AUF DEN KLIMAWANDEL REAGIEREN

Eine der Kleinbauern und -bäuerinnen der NARANDINO-Kooperative beim Kaffeepflücken (Foto: Narandino)

Wie macht sich der Klimawandel für die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern bemerkbar, die in Ihrer Kooperative Mitglied sind?

ANAPQUI Bolivien: Seit ungefähr zehn Jahren bekommen wir den Klimawandel verstärkt zu spüren – er verändert die Anbaubedingungen einschneidend: Die Dürren im Januar und Februar werden länger, mittags prallt die intensive Sonne auf die Quinoa-Felder, und die Winde wehen heftiger. Als Folge sinken die Ernteerträge. Zudem sind wir von wiederholten Kälteeinbrüchen, Hage

lstürzen und Überschwemmungen betroffen. Die Hochebenen der Anden sind sensible Ökosysteme, deren Böden von Wind- und Wassererosion bedroht sind. Mangelnder Regen ist eine große Herausforderung.

COSATIN Nicaragua: Seit 2011 haben unsere ProduzentInnen durch den in Lateinamerika grassierenden Kaffeepilz „Roya“ erhebliche Ernteeinbußen erlitten – so verloren wir rund 60 Prozent unserer Pflanzungen. Das zeigte uns auf dramatische Weise die Notwendigkeit, unsere Anbaukulturen zu diversifizieren. Wir mussten mühsam neue Flächen für den Anbau von Ingwer und Kurkuma suchen, wo früher Kühe weideten. In unseren Baumschulen hatten wir zum Glück Kaffeepflänzchen in verschiedenen Entwicklungsstadien, die nicht alle vom Pilz betroffen waren. Diese haben wir nachgepflanzt und behandeln sie nun präventiv mit biologischen Fungiziden aus Kalk und Schwefel. Zudem haben wir in Fortbildungen gelernt, Mikroorganismen in den Bergen zu suchen. Das sind nützliche Bakterien oder Pilze, die wir aus dem Boden ausgraben und daraus Pflanzenstärkungs-Präparate herstellen. Langfristig sind die zunehmende Trockenheit und Wasserknappheit ein großes Problem.

NORANDINO Peru: Seit einigen Jahren spielt das Wetter in unserer nördlichen Region Piura verrückt. Ein Jahr regnet es viel, dann wieder drei Jahre gar nicht. Die Böden sind erschöpft, so dass die Kaffeepflanzen vertrocknen und unsere Erträge sinken. Auch treten bislang ungekannte Schädlinge und Pflanzenkrankheiten auf. Wir sind gezwungen, nach neuen Flächen in höheren Lagen zu suchen. Die Starkregen letztes Jahr in Piura – die schlimmsten seit 1983 – haben immense Schäden angerichtet: durch Überschwemmungen ging exportfertige Panela (Rohrzucker) im Wert von 200.000 US-Dollar verloren.

Wie versuchen die Mitglieder der Kooperative ihre Produktion dem Klimawandel anzupassen?

ANAPQUI Bolivien: Wir pflanzen Windbarrieren um die Quinoa-Felder herum und wenden bei der Feldarbeit und Ernte verschiedene Bodenschutztechniken an, um Erosion zu verhindern. Zudem stellen wir Kompost aus Lamadung her, um die Bodenfruchtbarkeit und -struktur zu verbessern. Durch die Anpflanzung verschiedener einheimischer Baumarten ernten wir Früchte und Brennholz und erweitern dadurch unsere Ernährungs- und Einkommensquellen.

COSATIN Nicaragua: Wir versuchen, unsere Anbauprodukte zu diversifizieren: Neben Kaffee und Honig investieren wir zunehmend in Kräuter, Ingwer und Chili. Durch die Pflanzung verschiedener Bäume gewinnen wir Zitrusfrüchte und Nutzholz und mindern das Ernteausfallrisiko, weil die Kaffeepflanzen beschattet werden und die Böden weniger austrocknen. Außerdem haben wir eine Biodüngeranlage gebaut und in Gruppen gelernt, mit Gesteinsmehl Dünger zu präparieren, und säen Leguminosen (Pflanzen, die an ihren Wurzeln Luftstickstoff fixieren), um die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen. Dazu führen wir auch kleine Kampagnen durch, um konventionelle Produzent*innen zu sensibilisieren und unser Wissen weiterzugeben. Also alles an unsere Realität und unser Klima angepasste Methoden ökologischer Landwirtschaft.

