Extreme Dürre rafft Pflanzen und Tiere dahin

Kannst du uns beschreiben, wie sich die Dürre auf dein Land und deinen Betrieb ausgewirkt hat?

Mitte Oktober vergangenen Jahres ist der letzte Regen gefallen und damit hat die Dürre auch schon begonnen. Es wurde immer wärmer und gleichzeitig hat ein ungewöhnlich starker Wind geweht. Der Sommer hat hier sozusagen schon einen Monat früher angefangen und uns auch einen Monat später verlassen als gewohnt. Die Dürre hat hier sehr starke Auswirkungen gehabt, weil ohne Wasser kein Gras und kein Sorghum (Hirseart, Anm. d. Red.) wächst, was den Kühen normalerweise als Futter dient. Dazu kommt noch, dass die Erde hier sehr lehmig ist und der Boden durch die Trockenheit viele große Rissen bekam.

Da sie die Risse in der Erde nicht sehen konnten, haben sich die Tiere nachts die Beine gebrochen. Die gewohnte Vegetation ist langsam verschwunden. Irgendwann hatten wir kein Wasser mehr, da die Reserven schon Anfang Januar aufgebraucht waren. Wir konnten beobachten, dass sogar wilde Tiere unserem Hof sehr nah kamen, da sie nirgendwo sonst Wasser gefunden haben. Insgesamt sind viele Tiere gestorben. Wir selbst haben fast die Hälfte unserer Nutztiere über die Dürreperiode hinweg verloren.

Wie hat sich dein Arbeitsalltag durch die Auswirkungen der extremen Dürre verändert?

Mein Arbeitsalltag hat sich schon stark verändert, weil man zum Beispiel den Tieren alle zwei Stunden Wasser aus unserem Brunnen geben musste. Zudem mussten wir uns ständig auf die Suche nach neuen Weidemöglichkeiten begeben, da um uns herum die Wiesen schnell abgeweidet waren. Diese Aufgaben haben viel Zeit gekostet und es war auch sehr stressig, immer wieder daran zu denken, damit sie nicht in Vergessenheit gerieten. Hinzu kam dann noch die extreme Hitze. Hier war es häufig über 35 Grad warm. Zum Glück hatte ich meinen kleinen Gemüsegarten. Auch wenn dort nicht alle Pflanzen überlebt haben, war er wie eine kleine Oase, aus der ich zum Beispiel meine Hühner füttern und ein bisschen Einkommen generieren konnte.

Wie fühlt es sich an, so eine extreme Wettersituation als Landwirt bewältigen zu müssen?

Es ist hoffnungslos und hoffnungsvoll zugleich. Während ich durch die schwere Zeit der Dürre gegangen bin, war es trostlos anzusehen, wie die ganzen Tiere gestorben sind. Festzustellen, dass immer noch kein Regen kommt und damit auch kein Gras nachwächst. Und es gibt gleichzeitig Hoffnung, weil du auch durch Dürrezeiten kommst. Du merkst, dass du eine wirklich komplizierte Situation überlebt hast und alles getan hast, um da durchzukommen.

Wie nimmst du die gesellschaftliche Debatte in Argentinien zu der anhaltenden Dürre wahr? Werden strukturelle Ursachen diskutiert?

Ehrlich gesagt wird hier nicht viel darüber diskutiert. Die großen Medieninstitute in Argentinien berichten nicht darüber, was wirklich passiert. Und wenn sie berichten, geben sie dem Thema nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient. Oder sie richten nicht den Fokus darauf, wo es wichtig wäre: Zum Beispiel auf die Aktivitäten von Geschäftsleuten, die hier große Landflächen kaufen, anschließend die Vegetation abbrennen lassen, um das Land dann zu besseren Konditionen verkaufen zu können. Oder die Forstwirtschaft, die die wenigen verbliebenen Wälder auch weiterhin noch zerstört. In den Medien hört man dann etwa „Oh nein es gab einen Waldbrand, wie unglücklich“. Es erreicht niemanden wirklich, der ganze Diskurs ist mehr oder weniger heuchlerisch. Das ist das, was es an breiter gesellschaftlicher Debatte gibt.. Es wird ehrlich gesagt nicht darüber geredet, was wirklich wichtig ist. Darüber, dass es wichtig wäre, Bäume zu pflanzen. Ganz ohne wirtschaftliche Absichten, sondern nur mit dem einfachen Ziel, dass Bäume die Temperatur regulieren und Tieren ein Habitat bieten. Damit an Orten, an denen mittlerweile nur noch gerodet wird, eine Umwelt entsteht, in der das Leben überhaupt wieder gedeihen kann.

Hast du dich während der Dürreperioden mit anderen Produzent*innen ausgetauscht oder organisiert?

Offen gesagt habe ich von Vernetzungen in dieser Zeit überhaupt nichts mitbekommen. Ich habe mich mit Menschen aus der Nachbarschaft vernetzt, um ein paar Lebensmittel abzugeben. Oder wir haben uns gegenseitig Hilfe angeboten bei Aufgaben, die angefallen sind. Aber es gibt kein größeres funktionierendes Netz und es ist richtig schwer, wenn man nicht auf so etwas zurückgreifen kann, sondern alles allein bewältigen muss.

Was muss sich aus deiner Sicht ändern, damit kleine ökologische Betriebe wie deiner trotz extremer Wetterlagen erhalten bleiben und nicht in die Prekarität gedrückt werden?

Hilfe aus dem Ausland! Wirklich! Es gibt keine funktionierenden staatlichen Hilfesysteme und das ist eine Katastrophe an Orten wie diesen. Ich könnte natürlich sagen, dass wir Produzent*innen in einem Unterstützungsnetzwerk organisiert sein müssten, in dem wir uns gegenseitig helfen und der Staat uns einen Grundbedarf garantieren müsste. Damit wir aus der Prekarität herauskommen können. Aber das wird leider nicht passieren. Das sind alles schöne Gedanken. Aber es ist sehr kompliziert, dies alles umzusetzen und zu erwirken. Deshalb brauchen wir momentan Unterstützung von außen. Es muss auch nicht unbedingt Geld sein, was wir uns als Unterstützung wünschen. Ich freue mich auch über jede Person, die für eine Zeit auf meinem Hof mithelfen möchte.

EIN LEBEN IN WÜRDE

(Quelle: Karios Filmverleih Göttingen)

Virginio und Sisa wohnen nach einem langen gemeinsamen Leben am Rande des bolivianischen Hochlands in einer einsamen Hütte, bestellen das Feld und hüten ihre Herde Lamas. Ihre traute Zweisamkeit ist jedoch bedroht: Die ohnehin karge Landschaft ist von einer Dürre geplagt, im ausgetrockneten Boden klaffen Risse, die Pflanzen verdorren und Sisa hat keine Kraft mehr, den weiten Weg bis zum Fluss zu gehen, um Wasser zu holen. Der Brunnen im nahen Dorf ist schon versiegt und selbst die Gletscher, die den Fluss speisen, verschwinden. Die meisten anderen indigenen Quechua aus der Gegend sind aufgrund der Perspektivlosigkeit bereits weggezogen. Als Clever, der Enkel der beiden, zu Besuch kommt, will er sie überzeugen, ihm ebenfalls in die Stadt zu folgen. „Und dort? Sollen wir auf den Märkten betteln gehen? Sollen wir Kartoffeln verkaufen? Uns von deinem Vater aushalten lassen?“, entgegnet ihm Virginio. Die Stadt bedeutet mehr Wohlstand und Bequemlichkeit, aber auch die Aufgabe von Lebensweise, Kultur und Sprache: Clever hat bereits kein Quechua mehr gelernt und spricht nur noch Spanisch. Für Virginio kommt es nicht in Frage, seine Heimat zu verlassen, denn in der Stadt wäre er nicht mehr er selbst. Dazu kommt: Virginio ist todkrank, was er aber seiner Frau verschweigt.

Alejandro Grisi hat mit Utama – Ein Leben in Würde seinen ersten Spielfilm vorgelegt und gewann damit bereits einige Preise, darunter den Grand Jury Prize des Sundance Film Festivals. Zuvor hatte der Regisseur lange als Fotograf, dann als Kameramann in Dokumentarfilmen gearbeitet. Mit Ausnahme von Clever werden alle Personen von Laien gespielt, die Darsteller von Virginio und Sisa sind auch im wahren Leben ein Paar.

Dass nur wenig an dem Film wie Fiktion wirkt, liegt daneben aber vor allem an seinem feinen Gespür für die Verletzlichkeit von Menschen, Natur und Kultur auf dem Land. In einer einprägsamen Szene debattieren die wenigen verbliebenen Dorfbewohner*innen, ob sie weiter ihrer Tradition treu bleiben, weiter für Regen beten und Opfer darbringen sollen, ob sie weiter darauf hoffen sollen, dass die Regierung mehr Brunnen bohrt, oder ob das alles keinen Sinn mehr hat.

Ähnliches dürfte sich seit Jahren in vielen Dörfern Lateinamerikas abspielen. Alternde Indigene auf dem Wind und Wetter ausgesetzten Altiplano – nicht zufällig erzählt der Film von besonders verwundbaren Menschen in einer besonders verwundbaren Landschaft und klagt auf diese Weise an, wie der Klimawandel die ohnehin vorhandene kulturelle Erosion noch beschleunigt. Sinnbild für die verschwindenden Kulturen ist dabei neben dem sterbenden Virginio der Kondor, der als Beschützer der Berge verehrt wird, aber als Aasfresser auch mit dem Tod assoziiert ist und gleichzeitig selbst vom Aussterben bedroht ist. Trotzdem endet der Film schließlich nicht ganz frei von Hoffnung.

MEXIKOS WIDERSPRÜCHE IM KAMPF GEGEN DEN KLIMAWANDEL

Bei der diesjährigen COP27 präsentierte Mexikos Außenminister Marcelo Ebrard gemeinsam mit dem Sonderbeauftragten des US-Präsidenten für Klimafragen John Kerry die Versprechungen Mexikos im Kampf gegen den Klimawandel für die kommenden Jahre. So will Mexiko seine Treibhausgasemissionen entgegen vorheriger Vereinbarungen über eine Reduktion von 22 Prozent bis 2030 sogar um 35 Prozent senken. Der Ausstoß von Rußemissionen soll weiter reduziert, der Ausbau von regenerativen Energien weiter auf Kapazitäten von 40 Gigawatt verdoppelt werden. Die dafür veranschlagten Gesamtausgaben belaufen sich auf rund 48 Milliarden US-Dollar. Mit diesen Investitionen sei die Hoffnung verbunden, eine Vielzahl an Arbeitsplätzen zu schaffen und ein Wachstum im Bereich des erneuerbaren Energiesektors zu erzielen, so das mexikanische Außenministerium.

