Foto: Grettel V. Navas, Albas Sud Fotografía (CC BY-NC-ND 2.0)
Landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Costa Rica: Europa denkt da vor allem an Bananen und Ananas, tropische Früchte eben. Aber das kleine zentralamerikanische Land produziert alles, was man sich vorstellen kann. Auf den Wochenmärkten liegen Äpfel neben Mangos, Maniok neben Kartoffeln, Brombeeren neben Brotfrüchten, Kochbananen neben Karotten. Die unterschiedlichen Klimazonen machen diese Vielfalt möglich. Doch während die Ananas-, Orangen- und Bananenplantagen im Tiefland von Exportrekord zu Exportrekord rasen, haben Costa Ricas Bauernfamilien im Hochland zu kämpfen. Seit den Finanz- und Wirtschaftskrisen der 80er und 90er Jahre hat der Staat seine Unterstützung für die kleinbäuerliche Landwirtschaft weitgehend eingestellt. Viele Bauernfamilien leben heute, mit Einnahmen unter 1000 US$, am oder unter dem costa-ricanischen Existenzminimum. Doch es gibt Alternativen.
„Bei uns ist alles biologisch und zertifiziert“, preist der 24 Jahre junge Ökobauer Jonathan Castro Granados auf dem Wochenmarkt seine Produkte an. Sieben Familien haben sich vor Jahren zu einer Kooperative zusammengeschlossen und können heute eine lange Liste von 85 Erzeugnissen anbieten. Vorher hatte ihnen die konventionelle Landwirtschaft die Böden ausgelaugt und gesundheitliche Probleme gebracht. Heute produziere man gesunde Produkte, die aber auch wirtschaftlich Sinn machen: „Bio ist sicherlich teurer wegen des Arbeitseinsatzes und der Zertifizierungskosten. Dafür bringen unsere Erzeugnisse mehr ein. Wir verkaufen auch Warenkörbe, die wir direkt zu den Kund*innen bringen, die Kund*innen wissen, wann sie was bekommen – und wir können besser planen.“
Emilce Fuentes stapft in hohen Lederstiefeln über ihre sechs Hektar große Finca, die auf 600m Höhe tief unter dem Turrialba Vulkan liegt. Lange Kleidung und ein breiter Bast-Sombrero schützen sie vor der Sonne, scharfen Blättern und Getier. Emilce ist pensionierte Lehrerin und betreibt ihre Finca teils als Nebenerwerb, teils als traditionsbewusstes Hobby. Die Ausläufer des Turrialba werden seit Generationen von Kleinbäuer*innen kultiviert, die dort, wie Emilce, Kaffee, Kakao und Bananen anbauen. Oder eben Zuckerrohr. Doch die weltweiten Zuckerpreise sind seit Jahren derart im Keller, dass es im teuren Costa Rica fast unmöglich ist, kostendeckend für den konventionellen Weltmarkt zu produzieren.
Aber auch hier gibt es eine Nische: Und die liegt ausgerechnet in der Zusammenarbeit von Kleinbäuer*innen mit einem familieneigenen Großbetrieb „ASSSUKKAR“, dem größten Zuckerproduzenten in der Region. Der hatte schon vor Jahren auf Biozucker umgestellt, den Bioläden in aller Welt gerne ins Sortiment nehmen und der deutlich bessere Preise bringt. Noch lukrativer ist Bio und Fairtrade zertifizierter Zucker. Das Problem: Betriebe von Assukkars Größe entsprechen nicht den Fairtrade-Kriterien, die ja gerade die kleinbäuerliche Wirtschaft fördern wollen. Aber meistens haben Kleinbäuer*innen weder eine eigene Zuckerrohrsiederei noch Zugang zum internationalen Markt. Deswegen darf fair gehandelter Bio-Vollrohrzucker bis zu 49 Prozent Mengenanteil von größeren Betrieben wie Assukkar enthalten.
