
Im Dokumentarfilm Territorio Puloui – Im heiligen Land des Wassers,produziert von Maik Gleitsmann-Frohriep und Carmela Daza, berichten Wayuu-Frauen von ihren erschwerten Lebensbedingungen und wie sie gegen Trockenheit und Armut kämpfen. Doch die größte Bedrohung scheint nicht vom sagenumwobenen weiblichen Wasserwesen Puloui auszugehen, sondern vom Kohleabbau im Steinkohlebergwerk El Cerrejón.
Regisseurin Carmela Daza begibt sich in die Heimat ihres Vaters, nach La Guajira. Die im Nordosten von Kolumbien liegende Region leidet unter extremer Trockenheit, umso mehr, seit der Kohletagebau El Cerrejón zur Austrocknung von Gewässern beiträgt. Besonders schwer davon betroffen sind die Wayuu, ein Indigenes Volk, das auch „Volk der Sonne und des Sandes“ genannt wird.

Seit mehr als 40 Jahren wird in El Cerrejón auf einer Fläche so groß wie Hamburg ununterbrochen Kohle abgebaut. In der Region um den Tagebau leben mehrere Indigene Gemeinden der Wayuu in rancherías (kleine landwirtschaftliche Dörfer), die Carmela Daza im Laufe der Dokumentation besucht. Dabei spricht sie mit Vertreterinnen der einzelnen Gemeinden, die ihr eindrücklich von den Auswirkungen des Kohleabbaus berichten. Zwischen den Berichten der Wayuu-Frauen sind Sequenzen mit mystisch-animierten Zeichnungen des spirituellen Universums der Wayuu-Kultur eingefügt. Sie erklären auf Wayuu das Zusammenspiel von Wasser, Erde, Sonne und Wind sowie die Entstehung des Volkes.
El Cerrejón bedroht die Lebensgrundlage der Wayuu: In den Flüssen fließt weniger Wasser und es gibt weniger Fische. “Eine Sache ist, als Volk auszusterben. Eine andere, dass multinationale Konzerne und lokale Machthaber Hand in Hand versuchen, uns auszulöschen”, prangert Aleida aus der ranchería Patsuaralii an. “Wir bleiben durstig”, sagt Doña Susana aus der ranchería Iparu. Es wächst kaum noch Gemüse, Tiere verdursten. “Es macht mich traurig, wenn ich heimkomme, und kein Feuer im Ofen brennt. Dann weiß ich, es gibt kein Mittagessen”, erzählt Yorlei unter Tränen. Aber die Wayuu kämpfen, wie beispielsweise der Bericht der ranchería Iparu zeigt. Die Gemeinde engagiert einen Geologen, der ihre Böden auf Wasservorkommen untersucht, um herauszufinden, ob ein Brunnen gegraben werden kann.
Hier verfehlt der Film die Möglichkeit, die Auswirkungen des Extraktivismus und den Kohleabbau erneut anzuprangern, denn er verschlimmert nicht nur die Dürre, sondern steht auch im Widerspruch mit dem Glauben der Wayuu. Sie betonen, dass der Mensch der Natur nur so viele Rohstoffe entnehmen sollte, wie sie abgeben kann, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten. Absehbar ist somit auch, dass ein Brunnen die fortschreitende Austrocknung der Region nicht verhindern kann, sondern eine Einzellösung darstellt.
Drohnenaufnahmen von La Guajira mit ihren eintönigen und sandigen Flächen stehen im Kontrast zu den bunten mochilas (Taschen), die die Wayuu-Frauen herstellen, um Geld für ihre Gemeinde zu verdienen. Sowohl visuell als auch auditiv und emotional zeichnen Carmela Daza und Maik Gleitsmann-Frohriep in der rund 90-minütigen Dokumentation über das Wasser im Nordosten Kolumbiens ein beeindruckendes und zugleich verheerendes Bild eines Indigenen Volkes, das mit dieser Art von Bedrohung auf der Welt nicht alleine dasteht.
“Das Monster” wird der Tagebau im Film immer wieder genannt – eine Metapher, die angesichts der bewegenden Erzählungen der Wayuu-Frauen die Bedrohung deutlich macht. Dramaturgisch führt die Dokumentation von einer ranchería zur nächsten und stellt dabei den Kontrast zwischen dem jetzt erschwerten Leben der Indigenen, die tief spirituell verwurzelt sind, und dem industriellen Abbau von Ressourcen durch den schweizer Konzern Glencore im großen Maßstab dar. So hält die Dokumentation bildhaft eine jahrhundertealte Kultur fest, die im Begriff ist, wegen 40 Jahren Extraktivismus auszusterben.
Es ist kaum möglich, als Zuschauer*in neutral zu bleiben und keine Sympathie für die Frauen der Wayuu zu entwickeln, die ihre Situation nicht hinnehmen, sondern sich aktiv für ihre Gemeinschaft einsetzen. Wie eine Märchenerzählerin schaffen es Carmen Daza und Maik Gleitsmann-Frohriep unterhaltsam Spannung in einer Geschichte aufzubauen, deren trauriges Ende bereits erzählt scheint. Während sich die Wayuu als düstere Vorboten einer sich zuspitzenden Entwicklung bereits heute mit Wassermangel beschäftigen müssen, erahnt das Publikum, was der Menschheit früher oder später in noch viel größerem Maßstab drohen könnte. Dennoch leistet die Doku einen konstruktiven Beitrag zur Darstellung der fatalen Realität der Wayuu und lässt die Zuschauer*innen nicht nur mit einem Kloß im Hals vor dem Bildschirm zurück.