Dennoch stehen aktuelle Auseinandersetzungen innerhalb Mexikos konträr zu den erweiterten Versprechen, die im Rahmen der Weltklimakonferenz erarbeitet wurden. Laut Greenpeace Mexiko gibt es im gesamten Land mehrere Hundert dokumentierte sozio-ökologische Konflikte um Bergbau, Waldabholzungen (siehe LN 567 und 548), sowie insbesondere Projekte im fossilen Energiesektor. Die Aktivistin Teresa Aguilar von der sozialistischen Arbeiter*innen-Bewegung MTS berichtet etwa von gebrochenen Verpflichtungen zum Schutz der Mangrovenwälder im Bundesstaat Tabasco, wo die vom staatlichen Erdölkonzern PEMEX betriebene Raffinerie Dos Bocas entsteht. Im Rahmen dieses Projektes wurden rund 300 Hektar Mangrovenwald abgeholzt. Auch im jährlichen Climate Transparency-Bericht der G20-Staaten von 2022 findet sich dieser Widerspruch wieder. Mexiko selbst ist in der Region Mittel- und Südamerika hinter Brasilien für den zweitgrößten CO2-Ausstoß verantwortlich. Dennoch hat das Land seine CO2-pro-Kopf-Emissionen in den Jahren 2014 bis 2019 um 6,4 Prozent gesenkt, was beinahe fünf Prozent Reduzierung über dem Durchschnitt der übrigen G20-Staaten entspricht. Doch die derzeitige Energiepolitik ist weiterhin stark auf Erdöl und Erdgas ausgerichtet.

Vor allem der staatliche Erdölsektor soll vermehrt gefördert werden

So besteht der Energiemix Mexikos zu 86 Prozent aus ebenjenen Rohstoffen. Öffentliche Transportmittel fahren zu rund 99 Prozent mit Benzinantrieben, weil deren Nutzung weiterhin stark subventioniert wird. Dies wirft vor allem in den großen urbanen Ballungsräumen wie Mexiko-Stadt, Tijuana und Monterrey gesundheitliche Fragen in Bezug auf die Qualität der Atemluft auf. Positiven Entwicklungen in Bezug auf den Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 stehen allerdings groß angelegte Projekte und Strategien gegenüber, die diese guten Ansätze konterkarieren.

Präsident AMLO legt seinen Fokus vor allem auf staatliche Unternehmungen und den Kampf gegen die 2013 erfolgte Privatisierung des Energiesektors. Dies sollte Mexiko bis 2022 in die Energieunabhängigkeit führen, was allerdings noch nicht abschließend gelungen ist. Der staatliche Erdölkonzern PEMEX soll hier eine Vorreiterrolle einnehmen, was einer 180-Grad-Wende zur Energiepolitik von AMLOs Vorgänger Enrique Peña Nieto entspricht, wie es die französische Zeitung Le Monde formuliert. Ein besonderes Projekt im Rahmen dieses ambitionierten Ziels ist der bereits erwähnte und 2019 angekündigte Bau der neuen Ölraffinerie Dos Bocas in Tabasco. Diese soll laut El Economista ab dem Jahr 2023 Erdöl verarbeiten. Die Zufuhr von Erdgas in die Anlage hat bereits im Dezember 2022 begonnen.

Mexiko sollte bis 2022 unabhängig in der eigenen Energieproduktion sein

Dies verdeutlicht auch den auf der Weltklimakonferenz angekündigten Fokus der Regierung, die eigene Energieunabhängigkeit schnellstmöglich mit fossilen Brennstoffen zu erreichen. Ebenso zeigt dieser sich in der starken staatlichen Subvention von Erdöl und Gas, gerade im Bereich Energie und öffentlicher Transportmittel. Im Bereich fossiler Brennstoffe sind laut der mexikanischen Tageszeitung La Jornada weitere Projekte geplant. Zu nennen wäre die Wiederaufnahme von mehreren Projekten zur Förderung von Erdgas mit einem Volumen von mehreren hundert Millionen Dollar im Golf von Mexiko im Bundesstaat Veracruz. Weitere sechs Raffinerien in Mexiko sollen saniert werden und mit staatlichen Investitionen wieder in die öffentliche Hand gehen. PEMEX kaufte zudem Anteile an einer US-amerikanischen Raffinerie in Houston. Laut López Obrador soll Mexiko in Bezug auf Treibstoffe wie Benzin und Diesel schon Ende 2023 autark sein.

Vor allem der staatliche Erdölsektor soll hier vermehrt gefördert werden, weswegen Mexiko sich im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (USMCA) derzeit auch in einem Streit mit seinen Partnern befindet. Der Präsident verlor erst im April im Kongress eine entscheidende Abstimmung über eine geplante Energiereform, die Schlüsselindustrien im Erdöl- und Stromsektor wieder verstärkt zentralisiert hätte. So hätten PEMEX und der nationale Stromkonzern CFE wieder dem Staatshaushalt unterstellt werden sollen. Die Niederlage bei der Abstimmung hat wohl vorerst auch eine größere, gerichtliche Auseinandersetzung mit den USA verhindert. Diese befürchteten im Rahmen der Verträge benachteiligt zu werden. Auf Geheiß des Präsidenten wurden vonseiten seiner Parlamentarier keinerlei Änderungen an seinen Anträgen zu den Reformen des Energiesektors zugelassen und somit jegliche Verhandlungsbereitschaft im Keim erstickt. Doch nicht wenige Expert*innen hätten es durchaus für angebracht gehalten, die Liberalisierungen von 2013 einmal grundlegend zu überarbeiten, denn: Vor allem die Verbraucher*innen würden bisher nicht genügend geschützt, kritisierte Edna Jaime, Leiterin der Nichtregierungsorganisation México Evalúa, in der Deutschen Welle.

Neben der Stärkung des Ölsektors wird aber auch der Ausbau regenerativer Energien immer wieder behindert. Nicht selten versuchen mexikanische Behörden den Anteil von regenerativen Projekten am nationalen Energiesektor zu begrenzen. Die Regierung setzt Lizenzen für erneuerbare Energien aus und blockiert Investitionen in diesen Bereichen. Wo hierdurch auf der einen Seite Chancen ungenutzt bleiben, sind andere Projekte wie ein großer Solarpark in Sonora und weitere Wasserkraftwerke nur Tropfen auf den heißen Stein, was die Erreichung der eigenen Klimaziele angeht. Denn diese vereinzelten Projekte stehen im Kontrast zum Engagement der Regierung zugunsten fossiler Brennstoffe und der wirtschaftlichen Entwicklung durch Extraktivismus und Raubbau. Ebenso wären die zu geringen Budgets im staatlichen Umweltsektor zu nennen. Die hierfür zur Verfügung gestellten Gelder stagnieren seit Jahren und werden dann auch noch zu einem Großteil in den Transport von Erdgas investiert.

AMLOs Pläne, die mexikanische Energiepolitik wieder mehr unter staatliche Kontrolle zu bringen, sind vor dem Hintergrund zu sehen, Mexiko möglichst autark zu machen. Im Rahmen nationaler Energiepolitik scheint dies erst einmal legitim, ist im Kampf gegen den Klimawandel und den nicht abzuschätzenden Folgen für Mexiko aber zu kurz gedacht.

„IN 30 JAHREN VERSCHWINDEN WIR VIELLEICHT“

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BLAS LÓPEZ MORALES
ist Soziologe und war von 2011 bis 2013 Generalsekretär des allgemeinen Kongresses der Guna. Derzeit ist er Mitglied der Kommission, die den Umzug seiner Gemeinde Gardi Sugdub von einer Insel auf das Festland organisiert. (Foto: Proyecto Nativo, www.nativoproject.com)


Welche Veränderungen spüren Sie durch den Klimawandel?
Es gibt eine Zunahme extremer Wetterereignisse. Stürme und Überschwemmungen werden stärker, wir spüren den steigenden Meeresspiegel. In der Zeit von November bis Februar, wenn es in Guna Yala Nordwind vom Meer gibt, kann es zu Wellen kommen, die mehrere Meter hoch sind. Dieses Jahr im Januar war es schlimm. Eine Woche lang gab es Unwetter mit Überschwemmungen und Zerstörungen in mehreren Dörfern. Auf meiner Insel Gardi Sugdub waren die Auswirkungen geringer, weil der Insel eine Landzunge vorgelagert ist.

Was bedeutet eine Überschwemmung für die Inselbewohner*innen?
Das Wasser kommt manchmal am Morgen, manchmal am Nachmittag und bleibt zwei bis drei Stunden. Je nach örtlicher Gegebenheit werden zum Teil nur die Häuser überschwemmt, die nah am Wasser stehen. Auf tiefer gelegenen Inseln werden aber auch ganze Straßenzüge überflutet. Zum Teil werden dabei Häuser komplett zerstört, in anderen Fällen Feuerstelle und Feuerholz überflutet. Die Familien können dann nicht mehr kochen, was sehr hart für sie ist.

Guna-Häuser am Wasser sind bei Stürmen von Überschwemmung bedroht

Wie reagieren die Guna in solchen Fällen?
Die betroffenen Familien kommen dann meist in anderen Häusern bei Verwandten unter, die weiter entfernt vom Wasser wohnen, oft auf anderen Inseln. Wenn nötig, baut die Solidargemeinschaft des Dorfes ein neues Haus für die betroffenen Familien, der Dorfvorsteher Sagla organisiert das. Um sich zu schützen, errichten die Leute Schutzwälle am Ufer und befüllen Sandsäcke. Aber es gibt keine Vorwarnung. Das Gefühl ist, dass es keinen Schutz gibt. Auf den kleinen Inseln kann man sich nicht schnell in Sicherheit bringen. Die Leute haben Angst, dass es in Zukunft wieder passiert. Wie wird das erst in 30 oder 50 Jahren sein? Vielleicht verschwinden die Guna dann. Es gibt aber aktuell noch weitere Probleme durch die Unwetter.

