Mexiko | Nummer 583 - Januar 2023 | Umwelt & Klima

MEXIKOS WIDERSPRÜCHE IM KAMPF GEGEN DEN KLIMAWANDEL

Präsident AMLO im Zwiespalt zwischen autonomer Energiepolitik und ambitionierten Klimazielen

Die mexikanische Energiepolitik unter Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO abgekürzt) steht im Gegensatz zu den bei der 27. Weltklimakonferenz (COP27) verkündeten ambitionierten Klimazielen. Die Regierung sieht sich mit einem Spagat konfrontiert: zwischen dem Versuch, die nationale Energieversorgung zu autonomisieren und gleichzeitig mit internationalen Klimaverpflichtungen in Einklang zu bringen. Wie sich zeigt, wird diese Herausforderung sehr widersprüchlich angegangen.

Von Adrian Gerling

Bei der diesjährigen COP27 präsentierte Mexikos Außenminister Marcelo Ebrard gemeinsam mit dem Sonderbeauftragten des US-Präsidenten für Klimafragen John Kerry die Versprechungen Mexikos im Kampf gegen den Klimawandel für die kommenden Jahre. So will Mexiko seine Treibhausgasemissionen entgegen vorheriger Vereinbarungen über eine Reduktion von 22 Prozent bis 2030 sogar um 35 Prozent senken. Der Ausstoß von Rußemissionen soll weiter reduziert, der Ausbau von regenerativen Energien weiter auf Kapazitäten von 40 Gigawatt verdoppelt werden. Die dafür veranschlagten Gesamtausgaben belaufen sich auf rund 48 Milliarden US-Dollar. Mit diesen Investitionen sei die Hoffnung verbunden, eine Vielzahl an Arbeitsplätzen zu schaffen und ein Wachstum im Bereich des erneuerbaren Energiesektors zu erzielen, so das mexikanische Außenministerium.

Dennoch stehen aktuelle Auseinandersetzungen innerhalb Mexikos konträr zu den erweiterten Versprechen, die im Rahmen der Weltklimakonferenz erarbeitet wurden. Laut Greenpeace Mexiko gibt es im gesamten Land mehrere Hundert dokumentierte sozio-ökologische Konflikte um Bergbau, Waldabholzungen (siehe LN 567 und 548), sowie insbesondere Projekte im fossilen Energiesektor. Die Aktivistin Teresa Aguilar von der sozialistischen Arbeiter*innen-Bewegung MTS berichtet etwa von gebrochenen Verpflichtungen zum Schutz der Mangrovenwälder im Bundesstaat Tabasco, wo die vom staatlichen Erdölkonzern PEMEX betriebene Raffinerie Dos Bocas entsteht. Im Rahmen dieses Projektes wurden rund 300 Hektar Mangrovenwald abgeholzt. Auch im jährlichen Climate Transparency-Bericht der G20-Staaten von 2022 findet sich dieser Widerspruch wieder. Mexiko selbst ist in der Region Mittel- und Südamerika hinter Brasilien für den zweitgrößten CO2-Ausstoß verantwortlich. Dennoch hat das Land seine CO2-pro-Kopf-Emissionen in den Jahren 2014 bis 2019 um 6,4 Prozent gesenkt, was beinahe fünf Prozent Reduzierung über dem Durchschnitt der übrigen G20-Staaten entspricht. Doch die derzeitige Energiepolitik ist weiterhin stark auf Erdöl und Erdgas ausgerichtet.

Vor allem der staatliche Erdölsektor soll vermehrt gefördert werden

So besteht der Energiemix Mexikos zu 86 Prozent aus ebenjenen Rohstoffen. Öffentliche Transportmittel fahren zu rund 99 Prozent mit Benzinantrieben, weil deren Nutzung weiterhin stark subventioniert wird. Dies wirft vor allem in den großen urbanen Ballungsräumen wie Mexiko-Stadt, Tijuana und Monterrey gesundheitliche Fragen in Bezug auf die Qualität der Atemluft auf. Positiven Entwicklungen in Bezug auf den Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 stehen allerdings groß angelegte Projekte und Strategien gegenüber, die diese guten Ansätze konterkarieren.

