Der Zeit voraus gewesen

Damals vor dem Ende, heute endlich vor der Volksabstimmung LN-Cover aus 2013 mit Titelspruch zur Yasuní-Itt-Initiative

Ein Viertel der Erdölreserven des Landes im Boden lassen, um CO2-Emissionen zu vermeiden und einen Nationalpark zu schützen – diesen Vorschlag machte im Jahr 2007 Ecuadors damaliger Präsident Rafael Correa. Statt Erdöl zu fördern, wollte er die besondere biologische Vielfalt des Yasuní-Nationalparks und die Heimat mehrerer indigener Gemeinschaften erhalten. Im Gegenzug sollten die Länder des globalen Nordens die Hälfte der prognostizierten Erdöleinnahmen auf ein Treuhandkonto einzahlen. Das Geld wollte Correa in soziale Entwicklung und eine nachhaltige Wirtschaft investieren.

Initiator dieser sogenannten Yasuní-ITT-Initiative war Correas Energieminister Alberto Acosta. Er leitete außerdem zeitweise die Ausarbeitung der 2008 verabschiedeten neuen Verfassung Ecuadors, die das Prinzip des „guten Lebens“ (auf Quechua Sumak kawsay) zum Staatsziel machte. Indigene Konzepte bekamen mit ihr Verfassungsrang und Yasuní-ITT sollte die abstrakten Prinzipien in konkrete Politik umsetzen.

Die Initiative war damals ihrer Zeit voraus. Sie machte die Einschränkung bzw. das Ende des fossilen Extraktivismus zur offiziellen Regierungspolitik eines Landes – Jahre bevor hierzulande Bewegungen wie Fridays for Future oder die Letzte Generation begannen, gegen den Klimawandel zu mobilisieren. Auch die heutigen Vorschläge der Debt for Climate Bewegung nahm Yasuní-ITT vorweg. Die Bewegung fordert, dass der globale Norden, der Jahrhunderte lang auf Kosten der Länder des globalen Südens wuchs, diesen die Schulden erlassen solle. So wäre der globale Süden auch nicht mehr darauf angewiesen, fossile Rohstoffreserven auszubeuten.

Yasuní-ITT war einzigartig und revolutionär, weil es mit dem für Klima- und Naturschutz nachteiligen Wachstumsdenken brach. Es war das „Richtige im Falschen“, wie die LN damals analysierten. Von Deutschland gab es jedoch „kein Geld fürs Nichtstun“, denn der damalige deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zog Deutschlands schon erteilte Zusage zum Projekt mit dieser Aussage wieder zurück. 2013 verkündete Präsident Correa, dass die Initiative gescheitert war: Nur 335 Millionen Dollar waren zugesagt und lediglich 13,3 Millionen tatsächlich gezahlt worden. Deutschlands Beitrag hätte einen wesentlichen Unterschied gemacht. Die Mitverantwortung an der vertanen Chance ist peinlich, aus heutiger Sicht noch mehr als damals.

In anderen Ländern kamen linke Regierungen gar nicht erst so weit wie die Regierung Correas: Evo Morales in Bolivien und später Gabriel Boric in Chile hielten am Extraktivismus fest. Ob es bei Gustavo Petros Regierung in Kolumbien anders läuft, bleibt abzuwarten. Doch Skepsis ist angebracht, denn fossile Rohstoffe wie Öl, Lithium, Gas, Kupfer oder Kohle speisen die Staatshaushalte Lateinamerikas und darauf können auch linke Regierungen bisher nicht verzichten.

Dennoch hat die Initiative etwas bewegt. Correas Absage an Yasuní-ITT führte dazu, dass eine breite zivilgesellschaftliche Protestbewegung entstand: die Yasunidos. Obwohl die Regierung sie schikanierte und unterdrückte, sammelte die Organisation über 750.000 Unterschriften für ein Referendum über Yasuní-ITT. Die meisten Stimmen annullierte der politisch nicht unabhängige Wahlrat, doch Anfang Mai 2023 genehmigte das Verfassungsgericht Ecuadors die Volksabstimmung schließlich – nach zehn Jahren des Kampfes. Sie wird zeitgleich mit den von Präsident Lasso angesetzten Neuwahlen im August 2023 stattfinden. Das alles zeigt: Beharrlichkeit fördert zuweilen Gelingen.

Martin Schäfer ist seit 2018 Mitglied der LN-Redaktion und interessiert sich für die Kämpfe indigener Bewegungen
Ginette Haußmann ist seit 2023 Mitglied der LN-Redaktion und möchte Menschen durch Sprache begeistern


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MIT DER UNTERSTÜTZUNG RAFAEL CORREAS

Für mehr Transparenz Indigene Führungsfiguren protestieren vor dem nationalen Wahlrat (Foto: Karen Toro)

Wer als erster der 16 Kandidat*innen in die Stichwahl um die Präsidentschaft einziehen würde, stand schnell fest. Andrés Arauz holte 32,72 Prozent der Stimmen. Der 36-Jährige trat für die Einheit für die Hoffnung (UNES) an und hatte unter Ex-Präsident Rafael Correa (2007-2017) erste Posten in der Politik übernommen.

Um den zweiten Platz lieferten sich Yaku Pérez von der Partei Pachakutik, dem politischen Arm der indigenen Dachorganisation CONAIE und der neoliberale Guillermo Lasso von der Partei CREO bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Schlussendlich kam Lasso auf 19,74 Prozent der Stimmen, Pérez erhielt 19,38 Prozent. Überraschend stark war nicht nur Pérez, sondern auch Xavier Hervas von der demokratischen Linken (ID), der circa 16 Prozent der Wähler*innenstimmen erreichte und damit den vierten Platz belegte.