Welche sind das?
Vor allem die Kinder und Älteren bekommen Bauchschmerzen und müssen sich übergeben. Der Grund ist, dass das Hochwasser auch die Flüsse überschwemmt, aus denen wir über eine Leitung unser Trinkwasser beziehen – die Leitungen verstopfen durch Sedimente und gehen kaputt.

Bei Sturm und hohem Wellengang können die Leute nicht mit ihren Kanus zum Fischen raus fahren. Meine Insel Gardi Sugdub ist im Gegensatz zu den anderen Dörfern in Guna Yala seit einigen Jahren über eine Straße mit der Außenwelt verbunden, die Leute hier leben inzwischen mehrheitlich vom Tourismus und versorgen sich nicht mehr selbst. Aber die Straße wurde aufgrund des Unwetters geschlossen, die Läden wurden daher nicht beliefert und aufgrund der ausbleibenden Touristen hatten viele Einnahmeausfälle.

Obwohl wir genug Land haben, gibt es auch auf anderen Inseln einen Trend hin zu weniger Selbstversorgung durch eigene Landwirtschaft – unser traditionelles Essen aus Fisch, Pflanzenknollen, Kokosnüssen und Kochbananen wird mehr und mehr etwa durch Reis und Geflügel ersetzt, was von Schiffen aus Kolumbien oder Colón gebracht wird. Wenn diese bei Unwetter wegbleiben, fehlen Nahrungsmittel.

Die Insel Gardi Sugdub plant den Umzug auf das Festland

Mehrere Dörfer denken inzwischen darüber nach, zurück aufs Festland zu ziehen. Inwiefern laufen konkrete Vorbereitungen?
Die Zerstörungen im Januar haben die Diskussionen angeheizt. Ein weiterer Grund dafür ist der Bevölkerungszuwachs, die Verhältnisse sind überall sehr beengt und die Inseln werden zu klein. In meinem Dorf sind wir am weitesten, wir planen bereits seit zehn Jahren den Umzug von mehr als 300 Familien, etwa 1.500 Personen. Damals haben wir die Initiative ergriffen und eine Kommission für die Organisation des Umzugs gegründet.

Wir haben uns Gedanken gemacht, etwa um die Wasser- und Stromversorgung am Ort der geplanten neuen Siedlung, die Müllentsorgung oder den Umgang mit Insekten und Krankheiten wie Malaria, die es auf den Inseln nicht gab. Der allgemeine Kongress der Guna (Congreso General Guna, ein zentrales Organ der politischen Autonomie Guna Yalas, siehe Infokasten und LN 533), fördert etwa die lokale Agrarwirtschaft, um die Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen.

Gab es Schwierigkeiten beim Umzugsprozess?

Um für alle neue Häuser zu bauen, reichte das traditionelle Baumaterial vor Ort nicht aus, insbesondere gab es nicht genug Blätter der Weruk-Palme, die wir für die Dächer verwenden. Daher haben wir mit der Regierung gesprochen, die uns im Rahmen eines Häuserbauprogramms Unterstützung zugesagt hat. Leider mussten wir dafür akzeptieren, dass die Häuser aus Zement sein werden und nichts mit unseren traditionellen Häusern gemein haben.

Für eine langwierige Suche nach anderweitiger  Finanzierung besserer Häuser hatten viele Leute keine Geduld mehr, denn bereits vor neun Jahren wurde der Bau einer Schule und einer Krankenstation begonnen. Zu deren Fertigstellung und zum Bau der Wohnhäuser kam es damals aber nicht, da die Mittel plötzlich dringend in anderen Provinzen benötigt wurden. Die neue Regierung von Nito Cortizo führt den Bau nun endlich fort. Vor einigen Wochen haben erste Arbeiten begonnen, die Übergabe der Wohnhäuser wird innerhalb von zwei Jahren erwartet. Viele Ältere wollen nach wie vor ihre gewohnte Umgebung nicht verlassen und auf der Insel bleiben. Die Jüngeren wollen dagegen umziehen, so dass insgesamt eine Mehrheit dafür ist.


Mola-Kunsthandwerk ist eine Einnahmequelle in Gardi Sugdub

Welche Schlüsse ziehen die Guna aus dem bisherigen Prozess?
Die Kommission in Gardi Sugdub arbeitet gemeinsam mit weiteren Experten an einem strategischen Umsiedlungsplan, für den wir mit Unterstützung der Interamerikanischen Entwicklungsbank  die  sozialen,  wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Aspekte der Umsiedlung untersuchen und aufarbeiten. Wir organisieren auch Schulungen im Dorf, zu Themen wie Gesundheit, Umweltschutz oder wie in Zukunft die räumlichen Gegebenheiten sein werden, etwa der Schulweg der Kinder.

Den fertigen Umsiedlungsplan wollen wir dann auf der Versammlung des Kongresses vorstellen. Die Saglagan haben den Betroffenen nach den Überschwemmungen Reis gebracht. Wir Guna sollten uns aber nicht nur in der Not helfen, sondern müssen selbst einen Handlungsplan entwickeln, denn sonst bleibt uns nur, auf die Regierung zu warten. Der Kongress könnte den Plan für ganz Guna Yala nutzen oder entsprechend weiterentwickeln.

Auch der Regierung und internationalen Institutionen, die uns unterstützen können, wollen wir ihn präsentieren. Ich denke, dass der Plan eine Blaupause sein kann, auch für die anderen Inseln der Guna – von denen einige keine Kapazitäten für eine eigene Planung haben – sowie überhaupt indigene Küstendörfer, die vom Klimawandel bedroht sind und einen Umzug planen.

Arbeit für die Fischer gibt es bei Stürmen nicht

Wie man auf den Inseln sieht, haben die Guna oft Korallen verwendet, um ihre Inseln zu vergrößern oder Dämme zum Schutz gegen Überflutungen zu bauen. Welche Rolle spielt das bei den Überschwemmungen?
Die Guna haben damit angefangen, als der Platz aufgrund des Bevölkerungszuwachses zu knapp wurde und anfangs nicht daran gedacht, dass das Konsequenzen haben könnte – eine reine Überlebensstrategie. Aber die Korallenriffe sind wichtig als Schutz gegen Überflutungen, außerdem sind sie Teil der Natur, die uns am Leben erhält, genau wie der Wald und das Meer. Der Kongress hat die Entnahme von Korallen aus dem Meer inzwischen verboten, und wir müssen dafür sorgen, dass es allen bewusst ist. Heute machen das nur noch wenige, auch weil sie merken, dass es sich negativ auf den Fischfang auswirkt.

Welche Bedeutung hat die Natur in der Kultur der Guna?
Wir haben eine enge, harmonische Beziehung zur Mutter Erde, auch in spiritueller Hinsicht. Wir stellen uns etwa vor, dass die Pflanzen und Tiere unsere Brüder und Schwestern sind, Menschen, die sich einst verwandelt haben, um uns bei unserem heutigen Leben zu helfen. Unsere Schamanen sprechen mit ihnen und der Sagla erinnert uns daran, der Natur Liebe und Respekt entgegenzubringen. Wir geben uns auch entsprechende Regeln, die alle in der Gemeinschaft befolgen müssen, wie jene zum Schutz der Korallen oder etwa Schonzeiten für Langusten zur Erholung der Bestände.

Unsere Anführer sagen: Wir haben verstanden, dass wir von der Natur abhängig sind und sie nicht misshandeln dürfen. Daher nehmen wir uns beim Jagen, Fischen oder beim Hausbau nicht mehr als das, was wir zum Leben brauchen. Der westliche Lebensstil dagegen sieht anders aus.

Traditionelle Kochstellen dürfen nicht nass werden, sonst gibt es nichts zu Essen

Wen sehen die Guna denn in der Verantwortung für den Klimawandel?
Letztlich ist das Problem das kapitalistische System selbst. Die Nationen der Welt haben die Natur ausgebeutet und sie in ein monetäres Gut verwandelt. Die Regierungen vor allem der weit entwickelten Länder und die privaten Unternehmen müssen ihre Politik ändern, denn der Lebensraum von uns Indigenen wird immer verwundbarer. Wir haben auf die Natur achtgegeben, während die Verschmutzung aus den reichen Ländern kommt, von den Unternehmen. Sie produzieren Müll, stoßen Treibhausgase aus und holzen den Wald ab. Es gibt dazu zwar Konventionen der UNO, die die Regierungen unterschrieben haben, aber dann halten sie sich nicht daran. Finanzielle Hilfen kommen oft nur bei der Regierung an und nicht bei den betroffenen indigenen Gemeinschaften. Das sollte sich ändern.

Welche Rolle könnten indigene Gruppen für die weltweite Debatte um Klimaschutz spielen?
Die Regierungen und transnationalen Unternehmen müssen verstehen, dass die Mitwirkung der indigenen Bevölkerung bei diesem Thema sehr wichtig ist. Wir als Guna und Indigene nehmen an den internationalen Konferenzen und Gipfeltreffen zum Klimawandel teil. Unser traditionelles Wissen, unsere traditionellen Praktiken in nachhaltiger Landwirtschaft wie das Säen heimischer Nutzpflanzen oder die Bewirtschaftung von Parzellen mittels Agroforstwirtschaft, die eine Regeneration der Wälder erlauben, können zur Debatte einen wesentlichen Beitrag leisten. Wir müssen da noch offensiver auftreten.

Letztlich müssen wir, die Umweltschützer, NGOs, die sozialen Bewegungen, die ja zur Zeit besonders in Europa sehr aktiv sind, und die Unternehmen beim Thema Klimawandel zusammenarbeiten. Die Staaten der Welt sollten sich verpflichten, die indigene Bevölkerung bei der Stärkung ihrer Kultur und ihres traditionellen Wissens zu unterstützen.

Projekte, die uns unterstützen möchten, sind willkommen, dürfen aber nicht über unseren Kopf hinweg beschlossen werden. Sie müssen den indigenen Gemeinschaften wirklich zugute kommen, es muss viel Transparenz geben, wir müssen in die Entscheidungsprozesse eingebunden sein und man sollte uns keine Vorschriften machen, wie wir die Natur schützen sollen.

WO KOMMT DIE KOHLE HER?