“Als Kleinbäuerin, vor allem in der Biolandwirtschaft,, braucht Du einfach eine Organisation, auf die Du Dich stützen kannst.“
Assukkars Partner*innen sind nicht Kleinbäuer*innen wie Emilce, sondern die von ihr und 50 Nachbar*innen gegründete “Vereinigung biologisch und umweltverträglich anbauender Produzenten” auf spanisch abgekürzt APOYA. Die Erlöse für das Bio-Fairtrade-Zuckerrohr lassen sich mit über 3000 Euro pro Jahr und Hektar sehen – mehr als doppelt so viel wie bei konventionellem Anbau, sagt Emilce. Hinzu kommt die Fairtrade-Prämie, die auf den Vollrohrzuckerpreis aufgeschlagen und an Apoya, den Kleinbauern-Verein, gezahlt wird. Das Geld ist für die Weiterentwicklung der Kooperative gedacht, für Schulungen, für gemeinschaftliche Anschaffungen und Marketinginitiativen. Für Emilce sind Fairtrade und Kooperativenwirtschaft ein Segen: „Ohne Apoya hätte ich keinen Markt. Als Kleinbäuerin, vor allem in der Biolandwirtschaft,, braucht Du einfach eine Organisation, auf die Du Dich stützen kannst.“
Das Dorf Santa Maria de Dota ist eines der Zentren des costa-ricanischen Kaffeeanbaus. Um das Dorf herum und die Hügel hinauf leuchtet das Dunkelgrün der Kaffeebüsche, dazwischen Bananenstauden oder Mangobäume, darüber Wald. Anfang des Jahrtausends brachen die Kaffeepreise dramatisch ein und Costa Rica mit seinen hohen Lebenshaltungs- und Produktionskosten war plötzlich nicht mehr konkurrenzfähig – zahllose Kaffeebäuer*innen mussten aufgeben. In Santa Maria de Dota hat der Kaffee überlebt – und gedeiht mittlerweile wieder prächtig.
COOPEDOTA, die Kooperative der Kaffeeproduzenten von Santa Maria de Dota und Umgebung, liegt am Ortseingang. Silos, Mühlen und Trockenanlagen dominieren schon optisch das Stadtbild. 1960 wurde Coopedota gegründet, weil die Bäuer*innen damals keine Möglichkeiten hatten, für Ernte einen guten Preis zu erzielen. Heute hat die Kooperative 900 Mitglieder. Manager Roberto Mata Naranjo sitzt in seinem Büro direkt hinter dem Labor der Qualitätskontrolle, ein acht bis zehn Stundentag bei Kaffeeduft: „Anderswo sind die Kaffeebäuer*innen komplett den Händler*innen, den Transnationalen ausgesetzt. Obwohl sie sehr guten Kaffee haben, erzielen sie miese Preise – und die Großhändler*innen freuen sich diebisch.“ COOPEDOTA hat dagegen den gesamten Prozess in der Hand: „Wir waschen und trocknen die Kaffeebohnen und bereiten sie für den Export auf. Wir mahlen und rösten den Kaffee für den nationalen Markt. Dadurch erzielen wir fast den doppelten Preis.“
Foto: WhatsAllThisThen (CC BY-NC-ND 2.0)
Die Kooperative exportiert von der Rainforest Alliance zertifizierten Kaffee, also Kaffee, der nachhaltig Regenwald schonend produziert ist. Ein zweites Zertifikat weist COOPEDOTA als CO2 neutral aus. Fast 90 Prozent der Wälder um Santa Maria de Dota sind geschützt, die meisten davon noch Primärwälder. Wie beim fair gehandelten Rohrzucker sind auch beim umwelt- und klimaschonend produzierten Kaffee viele Verbraucher*innen auf der Welt bereit, einen höheren Preis zu zahlen. Den Bäuer*innen von Coopedota bringt das nach Angaben des Managers ein Extra von mindestens 25 US-Dollar pro Zentner Kaffee.
Costa Ricas Landwirtschaftsminister Luis Felipe Araus redet gerne über die zwei Säulen costa-ricanischer Landwirtschaftspolitik: Den Export von Agrarprodukten, der Devisen bringt und den Erhalt der heimischen Landwirtschaft durch die Förderung lokaler Märkte. Ein bisschen Ernährungssouveränität will der Minister also erhalten – trotz des Ananasbooms und des großen Einflusses der Großgrundbesitzer*innen und transnationaler Agrounternehmen auf die Politik: „Wenn wir wollen, dass die Landwirtschaft auch weiterhin produziert, was wir essen, dann müssen die jungen Menschen Liebe zur Landwirtschaft entwickeln und in der Produktion eine Perspektive sehen.“ Das könne durch Forschung geschehen, durch Hilfe bei der Vermarktung oder durch die Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. Ziel dabei sei immer, die Produktivität zu steigern und Mehrwert zu schaffen. Hört sich super an, nur in der Praxis sagen viele Landwirt*innen: Da tue sich wenig. Förderungen für umweltschonende Landwirtschaft gebe es, sie seien aber mickrig und mit viel Bürokratie verbunden.