NORANDINO Peru: Wir forsten im Hochland von Piura 500 Hektar Wald mit Hilfe internationaler Umwelt-NGOs wieder auf. Dadurch wird Feuchtigkeit im Wassereinzugsgebiet oberhalb der Kaffee- und Kakaopflanzungen auf 3.000 m Höhe gespeichert. Für das Projekt erhält NORANDINO internationale Klimaschutzgelder, die in Armutsbekämpfung und Maßnahme

n zur Anpassung an den Klimawandel investiert werden. Die lokalen Dorfgemeinschaften haben Komitees zur Wiederaufforstung gebildet und Baumschulen angelegt, wo sie die Setzlinge selbst ziehen. Das schafft kurz- und mittelfristig Arbeitsplätze und Einkommen, ein lokales Naturschutzgebiet und langfristig auch die Möglichkeit, nachhaltig Holz zu ernten.
Außerdem bauen die Kleinbauern neben den Exportkulturen Kaffee, Kakao und Zuckerrohr eine Vielzahl an Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Bohnen, Bananen, Mais und Obstbäume für den eigenen Bedarf an, um das Risiko von Ernteausfällen und Hunger zu reduzieren. Zudem wandeln wir degradierte, nicht-nachhaltige Reis­anbau-Flächen in ein ökologisches Agroforst­projekt um, bei dem Bananen, Kakao und Nutzholz-Baumarten kombiniert werden. Hierdurch werden Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft wie Methan reduziert und Kohlen­dioxid gebunden.

In der herkömmlichen Landwirtschaft werden Pestizide eingesetzt. Wie gehen ihre ökologisch wirtschaftenden Kooperativen damit um?

ANAPQUI Bolivien: Die genannten Windbarrieren und Bäume sind auch ein wichtiger Schutz vor einer Kontaminierung durch konventionelle Nachbarbetriebe, die oft nur 30 Meter entfernt liegen. Wir schützen unsere eigenen Feldfrüchte durch die Herstellung biologischer Pflanzenstärkungspräparate, die die Anbaukulturen widerstandsfähig gegen Insekten und Pflanzen­krankheiten machen. So sind zum Beispiel Jauchen aus Lamadung, aus Bitterkräutern, aber auch aus Amaranth prima Abwehrmittel gegen Insekten; zudem pflanzen wir am Feldrand die Anden-Lupine, eine Leguminose, die Schädlinge fernhält.

COSATIN Nicaragua: Es gibt benachbarte, große konventionelle Betriebe. Manche sehen, wie die KleinproduzentInnen ökologischen produzieren, während sie selbst die Umwelt schädigen. Ein großer Kaffeebauer ahmt sogar schon einige unserer Öko-Praktiken nach. Zum Beispiel züchten wir einen Pilz, um einen schädlichen Käfer name

ns „Broca“ zu bekämpfen. In anderen Regionen Nicaraguas ist der Pestizideinsatz ein sehr großes Problem, zum Beispiel in den Zuckerrohrplantagen. Dort gibt es viele Leukämie- und andere Krebserkrankungen bei Farmarbeitern und Kindern. Wir dagegen setzen im Öko-Kaffeeanbau auf natürliche Prävention und Schädlingsbekämpfungsmittel, wie zum Beispiel ein auf die Blätter versprühtes Bio-Pflanzenstärkungsmittel und natürliche Fungizide aus Kalk und Schwefel. Wir stellen auch aus den Kaffee-Ernteabfällen Biodünger her und nutzen die Abwässer wieder.