Die Steinkohlemine El Cerrejón Fast die gesamte hier geförderte Kohle wird nach Europa exportiert (Foto: Tanenhaus via commons.wikimedia.org, CC BY 2.0)

Anfang Oktober protestierten in Deutschland verschiedene Gruppen unter dem Namen deCOALonize Europe für einen weltweiten Kohleausstieg. Das Bündnis führte unter anderem in Dortmund, Hamburg und Bremen Demonstrationen und Blockaden durch. Es fordert einen vollständigen Ausstieg aus der Verstromung von Kohle – als ersten Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit. Denn ein europäischer Ausstieg aus der Kohleförderung verlagert den Kohleabbau nur in andere Regionen. Steinkohletagebaue weiten sich dort aus, wo sie häufig nicht sichtbar sind: Der Tagebau El Cerrejón, im Norden Kolumbiens, ist die größte Mine Lateinamerikas und mittlerweile die größte Steinkohlegrube der Welt. In Europa wird die Kohle verstromt und CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, doch die Folgen spürt man in Europa wesentlich schwächer als vor Ort. Die, die von der Kohle profitieren, sind nicht die, die unter den Folgen leiden.
Dabei ist der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromgewinnung in Kolumbien überraschend hoch: Allein die Wasserkraftwerke liefern 85 Prozent der elektrischen Energie. Gleichzeitig wird in Kolumbien Steinkohle gefördert wie sonst nur in den USA oder Russland. 2017 wurden in La Guajira und der südlicheren Region Cesar knapp 90 Millionen Tonnen aus der Erde geholt. Fast die gesamte Steinkohle wird exportiert. Der Kohletagebau El Cerrejón und andere Minen gehören meist multinationalen Konzernen, die diese Kohle aus dem nahe gelegenen Karibikhafen Puerto Bolívar direkt nach Europa verschiffen lassen. Auch nach Deutschland, wo Energiekonzerne wie RWE, E.ON und Vattenfall sie zur Stromgewinnung nutzen.

Der europäische Kohleausstieg verlagert den Kohleabbau und seine fatalen Folgen nur in andere Regionen

Die Bewohner*innen der Dörfer rund um die Mine El Cerrejón leiden unter ständigen Sprengungen, verschmutztem Regenwasser und der Belastung durch Schwefelsäure im Río Ranchería. Auch Räumungen ganzer Gemeinden für den Kohleabbau und paramilitärische Gruppen sind eine ständige Bedrohung. Nicht nur die unmittelbaren Folgen setzen dem Land zu, denn die Kohle kommt in anderer Form zurück. Die Verstromung von Steinkohle ist ebenso ineffektiv und dreckig wie die von Braunkohle: Um die gleiche Menge Energie zu gewinnen, wird bei der Verbrennung von Steinkohle im Vergleich zum Diesel 40 Prozent mehr CO2 freigesetzt. Damit ist die Steinkohle ein Anheizer des Klimawandels. Laut den Vereinten Nationen ist Kolumbien einer der extrem betroffenen Staaten. Mindestens die Hälfte der Fläche ist besonders anfällig für klimatische Veränderungen. Weite Teile der küstennahen Gebiete liegen nur wenige Zentimeter über dem Meeresspiegel und werden bereits jetzt häufig überflutet. Gleichzeitig schmelzen die Andengletscher, deren Abflüsse die Bevölkerung seit Jahrhunderten mit sauberem Wasser versorgen. In La Guajira wird letzteres knapp – auch wegen des Kohleabbaus. Allein die Mine El Cerrejón verbraucht täglich 17 Millionen Liter Wasser. Im Rahmen der Proteste von deCOALonize Europe im Ruhrgebiet sagte die kolumbianische Aktivistin María Fernanda Herrera Palomo gegenüber der Online-Zeitung scharf-links.de dazu: „In La Guajira schützen indigene Wayuu und afrokolumbianische Gemeinden den für sie lebensnotwendigen Fluss Arroyo Bruno vor der Zerstörung durch den Kohleabbau. Wir schließen uns mit unseren Aktionen diesen mutigen Kämpfen an. Deshalb blockieren wir hier die Blutkohle.“

Über 19 indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften wurden für den Tagebau von El Cerrejón zwangsumgesiedelt


Klimagerechtigkeit ist ein schwer greifbarer Begriff. Am Rande von El Cerrejón haben die Menschen den Zusammenhang verstanden: Hier wird die Kohle abgebaut und die Landschaft zerstört, ihre Lebensgrundlage verschwindet. „Ich wünsche mir, dass die Menschen in Deutschland sich bewusst werden, wo die Kohle herkommt, die sie konsumieren. Und über die Konsequenzen“, zitiert deCOALonize Europe Luz Ángela Uriana Epiayu, Bewohnerin eines Dorfes am Rande des riesigen Tagebaus. Über 19 indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften wurden für den Tagebau von El Cerrejón zwangsumgesiedelt, oft mit brachialer Gewalt. Die Entschädigungen ersetzen nicht den Verlust der Lebens- und Einkommensgrundlagen. Wirtschaftliche und soziale Strukturen werden zerstört, ehemalige Kleinbauernfamilien landen in Vorstadtsiedlungen. Wer sich wehrt, muss in La Guajira mit Morddrohungen rechnen.
Das zeigt das Beispiel der Fuerza de Mujeres Wayuu, der Organisation der indigenen Wayuu-Frauen. Im April 2019 erhielten sie von Paramilitärs der Águilas Negras (Schwarze Adler) Drohbriefe. In Cesar wurden allein zwischen 1996 und 2006 59.000 Menschen vertrieben und 2.600 ermordet. Vor Gericht bestätigten die paramilitärischen Milizen in vielen Fällen, dass sie von Drummond, einem der Minenbetreiber, beauftragt wurden. „Die Morde und die Finanzierung paramilitärischer Einheiten stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Arbeiter klagen regelmäßig über fehlende Gewerkschaftsfreiheit, zu lange Arbeitszeiten und schlechten Gesundheitsschutz“, so Alirio Uribe, Menschenrechtsanwalt in einer Informationsbroschüre von deCOALonize Europe.
Diese Zustände sollen auch in Europa nicht länger unbekannt bleiben. Anfang Oktober gelang deCOALonize ein erfolgreicher Schritt: An verschiedenen Orten in Deutschland blockierten sie Kohleinfrastruktur. In Hamburg blockierten 200 Aktivist*innen den Zugang zum Kraftwerk Moorburg mit Kanus. In Nordrhein-Westfalen störten Aktivist*innen mit der Besetzung eines Krans den Betrieb des Trianel Steinkohlekraftwerks Lünen und organisierten gemeinsam mit Fridays for Future eine Fahrraddemo in Dortmund. „Das Klimapaket beweist wieder, dass die Bundesregierung lieber kapitalistische Interessen bedient, als Antworten auf die bevorstehende Klimakatastrophe zu finden“, sagt Aktivistin Jennifer Schneiders aus Hamburg. „Und es ist unsere Verantwortung, uns dem mutigen Widerstand in den Abbauregionen anzuschließen und hier den sofortigen Kohleausstieg zu fordern“, ergänzt ihre Mitstreiterin Lina Ottner. Die Bewohner*innen um El Cerrejón werden diese Worte sicher gerne hören.

 

KRIEGSERKLÄRUNG AN UMWELTORGANISATIONEN

Bolsonaro am Ziel Auch Faschist*innen werden manchmal zu Präsident*innen gewählt (Senado Federal, Marcos Brandão/Agência Senado/ Flickr, CC BY 2.0)

Brasiliens neuer Umweltminister, Klimawandel-Leugner und Lobbyist der Agrarindustrie, Ricardo Salles, begann bereits in den ersten vierzehn Tagen nach der Amtsübernahme Bolsonaros, das von diesem geforderte Ende des Aktivismus im Umweltschutz einzuleiten. Am 15. Januar setzte er alle Partnerschaften und Vereinbarungen mit Umweltschutzorganisationen für 90 Tage aus, um die Zusammenarbeit „neu zu evaluieren“. Dies erlaube es zu beurteilen, ob die Verträge fortgesetzt werden könnten sowie mögliche Veränderungen und Anpassungen durchzuführen. Zunächst betrifft dies 47 Kooperationen, eine Anzahl, die sich laut Salles „noch ändern werde“. Dazu gehört auch der Fundo Amazônia, der von der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES verwaltet wird und vor allem Mittel von der deutschen und der norwegischen Regierung erhält.

“Wenn ich Präsident werde, wird es kein Geld für NGOs geben. Diese nutzlosen Leute werden arbeiten gehen müssen.“

Am 17. Januar bestätigte Salles bei der Amtseinführung des neuen Direktors des Instituto Chico Mendes de Conservação da Biodiversidade (ICMBio) die Aussetzung der Verträge und Zahlungen. Er kündigte außerdem „Überraschungsbesuche“ bei den Nichtregierungsorganisationen an, mit denen staatliche Institutionen kooperieren. „Ich werde die Orte besuchen, an denen die Projekte durchgeführt werden. Ich möchte gerne mehr über die Erfahrungen mit der Verwendung öffentlicher Mittel herausfinden.“ Während seiner Wahlkampagne hatte Bolsonaro versprochen: „Ihr könnt sicher sein, wenn ich Präsident werde, wird es kein Geld für NGOs geben. Diese nutzlosen Leute werden arbeiten gehen müssen.“
Acht Netzwerke von Umweltorganisationen kritisierten die Aussetzung der Verträge als „nicht gerechtfertigt“ und nicht verfassungskonform: Kooperationen zwischen der Regierung und NGOs können nur durch ein formales Prozedere ausgesetzt werden, nachdem Unregelmäßigkeiten in der Arbeit der Organisationen dokumentiert wurden. Selbst die Zeitung O Globo kommentierte, die Ankündigung „höre sich an wie eine Kriegserklärung an Umweltschutzorganisationen“.

Auch Carlos Rittl, Direktor des Klima-Observatoriums, kritisierte die Aussetzung als unbegründet. Weil Kooperationen zwischen Regierung und NGOs auf der Grundlage langer, klar geregelter Verfahren geschlossen würden und letztere ständig über die Fortschritte der Projekte berichteten, sei der Minister bereits im Besitz aller Informationen, die zur Evaluierung der bestehenden Verträge notwendig seien. „Der Minister hat deutlich mehr Interesse gezeigt, die Organisationen zu attackieren, die die Umwelt schützen, als Umweltverbrechen zu bekämpfen“, sagte er. Die Schäden der dreimonatigen Aussetzung könnten irreversibel sein. „Der Umweltschutz wird attackiert. Alle Anzeichen zeigen, dass Entwaldung und Gewalt gegen Indigene ansteigen werden.“

Auch internationale Nichtregierungsorganisationen geraten unter politischen Druck. Per Dekret verfügte Bolsonaro, dass der Minister des Präsidialamts, der Militär Carlos Alberto dos Santos Cruz, die Aufgabe übernimmt, die Aktivitäten internationaler Organisationen zu beobachten und zu koordinieren. Die Direktorin von Amnesty International in Brasilien, Jurema Werneck, äußerte sich besorgt über diese Maßnahme: Nichtregierungen seien entscheidend, um die Arbeit der demokratischen Institutionen zu kontrollieren.

