assoziierte Länder militärisch eng an die NATO gebunden. So tauschen sie beispielsweise nachrichtendienstliche Erkenntnisse aus oder nehmen an gemeinsamen Einsätzen teil. Auch in den Bereichen Aus- und Aufrüstung, Ausbildung sowie Forschung gewährt der Status Vorteile für „globale Partner“. In Lateinamerika hat derzeit nur Kolumbien diesen Status inne.

Geoană zeigte sich erfreut über das Gesuch vom Río de la Plata. In einer nach dem Treffen verbreiteten Erklärung heißt es: „Argentinien spielt eine wichtige Rolle in Lateinamerika, und ich begrüße das heutige Ersuchen, die Möglichkeit einer NATO-Partnerschaft zu prüfen.“ Eine „engere politische und praktische Zusammenarbeit“ sei „für beide Seiten von Vorteil“. Wie schnell es mit der Aufnahme tatsächlich gehen wird, ist allerdings ungewiss. Notwendig für diese ist die Zustimmung aller 32 Mitgliedstaaten des Bündnisses. Gerade die Großbritanniens gilt angesichts des Konflikts um die Inselgruppe Malwinas (engl.: Falklands) keineswegs als sicher.

Auf die Unterstützung der USA dürfte Milei indessen zählen können. Das machte Washington noch am Tag von Petris Brüssel-Besuchs deutlich. So kündigte die US-Botschaft in Argentinien an, dass die Vereinigten Staaten dem südamerikanischen Land 40 Millionen US-Dollar „ausländischer Militärfinanzierung“ zur Verfügung stellen werden – ein „Zuschuss, der den wichtigsten Partnern vorbehalten ist“. Mit dem Geld solle die „Modernisierung der Verteidigungsfähigkeiten“ unterstützt werden. Es sei das erste Mal seit 2003, dass Argentinien eine derartige Finanzspritze aus Washington erhalte.

Buenos Aires kann das Geld gut gebrauchen. Nur wenige Tage zuvor hatte die argentinische Regierung 24 „F-16“-Kampfjets von Dänemark gekauft – ein als „historisch“ bezeichnetes Geschäft. Der Kauf stelle „die wichtigste Beschaffung von Militärflugzeugen seit 1983“ dar, erklärte Verteidigungsminister Petri noch vor Ort. Die Jets seien „mit der besten Technologie ausgestattet“ und gehörten „zu den besten Flugzeugen, die am Himmel über Südamerika und der Welt fliegen“. Inklusive Nachrüstungsarbeiten dürften sie laut Medienberichten bis zu 650 Millionen US-Dollar kosten – viel Geld für ein Land wie Argentinien, das extrem verschuldet ist und sich in einer wirtschaftlichen Dauerkrise befindet.

Besonders der Umstand, dass die Jets aus US-Produktion stammen, ist von Bedeutung. Im vergangenen Jahr hatte die stellvertretende Staatssekretärin des US-Verteidigungsministeriums, Mira Resnick, die Frage nach den künftigen Kampfflugzeugen Argentiniens als „von nationalem Interesse für die Vereinigten Staaten“ bezeichnet. Die argentinische Luftwaffe wird künftig auf Nachrüstungs- und Pflegearbeiten aus den Vereinigten Staaten angewiesen sein.

Ausgestochen wurde bei dem Deal die Volksrepublik China. Jahrelang hatte zuvor der Kauf von „JF-17 Thunder“-Kampfjets aus chinesischer Produktion im Raum gestanden. Das moderne Flugzeug, das die Volksrepublik gemeinsam mit Paktistan entwickelt hat, wäre auch wegen seiner laut Medienberichten geringeren Anschaffungskosten von Parteigänger*innen des Expräsidenten Alberto Fernández vorgezogen worden.