Das Wahlergebnis ist eine klare Absage an die neoliberale Politik des scheidenden Präsidenten Lenín Moreno und ein Erfolg für Ecuadors Linke sowie die indigene Bewegung, die im Herbst 2019 die Proteste gegen Morenos neoliberales Reformpaket anführte. Die indigene Partei Pachakutik wird zweitstärkste Kraft im Parlament und erzielt damit das beste Ergebnis seit ihrer Gründung 1995. Die Partei Morenos hingegen, das Bündnis für das Land (AP), erhielt nur 2,7 Prozent der Stimmen und wird in der kommenden Legislaturperiode nicht mehr in der Nationalversammlung vertreten sein. Die stärkste Kraft wird das 2020 neu gegründete Bündnis UNES, mit 32,2 Prozent der Stimmen. Die ID verbessert sich von knapp 3,7 auf 11,9 Prozent und wird drittstärkste Kraft. CREO wird mit unter 9,65 Prozent der Stimmen nur fünftstärkste Kraft und ordnet sich hinter der sozial-christlichen Partei (PSC) ein.

Das Ergebnis eröffnet neue Möglichkeiten für politische Debatten

Das Ergebnis eröffnet neue Möglichkeiten für politische Debatten, jenseits der Kontroverse um die staatsinterventionistische Politik Rafael Correas auf der einen und der neoliberalen Reformpolitik auf der anderen Seite. Die Herausforderung für Andrés Arauz wird darin bestehen, diese Debatten so zu führen, dass er auch die Stimmen der Correa-Gegner*innen aus dem linken Spektrum für sich zu gewinnen vermag.

Andrés Arauz ist mit 36 Jahren der jüngste der Spitzenkandidaten. Von 2015 bis 2017 war er als Minister für Wissen und menschliches Talent Teil der Regierung Rafael Correas, der ursprünglich selbst für die Vizepräsidentschaft an Arauz’ Seite kandidieren wollte. Dies wurde ihm allerdings verwehrt, da Correa im April 2020 wegen Korruptionsvorwürfen zu acht Jahren Haft verurteilt wurde. Correa lebt seit dem Ende seiner Präsidentschaft 2017 im belgischen Exil, der Heimat seiner Frau. Trotzdem war der Ex-Präsident im Wahlkampf von Arauz omnipräsent. So zierte er riesige Wahlplakate, auf denen er zur Wahl von Arauz aufrief, um die „Zukunft wiederherzustellen“. Das Programm von Arauz knüpft daher an die soziale Reformpolitik von Correa an. So plant er einen umfassenden Ausbau des Gesundheitswesens sowie Direktzahlungen an Familien, die unter der aktuellen Wirtschaftskrise besonders leiden.

„In der zweiten Runde wird er mehr Eigenständigkeit zeigen müssen.“

Pablo Ospina Peralta, der am Institut für ecuadorianische Studien an der Universität Andina Simón Bolívar in Quito unterrichtet, erklärte gegenüber LN, dass es schwierig zu sagen sei, inwiefern sich Arauz von Correa emanzipieren könnte und seine eigene politische Agenda etablieren würde. „Die Intoleranz, die Rafael Correa in den ersten Wochen der Regierung Lenín Morenos an den Tag legte, lange bevor es zu einem programmatischen Wechsel kam, deutet darauf hin, dass es sehr schwierig ist, seine (Correas, Anm. d. Red.) Loyalitätsstandards zu erfüllen. Ein Bruch ist nicht undenkbar. Der Unterschied zum Sieg von Lenín Moreno ist, dass praktisch alle Stimmen für Arauz auf Rafael Correa zurückzuführen sind.“ Aus Sicht von Ospina muss Arauz für die Stichwahl seine Strategie ändern: „Arauz kommt ohne eigene Kraft an; ohne die geringste Autonomie. In der zweiten Runde wird er mehr Eigenständigkeit zeigen müssen, wenn er gewinnen will. Aber die interne Macht liegt ganz in den Händen des ehemaligen Präsidenten.“ Für Ospina wirft das auch Fragen auf: „Aufgrund dieser widersprüchlichen Überlegungen ist es nicht vorhersehbar, welche Richtung oder welche Unabhängigkeit eine eventuelle Regierung von Andrés Arauz haben könnte.“

Im Gegensatz zu Andrés Arauz ist Guillermo Lasso ein alter Bekannter. Lasso kandidiert bereits zum dritten Mal für das Präsidentschaftsamt und verlor zuletzt 2017 gegen Lenín Moreno, damals erhielt Lasso noch 28 Prozent der Stimmen in der ersten Runde. Der ehemalige Geschäftsführer der Bank von Guayaquil wirbt mit Steuersenkungen und günstigen Bedingungen für ausländische Investor*innen, um die Wirtschaftsleistung anzukurbeln. Gekoppelt mit den Einnahmen aus Rohstoffexporten sollen Millionen neue Jobs geschaffen werden. Es ist genau diese Art von Politik, für die auch Moreno steht und gegen die Tausende von Ecuadorianer*innen im Oktober 2019 auf die Straße gingen. Lasso mag für einen Teil der Bevölkerung eine wählbare Alternative zu der stets polarisierenden Strömung des Correismus darstellen. Die Gräben zwischen arm und reich dürfte Lassos Politik hingegen noch vertiefen.

Yaku Pérez klagt gegen das Wahlergebnis

Die Kampagne von Yaku Pérez versprach Alternativen zum extraktivistischen Wirtschaftsmodell. Er legte in der Kampagne einen Fokus auf das Konzept des plurinationalen Staates, das seit 2008 in der ecuadorianischen Verfassung festgeschrieben ist, sowie auf der Einführung einer Vermögenssteuer. Unter anderem aufgrund seiner öffentlichen Unterstützung für den Putsch gegen Evo Morales im Herbst 2019 in Bolivien, wird Pérez von manchen Beobachter*innen aus dem linken Spektrum als Wolf im Schafspelz bezeichnet. Pérez zweifelt das Ergebnis der Wahl weiter an. Am 23. Februar reichte er Klage gegen den CNE beim Wahlgerichtshof (TCE) ein. Er präsentierte dabei 16.000 Wahlprotokolle, die seine Behauptung des Betruges beweisen sollen. Jedes dieser Protokolle stehe dabei für jeweils 300 beanstandete Stimmzettel. Zuletzt wurde eine Forderung der obersten Kontrollbehörde und der Generalstaatsanwaltschaft Ecuadors nach einem computergestützten Audit der Wahldaten abgelehnt. In einem offenen Brief warnte die Gruppe der internationalen Progressiven um den US-amerikanischen Linksintellektuellen Noam Chomsky vor einem Staatsstreich gegen die Demokratie durch die Regierung Morenos, um Arauz als Präsidenten zu verhindern.

