Damals vor dem Ende, heute endlich vor der Volksabstimmung LN-Cover aus 2013 mit Titelspruch zur Yasuní-Itt-Initiative
Ein Viertel der Erdölreserven des Landes im Boden lassen, um CO2-Emissionen zu vermeiden und einen Nationalpark zu schützen – diesen Vorschlag machte im Jahr 2007 Ecuadors damaliger Präsident Rafael Correa. Statt Erdöl zu fördern, wollte er die besondere biologische Vielfalt des Yasuní-Nationalparks und die Heimat mehrerer indigener Gemeinschaften erhalten. Im Gegenzug sollten die Länder des globalen Nordens die Hälfte der prognostizierten Erdöleinnahmen auf ein Treuhandkonto einzahlen. Das Geld wollte Correa in soziale Entwicklung und eine nachhaltige Wirtschaft investieren.
Initiator dieser sogenannten Yasuní-ITT-Initiative war Correas Energieminister Alberto Acosta. Er leitete außerdem zeitweise die Ausarbeitung der 2008 verabschiedeten neuen Verfassung Ecuadors, die das Prinzip des „guten Lebens“ (auf Quechua Sumak kawsay) zum Staatsziel machte. Indigene Konzepte bekamen mit ihr Verfassungsrang und Yasuní-ITT sollte die abstrakten Prinzipien in konkrete Politik umsetzen.
Die Initiative war damals ihrer Zeit voraus. Sie machte die Einschränkung bzw. das Ende des fossilen Extraktivismus zur offiziellen Regierungspolitik eines Landes – Jahre bevor hierzulande Bewegungen wie Fridays for Future oder die Letzte Generation begannen, gegen den Klimawandel zu mobilisieren. Auch die heutigen Vorschläge der Debt for Climate Bewegung nahm Yasuní-ITT vorweg. Die Bewegung fordert, dass der globale Norden, der Jahrhunderte lang auf Kosten der Länder des globalen Südens wuchs, diesen die Schulden erlassen solle. So wäre der globale Süden auch nicht mehr darauf angewiesen, fossile Rohstoffreserven auszubeuten.
Yasuní-ITT war einzigartig und revolutionär, weil es mit dem für Klima- und Naturschutz nachteiligen Wachstumsdenken brach. Es war das „Richtige im Falschen“, wie die LN damals analysierten. Von Deutschland gab es jedoch „kein Geld fürs Nichtstun“, denn der damalige deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zog Deutschlands schon erteilte Zusage zum Projekt mit dieser Aussage wieder zurück. 2013 verkündete Präsident Correa, dass die Initiative gescheitert war: Nur 335 Millionen Dollar waren zugesagt und lediglich 13,3 Millionen tatsächlich gezahlt worden. Deutschlands Beitrag hätte einen wesentlichen Unterschied gemacht. Die Mitverantwortung an der vertanen Chance ist peinlich, aus heutiger Sicht noch mehr als damals.
In anderen Ländern kamen linke Regierungen gar nicht erst so weit wie die Regierung Correas: Evo Morales in Bolivien und später Gabriel Boric in Chile hielten am Extraktivismus fest. Ob es bei Gustavo Petros Regierung in Kolumbien anders läuft, bleibt abzuwarten. Doch Skepsis ist angebracht, denn fossile Rohstoffe wie Öl, Lithium, Gas, Kupfer oder Kohle speisen die Staatshaushalte Lateinamerikas und darauf können auch linke Regierungen bisher nicht verzichten.
Dennoch hat die Initiative etwas bewegt. Correas Absage an Yasuní-ITT führte dazu, dass eine breite zivilgesellschaftliche Protestbewegung entstand: die Yasunidos. Obwohl die Regierung sie schikanierte und unterdrückte, sammelte die Organisation über 750.000 Unterschriften für ein Referendum über Yasuní-ITT. Die meisten Stimmen annullierte der politisch nicht unabhängige Wahlrat, doch Anfang Mai 2023 genehmigte das Verfassungsgericht Ecuadors die Volksabstimmung schließlich – nach zehn Jahren des Kampfes. Sie wird zeitgleich mit den von Präsident Lasso angesetzten Neuwahlen im August 2023 stattfinden. Das alles zeigt: Beharrlichkeit fördert zuweilen Gelingen.
Martin Schäfer ist seit 2018 Mitglied der LN-Redaktion und interessiert sich für die Kämpfe indigener Bewegungen
Ginette Haußmann ist seit 2023 Mitglied der LN-Redaktion und möchte Menschen durch Sprache begeistern