Auf einem Treffen Mitte April in Buenos Aires, das der Gründung des Thinktanks „Argentinisches Zentrum für nationale Verteidigung und Souveränität“ diente, kritisierten die Exminister*innen Nilda Garré und Jorge Taiana den nun geschlossenen Deal. Garré erklärte, dieser gehe auch auf den Besuch der Southcom-Chefin sowie den von CIA-Chef William Burns zurück, der nur wenige Wochen vor Richardson nach Argentinien gereist war. Beide hätten kategorisch klar gemacht: „keine Zusammenarbeit mit China. Ohne Wenn und Aber.“

Auf die Unterstützung der USA kann Milei zählen

Tatsächlich ist Mileis Kniefall vor Washington im Rahmen der Konkurrenz zwischen den USA und China zu sehen. Unter den vergangenen Regierungen konnte die Volksrepublik die Vereinigten Staaten in der Region Südamerika insbesondere auf wirtschaftlicher Ebene überholen. Mittlerweile ist China der zweitwichtigste Handelspartner Argentiniens nach Brasilien. Mileis Vorgänger Fernández vertiefte die Beziehungen zu Peking. Höhepunkt seines außenpolitischen Kurses hätte die Aufnahme des Landes in den BRICS-Staatenbund zum 1. Januar 2024 sein sollen.

Einmal im Amt, zog Milei den Beitrittswunsch sofort zurück. Und auch sonst agiert die junge argentinische Regierung wie der willige Verbündete, den die USA in der Region benötigen. Bereits im Wahlkampf hatte Milei stets betont, fest an der Seite des „Westens“ stehen zu wollen. Seine ersten Auslandsreisen führten den Ultrarechten in die USA und nach Israel. Die dortige argentinische Botschaft plant er von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen.

Die vermeintliche Zugehörigkeit „zur westlichen Tradition“ begründet Milei mit einer „natürlichen Affinität“, die auf dem „Streben nach Freiheit und Privateigentum“ basiere. Anfang April warnte der Präsident beim Besuch der Southcom-Chefin, diese „Werte“ seien heute in Gefahr, weshalb „wir heute mehr denn je die Bande der Freundschaft zwischen denjenigen stärken, die diese Werte vertreten“. Mileis Sprecher Manuel Adorni wiederum bezeichnete die ersten Monate der Regierung als „Botschaft Argentiniens an die Welt“: „Nach Jahrzehnten der scheinheiligen Pakte hat Argentinien beschlossen, sich wieder in das Konzert der Nationen einzugliedern und eine Führungsrolle einzunehmen.“

Teil dessen soll auch der Anfang April verkündete Bau eines gemeinsamen Marinestützpunkts mit den USA auf der südlichen Insel Feuerland sein. Der Stützpunkt direkt vor der Antarktis mache „Argentinien und die Vereinigten Staaten zum Eingangstor zum weißen Kontinent“, erklärte Milei and der Seite Richardsons. Von Feuerland aus lässt sich die Schifffahrt um den südlichen Zipfel Südamerikas besonders gut kontrollieren, ebenso wie der Zugang zur Antarktis.

Mit am Tisch bei den Gesprächen zwischen US-Offiziellen und Vertreter*innen der argentinischen Regierung sitzt immer die „Sorge“ über den wachsenden Einfluss Chinas. Das zeigt auch der orchestrierte Aufschrei über eine von der Volksrepublik betriebene Raumstation in der argentinischen Provinz Neuquén. Kurz vor Richardsons Besuch erklärte der US-Botschafter in Argentinien, Marc Stanley, in der Tageszeitung La Nación: „Es überrascht mich, dass Argentinien den chinesischen Streitkräften erlaubt, in Neuquén zu operieren.“ Weiter behauptete er, es seien Soldaten der chinesischen Volksarmee, „die dieses Weltraumteleskop bedienen“.

Der Bau der Raumstation war 2014 von der damaligen Regierung unter Cristina Fernández de Kirchner genehmigt worden. Deren Nachfolger Mauricio Macri, heute ein Verbündeter Mileis, handelte einen Zusatzvertrag aus, laut dem die Basis nur zu zivilen und wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden darf. Das Kooperationsabkommen gilt bis 2064. Zuletzt hatten 2019 auch diplomatische Vertreter*innen aus den USA die Station besucht. Trotzdem beeilte sich die Milei-Regierung, anzukündigen, eine erneute „technische Inspektion“ der Weltraumstation beantragen zu wollen.