 

IRRWEG EXTRAKTIVISMUS

Welche Positionen konntet ihr bei der Klimakonferenz einbringen?
An erster Stelle ist es sehr wichtig, dort als Vertreter der Zivilgesellschaft hinzufahren und zu hören, was unsere Regierung sagt. Was verlangt sie? Bekommt sie Geld und wenn ja, wofür? In unserer Geschichte hat unsere Regierung uns nie erlaubt, Teil ihrer Delegation zu sein. Die mexikanische Delegation hat die Tradition, fünf NGO-Abgesandte in ihre Delegation aufzunehmen. Da unsere Regierung das nicht macht, versuchen wir mit Kollegen aus anderen Staaten wie Deutschland, Niederlande, Belgien oder Parteien wie zum Beispiel den Grünen, zu sprechen. Sie informieren uns über die Verhandlungen. Außerdem arbeiten wir mit anderen NGOs zusammen, besonders Fraueninitiativen aus Lateinamerika oder der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen in Bonn (IFOAM).

Was war die offizielle nicaraguanische Position?
Die Delegation bestand nur aus zwei Männern, die Vertreter der Regierung Paul Oquist und Javier Gutiérrez. Die zwei haben wir nicht gesehen, im Plenum blieb der Platz für Nicaragua unbesetzt. Man war anscheinend die ganze Zeit mit dem Green Climate Fund (GCF) beschäftigt. Dieser ist sehr wichtig, da er die Gelder des Pariser Klimaabkommens für Klimaprojekte in den ärmeren Ländern verwaltet. Die Entscheidungen des GCF werden sehr intransparent getroffen, obwohl dort über die Verwendung mehrerer 100 Millionen US-Dollar entschieden wird. Zur Einordnung der Rolle unseres Landes: Nicaragua hatte das Pariser Klimaabkommen zunächst nicht unterschrieben und sich auf das Anklagen der großen Klimasünder USA und EU beschränkt. Dadurch bekam Nicaragua politische Aufmerksamkeit. Nach dem Umschwenken Nicaraguas und der Unterzeichnung des Abkommens 2017 wurde ihr Delegationsleiter Oquist dann zum Vize-Präsidenten des GCF gemacht.

Nutzt die nicaraguanische Regierung Klimagelder für andere politische Interessen?
Ich denke schon. In erster Linie will sie Werbung für die eigene Regierung machen und sich gegen die internationale Isolierung wehren. Nicaragua hat in den letzten Jahrzehnten viel Geld bekommen – von europäischen Staaten, von der UNESCO – aber mit der Umwelt geht es ständig bergab. Politiker sind straflos in Umweltskandale verwickelt: Das staatliche Unternehmen Alba Forestal fuhr 2017/2018 ununterbrochen wertvolles Holz aus den Naturschutzgebieten des Nordens ab, dem Besiedeln dieser Naturschutzgebiete in Nord- und Süd-Nicaragua wird kein Riegel vorgeschoben. Im Gegenteil, illegale Siedler werden beim Rauben von indigenem Land noch unterstützt, teilweise mit Waffengewalt.

Wird das Ergebnis der Klimakonferenz einen Einfluss auf den Umweltschutz in Nicaragua haben?
Kattowitz könnte einen negativen Einfluss auf Nicaragua haben, denn die Konferenz bedeutet Macht und Geld für die Regierung und nicht für die Zivilgesellschaft. Die Klimagelder werden an die Regierung überwiesen und kommen bei den Basisinitiativen, die tatsächlich für Umwelt und Klima arbeiten, nicht an. Diese werden sogar verfolgt oder verboten.

Welche Relevanz hat dabei insebsondere der Klimaschutz in der Region?
Natürlich trägt Nicaragua zur globalen Erwärmung ungeheuer wenig bei, aber das befreit uns nicht von der Pflicht, auch unser Verhalten entsprechend zu ändern. Vor allem aber geht es für die betroffenen, armen, äußerst verletzlichen Länder wie den mittelamerikanischen darum, die nicht mehr aufhaltbaren Folgen abzumildern. Ein Beispiel ist, die Bewaldung zu erhalten, die Landwirtschaft auf Agroforstwirtschaft umzustellen und vieles mehr. Stattdessen erlaubt die Regierung das Abholzen, die Verschwendung, die Vergiftung und das Versiegen der Gewässer. Auch in diesem ungeheuer wichtigen Bereich zur Erhaltung der Lebensgrundlagen ist das Regime unwillig und unfähig. Die neoliberalen Vorgängerregierungen konnten wir durch unsere Kritik stark unter Druck setzen. Die jetzige schießt.

Kannst du uns mehr über eure Arbeit als Umwelt-NGO in Nicaragua erzählen?
Wir sind schon lange als Umwelt-NGO in Nicaragua aktiv – schon seit mehr als 30 Jahren. Verschiedene NGOs haben sich nun zusammengetan, um zum Beispiel auf die Folgen des geplanten Kanalprojekts aufmerksam zu machen und auf den generellen Irrweg des Extraktivismus. Wir versuchen, die Bauernfamilien zu unterstützen, sie zu informieren und praktische landwirtschaftliche Widerstandsarbeit mit ihnen zu initiieren. Deswegen sind wir auch in Gefahr, da die Regierung unsere Arbeit als Anstiftung zum Aufruhr wertet.

Wie hat sich der politische Druck auf euch in den letzten Jahren verändert?
Die Bauern haben seit dem Gesetz zum Kanalbau mit Protesten angefangen, sich organisiert und mit uns zusammengearbeitet. Wir haben die gesamten wissenschaftlichen Informationen und Forschungsergebnisse, aus denen hervorgeht, warum vorherige Vorhaben für einen Kanal durch Nicaragua nicht umgesetzt wurden, gesammelt, analysiert und den Bauern gegeben. Die Bauerngruppen haben sich zu einem Dachverband zusammengeschlossen, 25 Vertreter von Kommunen bilden diesen Rat. Von ihnen sind heute sechs Anführer im Gefängnis, andere leben im Exil oder verstecken sich. Sie hatten protestiert und sind mit LKWs von ihren Dörfern bis Managua gezogen. Auf die Demonstrationen antwortete die Regierung mit Polizeigewalt. Der politische Druck hat sich 2018 in einen polizeilichen, militärischen bewaffneten Druck verändert und das bei der Außerkraftsetzung aller anwendbaren Gesetze und Vorschriften.

Was wäre eine Forderung an Deutschland und europäische Staaten, wie eure Arbeit unterstützt werden könnte?
Wir als NGOs kriegen zum Teil Geld von europäischen Regierungen durch Stiftungen. Dieses Geld bekommen bisher nur Organisationen, die den Status einer juristischen Person haben. Immer mehr nicaraguanische NGOs verlieren diesen Status durch aktuelle Maßnahmen der Regierung. Sie werden enteignet, von den Bankkonten über die Büroeinrichtung bis zu ihren Gebäuden. Aktivisten werden verfolgt, immer mehr müssen fliehen oder sich verstecken. Wie können wir als „nicht eingetragene Vereine“ weiterhin Geld und Unterstützung aus Europa bekommen? In Zukunft müssen die Verwalter der Gelder für NGOs natürliche Personen sein – gegenseitiges Vertrauen und neue Methoden des Transfers und der Abrechnung müssen her. Aus den Erfahrungen mit anderen Diktaturen – wie unter Pinochet, während der Apartheid oder DDR – und der Hilfe für die Widerstandsarbeit gibt es sicher einiges zu lernen. Für Nicaragua bräuchten wir Solidarität, dass Unterstützer in Deutschland, die deutsche Regierung und andere in Europa uns helfen. Denn wenn es so weitergeht, können wir nicht nur enteignet werden, sondern auch als „Terroristen“ im Gefängnis landen. Wir brauchen größtmögliche Aufmerksamkeit, direkte materielle Hilfe sowie politischen und ökonomischen Druck auf das Regime. Die zurückgewiesene „Einmischung in interne Angelegenheiten” ist nur ein Trick des Regimes, um die Solidarität aufzuhalten.

 

AUF DEN KLIMAWANDEL REAGIEREN

Eine der Kleinbauern und -bäuerinnen der NARANDINO-Kooperative beim Kaffeepflücken (Foto: Narandino)

Wie macht sich der Klimawandel für die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern bemerkbar, die in Ihrer Kooperative Mitglied sind?

ANAPQUI Bolivien: Seit ungefähr zehn Jahren bekommen wir den Klimawandel verstärkt zu spüren – er verändert die Anbaubedingungen einschneidend: Die Dürren im Januar und Februar werden länger, mittags prallt die intensive Sonne auf die Quinoa-Felder, und die Winde wehen heftiger. Als Folge sinken die Ernteerträge. Zudem sind wir von wiederholten Kälteeinbrüchen, Hage

lstürzen und Überschwemmungen betroffen. Die Hochebenen der Anden sind sensible Ökosysteme, deren Böden von Wind- und Wassererosion bedroht sind. Mangelnder Regen ist eine große Herausforderung.

COSATIN Nicaragua: Seit 2011 haben unsere ProduzentInnen durch den in Lateinamerika grassierenden Kaffeepilz „Roya“ erhebliche Ernteeinbußen erlitten – so verloren wir rund 60 Prozent unserer Pflanzungen. Das zeigte uns auf dramatische Weise die Notwendigkeit, unsere Anbaukulturen zu diversifizieren. Wir mussten mühsam neue Flächen für den Anbau von Ingwer und Kurkuma suchen, wo früher Kühe weideten. In unseren Baumschulen hatten wir zum Glück Kaffeepflänzchen in verschiedenen Entwicklungsstadien, die nicht alle vom Pilz betroffen waren. Diese haben wir nachgepflanzt und behandeln sie nun präventiv mit biologischen Fungiziden aus Kalk und Schwefel. Zudem haben wir in Fortbildungen gelernt, Mikroorganismen in den Bergen zu suchen. Das sind nützliche Bakterien oder Pilze, die wir aus dem Boden ausgraben und daraus Pflanzenstärkungs-Präparate herstellen. Langfristig sind die zunehmende Trockenheit und Wasserknappheit ein großes Problem.