Die Anhänger*innen von Yaku Pérez gehen zwar weiter für mehr Transparenz auf die Straße, Karen Toro, die als Fotografin in Quito arbeitet, sagte jedoch gegenüber LN: „Es wurden kleinere Proteste auf nationaler Ebene einberufen, um auf friedliche Weise Transparenz im Wahlprozess zu fordern, aber persönlich denke ich, dass die indigene Bewegung sehr vorsichtig sein wird, dass die Proteste nicht so wie im Oktobers 2019 eskalieren, weil sie (die Bewegung, Anm. d. Red.) sich politisch um sich selbst kümmern muss.“

Über Pérez sagte Toro, dass er nicht der stärkste indigene Anführer sei, jedoch einer, der mehr Repräsentation aus anderen Sektoren generieren könnte, die nicht ausschließlich indigen sind, darunter soziale Bewegungen, Umweltschützer, Studenten und andere Linke, die nicht mit dem Correa-Projekt einverstanden sind.

Für Pachakutik gilt es nun, interne Differenzen zu überwinden und klare Positionen zu formulieren, um aus den Wahlen vom 7. Februar als gestärkter politischer Akteur hervorzugehen.
Ospina gibt sich in dieser Hinsicht optimistisch: „Historisch gesehen haben es CONAIE und Pachakutik immer geschafft, ihre internen Spannungen und ideologischen Differenzen zu bewältigen. Sie haben dies am erfolgreichsten an kritischen Punkten getan. Das Schwierigste war es, im politischen Tagesgeschäft schnell und passend Entscheidungen zu treffen. Auch die Kandidatur von Yaku Pérez führte zu Spannungen und Unstimmigkeiten, aber am Ende unterstützten der Großteil der Basis und der Organisationen den indigenen Kandidaten begeistert und stimmten für ihn.“

Yaku Pérez hat bisher klar gemacht, dass er weder Arauz noch Lasso in der Stichwahl unterstützen würde. Lasso kann nicht mit indigener Unterstützung rechnen. Auch Marlon Santi, der nationale Koordinator von Pachakutik, stellte im Interview mit der Zeitung El Universo klar, dass man keinen Kandidaten unterstützen werde, „der durch Betrug weitergekommen ist.“ Für Arauz erhöht das die Chancen.


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ECUADORS INDIGENE MELDEN SICH ZURÜCK

Brennende Barrikaden Straßenproteste in Ecuadors Hauptstadt Quito // Foto: Miriam Lang

Die Übereinstimmung der Zahlen ist frappierend: Einen Kredit von vier Milliarden und 200 Millionen Dollar will die ecuadorianische Regierung unter Lenín Moreno vom Internationalen Währungsfonds. Um den zu bekommen, muss sie bestimmte Strukturanpassungsmaßnahmen durchführen: Unter anderem die staatlichen Subventionen für Treibstoffe streichen und die Diesel- und Benzinpreise dem Weltmarktniveau anpassen; aber auch Arbeitnehmer*innenrechte zurücknehmen, um den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren. Soziale Organisationen haben errechnet, dass es genau vier Milliarden und 295 Millionen Dollar sind, die Lenín Moreno in den vergangenen Jahren Banken und großen Unternehmen an Steuerzahlungen erlassen hat. Es handelt sich also, so wird argumentiert, um eine eindeutige Umverteilungsmaßnahme von unten nach oben.
Die breite Bevölkerung muss zahlen, damit die Eliten noch reicher werden. 554 Millionen Dollar Profit sollen die Banken allein 2018 gemacht haben, während nun die Gehälter von Staatsangestellten mit Gelegenheitsverträgen pauschal um 20 Prozent gekürzt werden sollen. Zehntausende werden aus dem Staatsapparat entlassen, in eine Ökonomie, die stagniert und kaum Arbeitsplätze zu bieten hat.
Eine Erhöhung der Benzin- und vor allem Dieselpreise bedeutet eine unmittelbare Verteuerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Die Busfahrkarten im öffentlichen Nahverkehr werden um zehn Cent teurer, aber auch Lebensmittel und Dienstleistungen. Nicht nur, weil die Transportkosten aufgrund des zunächst um 123 Prozent verteuerten Treibstoffs tatsächlich steigen, sondern weil Transportunternehmen und Zwischenhändler*innen obendrein die Gelegenheit nutzen, ihre Gewinnspanne zu erhöhen. Das ist der Hauptgrund für die massiven Proteste, die seit dem 3. Oktober in Ecuador ausgebrochen sind und das Land lahmgelegt haben.
Es geht nicht etwa um eine umweltfreundliche Politik, die die Menschen von der privaten PKW-Nutzung auf öffentliche Verkehrsmittel umlenken soll – dafür müsste in einen sauberen öffentlichen Nahverkehr investiert werden, um eine reale Alternative zu schaffen. Der Effekt wird vielmehr eine weitere Vertiefung der Ungleichheit sein in einem Land, in dem die Ökonomie bereits stark monopolisiert ist. Auch die Ökologiebewegung hat sich den Protesten angeschlossen. Eine konsequente Umwelt- und Klimapolitik, so die Organisation Acción Ecológica, würde eine Rücknahme der vielfachen Subventionen und Steuerausnahmen für Erdölfirmen, Bergbau- und Palmölunternehmen erfordern, die jedoch ihre zerstörerischen Tätigkeiten im Land immer mehr ausweiten.
Seit Beginn der Proteste brennen in allen Teilen des Landes Barrikaden, die wichtigsten Verkehrsadern sind blockiert, Zehntausende Menschen sind auf den Straßen und mehrere Präfekturen besetzt. Einige Tage lang waren auch drei der wichtigsten Ölfelder im Amazonasgebiet lahmgelegt, was den Staat an seiner empfindlichsten Stelle trifft. Während Taxifahrer*innen und Transportarbeiter*innen mit den Protesten begonnen hatten, führt nun die indigene Bewegung den Aufstand an, mit Unterstützung der Gewerkschaften und einiger Sektoren der Mittelschichten. Als Antwort auf den von der Regierung für 60 Tage ausgerufenen Ausnahmezustand, der Tausende von Soldat*innen und schweres Gerät auf die Straßen brachte, rief auch die Konföderation der Indigenen Völker Ecuadors (CONAIE) in ihren Territorien den Ausnahmezustand aus und kündigte an, Polizist*innen und Soldat*innen festzunehmen, die diese ohne Erlaubnis betreten. Dies geschah dann auch prompt in der Provinz Chimborazo in den Anden, wo knapp 50 Uniformierte für mehrere Tage festgesetzt wurden.