„Keine Zusammenarbeit mit China. Ohne Wenn und Aber“

Deutlich weniger von den Medien aufgegriffen, machten die USA bereits Anfang März einen wichtigen Schritt, um ihre Kontrolle über strategische Handelsrouten in der Region auszuweiten. So unterzeichnete die Allgemeine Hafenbehörde Argentiniens (AGP) eine Absichtserklärung, die ein wenig definiertes „Engagement“ des Ingenieursstabs der US-Armee zur „technischen Kooperation“ auf der Wasserstraße Paraguay-Paraná ermöglicht.

Die in der Region als Hidrovía bezeichnete Wasserstraße verläuft auf einer Länge von fast 3.500 Kilometern entlang der Flüsse Paraguay und Paraná und ist von immenser wirtschaftlicher und strategischer Bedeutung für die gesamte Region. Sie ermöglicht eine durchgehende Schifffahrt zwischen den Häfen von Argentinien, Brasilien, Bolivien, Paraguay und Uruguay.

Auch hier steht im Hintergrund der Versuch Washingtons, China von strategischen Feldern zu verdrängen. Über die Hidrovía wird der überwiegende Teil der argentinischen Agrarexporte transportiert. Zuletzt stieg auch der Export illegaler Drogen über die Wasserstraße in Richtung Europa massiv an.