NORANDINO Peru: Seit einigen Jahren spielt das Wetter in unserer nördlichen Region Piura verrückt. Ein Jahr regnet es viel, dann wieder drei Jahre gar nicht. Die Böden sind erschöpft, so dass die Kaffeepflanzen vertrocknen und unsere Erträge sinken. Auch treten bislang ungekannte Schädlinge und Pflanzenkrankheiten auf. Wir sind gezwungen, nach neuen Flächen in höheren Lagen zu suchen. Die Starkregen letztes Jahr in Piura – die schlimmsten seit 1983 – haben immense Schäden angerichtet: durch Überschwemmungen ging exportfertige Panela (Rohrzucker) im Wert von 200.000 US-Dollar verloren.

Wie versuchen die Mitglieder der Kooperative ihre Produktion dem Klimawandel anzupassen?

ANAPQUI Bolivien: Wir pflanzen Windbarrieren um die Quinoa-Felder herum und wenden bei der Feldarbeit und Ernte verschiedene Bodenschutztechniken an, um Erosion zu verhindern. Zudem stellen wir Kompost aus Lamadung her, um die Bodenfruchtbarkeit und -struktur zu verbessern. Durch die Anpflanzung verschiedener einheimischer Baumarten ernten wir Früchte und Brennholz und erweitern dadurch unsere Ernährungs- und Einkommensquellen.

COSATIN Nicaragua: Wir versuchen, unsere Anbauprodukte zu diversifizieren: Neben Kaffee und Honig investieren wir zunehmend in Kräuter, Ingwer und Chili. Durch die Pflanzung verschiedener Bäume gewinnen wir Zitrusfrüchte und Nutzholz und mindern das Ernteausfallrisiko, weil die Kaffeepflanzen beschattet werden und die Böden weniger austrocknen. Außerdem haben wir eine Biodüngeranlage gebaut und in Gruppen gelernt, mit Gesteinsmehl Dünger zu präparieren, und säen Leguminosen (Pflanzen, die an ihren Wurzeln Luftstickstoff fixieren), um die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen. Dazu führen wir auch kleine Kampagnen durch, um konventionelle Produzent*innen zu sensibilisieren und unser Wissen weiterzugeben. Also alles an unsere Realität und unser Klima angepasste Methoden ökologischer Landwirtschaft.

NORANDINO Peru: Wir forsten im Hochland von Piura 500 Hektar Wald mit Hilfe internationaler Umwelt-NGOs wieder auf. Dadurch wird Feuchtigkeit im Wassereinzugsgebiet oberhalb der Kaffee- und Kakaopflanzungen auf 3.000 m Höhe gespeichert. Für das Projekt erhält NORANDINO internationale Klimaschutzgelder, die in Armutsbekämpfung und Maßnahme

n zur Anpassung an den Klimawandel investiert werden. Die lokalen Dorfgemeinschaften haben Komitees zur Wiederaufforstung gebildet und Baumschulen angelegt, wo sie die Setzlinge selbst ziehen. Das schafft kurz- und mittelfristig Arbeitsplätze und Einkommen, ein lokales Naturschutzgebiet und langfristig auch die Möglichkeit, nachhaltig Holz zu ernten.
Außerdem bauen die Kleinbauern neben den Exportkulturen Kaffee, Kakao und Zuckerrohr eine Vielzahl an Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Bohnen, Bananen, Mais und Obstbäume für den eigenen Bedarf an, um das Risiko von Ernteausfällen und Hunger zu reduzieren. Zudem wandeln wir degradierte, nicht-nachhaltige Reis­anbau-Flächen in ein ökologisches Agroforst­projekt um, bei dem Bananen, Kakao und Nutzholz-Baumarten kombiniert werden. Hierdurch werden Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft wie Methan reduziert und Kohlen­dioxid gebunden.

In der herkömmlichen Landwirtschaft werden Pestizide eingesetzt. Wie gehen ihre ökologisch wirtschaftenden Kooperativen damit um?

ANAPQUI Bolivien: Die genannten Windbarrieren und Bäume sind auch ein wichtiger Schutz vor einer Kontaminierung durch konventionelle Nachbarbetriebe, die oft nur 30 Meter entfernt liegen. Wir schützen unsere eigenen Feldfrüchte durch die Herstellung biologischer Pflanzenstärkungspräparate, die die Anbaukulturen widerstandsfähig gegen Insekten und Pflanzen­krankheiten machen. So sind zum Beispiel Jauchen aus Lamadung, aus Bitterkräutern, aber auch aus Amaranth prima Abwehrmittel gegen Insekten; zudem pflanzen wir am Feldrand die Anden-Lupine, eine Leguminose, die Schädlinge fernhält.

COSATIN Nicaragua: Es gibt benachbarte, große konventionelle Betriebe. Manche sehen, wie die KleinproduzentInnen ökologischen produzieren, während sie selbst die Umwelt schädigen. Ein großer Kaffeebauer ahmt sogar schon einige unserer Öko-Praktiken nach. Zum Beispiel züchten wir einen Pilz, um einen schädlichen Käfer name

ns „Broca“ zu bekämpfen. In anderen Regionen Nicaraguas ist der Pestizideinsatz ein sehr großes Problem, zum Beispiel in den Zuckerrohrplantagen. Dort gibt es viele Leukämie- und andere Krebserkrankungen bei Farmarbeitern und Kindern. Wir dagegen setzen im Öko-Kaffeeanbau auf natürliche Prävention und Schädlingsbekämpfungsmittel, wie zum Beispiel ein auf die Blätter versprühtes Bio-Pflanzenstärkungsmittel und natürliche Fungizide aus Kalk und Schwefel. Wir stellen auch aus den Kaffee-Ernteabfällen Biodünger her und nutzen die Abwässer wieder.

NORANDINO Peru: Im Kaffeeanbau ist es leicht, auf Pestizide zu verzichten, im Kakaoanbau ist das schon schwieriger. Unsere Zertifizierer achten aber sehr darauf, dass es keine Kontaminierung gibt, zumal unsere Kakao- und Schokoladensorten bereits mehrfach international preisgekrönt wurden. Im andinen Hochland besteht in vielen Dörfern ein hoher traditioneller Zusammenhalt: die Bauern kennen sich und haben ein System interner wechselseitiger Öko-Kontrollen aufgebaut.

Welche Botschaft vermitteln Sie auf Ihrer Rundreise deutschen Verbraucher*innen?

ANAPQUI Bolivien: Wir alle können etwas dazu beitragen, um die Erderwärmung zu bekämpfen! Obwohl wir in Bolivien nur zu einem geringen Anteil den Klimawandel verursachen, sind wir besonders von ihm betroffen. Alle Menschen sollten Produkte aus nachhaltiger, ökologischer Landwirtschaft konsumieren, um den Klimawandel abzumildern.

COSATIN Nicaragua: Wir sind froh, dass wir diese Gelegenheit haben, um für unsere Produkte aus nachhaltiger Erzeugung und faire Preise zu werben, weil sich dadurch unsere Lebensqualität sehr verbessert hat. Früher waren wir sehr verletzlich und mussten teilweise als saisonale Tagelöhner zur Ernte auf großen, pestizidintensiven Kaffeeplantagen arbeiten gehen. Dank des Ökolandbaus und des Fairen Handels erzielen wir höhere Preise und können selbst ärmere Dorfmitglieder solidarisch unterstützen und ihnen Anstellung bieten. Der Konsum fair gehandelter Produkte in Deutschland ist aber

leider noch sehr niedrig! Wir hoffen, dass wir hier viele Kontakte knüpfen und Erfahrungen austauschen können, um deutsche Verbraucher zu animieren, mehr faire gehandelte Produkte zu konsumieren.

NORANDINO Peru: Bei NORANDINO haben wir viel gelernt und lernen weiterhin, es ist für uns in erster Linie eine Schule für das Leben. Hier machen wir die Dinge gut, und wir schützen die Umwelt, weil die Erde der einzige Ort ist, auf dem wir leben können.

AVOCADOS IN DER WÜSTE

Hier wächst kaum noch etwas Die Provinz Petorca leidet unter Wassermangel (Foto: Viola Güse)

Wasser plätschert auf den Boden, der Duft vertrockneter Erde und von der Sonne verbrannter Pinienzapfen liegt in der Luft. Eine Frau wässert die Pflanzen im Schulhof. Ein Pavillon spendet wenige Quadratmeter ersehnten Schatten in der trockenen Hitze. Die Pflanzen, die sich durch die spröde, rissige Erdoberfläche gekämpft haben, saugen das spärliche Wasser auf. Einige grüne Blätter, Kakteen und die bunten Türen des Schulgebäudes bringen etwas Farbe in die wüstenähnliche Umgebung. Aktivistische Dorfbewohner*innen aus Guayacán, einem Ortsteil der Gemeinde Cabildo einige hundert Kilometer nördlich von Santiago de Chile, sind in der Schule zusammengekommen, um bei einer internationalen Gruppe Studierender auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Das Wasser ist knapp in ihrer Region, zumindest für die Bevölkerung. Bergbau und Agroindustrie florieren, während die dort lebenden Menschen um jeden Tropfen Wasser kämpfen müssen. Kämpferisch deklariert Rufino Hevia, Sprecher des Consejo de Defensa Territorial de Guayacán (Rat für die Verteidigung der Territorien Guayacáns): „Mobilisieren bedeutet mehr als auf die Straße zu gehen. Mit der ganzen Provinz Petorca, besonders den ländlichen Orten der Gemeinde Cabildo wollen wir einen gemeinsamen Plan erarbeiten, um den Wassermangel in all seinen Dimensionen zu bekämpfen, Forderungen zu stellen und Bedürfnisse zu artikulieren – aus eigener und gemeinschaftlicher Kraft.“

Der wasserintensive Anbau des Superfoods Avocado verschlimmert das eigentliche Problem

Der Weg nach La Ligua, der Hauptstadt der Provinz, ist gesäumt von weiten grünen Baumplantagen. Das Ausmaß der Wasserknappheit ist hier nicht zu erkennen. Die saftigen Blätter der Avocadobäume wiegen sich im Wind. Ein idyllischer Anblick, doch der Schein trügt. Sieht man auf die andere Seite der riesigen Anbaufläche, erstreckt sich dort ein langes, trist wirkendes Tal. Bei genauerem Hinsehen ist zu erkennen, dass sich einst ein Fluss seinen Weg durch dieses trockene Stück Erde gebahnt haben muss. Noch vor zehn Jahren floss hier die Lebensquelle der Region, der Río Ligua. Von der mit ihm verbundenen vielfältigen Flora und Fauna sind nur noch Überbleibsel zu erkennen. Der zweite Fluss in der Provinz, der Río Petorca, ist schon seit 1997 ausgetrocknet. Fragt man die Bewohner*innen von La Ligua, bekommt man immer wieder eine ähnliche Antwort: „Ich kann mich noch erinnern, als ich als Kind hier war. Die Leute trafen sich zum Baden, machten Picknick.“ Die Jüngsten kennen den „Fluss“ oft gar nicht mehr in dieser Form.