NORANDINO Peru: Im Kaffeeanbau ist es leicht, auf Pestizide zu verzichten, im Kakaoanbau ist das schon schwieriger. Unsere Zertifizierer achten aber sehr darauf, dass es keine Kontaminierung gibt, zumal unsere Kakao- und Schokoladensorten bereits mehrfach international preisgekrönt wurden. Im andinen Hochland besteht in vielen Dörfern ein hoher traditioneller Zusammenhalt: die Bauern kennen sich und haben ein System interner wechselseitiger Öko-Kontrollen aufgebaut.

Welche Botschaft vermitteln Sie auf Ihrer Rundreise deutschen Verbraucher*innen?

ANAPQUI Bolivien: Wir alle können etwas dazu beitragen, um die Erderwärmung zu bekämpfen! Obwohl wir in Bolivien nur zu einem geringen Anteil den Klimawandel verursachen, sind wir besonders von ihm betroffen. Alle Menschen sollten Produkte aus nachhaltiger, ökologischer Landwirtschaft konsumieren, um den Klimawandel abzumildern.

COSATIN Nicaragua: Wir sind froh, dass wir diese Gelegenheit haben, um für unsere Produkte aus nachhaltiger Erzeugung und faire Preise zu werben, weil sich dadurch unsere Lebensqualität sehr verbessert hat. Früher waren wir sehr verletzlich und mussten teilweise als saisonale Tagelöhner zur Ernte auf großen, pestizidintensiven Kaffeeplantagen arbeiten gehen. Dank des Ökolandbaus und des Fairen Handels erzielen wir höhere Preise und können selbst ärmere Dorfmitglieder solidarisch unterstützen und ihnen Anstellung bieten. Der Konsum fair gehandelter Produkte in Deutschland ist aber

leider noch sehr niedrig! Wir hoffen, dass wir hier viele Kontakte knüpfen und Erfahrungen austauschen können, um deutsche Verbraucher zu animieren, mehr faire gehandelte Produkte zu konsumieren.

NORANDINO Peru: Bei NORANDINO haben wir viel gelernt und lernen weiterhin, es ist für uns in erster Linie eine Schule für das Leben. Hier machen wir die Dinge gut, und wir schützen die Umwelt, weil die Erde der einzige Ort ist, auf dem wir leben können.