Zum ersten Mal in zwölf Jahren hebt die Bevölkerung wieder den Kopf


Die größten Demonstrationen von bis zu 40.000 Menschen gibt es in der Hauptstadt Quito. Lastwagenweise kommen Indigene sowie Bauern und Bäuerinnen aus den umliegenden Provinzen und schlagen ihr Lager im zentralen Parque el Arbolito und in Universitäten auf. Die Bevölkerung der Hauptstadt heißt sie mit Decken, warmer Kleidung, Lebensmittel- und Medikamentenspenden willkommen, Großküchen werden spontan eingerichtet, um die Ernährung der Landbevölkerung solidarisch zu gewährleisten. Die massiven Protestmärsche wurden von heftigen Krawallen begleitet, an denen sich vor allem Studierende und andere junge urbane Männer beteiligen und von denen die indigenen Protestteilnehmer*innen sich deutlich distanzieren. Polizei und Armee antworten mit einem Niveau an Repression, wie sie das kleine Andenland bisher kaum kannte, inklusive Angriffe auf Krankenhäuser und Unis. Bis Redaktionsschluss bilanzierte der ecuadorianische Ombudsmann landesweit fünf Tote, über 1000 Festnahmen und über 800 Verletzte. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Es geht heute in Ecuador nicht nur darum, eine Regierung zu zwingen, ein vom IWF aufgezwungenes neoliberales Maßnahmenpaket rückgängig zu machen oder sie zu stürzen. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren hebt die Bevölkerung Ecuadors wieder den Kopf und zieht mit Massenmobilisierungen gegenüber den Mächtigen und der Oligarchie eine rote Linie. „Einmal mehr gibt die indigene Bewegung uns unsere Würde zurück“, bewertet der Intellektuelle Jaime Breilh die Situation.

Zehntausende auf den Straßen Die indigene Bewegung führt den Aufstand an // Foto: Miriam Lang

Anders als in einigen ausländischen Medien behauptet, drücken die Proteste im Oktober 2019 keineswegs den Wunsch der Bevölkerung aus, den Expräsidenten Rafael Correa (2007-2017) an die Regierung zurückzuholen. Dessen Partei wurde vielmehr bei den Regionalwahlen im März 2019 deutlich abgestraft und gewann lediglich zwei von 23 Präfekturen. Ein harter Kern von Correa-Anhängern und der Expräsident selbst, der sich nach wie vor im belgischen Exil befindet und aufgrund mehrerer Strafverfahren nicht nach Ecuador zurückkehren kann, versuchten jedoch schnell, den Protest politisch für sich zu instrumentalisieren. Während ihre Kritik an der Vertiefung neoliberaler Politik durch die Moreno-Regierung zutreffend ist, vertuschen sie systematisch, dass sie selbst den Weg für diese Politik bereitet und ihre ersten Stadien bereits umgesetzt hatten, beispielsweise durch die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union. Die CONAIE distanzierte sich denn auch deutlich von den correistischen Vereinnahmungsversuchen, während diese der Moreno-Regierung einen willkommenen Vorwand lieferten, um zu behaupten, der Oktober-Aufstand sei lediglich eine von den Correisten aus dem Ausland gesteuerte Verschwörung, und kein Ausdruck echten Unmuts in der Bevölkerung.
Auffällig ist, dass keine der offiziellen Verlautbarungen der CONAIE den Rücktritt von Präsident Moreno fordert, sondern lediglich den seiner Innenministerin María Paula Romo und seines Verteidigungsministers Oswaldo Jarrín. Politischen Analysen zufolge sieht die Moreno-Regierung sich als eine Übergangsregierung, die der expliziten Rechten um den Christdemokraten Jaime Nebot den Weg ebnen soll. Dies hat eine Entsprechung in einem deutlichen Rechtsruck in offiziellen Medien und sozialen Netzen, wo die protestierenden Indigenen und Arbeiter*innen vielfach klassistisch und rassistisch diskriminiert werden. Ein Rücktritt Morenos könnte den Aufstieg der Rechten katalysieren, während der Verbleib dieses relativ schwachen Präsidenten im Amt den Organisationen die Chance gibt, sich wieder stärker in die gesellschaftliche Debatte um die Zukunft des Landes einzumischen.
Hierbei ist es wichtig zu betonen, dass es den Indigenen mehrheitlich um ganz andere Dinge geht als Wahl- und Parteipolitik. Im Vordergrund steht nicht nur die Rücknahme des IWF-Pakets, sondern auch die Abkehr vom Extraktivismus, der rücksichtslosen Ausbeutung von Rohstoffen mit Billigung der Politik. Diese Praxis dringt immer weiter in ihre Territorien vor und bedroht ihre nackte Existenz, sowohl in materieller als auch in kultureller Hinsicht. Wie die Indigenen aus Chimborazo in einer Erklärung darlegten, verlangen sie Reparation für die seit der Kolonialzeit erlittene Ausplünderung. Und zwar nicht etwa in barer Münze, sondern in Form einer radikal anderen Agrarpolitik, die nicht auf die Ausrottung der Kleinbauern- und bäuerinnen und der kommunitären Subsistenzökonomie abzielt, sondern sie stärkt: Der Zugang zu Bewässerung, nicht patentiertem Saatgut und fruchtbarem Land im Kollektivbesitz stehen dabei im Vordergrund, sowie eine systematische Förderung ökologischer Anbaumethoden anstelle von korporativen Saatgut-Kunstdünger-Pestizid-Kits, die die Bauern und Bäuerinnen in die Abhängigkeit des transnationalen Kapitals zwingen. Plurinationalität, seit den 90er Jahren die zentrale Forderung der Indigenen, meint außerdem territoriale Selbstregierung mit eigenen Justiz-, Erziehungs- und Gesundheitssystemen, aber vor allem auch eigenen Formen der Versammlungsdemokratie. Das Recht auf eine Lebensweise, die nicht vom globalen Kapitalismus diktiert wird und von der Moderne nur das nimmt, was die Gemeinschaft souverän entscheidet, das ist es, worum Ecuadors indigene Bewegung im Grunde kämpft.