MORALES’ DOPPELMORAL

Illustration: Joan Farías Luan

Eine Fläche etwa so groß wie Schleswig-Holstein ist den Flammen bereits zum Opfer gefallen. Besonders hart trifft es die Savannenregion Chiquitanía im östlichen Departament Santa Cruz. Das wichtige Ökosystem verbindet die beiden größten Biome Südamerikas, den Amazonas und den Gran Chaco. Von der Koordination der indigenen Organisationen des Amazonasbeckens (COICA) wurden Morales und Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nun gleichermaßen zu unerwünschten Personen erklärt. „Die indigenen Völker machen die Regierungen der Präsidenten Jair Bolsonaro und Evo Morales verantwortlich für den physischen, ökologischen und kulturellen Genozid, der aktuell im Amazonas passiert”, heißt es in einer Erklärung.
Seit seinem Amtsantritt 2006 präsentiert sich Morales, national und international, als Verteidiger der Pachamama (Mutter Erde). „Meine Großeltern, meine Eltern und meine Gemeinschaft haben mich gelehrt, dass das Land unsere Mutter ist, es ist unser Zuhause, das respektiert und geschützt werden muss“, sagte Morales im April 2016 vor der UN-Versammlung. An solchen Worten wird er nun, da ein großer Teil Boliviens in Flammen steht, gemessen. Zu seinem Nachteil, denn seine Politik der vergangenen Jahre hat die aktuelle Katastrophe begünstigt.
Bereits 2015 erließ Morales Regierung das Gesetz 741, das die Rodung von bis zu 20 Hektar großen Grundstücken „zur Entwicklung von Land- und Viehwirtschaft im Einklang mit Mutter Erde“ erlaubt. Tatsächlich ist die Vorlage von nachhaltigen Bewirtschaftungsplänen für eine solche Genehmigung jedoch keine Praxis. Was der Ent­waldung zumindest bisher stellenweise Einhalt gebot, war eine Verordnung von 2001, aus der Zeit vor Morales Präsidentschaft. Diese verlangte zumindest für die Entwaldung in Santa Cruz, wo die Brände momentan besonders verheerend sind, Sondergenehmigungen, und stellte Brandrodung in Forst- und Schutzgebieten unter Strafe.
Im Juli dieses Jahres jedoch änderte Morales diese Verordnung mit dem Dekret 3.973. Dieses erlaubt seitdem „kontrollierte“ Brandrodungen zur Gewinnung landwirtschaftlicher Flächen auch in Santa Cruz und dem angrenzenden Amazonas-Departement Beni. Die Regierung begründete dies mit Bevölkerungswachstum und einer erhöhten internen wie externen Nachfrage nach Nahrungsmitteln. Auf einer Pressekonferenz sagte Morales, Kontrollen seien wichtig, dass es sich aber um kleine Familien handele, die sonst nicht zu essen hätten. „Wovon sollen sie leben? Es geht um einen halben Hektar für Mais, um die Situation des Kleinerzeugers, um einen Hektar Reis zum Überleben. Es sind jetzt andere Zeiten, wir müssen die Normen anpassen“, so Morales.
Umweltorganisationen haben da jedoch ihre Zweifel. Für sie hängen die Brände mit der Entscheidung der Regierung zusammen, die Grenzen für die industrielle Landwirtschaft und Viehzucht zu erweitern. „Die ganze Verwüstung ist das Ergebnis einer irrationalen Wirtschaftspolitik, die auf den Ausbau von Monokulturen und die Ausweitung der Viehzucht abzielt“, heißt es in einer Stellungnahme der Nationalen Koordination für die Verteidigung Indigener und Bäuerlicher Territorien (Contiocap). Das Dekret galt vielen offenbar als grünes Licht für die chaqueos, dem Verbrennen von Wäldern, der billigsten Methode der Entwaldung. Mutmaßlich wurden die Feuer, wie auch in Brasilien, durch Brandstifter aus der Landwirtschaft ausgelöst, um Weideflächen für die exportorientierte Fleischproduktion zu schaffen.
Bisher war Bolivien nicht gerade als Exportland bekannt, aber das soll sich bald ändern. Ende August, als die Flammen in Santa Cruz am höchsten schlugen, feierte Evo Morales im selben Departmento offiziell den Export der ersten Tonnen bolivianischen Rindfleischs für den chinesischen Markt. Erst im April hatte China seinen Markt für bolivianische Fleischimporte geöffnet. Der Präsident des bolivianischen Fleischproduzentenverbands Congabol, Oscar Ciro Pereyra, sagte, das Ziel bestehe darin, bis 2030 eine Produktion von 200.000 Tonnen Fleisch zu erreichen, was einem Umsatz von 900 Millionen Dollar entspricht und Bolivien zu einem der 15 Länder mit den größten Fleischexporten machen würde.
Und auch das Ausmaß der Flächen, die durch Morales Gesetze zur Rodung freigegeben wurden, spricht eine deutliche Sprache. Der Gouverneur von Beni, Alex Ferrier, zeigte sich nach der Unterzeichnung des Dekrets 3.973 erfreut, da dadurch „bis zu neun Millionen Hektar landwirt­schaftliche Nutzfläche entstehen könnten“. Bei einem halben Hektar für Kleinproduzent*innen wäre das ausreichend für 18 Millionen solcher Kleinproduzent*innen – allein in Beni – bei einer Einwohner*innenzahl von elf Millionen in ganz Bolivien.
Mehr als 80 Umweltorganisationen werfen der Regierung nun „Ökozid“ vor und fordern die Abschaffung des Gesetzes 741 und des Dekrets 3.973. Die Regierung der Bewegung zum Sozialismus (MAS) weigert sich jedoch, diese Regelungen aufzuheben. Stattdessen schlug Evo Morales ein großes „Rückgewinnungsprogramm“ für die zerstörten Gebiete vor, das sich auf die Phase nach den Bränden konzentrieren werde. Er verkündete zudem eine „ökologische Pause“, während der der Verkauf von verbranntem Land bis zu dessen Regeneration verboten ist, sodass aus den illegalen Brandrodungen zumindest vorerst kein Profit zu schlagen ist.
Doch noch brennt es und vielerorts ist die Lage nicht unter Kontrolle. Tausende Soldat*innen und Freiwillige kämpfen seit Wochen gegen die Feuer. Nach massivem Druck aus der Zivilbevölkerung hat Morales internationale Hilfe ange­fordert, diese kommt unter anderem aus Argentinien, Peru und Chile. Und auch Russland, China und die EU schicken Geld und Expert*innen.
Eigentlich steckt Bolivien gerade mitten im Wahlkampf. Am 20. Oktober sind Präsidentschaftswahlen, bei denen auch Evo Morales für eine vierte Amtszeit kandidiert. Den Wahlkampf hat Morales derweil offiziell ausgesetzt. Videos im Netz zeigen ihn im blauen Overall der Brigadistas, wie er in Chiquitanía mit Spaten und Wasserschlauch gegen die Flammen kämpft – manchmal ist kein Wahlkampf eben auch Wahlkampf. Lange blieb er jedoch nicht, denn am nächsten Tag erwartete man ihn schon zu der offiziellen Feier anlässlich der ersten China-Fleischexporte.
Morales’ Anti-Umwelthaltung ist nicht neu. Sein Versuch, eine Straße durch den TIPNIS-Nationalpark zu bauen (siehe LN 519/520), markierte bereits vor Jahren das Ende der Unterstützung von Teilen seiner Basis. Obwohl erste Umfragen ein knappes Ergebnis voraussagen, ist es dennoch unwahrscheinlich, dass die aktuelle Kritik an Morales ihn bei den anstehen Wahlen den Sieg kosten könnte. Nichtsdestotrotz steht Evo Morales vor der Herausforderung, seine Fehler zu korrigieren, das heißt das Gesetz 731 und das Dekret 3.973 aufzuheben und eine Gesetzgebung anzuwenden, die Umweltkriminalität verfolgt und bestraft. Andernfalls bleibt unklar, was ihn in Sachen Umweltpolitik von Bolsonaro unterscheidet und seine Inszenierung als Verteidiger der Pachamama rechtfertigt.

