Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Reise nach Berlin?
Meine Kollegin Daisy Ribeiro und ich sind diese Woche gemeinsam mit Vertreter*innen von CELS aus Argentinien, von Base-IS aus Paraguay und von Fundación Tierra aus Bolivien in der OECD-Kontaktstelle Deutschlands, um eine internationale Beschwerde gegen Bayer einzureichen. Bayer ist ein großer Hersteller von Agrochemikalien und Lateinamerika ist leider ein großer Verbraucher. Viele der Chemikalien sind in der Europäischen Union verboten. In Brasilien arbeitet meine Organisation Terra de Direitos am Fall der Verseuchung und Vergiftung des indigenen Volkes der Ava-Guarani im Westen von Paraná in zwei indigenen Gebieten – Jacutinga und Guasu Guavira – durch Agrochemikalien.
Ist es das erste Mal, dass sich Organisationen aus diesen vier Ländern zusammentun und einen solchen Schritt gemeinsam gehen?
Ja, es ist das erste Mal. Wir haben uns vernetzt, weil es in der Lieferkette eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen gibt, die auf dem Einsatz von Agrochemikalien durch Bayer beruhen. Das Hauptproblem ist Glyphosat, ein hochgradig krebserregendes toxisches Produkt. Im Falle Argentiniens kommt die Beschwerde vom Stadtrand in Buenos Aires; in Bolivien geht es um die fortschreitende Abholzung der Wälder für den Sojaanbau und in Paraguay um die Kriminalisierung der Bauern durch den Vormarsch der Agrarindustrie in ihren Gebieten. Ziel ist es, Bayer dazu zu bringen, seinen Verpflichtungen innerhalb der Lieferkette nachzukommen, insbesondere in den bäuerlichen und indigenen Gebieten.
Was wollen Sie mit der Beschwerde erreichen?
Wir wollen Bayer an den Verhandlungstisch holen. Wir wollen das Unternehmen dazu bringen, Verantwortung zu übernehmen und sich zu verpflichten, die von ihm verursachten Schäden zu reduzieren. Im Moment lehnt Bayer jegliche Verantwortung ab. Es erkennt nicht einmal an, dass es die Menschenrechte der Bewohner*innen in diesen Gegenden verletzt. Dabei ist Bayer seit der Fusion mit Monsanto zumindest in Brasilien das dominierende Unternehmen im Agrarsektor, das genetisch verändertes Saatgut, das resistent gegen Herbizide ist, und Glyphosat einsetzt.
Wie läuft das formale Verfahren einer solchen Beschwerde bei der OECD ab?
Was die Verfahren anbelangt, so reichen wir zunächst die Beschwerde ein. Dann müssen wir darauf warten, dass die OECD die Legitimität der Beschwerde anerkennt und sie annimmt. Dies kann ein bis zwei Jahre dauern.
Im April stehen im Kongress in Brasília viele wichtige Themen zur Abstimmung auf der Agenda, die mit der Beschwerde zu tun haben. Zum Beispiel das Gesetz über die Umweltlizenzvergabe. Worum geht es dabei?
Es gibt zwei Gesetzentwürfe, die derzeit im brasilianischen Kongress diskutiert werden. Sie sind für das, worüber wir hier sprechen, von großer Bedeutung. Der eine ist der Gesetzentwurf Nummer 2159 aus dem Jahr 2021, in dem es um die Umweltlizenzvergabe geht. Der andere ist der Gesetzentwurf Nummer 1459 aus dem Jahr 2022, auch „Giftpaket“ genannt. Diese beiden Entwürfe sind eng miteinander verbunden.
Im Gesetzentwurf über Umweltlizenzvergabe ist festgelegt, dass die Bevölkerung von den Unternehmen nur dann konsultiert werden müsse, wenn sie von den Auswirkungen „direkt betroffen“ wäre. Aber es ist nicht klar, was das genau bedeutet. Die flexible, mangelhafte Definition ermöglicht es den Unternehmen, von der Verpflichtung befreit zu sein, die dort lebende Bevölkerung vorher zu konsultieren. Es handelt sich also um eine Lizenz, die es den Unternehmen, einschließlich der in Brasilien tätigen transnationalen Konzerne, ermöglicht, ohne jegliche Verantwortung zu handeln.
In welchen Punkten würde die Verabschiedung des nun diskutierten Gesetzentwurfs die derzeit geltenden Vorschriften verändern?