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VOM „GEWONNENEN“ ZUM „VERLORENEN“ JAHRZEHNT

Auch aus Belgien bewegt Rafael Correa Ecuador. Gegen den Ex-Präsidenten wurde eine 14-tägige Meldepflicht verhängt, die Correa vor dem obersten Gericht in Ecuadors Hauptstadt Quito erfüllen müsste. Damit dreht sich der Fall „Balda“ weiter. Am 2. Juli hatte die Juristin Daniela Camacho, Richterin der Generalstaatsanwaltschaft Ecuadors den Beschluss gefasst, Correa in den Fall „Balda“ miteinzubeziehen. Bei diesem Fall handelt es sich um den Entführungsversuch des damaligen Parlamentsmitglieds Fernando Balda von der oppositionellen Partido Sociedad Patriótica in Bogotá im Jahr 2012. Balda hatte sich nach Kolumbien abgesetzt, nachdem er wegen angeblicher Falschaussagen gegen die Regierung zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Der Entführungsversuch schlug fehl, Balda wurde offiziell nach Ecuador ausgeliefert, um eine Haftstrafe von einem Jahr wegen öffentlicher Verleumdung der Regierung abzusitzen. Balda beschuldigt den Ex-Präsidenten, als Drahtzieher an seiner kurzzeitigen Entführung mitgewirkt zu haben.

Am 3. Juli hätte Correa vor dem Gericht in Quito erscheinen sollen. Stattdessen ließ er jedoch vor dem ecuadorianischen Konsulat in Brüssel sein Erscheinen protokollieren, da er dort seit einem Jahr mit seiner Familie wohnhaft ist – seine Frau ist Belgierin. Noch am gleichen Tag wurde in Quito ein internationaler Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Hinsichtlich des Haftbefehls von Interpol hat im Fall von Rafael Correa die belgische Regierung das letzte Wort. Sollte der Haftbefehl von Interpol vollstreckt werden, stünde Correa die unmittelbare Auslieferung nach Ecuador und eine Inhaftierung dort bevor.

Die Verwicklung Correas in den Prozess folgt einer generellen Tendenz in Ecuador – der Delegitimierung der Ära Correa trotz unbestrittener Erfolge im Kampf gegen Armut und Ungleichheit. Nachdem der aktuelle Präsident, Lenín Moreno, mit dem Versprechen einer Kontinuität des politischen Projekts seines Vorgängers und politischen Mentors, Rafael Correa, das Präsidentschaftsamt im April 2017 gewann, distanzierte sich die neue Regierung von ihrer Vorgängerin. Mittels einer Volksabstimmung gelang Moreno Anfang dieses Jahres ein bedeutender politischer Sieg: Er konnte seinem Vorgänger für die Zukunft die Möglichkeit eines erneuten Mandats per Verfassungsdekret endgültig verbieten.

Nach einem Jahr Regierungszeit Lenín Morenos steht nun endgültig außer Frage, dass dieser das vorherige Regierungsprojekt aufgegeben hat, für das er von der Bevölkerung explizit ein Mandat erhalten hatte. Seine Regierung zu verantworten, dass erneut mit den wirtschaftlichen Eliten paktiert wird. Einige Entscheidungen des Ministerkabinetts, vor allem die jüngste Ernennung des ehemaligen Präsidenten der ecuadorianischen Handelskammer, Richard Martínez, zum neuen Wirtschaftsminister und die Verabschiedung des „Gesetzes zur Förderung von Produktion und Investitionen, Schaffung von Arbeitsplätzen und steuerlicher Stabilität“ sind ein deutliches Indiz für die wirtschaftspolitisch neoliberale Ausrichtung der Regierung. Die Regierung möchte damit ein Zeichen gegenüber internationalen Investor*innen setzen und Ecuador ein neues Image als investor*innenfreundliches Land verpassen. Demnach soll Ecuador zum Beispiel in Zukunft, wie im Falle der Europäischen Union beim Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA), vor internationalen Gerichtshöfen von gerade diesen Investor*innen bei Streitigkeiten verklagt werden können. Generell scheint sich die Staatslogik auf allen Ebenen zu ändern. Die allmähliche Externalisierung von Staatskompetenzen, sowohl auf der lokalen wie nationalen Ebene, deutet darauf hin, dass staatliche Ausgaben und Programme systematisch gekürzt, ausgelagert und privatisiert werden.

Der kürzliche Besuch des Vizepräsidenten der USA, Mike Pence, in Quito lässt viele vermuten, dass womöglich vor Jahresende ein Handelsabkommen zwischen Ecuador und den USA unterzeichnet wird. Pence begab sich außerdem auf die Suche nach regionaler Unterstützung für das Bestreben seiner Regierung, Venezuela international zu isolieren. Weiterhin wurden nach den jüngsten Ereignissen an der Grenze zu Kolumbien, bei denen abgespaltene Fraktionen der FARC-Guerilla mehrere Personen auf ecuadorianischen Boden entführt und dort ermordet haben, bereits Sicherheitsabkommen in Grenzschutz und Kampf gegen transnationale kriminelle Organisationen unterzeichnet. Generell ist eine weitgehende Liberalisierung der Wirtschaft und eine zunehmende Öffnung der Politik und deren Unterordnung unter die Interessen der USA und der wirtschaftlichen Eliten des Landes festzustellen. Von Analyst*innen wird vermutet, dass diese Strategie in einen baldigen Kreditantrag beim Internationalen Währungsfonds (IWF) einhergehen könnte, wie es zuletzt die neoliberale Regierung Macri in Argentinien vormachte.