 

ZWISCHEN CHINA UND USA


Wahlsieger Laurentino ‘Nito’ Cortizo // Foto: Wikimedia, (CC BY-SA 4.0)

Am Ende wurde es eine Hängepartie: Erst kurz vor Mitternacht – Stunden später als erwartet – erklärte die Wahlbehörde am 5. Mai Laurentino ‘Nito’ Cortizo von der Revolutionären Demokratischen Partei (PRD) zum Sieger. Er gewann mit 33,5 Prozent der Stimmen, nur rund 45.000 mehr als Rómulo Roux von der konservativen Partei Demokratischer Wandel (CD), der auf 31,15 Prozent kam.

Verschiedene Korruptionsskandale seit Bekanntwerden der „Panama Papers“ hatten vor der Wahl für großen Unmut gesorgt. Neben der Wiederbelebung der Wirtschaft und der Bekämpfung der Armut zielten Cortizos Wahlversprechen daher besonders auf die Eindämmung der Korruption sowie Verfassungsänderungen zur Konsolidierung der Demokratie. Cortizo betonte etwa, dass bei Verfehlungen künftig keine Politiker*innen mehr unantastbar sein würden und kündigte an, der Korruption überführte Firmen wie den aus Brasilien stammenden Baukonzern Odebrecht landesweit von Aufträgen ausschließen zu wollen. Die als abhängig wahrgenommene Justiz solle stark und unabhängig werden. Aufbauend auf Empfehlungen der Nationalen Konzertation für die Entwicklung, einem dauerhaften Dialogforum unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen, sollen einige Verfassungsänderungen vom Parlament beschlossen und anschließend der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden. Nach den Skandalen hofft Cortizo so auch, den internationalen Ruf Panamas sowie den „Nationalstolz“ wiederherzustellen.

Bei der gleichzeitigen Parlamentswahl war mit Spannung erwartet worden, wie stark sich die Kampagne #NoalaReelección mit ihrem Engagement gegen die Wiederwahl von korrupten Abgeordneten auswirken würde. Die Kampagne gab sich als Bürger*innenbewegung, war jedoch maßgeblich von der Oligarchie initiiert worden. Auf den ersten Blick war sie erfolgreich: Nur 14 von 50, d.h. 28 Prozent der sich zur Wiederwahl stellenden Abgeordneten wurden erneut gewählt, der geringste Wert seit 1994. Fünf Abgeordnete werden parteilos sein, vier mehr als bisher. Die einzige de facto nicht-neoliberale Partei Panamas, die linke Breite Front für die Demokratie (FAD), hat keinen Sitz im Parlament bekommen und blieb als einzige Partei landesweit unter zwei Prozent der Wähler*innenstimmen. Sie muss sich nach den gesetzlichen Bestimmungen daher auflösen. Cortizos Wahlbündnis „Uniendo Fuerzas“ aus PRD sowie der Molirena-Partei kam dagegen nach Auszählung aller Stimmen auf eine Mehrheit von 40 der 71 Sitze.

Was ist von dem ehemaligen Unternehmer zu erwarten?