Derzeit gibt es Vorschriften aus den 1990er Jahren, die eine vorherige Genehmigung unternehmerischer Aktivitäten vorsehen. Darin ist auch festgelegt, wo Umweltverträglichkeitsstudien durchgeführt werden müssen. Die Studien müssen unter Beteiligung des brasilianischen Umweltinstituts (Ibama) und des Chico-Mendes-*Instituts für die Erhaltung der biologischen Vielfalt (ICMbio) durchgeführt werden. Durch die geplante Abschaffung der Zuständigkeit dieser Einrichtungen könnten Unternehmen ihre Aktivitäten anmelden, ohne die Inspektion dieser Umweltbehörden durchlaufen zu müssen. Darüber hinaus wird das neue Gesetz den Gemeinden und Bundesstaaten die Möglichkeit geben, Umweltlizenzen zu erteilen. Auf diese Weise kann die wirtschaftliche Macht eines großen transnationalen Unternehmens einen viel stärkeren Einfluss auf die unmittelbaren Interessen zum Beispiel einer Gemeinde haben. Und zwar ohne die Kontrolle, die eine nationale Lizenz erfordern würde. Das macht es für diese Unternehmen einfacher, Lobbyarbeit zu betreiben. Hinzu kommt die Nachlässigkeit, die sich auf verschiedenen Ebenen zeigt. Das wäre ein großer Rückschritt für den Umweltschutz. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes könnte man sagen, dass sich ein „Umwelt-Horror“ anbahnt.
Gibt es angesichts dieses Szenarios irgendetwas, das getan werden kann, um die Situation zu ändern?
Es wird erwartet, dass Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva in mindestens 20 Punkten sein Veto gegen das Gesetz einlegen wird. Aber angesichts der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse im Kongress ist es sehr wahrscheinlich, dass die Vetos des Präsidenten gekippt werden. Die Aussichten sind also trübe, es sei denn, zivilgesellschaftliche Organisationen klagen direkt bei der Justiz auf Verfassungswidrigkeit.
Um was geht es genau bei dem anderen Gesetzentwurf? Wie steht es hier mit der Abstimmung?
Dabei handelt es sich um das „Giftpaket“, das bereits von Abgeordnetenhaus und Senat verabschiedet wurde. Präsident Lula hat gegen 17 Artikel des Gesetzes sein Veto eingelegt. Am 24. April wird über diese Vetos abgestimmt. Vermutlich werden sie überstimmt. Ohne die Vetos führt der Gesetzentwurf zu einer Flexibilisierung der Regeln zur Registrierung neuer Pestizide in Brasilien. Er enthält auch eine Reihe von Verfassungswidrigkeiten, wie die Übertragung der Zuständigkeit für die Risikobewertung neuer Pestizide auf das Landwirtschaftsministerium. Die Nationale Behörde für Gesundheitsüberwachung (Anvisa) und das Brasilianische Umweltinstitut Ibama werden ihrer Verantwortung enthoben.
Was bedeutet das für die technische Bewertung von Pestizidprodukten?
Es bedeutet, dass die Toxizität nicht mehr bewertet wird und dass es Schlupflöcher für die Vermarktung und Verwendung von Pestiziden, die als geringes und mittleres Risiko gelten, gibt. Dadurch wird der Einsatz von Pestiziden in Brasilien noch einfacher. Das Verfahren ist völlig unausgewogen. Wir verlieren damit wichtige umweltpolitische Errungenschaften unseres Landes. Die letzten vier bis fünf Jahre waren diesbezüglich alarmierend, es wurden mehr als dreitausend Pestizide zugelassen.
Die Regierung von Präsident Lula muss mit einem Kongress verhandeln, in dem die Opposition die Mehrheit hat. Haben Sie in den eineinhalb Jahren der PT-Regierung dennoch Fortschritte bei diesen Themen gesehen?
Ja, bei der Rolle der Zivilgesellschaft. Zivilgesellschaftliche Räte, die während der Bolsonaro-Regierung abgeschafft worden waren, wurden wieder eingeführt. Auch bei der Förderung der Agrarökologie, der Lebensmittelbeschaffung und der Schulspeisung; beim Kauf von Produkten, die von Kleinbauern ohne Pestizide angebaut werden, um sie an Pflegeheime, Kindergärten und Schulen zu verkaufen, sehe ich Fortschritte.
Wie geht es bei Terra de Direitos angesichts der oben genannten Herausforderungen weiter?
Wir hoffen, dass die Vernetzung mit anderen Ländern uns in unserem Widerstand, unserer sozialen Teilhabe und beim Kampf für einen Paradigmenwechsel in den lateinamerikanischen Ländern stärken wird. Vor allem in Bezug auf die transnationalen Unternehmen, die unsere Territorien enteignen, vergiften und unzählige Menschenrechtsverletzungen begehen. Und all das, ohne die Verantwortung für die verursachten Schäden übernehmen zu müssen.