In Lateinamerika gewinnen Meinungen Raum, welche nach einer Reihe von Wahlerfolgen der konservativen politischen Kräfte ein „Ende einer Epoche“ progressiver Regierungen ausmachen. Der jüngste Wahlerfolg López Obradors in Mexiko läuft dieser These jedoch zuwider. Dennoch ist vermehrt zu beobachten, dass linke politische Projekte oftmals entweder erschöpft erscheinen, oder aber durch Korruptionsermittlungen rund um die brasilianische Baufirma Odebrecht in Misskredit gezogen werden. Das spiegelt sich auch in Ecuador wider: Dort wurde Morenos damaliger Vizepräsident, Jorge Glas, zuerst des Amtes enthoben und dann zu sechs Jahren Haft verurteilt. Hinzu kommen wiederholte Versuche von Akteur*innen, die der aktuellen Regierung nahe stehen oder sogar Teil von ihr sind, Correa juristisch zu belangen. Correa selbst bezeichnet diese Versuche als lawfare, eine angebliche Strategie der politischen Verfolgung linker Politiker*innen mit juristischen Mitteln. Die jüngsten Ereignisse an der Grenze zu Kolumbien veranschaulichen, auf welche Weise die Regierung Morenos mit Unterstützung der Medien versucht, Correa für etliche Missstände zur Verantwortung zu ziehen. Dabei ist diese fast schon obsessive Haltung gegenüber der Vorgängerregierung genau das Merkmal, welches die Identität der Regierung Morenos definiert und aus welchem sie ihr größtes politisches Kapital schöpft. Die aktuelle Regierung hat es erfolgreich geschafft, die década ganada, also das „gewonnene Jahrzehnt“ – eine Bezeichnung Correas und seiner Anhänger*innen für seine Amtszeit – als década perdida, also verlorenes Jahrzehnt, umzudeuten. Grund dafür könnte unter anderem ihr Versuch sein, die Erinnerung an die eigene Mitwirkung unter Correa in dem kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft verblassen zu lassen.

Der Logik des verlorenen Jahrzehnts folgend zeichneten sich die vergangenen zehn Jahre angeblich dadurch aus, dass Misswirtschaft, Korruption und Überschuldung an der Tagesordnung waren; andere Staatsorgane und -befugnisse der Exekutiven untergeordnet, sich angeeignet und instrumentalisiert wurden, systematische Verfolgung an der Opposition betrieben wurde und eine generelle Kultur der Straflosigkeit herrschte. Dieses Bild möchte die Regierung nun mit einer Entführung schmücken und es ein „Staatsverbrechen“ nennen. Nachdem Correa nun durch das Referendum alle Möglichkeiten einer Wiederwahl genommen wurden, wird jetzt eine mögliche Verurteilung im Entführungsfall Baldas angestrebt. Diese Logik stimmt mit der Distanzierungsstrategie der aktuellen Regierung überein, die ihr eigenes Profil stärken soll und sich immer mehr als ein eigenes, unabhängiges Projekt zu definieren versucht.

Die Frage steht im Raum, weshalb der Fall „Balda“ überhaupt erst jetzt in Ecuador verhandelt wird, wo Balda schon 2013 eine Anzeige wegen des Vorfalls stellte. Außerdem sind bis dato keinerlei stichhaltigen Beweise vorgelegt worden, die auf Correas Verwicklung in den Fall hindeuten. Es scheint äußerst unwahrscheinlich, dass eine angeblich „vom Präsidenten höchstpersönlich“ angeordnete Entführung mit direkt aus dem Präsidentenbüro ausgestellten Schecks mit dem Titel „Operation Entführung“ finanziert wurde, wie von der Anklage behauptet wird. Jedenfalls ist unbestreitbar, dass Correa ein Jahr nach Regierungswechsel immer noch die öffentliche Debatte in Ecuador bestimmt.


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TWITTER-ATTACKE AUS DER DACHKAMMER

Foto: Asamblea Nacional del Ecuador (CC BY-SA 2.0) (https://www.flickr.com/photos/asambleanacional/34029387204)

Ecuadors Ex-Präsident Rafael Correa ist für viele Menschen eine Lichtgestalt inmitten des Elends von Rechtspopulismus und Neoliberalismus, das die Weltpolitik heute prägt. Correa ist zwar jetzt nicht mehr Präsident, aber seine Partei Alianza País hat immerhin die vergangenen Wahlen im Frühjahr gewonnen – im Unterschied zu Argentinien und Brasilien, wo die traditionelle Rechte wieder an der Regierung ist. Es gibt also noch Hoffnung für den progressiven Kontinent Lateinamerika. Correa steht, aus der Ferne betrachtet, einfach für bestimmte Werte: Er stand immer auf der Seite der einfachen Leute, hat die Armut verringert, eine antiimperialistische Außenpolitik betrieben, die Weltbank aus dem Land geworfen. Er steht für Ehrlichkeit, Transparenz – ein aufrechter Kämpfer für linke Ideale.

