Nachdem die US-amerikanische Tageszeitung The New York Times Ende März Bilder des ehemaligen Präsidenten in der ungarischen Botschaft in Brasília veröffentlicht hatte, untersucht die brasilianische Justiz nun den Fall. Offen ist, ob dieser „Besuch“ ein Versuch Bolsonaros war, eine Untersuchungshaft zu verhindern und eine gerichtliche Anordnung zu umgehen, die es dem ehemaligen Präsidenten verbietet, Brasilien zu verlassen. Ein Aufenthalt in einer ausländischen Botschaft würde Bolsonaro im Falle eines Haftbefehls vor einer Festnahme schützen. Das Video, das den Moment zeigt, in dem der ehemalige Präsident die ungarische Botschaft betritt, verbreitete sich im Internet und wurde von den internen Sicherheitskameras der Botschaft aufgenommen. Der zweitägige Aufenthalt Bolsonaros fand während des Karnevals (12. bis 14. März) statt, vier Tage nachdem ihm auf gerichtliche Anordnung hin sein Reisepass entzogen worden war.
Der Entzug des Reisepasses ist Teil der Operation Tempus Veritatis („Stunde der Wahrheit“, Anm. d. Redaktion), die das Verbrechen des versuchten Staatsstreichs während der Besetzung von Kongress, Oberstem Gerichtshof und Präsidentenpalast in Brasília am 8. Januar 2023 untersucht. Die Operation ist Teil der Ermittlungen gegen die sogenannten antidemokratischen digitalen Milizen, die 2021 vom Obersten Bundesgericht (STF) eingeleitet wurden. Die Ermittlungen erstrecken sich auch auf Straftaten wie die Fälschung von COVID-19-Impfbescheinigungen, Amtsmissbrauch und Geldwäsche durch den illegalen Verkauf von Schmuck, den der Präsident während seiner Amtszeit erhalten hatte.
Eine zentrale Rolle in den Ermittlungen hat die Kronzeugenaussage des ehemaligen Adjuntanten Bolsonaros
Die Ermittlungen wurden durch die Aussagen des Oberstleutnants und ehemaligem Adjutanten von Jair Bolsonaro, Mauro Cid, im Rahmen einer Kronzeugenaussage vorangetrieben. Cid, der seit September 2023 unter Hausarrest stand, wurde am 22. März erneut verhaftet. Grund war eine geleakte Aufnahme, in der er die Arbeit der Bundespolizei und des Ministers Alexandre de Moraes, der den Fall am STF leitet, kritisierte. Als Cid, die ehemalige rechte Hand Bolsonaros, von seiner Verhaftung erfuhr, soll er in Ohnmacht gefallen sein. Die bisherigen Aussagen liefern Hinweise für die Bundespolizei, um nach einem Dokument, dem sogenannten „Entwurf des Putsches” zu suchen. Dabei handelt es sich um ein juristisch relevantes Dokument, das Maßnahmen beschreibt, die im Falle eines Putsches und des Eingreifens des Obersten Wahlgerichts ergriffen werden sollten, um die Annullierung der Wahlen von 2022 zu erreichen.
Ehemalige Militärchefs bestätigen Umsturztreffen
Im März wurden auch der ehemalige Chef des Heeres, General Marco Antônio Freire Gomes, und der ehemalige Chef der Luftwaffe, Brigadegeneral Carlos de Almeida Batista Junior, von der Bundespolizei befragt. Beide bestätigten, an Treffen teilgenommen zu haben, bei denen die mögliche Aufhebung des Wahlergebnisses von 2022 diskutiert wurde. Sowohl Batista Junior als auch Freire Gomes gaben an, sich gegen einen Staatsstreich ausgesprochen zu haben. Laut Batista Junior soll Freire Gomes sogar gedroht haben, Bolsonaro zu verhaften, sollte er einen solchen anordnen.
Ein Ausdruck des „Putsch-Entwurfs“ wurde im Haus des ehemaligen Justizministers Anderson Torres gefunden. Zudem fand sich das Dokument auch auf dem Handy von Mauro Cid. Die Urheberschaft der Texte ist der Polizei noch unbekannt. Sollte die Echtheit des Dokuments bestätigt werden, könnte es als Beweis für einen versuchten Staatsstreich eingestuft werden und – falls es zu einer strafrechtlichen Verurteilung kommt – als Beweis für ein „Verbrechen der gewaltsamen Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats”. Letzteres ist in Brasilien eine schwerwiegende Straftat.
Im Fall der Fälschung von Covid-19-Impfzertifikaten bestätigte der ehemalige Adjutant von Bolsonaro, Mauro Cid, dass er selbst auf Anfrage von Bolsonaro Impfzertifikate für den ehemaligen Präsidenten und seine jüngste Tochter Laura gefälscht habe. Die Zertifikate wurden nach seiner Aussage im Präsidentenpalast gedruckt. Die Ein- und Ausgangsprotokolle des Palastes bestätigen, dass der Oberstleutnant zum angegebenen Zeitpunkt vor Ort war. In die Fälschung sollen auch Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung von Duque de Caxias im Bundesstaat Rio de Janeiro involviert sein. Diese hätten falsche Daten in das System des Gesundheitsministeriums eingespeist.
Für Jair Bolsonaro kommt erschwerend hinzu, dass Mauro Cid vor der Bundespolizei ausgesagt hat, dass der Auftrag direkt vom ehemaligen Präsidenten erteilt wurde. Die Situation könnte sich noch verschlimmern, sollte sich herausstellen, dass Bolsonaro während der Pandemie mit den gefälschten Impfzertifikaten in die USA eingereist ist. In Brasilien könnte die Verwendung dieser gefälschten Dokumente, sollte sie bestätigt werden, mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. In den USA sind Fälschung und Verwendung gefälschter Dokumente ebenfalls eine Straftat.
Bolsonaro könnte auch in den USA strafrechtlich verfolgt werden
Gustavo Sampaio, Anwalt und Professor für Verfassungsrecht an der Bundesuniversität Fluminense, erklärte am 19. März auf der Nachrichtenplattform Universo Online (UOL), dass die Beteiligung der US-amerikanischen Ermittlungsbehörden entscheidend sei, um zu beweisen, dass Bolsonaro das gefälschte Dokument auch im Ausland verwendete. „Je nach Sachlage könnte man davon ausgehen, dass er eine Straftat in den USA begangen hat. Er würde dann möglicherweise dort strafrechtlich verfolgt.“
Laut Sampaio kann es erst zu einer formellen Anklage und einer möglichen gerichtlichen Verurteilung kommen, wenn „Beweismittel mit konkretem Ergebnis” vorliegen. Trotz der sich abzeichnenden Verhaftung wird daher noch eine gehörige Portion Geduld erforderlich sein, bis es zu einer tatsächlichen Verurteilung des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro kommt.