Präsident AMLO legt seinen Fokus vor allem auf staatliche Unternehmungen und den Kampf gegen die 2013 erfolgte Privatisierung des Energiesektors. Dies sollte Mexiko bis 2022 in die Energieunabhängigkeit führen, was allerdings noch nicht abschließend gelungen ist. Der staatliche Erdölkonzern PEMEX soll hier eine Vorreiterrolle einnehmen, was einer 180-Grad-Wende zur Energiepolitik von AMLOs Vorgänger Enrique Peña Nieto entspricht, wie es die französische Zeitung Le Monde formuliert. Ein besonderes Projekt im Rahmen dieses ambitionierten Ziels ist der bereits erwähnte und 2019 angekündigte Bau der neuen Ölraffinerie Dos Bocas in Tabasco. Diese soll laut El Economista ab dem Jahr 2023 Erdöl verarbeiten. Die Zufuhr von Erdgas in die Anlage hat bereits im Dezember 2022 begonnen.

Mexiko sollte bis 2022 unabhängig in der eigenen Energieproduktion sein

Dies verdeutlicht auch den auf der Weltklimakonferenz angekündigten Fokus der Regierung, die eigene Energieunabhängigkeit schnellstmöglich mit fossilen Brennstoffen zu erreichen. Ebenso zeigt dieser sich in der starken staatlichen Subvention von Erdöl und Gas, gerade im Bereich Energie und öffentlicher Transportmittel. Im Bereich fossiler Brennstoffe sind laut der mexikanischen Tageszeitung La Jornada weitere Projekte geplant. Zu nennen wäre die Wiederaufnahme von mehreren Projekten zur Förderung von Erdgas mit einem Volumen von mehreren hundert Millionen Dollar im Golf von Mexiko im Bundesstaat Veracruz. Weitere sechs Raffinerien in Mexiko sollen saniert werden und mit staatlichen Investitionen wieder in die öffentliche Hand gehen. PEMEX kaufte zudem Anteile an einer US-amerikanischen Raffinerie in Houston. Laut López Obrador soll Mexiko in Bezug auf Treibstoffe wie Benzin und Diesel schon Ende 2023 autark sein.

Vor allem der staatliche Erdölsektor soll hier vermehrt gefördert werden, weswegen Mexiko sich im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (USMCA) derzeit auch in einem Streit mit seinen Partnern befindet. Der Präsident verlor erst im April im Kongress eine entscheidende Abstimmung über eine geplante Energiereform, die Schlüsselindustrien im Erdöl- und Stromsektor wieder verstärkt zentralisiert hätte. So hätten PEMEX und der nationale Stromkonzern CFE wieder dem Staatshaushalt unterstellt werden sollen. Die Niederlage bei der Abstimmung hat wohl vorerst auch eine größere, gerichtliche Auseinandersetzung mit den USA verhindert. Diese befürchteten im Rahmen der Verträge benachteiligt zu werden. Auf Geheiß des Präsidenten wurden vonseiten seiner Parlamentarier keinerlei Änderungen an seinen Anträgen zu den Reformen des Energiesektors zugelassen und somit jegliche Verhandlungsbereitschaft im Keim erstickt. Doch nicht wenige Expert*innen hätten es durchaus für angebracht gehalten, die Liberalisierungen von 2013 einmal grundlegend zu überarbeiten, denn: Vor allem die Verbraucher*innen würden bisher nicht genügend geschützt, kritisierte Edna Jaime, Leiterin der Nichtregierungsorganisation México Evalúa, in der Deutschen Welle.

Neben der Stärkung des Ölsektors wird aber auch der Ausbau regenerativer Energien immer wieder behindert. Nicht selten versuchen mexikanische Behörden den Anteil von regenerativen Projekten am nationalen Energiesektor zu begrenzen. Die Regierung setzt Lizenzen für erneuerbare Energien aus und blockiert Investitionen in diesen Bereichen. Wo hierdurch auf der einen Seite Chancen ungenutzt bleiben, sind andere Projekte wie ein großer Solarpark in Sonora und weitere Wasserkraftwerke nur Tropfen auf den heißen Stein, was die Erreichung der eigenen Klimaziele angeht. Denn diese vereinzelten Projekte stehen im Kontrast zum Engagement der Regierung zugunsten fossiler Brennstoffe und der wirtschaftlichen Entwicklung durch Extraktivismus und Raubbau. Ebenso wären die zu geringen Budgets im staatlichen Umweltsektor zu nennen. Die hierfür zur Verfügung gestellten Gelder stagnieren seit Jahren und werden dann auch noch zu einem Großteil in den Transport von Erdgas investiert.

AMLOs Pläne, die mexikanische Energiepolitik wieder mehr unter staatliche Kontrolle zu bringen, sind vor dem Hintergrund zu sehen, Mexiko möglichst autark zu machen. Im Rahmen nationaler Energiepolitik scheint dies erst einmal legitim, ist im Kampf gegen den Klimawandel und den nicht abzuschätzenden Folgen für Mexiko aber zu kurz gedacht.

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