Nur kann er heutzutage sein eigenes Land nicht mehr betreten. Wenn er es täte, stünden die Chancen gut, dass er wegen Korruptionsverdacht in Untersuchungshaft käme. Dieses Schicksal hat am 2. Oktober Ecuadors Vizepräsidenten, Jorge Glas, ereilt, den Correa per Twitter immer noch voller Pathos verteidigt: „Ein ehrlicher Mann hat seine Freiheit eingebüßt. Die Welt möge erzittern!“, schrieb er beispielsweise am darauffolgenden Tag. Dieses Drehbuch hat Ecuador in den vergangenen Jahren und Monaten bereits mehrfach mit hohen Funktionären der Correa-Regierung erlebt: Dem Präsidenten der Zentralbank, dem Erdölminister, dem obersten Rechnungsprüfer – die sich im Unterschied zu Glas jedoch allesamt rechtzeitig nach Miami absetzten. Rafael Correa verbürgt sich stets für seine hochrangigen Mitarbeiter*innen, selbst wenn die Indizien schon so unwiderlegbar auf dem Tisch liegen, dass man sich für ihn zu genieren beginnt. Wenn die Indizien dann zu Beweisen werden, bringt er sein tiefes Entsetzen zum Ausdruck darüber, dass er verraten und getäuscht worden sei. Er selbst besteht darauf, als der größte, beste Präsident Ecuadors in die Geschichte einzugehen, und sendet nun seine Samstagsansprachen – während seiner Amtszeit eine institutionelle Machtinszenierung mit riesiger Bühne, Hunderten von „Jubelpersern“ und Liveübertragung auf allen Kanälen – per Internet, aus einer Dachkammer in Belgien. Dort, im Heimatland seiner Frau, lebt er seit Juli mit der Familie. „Der Irre aus der Dachkammer“, so bezeichnet ihn ein in Ecuador populärer Hashtag. In der Tat macht der Ex-Präsident in letzter Zeit oft den Eindruck, als verstünde er die Welt nicht mehr, seit sie sich nicht mehr um ihn dreht.

„Verrat“ und „weicher Putsch“ sind zwei sehr beliebte Vokabeln bei den Funktionär*innen von Alianza País, der Partei von Correas „Bürgerrevolution“. Der Ex-Präsident wendet sie sogar gegen seinen Parteigenossen und Nachfolger an, Präsident Lenín Moreno, der seit dem 24. Mai im Amt ist. Der 64-jährige Moreno stammt aus einem kleinen Ort im Amazonasgebiet an der Grenze zu Peru. 1998 wurde er Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls in Quito und sitzt seither im Rollstuhl. Als Vizepräsident von Rafael Correa (2007-2013) machte er sich vor allem durch die Misión Solidaria Manuela Espejo einen Namen, ein neues, landesweites Programm zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen, das rund 300.000 Menschen umfassend unterstützte und international hoch gelobt wurde. 2013 beschloss Moreno, nicht mehr für das Amt des Vizepräsidenten zu kandidieren und wurde von den Vereinten Nationen als Sondergesandter für Behinderung und Barrierefreiheit nach Genf berufen. Für die Präsidentschaftswahlen in diesem Frühjahr kehrte er von dort zurück.

Bis zu den Wahlen sah es so aus, als wäre Lenín Moreno ein treuer Gefolgsmann Correas.

Bis zu den Wahlen sah es so aus, als wäre Lenín Moreno ein treuer Gefolgsmann Correas, bereit, vier Jahre zu regieren, um dann die Rückkehr des eigentlichen, unumstrittenen Chefs der Bürgerrevolution zu ermöglichen. Die Option auf dessen unbegrenzte Wiederwahl war Ende 2015 mithilfe der Zweidrittelmehrheit, die Alianza País damals im Parlament hatte, im Rahmen einer Verfassungsreform verabschiedet worden, trotz massiver Proteste aus der Bevölkerung. Sie beinhaltete unter anderem ein Streik– und Organisierungsverbot im Öffentlichen Dienst, grünes Licht für Einsätze des Militärs zur Inneren Sicherheit sowie eine Einschränkung von Volksabstimmungen, die seitdem nur von der Regierung, also von oben, angestoßen werden können. Um der politischen Stabilität Willen und auch weil die Umfragen eindeutig für Moreno sprachen, wurde Correas Kandidatur für die Wahl im Frühjahr 2017 einmalig ausgesetzt. Doch mit dem temporären Umweg über Lenín Moreno, der knapp gegen den konservativen Bankier Guillermo Lasso gewann, würde schließlich doch noch alles gut werden.

Doch schon wenige Wochen nach dem Wahlsieg von Moreno waren sich der Präsident und sein Vorgänger spinnefeind. Aus seinem selbstgewählten Exil twittert Correa ununterbrochen Beschimpfungen: „Mittelmäßig“ sei Moreno, „illoyal“, ein „Verräter“, der mit der „Rechten gemeinsame Sache“ mache und über die Wirtschaftslage des Landes „lüge“. Correa selbst hatte behauptet, ökonomisch einen „gedeckten Tisch“ zurückzulassen, an dem man sich nur noch bedienen müsse. Doch nachdem Moreno die Staatsfinanzen durchleuchtet hatte, läutete er die Alarmglocken: Das kleine Land sei viel höher verschuldet als angegeben und damit kaum manövrierfähig, allein acht Milliarden Dollar jährlich seien notwendig, um das Haushaltsdefizit und den Schuldendienst abzudecken.

Bisher hat Moreno wirtschaftspolitisch noch keine Richtung vorgegeben – und auch sonst weiß niemand, wohin er das Land eigentlich führen will. Er hat lediglich einen bewussten Bruch mit dem Regierungsstil seines Vorgängers herbeigeführt, was die Nomenklatura von Alianza País zutiefst verunsichert. Denn das bedeutet die allmähliche Demontage des nach allen Seiten hin abgesicherten Machtapparats, der seit Jahren sowohl die Bereicherung einer neuen Politiker*innenkaste als auch die autoritäre Durchsetzung offizieller Wahrheiten ermöglicht hatte.

Lenín Moreno rief nicht nur alle politischen und organisierten Kräfte des Landes zum Dialog auf. Er tauschte die linientreuen Chefredakteure der staatlichen Medien aus und forderte die privaten Medien offensiv auf, investigativ und kritisch zu berichten, gerade im Kontext von Korruption; dieselben Medien, die unter Correa stets als Lügenpresse beschimpft und mit Gerichtsverfahren überzogen worden waren, bis schierer Überlebenswille bei vielen Selbstzensur zur Regel machte. Kritisch wurde in Ecuador in den vergangenen Jahren nur noch auf Blogs berichtet.