ES FEHLT AN FAST ALLEM

Den Anfang machten die Damen in Weiß. Etwa 500 Frauen stürmten am 5. Juli über die Simón-Bolívar-Brücke von San Antonio del Táchira, die sie von Reis, Maismehl und Toilettenpapier trennte. Eine Woche später waren es bereits 35.000 Venezolaner*innen, die auf diesem Weg nach Kolumbien reisten, um sich mit Nahrungsmitteln und anderen Waren einzudecken. Weitere sieben Tage später zogen 100.000 Menschen durch die Supermärkte der kolumbianischen Grenzstädte Cúcuta und La Parada. Für teures Geld kauften sie dort, was in den Regalen von Caracas oder San Cristóbal nicht mehr zu finden ist: Zucker, Bohnen, Medizin, Damenbinden. „Wenn sie morgen wieder aufmachen, komme ich sofort zurück und gebe mein ganzes Geld aus. In Venezuela gibt es sowieso nichts“, sagte eine der Einkäuferinnen.
Nach dem ersten Ansturm hatte selbst Venezuelas Präsident Nicolás Maduro für diese aufgrund der offiziell angeordneten Grenzschließung widerrechtlichen Praxis grünes Licht gegeben. Für jeweils einen Tag pro Woche ließ er die Pforten des Landes öffnen. Denn auch für ihn ist klar, dass die Zeichen auf Sturm stehen. Weniger wegen ein paar hundert oppositionellen Damen, die sich in Anlehnung an kubanische Aktivistinnen gerne in weißen T-Shirts in Szene setzen. Dass der Einkaufs-Run auf das Nachbarland jedoch Massencharakter bekommen hat, zwingt den Präsidenten der bolivarianischen Linksregierung zu neuen Schritten.
Seit Mitte August ist die Grenze nun eingeschränkt für Fußgänger*innen wieder geöffnet, schrittweise sollen bald auch Autos und Lastwagen wieder regulär zwischen den Nachbarländern rollen. Dabei hatte Maduro die Grenzen in den westlich gelegenen Bundesstaaten Táchira und Zulia vor gut einem Jahr  gerade schließen lassen, weil dort eigentlich für den venezolanischen Markt vorgesehene und daher staatlich subventionierte Lebensmittel und Medikamente sowie „billiges“ Benzin außer Landes gebracht wurden, um diese Waren teurer in Kolumbien zu verkaufen. Und weil ein paar „Bachaquerxs“, wie Schwarzhändler*innen genannt werden, venezolanische Soldat*innen angegriffen hatten.
Die geplante Öffnung kommt nicht bei allen in der regierungstragenden bolivarianischen Bewegung gut an. Auf dem kritischen chavistischen Portal aporrea.org schreibt der Autor Rafael Fraile von einem „Akt des Verrats am Vaterland“. Auch Juan Contreras ist skeptisch ob der spektakulär inszenierten Einkaufstouren. Einst in einer bewaffneten Gruppe organisiert, ist der Mittfünfziger heute Sprecher der Coordinadora Simon Bolivar, einer landesweiten Basisorganisation. „Das war alles geplant, um die Aufmerksamkeit der internationalen Medien zu erwecken“, ist er überzeugt. „Die Leute hätten die Waren zu günstigeren Preisen in Venezuela kaufen können.“ Hätten sie vielleicht, wenn es sie denn gäbe. Wenn die Menschen nicht gezwungen wären, Bohnen oder Reis völlig überteuert auf dem Schwarzmarkt zu erwerben.
Auch im Barrio 23 de Enero von Caracas, wo Contreras zuhause ist, fehlt es an allem. Und bei einem monatlichen Mindestlohn von 15.000 Bolivares (je nach Wechselkurs zwischen 15 und 25 Euro) wird ein Kilo Maismehl zum Schwarzmarktpreis von 2.500 Bolivares zum Luxusartikel. Dabei sorgte einst die sozialistische Regierung dafür, dass in den Armenvierteln zahlbares Essen und die Gesundheitsversorgung garantiert sind. So auch in diesem Stadtviertel, einer langjährigen Hochburg der radikalen Linken, wo eine Skulptur an den kolumbianischen FARC-Guerillero Tirofijo erinnert und an fast jeder zweiten Hauswand der Blick des ewigen Kommandanten Hugo Chávez über die revolutionären Errungenschaften wacht.
Selbst im 23 de Enero mussten daher Contreras und seine Leute bei den Parlamentswahlen im vergangenen Dezember eine schwere Schlappe hinnehmen. In einem Arbeitsraum auf dem Gelände des Radiosenders Al Son del 23, auf dem auch eine Gesundheitsstation und Tierarztpraxis untergebracht sind, erklärt Contreras die schwierige Lage.
Er spricht von dem „Wirtschaftskrieg“ den das US-Imperium und venezolanische Oligarch*innen der Regierung Maduro erklärt hätten. Vom niedrigen Erdölpreis, der durch das Fracking in den USA hervorgerufen werde. Und davon, dass Unternehmer*innen gezielt Lebensmittel zurückhalten. „Sie haben die Produktion heruntergefahren, die Einfuhr reduziert und die Dollars behalten, die sie vom venezolanischen Staat erhalten haben“, schimpft er und betont einmal mehr: „Das ist ein geplanter Krieg, um die bolivarianische Revolution zu stürzen.“