Cortizo hat also im Prinzip freie Bahn. Was ist ab der Amtsübergabe am 1. Juli von dem ehemaligen Unternehmer zu erwarten, dessen Partei formell Mitglied der Sozialistischen Internationalen ist? Nach der Wahl auf seine ideologische Verortung angesprochen, sagte er dem Sender Telemetro: „Ich bin pragmatisch. Private Investitionen schaffen Arbeitsplätze und erhöhen so den Konsum. Das ist sehr wichtig, um einem Land mit solcher Armut und Ungleichheit wie Panama zu helfen. Dabei geht es nicht um rechts oder links.“ Cortizo sieht sich als Vermittler zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, zwischen Unternehmer*innen, Arbeiter*innen und Bauern und Bäuerinnen. Konkret bedeutet das etwa: Die Verbesserung der Qualität im Bildungssystem, eines seiner Anliegen im Wahlkampf, versteht er insbesondere als stärkere Ausrichtung an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Cortizo möchte, dass sich Investoren „wie zu Hause fühlen“ und hat daher bereits einen Minister eigens für die Erleichterung privater Investitionen ausgewählt.

Unter den potenziellen Investoren könnte China eine wichtige Rolle spielen. Bereits Cortizos Vorgänger Varela hatte im Jahr 2017 diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik China aufgenommen und dafür die langjährigen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen. Panama schloss sich Chinas „Neue Seidenstraße“-Initiative an. Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping kam im Dezember 2018 sogar zu einem Staatsbesuch. Zahlreiche Kooperationsabkommen wurden vereinbart, chinesische Investor*innen stecken in großem Stil Geld in Häfen am Panamakanal und schlagen die Finanzierung weiterer Infrastruktur vor. Diskutiert wird etwa ein Bahnprojekt zur Verbindung des westlichen Landesteils mit der Hauptstadt.

Diese Entwicklung missfällt den USA, die Lateinamerika traditionell als ihren Hinterhof betrachten, erst recht Panama, wo sie bis 1999 den von ihnen errichteten Kanal kontrollierten. In dem sich entwickelnden Handelskrieg zwischen den USA und China sitzt Panama nun mittendrin. Daraus erwächst neues Selbstbewusstsein. Cortizo, der in den USA studiert und gearbeitet hat, möchte mit beiden Großkunden des Kanals Geschäfte machen und hat auf Kritik aus den USA mit dem Hinweis reagiert, dass sie künftig der Region mehr Aufmerksamkeit schenken sollten, auch über Panama hinaus. Ansonsten könne Chinas Einfluss zunehmen.

Die wirtschaftliche Bedeutung seines Landes will der neue Präsident nutzen, um Panama politisch ein stärkeres Gewicht zu verschaffen. Er möchte auch auf diplomatischem Terrain ein Vermittler sein und bei der Lösung von Krisen in der Region wie derzeit in Venezuela eine Rolle spielen. Dazu passt allerdings nicht, dass er die Anerkennung Juan Guaidós als Interimspräsident Venezuelas durch seinen Vorgänger nicht in Frage stellt. Nimmt er sich zu viel vor?

Denn neben dem fehlenden Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen drohen weitere Probleme. Die Rentenkasse steht vor dem Kollaps, Medikamente sind rar. Trinkwasserknappheit ist vielerorts ein Problem, während der Betrieb des Panamakanals – das Fundament der Wirtschaft – dem Ökosystem der Kanalzone große Wassermengen entnimmt. Um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, schielen alle Regierungen schon immer auf die Ressourcen in indigenen Autonomiegebieten. In den nächsten Jahren dürfte es zu einer Zunahme von Konflikten mit indigenen Gruppen kommen. Als eine der wenigen Akteure haben diese in den letzten Jahren demonstriert, dass sie effektiv gegen neoliberale Regierungspolitik mobilisieren können: Die letzte größere, von unten entstandene Protestbewegung Panamas war der indigene Widerstand gegen ein neues Bergbaugesetz im Jahr 2011 (LN 443). Trotz Repression und massiver Diffamierung durch die Medien inklusive rassistischer Untertöne hatte der Protest damals Erfolg, das Gesetz wurde schließlich zurückgezogen.
Die Demokratie in der Krise, Verfassungsänderungen, ökologisch-soziales Konfliktpotential und dann am Reibepunkt zwischen US-amerikanischen und chinesischen Interessen: Es gibt einiges zu tun für den selbsternannten Vermittler.

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