Um dramatischen Entwicklungen wie dieser auf den Grund zu gehen, muss man einige Jahrzehnte zurückblicken. Der Código de Agua, ein Gesetz aus der Zeit der Militärdiktatur unter Pinochet (1973-90), gab dem Staat das Recht, Wasserrechte gratis an private Interessent*innen zu vergeben. Diese können seitdem mit Wasser handeln wie mit einer Ware. Wie so viele Überbleibsel aus der Diktatur begünstigt das Gesetz nur wenige Großunternehmer*innen. Besonders Indigene und die bäuerliche Bevölkerung leiden unter dieser Machtverteilung. Neben der Agrar- und Bergbauindustrie im Norden Chiles erzeugt die Forstwirtschaft sogar im feuchteren Süden ähnliche Probleme. Am Ende liegt die Wurzel der Probleme, wie so oft in Chile, im extrem neoliberalen Wirtschaftssystem, das fast alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt. Das Absurde ist, dass das chilenische Entwicklungsmodell, das seit der Diktatur verfolgt wird, ungeachtet der sozialen und ökologischen Schattenseiten, einigen anderen lateinamerikanischen Ländern als Vorbild dient.

Für ein Kilo Avocados werden ca. 1.000 Liter Wasser benötigt

Aktuell liegen sowohl die Wasserrechte zur Stromversorgung als auch die konsumtiven – also die Rechte für das Wasser, das verbraucht wird – fast komplett in der Hand weniger riesiger nationaler und internationaler Unternehmen. Besonders gravierend ist dabei, dass mehr als 80 Prozent des Trinkwassers von der Agrar-industrie verbraucht werden und nur weniger als fünf Prozent für den menschlichen Konsum bestimmt sind. Neben vieler anderer Rohstoffe wird so auch das Grundrecht auf den Zugang zu Wasser zum Spielball marktgesteuerter Interessen und die Trinkwasserversorgung in Chile zur teuersten Lateinamerikas.

„Es ist ein Problem der politischen Strukturen. Seit der Diktatur gab es keinen Wandel. Dieses diktatorische System hat das komplette freiheitliche Grundprinzip, das wir hatten, zerstört, frei zu denken, sich frei zu organisieren“, bedauert Nibaldo Yturrieta, Mitglied des Rates zur Verteidigung der Ländereien von Guayacán (Consejo de Defensa Territorial de Guayacán).

Unternehmen zapfen das wertvolle Grundwasser illegal über unterirdische Leitungen  an

Obwohl der Großteil der Wasserressourcen in Petorca ohnehin in der Hand der Großproduzent*innen liegt, ist der Durst der Pflanzen und der Minen nicht gestillt. Über unterirdische Leitungen zapfen die Unternehmen illegal das wertvolle Grundwasser an. Die chilenische Bevölker­ung profitiert nicht von den immensen Gewinnen der oft transnationalen Konzerne. Europäische Konsument*innen sind jedoch Nutznießer*innen dieses Systems. Beispielsweise exportierten chilenische Produzent*innen 2016 mehr als 58.000 Tonnen Avocados nach Deutschland. Für ein Kilo – etwa zweieinhalb Früchte – werden circa 1.000 Liter Wasser benötigt. Im Vergleich dazu: Für die Produktion eines Kilos Tomaten braucht man circa 180 Liter. Der wasserintensive Anbau des gefeierten Superfoods verschlimmert so noch einmal das eigentliche Problem.

Abgesehen von den extremen Auswirkungen auf die Umwelt, sind die sozialen Folgen gravierend. In der gesamten Provinz verloren mehr als 7.000 Kleinbauern und -bäuerinnen ihre Existenzgrundlage. Teilweise muss die Bevölkerung über Lastwagen mit Trinkwasser versorgt werden. Die Wasserqualität ist fragwürdig und die Kosten für die Verbraucher*innen immens.

Die politischen Kräfte sehen, wie in vielen anderen Regionen, die Lösung im Bau eines Stausees. Dabei bekämpfen sie jedoch nur die Symptome, nicht die Ursachen. Die Trockenheit ist nicht das ursprüngliche Problem. Nicht ein Stausee wäre die richtige Reaktion, sondern die Überführung des Wassers in öffentliche Hand. Der Bau führt weniger zu einer Umwälzung der Eigentumsverhältnisse als zu zahlreichen weiteren Schwierigkeiten.

Ein Gesetz aus der Zeit der Militärdiktatur gab dem Staat das Recht, Wasserrechte gratis an private Interessent*innen zu vergeben

Direkt auf dem Gebiet von Guayacán soll der Stausee Los Ángeles entstehen. Mindestens 34 Familien müssen dafür umgesiedelt werden. Die Kommunikation mit den Betroffenen seitens des Bauministeriums ist dabei miserabel. Die Menschen sind besorgt, weil nicht einmal ein endgültiger Ort feststeht, an dem sie zukünftig wohnen können. Rufino Hevia bemängelt: „Wir wurden überhaupt nicht in den Prozess miteinbezogen, nur formelle Versammlungen haben stattgefunden. Niemals wurden wir nach unseren Visionen und Vorschlägen für die Lösung der Wasserproblematik gefragt, geschweige denn über die Auswirkungen des Projekts informiert.“ Er sieht den sozialen und kulturellen Verlust, der seiner Gemeinde bevorsteht, in der Geschichte des Stauseebaus in Chile bestätigt. In ihrer Manifestation hat der Rat niedergeschrieben: „Wir werden nicht die Kosten einer landwirtschaftlichen Entwicklung tragen, die nur den großen Plantagen nützt.“

Auf nationaler Ebene sind winzige Fortschritte im Streit um die Wasserrechte, wie deren Reform in der ersten Legislaturperiode Michelle Bachelets 2005, seit dem Regierungswechsel im März hinfällig. Damals wurde der Einzug des Patents und eine Strafzahlung eingeführt, falls die Erwerber*innen des Rechts keine Projekte zur Lösung des Wasserproblems durchführen. Viele der Zertifikate waren dennoch von der Regelung nicht betroffen. Nun kündigte Juan Andrés Fontaine – Bauminister der neuen Regierung unter Sebastián Piñera – an, den Verfall der Wasserrechte wieder auszusetzen. Er sieht die Aufgabe des Staates darin, „die Bedingungen zu erfüllen, damit der Markt in effizienter Weise funktioniert. Unsere Diskrepanz mit der vorgeschlagenen Reform liegt darin, dass die Rechte bestimmten Nutzen zugewiesen sind. Wir denken, dass diese zur freien Verfügung stehen sollten.”

Zwei Drittel der Einwohner*innen haben kein fließendes Wasser

Aus der Opposition kam Kritik. Die Senatorin Adriana Muñoz von der sozialdemokratischen PPD findet den Vorschlag absurd: „Es gäbe keinerlei öffentliche Kontrolle über die Nutzung der Wasserrechte. Der Gebrauch ist dann willkürlich von Seiten des Eigentümers und die Regierung distanziert sich davon, dass Wasser ein nationales Gut für den allgemeinen Gebrauch ist.“ Auch die Einwohner* innen Guayacáns sehen seitens der aktuellen Regierung keine Hilfe bei der Wasserfrage. Patricio Estrella, Direktor der Schule in Guayacán, die gleichzeitig als Versammlungsort für die Aktivist*innen dient, sagt: „Gerade ist alles paralysiert.

Das Vertrauen in die Politik ist ohnehin verschwunden. Teilweise profitieren die Politiker*innen nicht nur indirekt von den Regelungen, sondern sind direkt involviert. Der Fall des Ex-Ministers Edmundo Pérez Yoma von der Christdemokratischen Partei (DC) beispielsweise sorgte für einen Skandal. Gemeinsam mit vier weiteren Unternehmern wurde er 2015 des Wasserraubes angeklagt. Statt der ihm zustehenden 100 bepflanzbaren Hektar, hatte er 500 Hektar Land bewirtschaftet. Infolge der Intensivlandwirtschaft werden vielfach Anbauflächen genutzt, die eigentlich nicht zu diesem Zweck geeignet sind und deshalb die Wasserbeschaffung erst notwendig machen. Rodrigo Román, Anwalt der Nichtregierungsorganisation Defensoría Popular, sieht darin „das nationale Epizentrum des Wasserraubes.“ Während zwei Drittel der Einwohner*innen kein fließendes Wasser haben, zapft die Avocadoindustrie es illegal ab.