Auf der anderen Seite lasse die Politik zu, dass immer mehr landwirtschaftliche Flächen zu giftigen Monokulturen werden.
Auf der anderen Seite lasse die Politik zu, dass immer mehr landwirtschaftliche Flächen zu giftigen Monokulturen werden. In wenigen Jahren hätte sich die Anbaufläche für Ananas verdoppelt, schimpft Mauricio Álvarez, Vorsitzender der costa-ricanischen Umweltschutzföderation Fecon. Die Ananas ist Costa Ricas Exportschlager, der alles andere untergeordnet wird: Der exorbitante Pestizid- und Herbizideinsatz auf den Feldern, der den Anliegergemeinden das Grund- und Oberflächenwasser vergiftet – die Opferung von Kulturlandschaften und Waldrodung kommen hinzu. Gerade erst hat das costa-ricanische Umweltministerium eine 500 Hektar große Ananas-Monokultur des Fruchtkonzerns Pindeco-Del Monte genehmigt, die laut Álvarez das Risiko birgt, eines der größten Mangroven-Gebiete Zentralamerikas zu zerstören.
Die Karibikküste Costa Ricas ist seit einem guten Jahrhundert Bananenland. Kilometerweit ziehen sich die Plantagen die Hauptstraße entlang. In den letzten zwanzig Jahren sind Ölpalmenmonokulturen dazu gekommen, etwas weiter im Landesinneren dehnt sich die Ananas bis zum Horizont aus. In der Karibikebene Costa Ricas ist vom tropischen Regenwald in der Nähe von Hauptstraßen kaum noch etwas zu sehen. Ein paar Kilometer landeinwärts von der Ansiedlung Hone Creek am südlichen Karibikabschnitt führt der Deutsche Manuel Tobias Mittelhammer Naturliebhaber*innen stundenlang durch sein 130 Hektar großes Regenwaldreservat. Gestresste Bänker*innen, die mal ohne Strom, Internet und Handyempfang abschalten wollen, sind ebenso zu Gast wie Studierende oder Yoga-Begeisterte.
Foto: Tim Vo (CC BY-NC-ND 2.0)
Aber Wald kann noch viel mehr, als nur optisch oder akustisch zu beeindrucken. Er kann, zum Beispiel im Rahmen von Permakultursystemen, sogar eine Alternative zur giftigen Monokulturwirtschaft sein, sagt der diplomierte Forstingenieur, der seit zehn Jahren in Costa Rica lebt: „Tropischer Wald besitzt ein unglaubliches Potenzial.“ Es können Bananen geerntet werden, dann Maniok, Wasserbrotwurzeln, Ñame (Yamswurzeln), mexikanischer Baumspinat, Süßkartoffeln, Kokosnuss, Avocados, Wasserapfel, Mangos. Dazu sei der Wald eine Apotheke, in dem Heilpflanzen gegen Wehwehchen, aber auch gegen schlimmere Krankheiten wachsen. „Diese Systeme sind eigentlich rentabler, gerade als die großen Monokulturen. Denn bei denen ist natürlich das Problem, dass die Böden immer mehr auslaugen und dann immer mehr Pestizide und künstliche Dünger eingesetzt werden müssen, was dann einen großen Teil vom Ertrag auch wieder zunichte macht.
Die sozialen, Umwelt- und Klimafolgen der globalisierten Monokultur-Landwirtschaft haben neues Interesse für eine regionale, ökologische, tropische Landwirtschaft geweckt. Auch wenn keine Ökobäuer*innen, keine Fairtrade-Produzierenden, keine Genossenschaftler*innen auf ihrem Land reich werden dürften. Aber solange die Hauptstadtregion San José Jobs bietet, die zwar bei den hohen Lebenshaltungskosten dort auch kaum zum Leben reichen, ist man vielleicht auf seinem kleinen Bauernhof besser aufgehoben. Diejenigen zumindest, die neue Wege gehen.