Ob US-Energiekonzerne am niedrigen Ölpreis interessiert sind und das Fracking erfunden wurde, um den Revolutionären von Venezuela zu schaden, darf bezweifelt werden. Außer Frage steht jedoch, dass der starke Verfall des Preises in den letzten beiden Jahren der Regierung schwer zu schaffen macht. Schließlich bezieht der Staat 96 Prozent seiner Devisen durch den Export des schwarzen Goldes. Das ist mehr als vor Chávez‘ Regierungszeit. Versuche, durch landwirtschaftliche Kooperativen mehr Ernährungssouveränität zu schaffen, sind wiederum gescheitert. Deshalb ist die Linksregierung von der Einfuhr von Lebensmitteln abhängig. Importfirmen stellt sie zu diesem Zweck US-Dollar zum Wechselkurs von 1:10 zur Verfügung, während der Dollar offiziell zurzeit mehr als 600 Bolivar kostet.
„Das hat eine Kette von Korruption ausgelöst und dazu geführt, dass es sich für landwirtschaftliche Produzenten mehr lohnte, zu importieren, als in Venezuela anzubauen“, erklärt Rafael Uzcáteguí.  Nicht nur aufgrund solcher Äußerungen ist er bei den regierenden Chavist*innen verschrien. Sondern auch, weil seine Menschenrechtsorganisation Provea vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission gezogen ist, um gegen Polizeigewalt in Venezuela vorzugehen. Trifft man den Provea-Leiter in seinem Büro im Zentrum der Hauptstadt, packt er zunächst einige Zeitungen der anarchistischen Gruppe Libertario aus, für die er nebenbei tätig ist. Dann erinnert er daran, dass einst auch Maduro bei der Organisation Hilfe gesucht habe. Damals, als der heutige Staatschef noch Gewerkschafter und Hugo Chávez noch Oppositioneller war.
Uzcátegui hält wenig von den schlichten Erklärungsmustern der Chavist*innen. „Wir leben nun seit 17 Jahren unter einer Regierung mit einem sozialistischen Projekt“, sagt er. „Es zeugt von wenig Intelligenz zu behaupten, die Wirtschaft funktioniere nur aufgrund der Sabotage des privaten Sektors nicht.“ Sicher hätten einige Unternehmen bewusst weniger produziert, räumt der Soziologe ein. Doch was sei mit den vom Staat übernommenen Nahrungsmittelfirmen? „Sie leiden ebenfalls unter dem Mangel und der Inflation.“ Das Problem sei die Korruption, die auch im „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ nicht konsequent verfolgt werde.
Zurück ins Stadtviertel 23 de Enero. Dort kümmert sich Luis Flores darum, dass die Bewohner*innen das Nötigste bekommen. Er arbeitet in einem der Lokalen Komitees zur Versorgung und Produktion (CLAP). Die CLAP wurden im April von der Regierung gegründet, um zu verhindern, dass subventionierte Güter unterschlagen werden und bei den Bachaquerxs landen. Einmal die Woche verteilt Flores Maismehl, Bohnen oder Klopapier. Jede Familie erhält eine Tüte für 500 bis 600 Bolivar nach zu Hause geliefert, die auf dem Schwarzmarkt 20.000 Bolivar kosten würden. „So bekämpfen wir die Bachaqueros“, meint Flores. Und wenn doch welche auftauchen? „Die landen alle im Gefängnis, dafür haben wir die OLP.“
Doch die vor einem Jahr ins Leben gerufenen „Operationen zur Befreiung und zum Schutz des Volkes“ sind längst über ihr erklärtes Ziel hinausgeschossen. So selbstverständlich sich die meisten Bürger*innen auch in der Schattenwelt des illegalen Marktes bewegen müssen, so selbstverständlich können diese Polizeiaktionen alle treffen. Allein im zweiten Halbjahr 2015 wurden nach Angaben des Innenministeriums 245 Personen während der Operationen getötet. 14.000 Wohnungen seien ohne richterlichen Befehl durchsucht worden, ergänzt Provea. Häufig hätten die Beamten dabei Fernsehgeräte, DVD-Player und Essen gestohlen.
„Wir sind mit autoritären Angriffen in den armen Vierteln konfrontiert, von denen Hugo Chávez versprach, dass sie nie mehr geschehen werden“, kritisiert der Menschenrechtsaktivist Uzcátegui. Auch die schwierige Versorgungslage trifft in erster Linie jene, für die die Revolutionäre angetreten sind. Noch 2013 würdigten die Vereinten Nationen die Erfolge des Landes im Kampf gegen Hunger und Unterernährung. Drei Jahre später ist davon wenig geblieben. „Heute sind in Venezuela wieder genauso viele Menschen arm wie im Jahr 2000“, sagt Uzcátegui.

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