Teilweise sind Politiker*innen direkt in den Wasserraub involviert

Rodrigo Sánchez Villalobos, der Bürgermeister von La Ligua, bemängelt jedoch die mangelnde rechtliche Verfolgung, die Großproduzent*innen wenig schmerzt. „Die Gesetzgebung ist ziemlich mild, weil man zwar bestraft wird, jedoch einfach mit der illegalen Extraktion weitermachen kann. Wenn man eine Anbaufläche von 100, 200 Hektar hat, zahlt man die Strafe und macht weiter wie bisher oder kann die Plantage sogar noch ausbauen.“

Ähnliche Probleme gibt es auch mit dem Bergbau in der Region. Die Kupfermine Cerro Negro in Cabildo erweitert seit Jahren ihre Schlackeseen, vergiftet so die umliegende Natur und ist zudem maßgeblich an der Planung des Stausees beteilgt, der ihr die nötige Energie liefern soll. Entschädigungsangebote sind meist nur hohle Phrasen. „Diese Mine ist sehr ausgebufft, eine dreckige Mine. Sie spalten unsere Gemeinde und bieten uns alles Mögliche an. In dieser Schule wollten sie Fenster bauen, den Hof und den Weg pflastern und einen Internetzugang installieren. Das ist nie passiert. Und die wenigen Erfolge, die man sehen kann, sind nur unter dem Druck unserer Gemeinschaft zustande gekommen. Wir möchten eine Schule, einen Kindergarten von ihnen, eine soziale Struktur. Wasser, damit die Leute dauerhaft versorgt sind – das wäre angemessen. Wir möchten einen Brunnen für die landwirtschaftliche Bewässerung, denn wir können hier nichts anbauen, weil der Staat uns weder einen Brunnen noch einen Wasserspeicher für dauerhafte Wasserzufuhr ermöglicht. Durch unseren Druck haben sie nun zumindest angefangen, einen Speicher für 11.000 Liter Wasser zu bauen. Wenigstens etwas…“, meint Rufino Hevia.

Yturrieta gibt die Hoffnung nicht auf. Obwohl ihn schon so viele Regierungen enttäuscht haben, die wenn überhaupt nur leere Versprechungen gegeben haben, wird er Geduld haben und auf kommunaler Ebene bis zur nächsten Wahl weiterkämpfen. „Wir können ein besseres Chile erlangen, ein Chile, wie wir es möchten. Ich hoffe, dass Frente Amplio (2017 gegründetes Linksbündnis, Anm. d. Autorin) ihre Arbeit fortsetzt. Und, dass sie dieses Thema einbringen.“

Am 21. April gingen wieder zahlreiche wütende Bürger*innen auf die Straße und zeigten mit lauter Musik, Trommelrhythmen und Sprechchören, dass sie nicht zum Schweigen zu bringen sind. „Wasser ist zum Leben und nicht für den Tod“, schallte es durch die sonnigen Straßen in und um Guayacán. Der Protestzug startete an der Schule. Die jüngsten Einwohner*innen sind von klein auf Teil des Kampfes. „Ríos libres, pueblos vivos“ (Freie Flüsse, lebendige Völker) und „Aguante Guayacán“ (Halte aus, Guayacán) war auf den Transparenten zu lesen. Das Thema betrifft weite Teile der Bevölkerung und schafft Solidarität im ganzen Land und über die Grenzen hinweg. Protestaktionen wie der Plurinationale Marsch für das Wasser und die Erde am 28. April fanden vom höchsten Norden bis in den Süden Chiles statt. In Santiago waren Partnerorganisationen aus Brasilien, Kolumbien, Bolivien und Peru dabei. Denn Wasser ist ein nicht nur physisches, sondern auch symbolisch essenzielles Grundrecht. Es ist untrennbar mit dem Ökosystem und der Kosmovision der darin lebenden Völker verbunden.

KUBA TROTZT IRMA

Sie sind nach Deutschland gereist, unmittelbar, bevor der Hurrikan „Irma“ Anfang September unter anderem über Kuba hinwegfegte. Wie ist die Lage inzwischen in ihrer Heimatregion Pinar del Río und darüber hinaus?
Ich bin in der Tat am 7. September nach Deutschland losgeflogen. Am Tag darauf traf „Irma“ auf Kuba. Der Hurrikan hat die Insel schwer getroffen. Trotz Evakuierungsmaßnahmen sind zehn Tote zu beklagen. Die Infrastruktur wurde stark in Mitleidenschaft gezogen: Das betrifft den Tourismus, die Hotels, Wohnhäuser, Straßen, die Landwirtschaft. Es betrifft das ganze Land, aber in unterschiedlichem Ausmaß. In Pinar del Río sind wir mit einem blauen Auge davon gekommen. Allerdings gab es indirekte Auswirkungen. Telefon und Strom fielen von Havanna bis Pinar del Río aus. Eine Woche musste ohne Strom mit einem Minimum an Kommunikation klargekommen werden. Allerdings gelang es recht schnell, die Stromversorgung wieder herzustellen, auch indem auf Elektrizitätswerke anderer Provinzen zurückgegriffen wurde.

Gab es Auswirkungen auf die Wasser- und Lebensmittelversorgung?
Es gab zeitweise Unterbrechungen in der Wasserversorgung und auch geschlossene Lebensmittelläden. In den am schwersten betroffenen Zonen wurden Verkaufsstellen eingerichtet, an denen zubereitete Lebensmittel preiswert verkauft wurden. Denn die meisten Kubaner kochen elektrisch und das ging nicht mehr.

Der Tourismus ist eine der wichtigsten Devisenquellen für Kuba. Wie gravierend ist der Hurrikan für diesen Sektor?
Man muss sich vor Augen halten, dass 14 der 16 Provinzen in Kuba von „Irma“ betroffen wurden. Damit auch der Tourismussektor. Vor allem die Provinz Havanna und die anderen nördlichen Provinzen wurden von starken Sturmschäden betroffen. Auch Hotels wurden zerstört. Der Wiederaufbau ist allerdings schon im Gange. Fast alle touristischen Zentren sind schon wieder auf Normalbetrieb und bis zum Beginn der Hauptsaison Mitte November bleibt noch Zeit. Da Kuba Jahr für Jahr von Hurrikans betroffen ist, gibt es Erfahrung mit Wiederaufbau von Gebäuden und der Wiederherstellung von Elektrizität. Daran arbeiten wir mit allen Mitteln, die uns dafür zur Verfügung stehen. So wird Personen, deren Wohnungen beschädigt wurden, bevorzugt und verbilligt Baumaterial zur Verfügung gestellt. Die Vorräte an Baumaterial und an Gütern des täglichen Bedarfs wie Toiletten- und Körperpflegeartikel, Kochgeräte und Haushaltswäsche wurden in den Handel gegeben und sind dort verbilligt zu erhalten. Besonders bedürftige Personen werden gratis bedacht.

Wie steht es um ausländische Hilfe? Aus welchen Ländern kommt welche Unterstützung und welche Rolle spielt Deutschland?
Es gibt zweifellos internationale Unterstützung. Das Welternährungsprogramm (WFP) der UNO hat Lebensmittel geliefert. Viel Unterstützung kam auch aus lateinamerikanischen Ländern, allen voran Venezuela. Die Hilfe unter lateinamerikanischen Ländern ist quasi eine Selbst-verständlichkeit, da alle Erfahrung mit Notlagen haben und sich dann immer wieder gegenseitig helfen. Auch aus Deutschland kam Unterstützung. Das gilt vor allem für die Solidaritätsgruppen rund um das Netzwerk Cuba und Cuba Sí. Die Kooperation zwischen den Solidaritätsgruppen und Kuba hat ja eine lange Geschichte und sie funktioniert auch in Krisenfällen. Und die Spenden werden über die staatlichen Verteilungssysteme wie üblich gratis an die Bedürftigen weitergegeben.

Sie haben in Deutschland an einigen Veranstaltungen teilgenommen. Wie haben Sie die Sicht hierzulande auf Kuba wahrgenommen?
Nun, ich hatte das Glück, auf die „International Urban Farming Konferenz“ der Grünen Liga nach Berlin eingeladen worden zu sein. Die städtische Landwirtschaft spielt in Kuba ja eine große Rolle. Ich habe in meinem Beitrag die Strategie Kubas vorgestellt, mit städtischer Landwirtschaft zur Ernährungssicherung beizutragen. Dabei ging es darum, die Entwicklung der städtischen Landwirtschaft in Kuba seit den 1990er Jahren bis heute nachzuzeichnen. Nach dem Zusammenbruch des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe und dem Einbruch an Importen bei Lebensmitteln und Agrarchemikalien musste sich Kuba in den 1990er Jahren quasi neu erfinden und die Landwirtschaft radikal umbauen. Dazu gehörte das Besinnen auf die eigenen Kräfte, Biolandbau und städtische Landwirtschaft. Und über die Bedeutung der städtischen Landwirtschaft von damals bis heute im Konzept der Ernährungs-mittelsouveränität referierte ich. Für die deutschen Zuhörer war es schon ein wenig schwierig, sich in die Lage in Kuba hineinzuversetzen, beispielsweise die unterschiedliche Rolle des Staates in der Ernährungssicherung nachvollziehen zu können. In Deutschland ist die Landwirtschaft größtenteils in privaten Händen, in Kuba ist viel staatlich und kooperativ organisiert und der Staat der entscheidende Lenker. Als in den 1990er Jahren die kubanische Bevölkerung begann, in den Städten für den Eigenbedarf Gemüse und Lebensmittel zu produzieren, gab es staatliche Hilfe, wissenschaftliche Expertise und praktische Ratschläge, wie sich das am besten anstellen ließe. Der Staat hat das Programm für städtische und vorstädtische Landwirtschaft aufgelegt, um die Selbstversorgung mit Lebensmitteln zu verbessern. 75 Prozent der Kubaner leben in diesen Regionen, nur 25 Prozent auf dem Land. Dass der Staat auf allen Ebenen von lokal bis staatlich mitmischt, ist für deutsche Zuhörer gewöhnungsbedürftig.

Welche Rolle spielt nachhaltige Entwicklung in diesem Konzept?
Nachhaltige Entwicklung ist ein wichtiges Paradigma in Kuba. Dafür sorgt der Klimawandel und seine Folgen wie das vermehrte Auftreten schwerer Wirbelstürme. Kuba hat alle internationalen Umweltschutzabkommen unterzeichnet. In Kuba wird das Nachhaltigkeitsprinzip überall berücksichtigt, es gibt eine übergreifende nationale Strategie, die nicht nur bei der Nahrungsmittelproduktion greift, sondern auch in Bildung und Hochschulbildung zum Beispiel.

Die große Herausforderung bleibt, sich so gut wie möglich an den Klimawandel anzupassen?
Ja. Zweifellos. Es ist fundamental und unvermeidlich, sich dem Klimawandel anzupassen. Deutschland hat ein außergewöhnlich regenreiches Jahr hinter sich, hat man mir erzählt. Der Klimawandel ist global, aber Inseln wie Kuba sind ihm stärker ausgesetzt. Wir versuchen uns, so gut wie möglich gegenüber den Klimawandelfolgen zu wappnen. Eindämmen lässt sich der Klimawandel nur global.

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