Diese neue Haltung gegenüber den Medien hat nun eine Serie von Enthüllungen zur Folge, die unter anderem aufdeckt, wie Correas Machtclique ausnahmslos alle staatlichen Institutionen – insbesondere die öffentlichen Kontrollinstanzen, das Verfassungs- und Wahlgericht sowie die Justiz – direkt von der Exekutive aus gesteuert hat. Und wie man bei eventuellem Ausscheren schnell seinen Job verlieren konnte: Emails, in denen die oberste Justizverwaltung um die Entlassung von Richter*nnen gebeten wird, weil sie Klagen gegen den Staat stattgegeben oder Umweltschützer*innen freigesprochen haben; oder Tweets, in denen der Geheimdienst SENAIN direkt aufgefordert wird, gegen Kritiker*innen vorzugehen – „SENAIN, bitte kümmern.“

Auf einem Video ist der Onkel des Vizepräsidenten Jorge Glas zu sehen, wie er dicke Geldbündel in eine Reisetasche stopft, wie in einem Gangsterfilm. Dieser Onkel hat die Verhandlungen um große Verträge mit China geführt – in Bezug auf Öl, Bergbau und Kredite, obwohl er keinerlei Staatsamt innehatte. Glas behauptete im Takt der Enthüllungen zunächst, ihn gar nicht zu kennen; dann, ihn nur an Weihnachten zu sehen; dann, dass er ausschließlich wegen seines Satelliten-Fernsehsenders mit ihm per Email kommuniziert habe; schließlich, dass er doch auch nichts dafür könne, einen so korrupten Verwandten zu haben.

Der wichtigste Vorwurf von Correas Gefolgsleuten gegen Lenín Moreno, der auch gern von „linken“ Medien im Ausland kolportiert wird, lautet, er würde mit der Rechten gemeinsame Sache machen.

Der wichtigste Vorwurf von Correas Gefolgsleuten gegen Lenín Moreno, der auch gern von „linken“ Medien im Ausland kolportiert wird, lautet, er würde mit der Rechten gemeinsame Sache machen. Doch bisher hat der neue Präsident sich lediglich mit konservativen Politiker*innen an einen Tisch gesetzt wie auch mit linken, Indigenen, Unternehmer*nnen, Gewerkschaften – im Rahmen eines umfassenden Dialogprogramms. Dass er von Konservativen für die Wiederherstellung einer lebendigen politischen Debatte im Land gelobt wird, macht ihn noch lange nicht zu deren Komplizen. Vielmehr ist es die Verantwortung der Führungsriege von Alianza País, dass Themen wie Meinungs-, Organisations- und Pressefreiheit, Gewaltenteilung und Transparenz in den vergangenen Jahren von der politischen Rechten vereinnahmt werden konnten.

Gleichzeitig wird Ecuador immer tiefer in den Korruptionsskandal hineingezogen, der rund um Verträge des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht die ganze Region erschüttert (siehe LN 519/520) und als der größte Bestechungsskandal der Geschichte Lateinamerikas gilt. Er wirkt weit über die Grenzen Brasiliens hinaus: Derzeit wird gegen hochrangige, progressive wie neoliberale, Politiker*innen und Ex-Präsident*innen aus 15 Ländern ermittelt, die allesamt Schmiergelder entgegengenommen haben sollen. Unter anderem sitzen der peruanische Ex-Präsident Ollanta Humala und seine Frau deshalb in Unter-suchungshaft, und jetzt auch der ecuadorianische Vizepräsident Jorge Glas. Marcelo Odebrecht, Kopf des Odebrecht-Konzerns, war bereits 2015 verhaftet und zu 19 Jahren Haft verurteilt worden. Dank Kronzeugenregelung benennen er und weitere Manager*innen derzeit nach und nach die Empfänger*innen der Millionenschmiergelder, die Odebrecht ein Quasi-Monopol bei großen Infrastrukturvorhaben in Lateinamerika verschafft hatten.

Der tiefe Riss, der Alianza País heute durchzieht, ist nicht mehr zu kitten. Was ist die bessere Strategie, um die eigene politische Zukunft zu retten? Das fragen sich derzeit zahlreiche Wendehälse: Zu Correa halten, der als einziger in der Lage wäre, den Sumpf aus Korruption, der offenbar zehn Jahre lang gewachsen ist, wieder zu deckeln, oder sich rechtzeitig auf die Seite der „rückhaltlosen Aufklärung“ und damit auf die Seite Morenos zu schlagen?

So feiert die Doppelmoral auch im Sozialismus des 21. Jahrhunderts fröhliche Urstände. Die Weltbank wurde von Correa längst nach Ecuador zurückgeholt, in den vergangenen Jahren stieg die Armut wieder, und vom Antiimperialismus bleibt nur hohle Rhetorik. Die jüngsten Fakten legen nahe, dass die Anführer*innen der Bürgerrevolution den durch die hohen Ölpreise bewirkten Geldsegen nicht nur in die Infrastruktur des Landes, sondern zu einem erheblichen Teil auch in die eigenen Taschen gesteckt haben. Unbeirrt behauptet der harte Kern um Correa dennoch bis heute, man habe stets eine „Revolution der Ethik“ vorangetrieben und Korruption bis aufs Messer bekämpft. Dabei ist noch nicht ansatzweise aufgeklärt, wie viel Geld rund um die Öl- und Bergbaugeschäfte mit China versickert ist.

Anfang kommenden Jahres soll nun ein Referendum abgehalten werden, mit dem Moreno seine Position konsolidieren und den Rivalen Correa endgültig aus dem Rennen werfen will. Sieben Fragen hat er dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, unter anderem die Abschaffung der unbegrenzten Wiederwahl. Auch wenn das für eine wirkliche Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse nur wenige, zaghafte Schritte sind, so beinhaltet die aktuelle Situation doch eine Chance für Ecuador und die Linke. Die Chance, doch noch aus der Geschichte zu lernen: Nämlich dass Emanzipation nicht von Lichtgestalten ausgeht, die an der Spitze eines pyramidalen Machtapparats stehen, sondern von unten links, und dass sie einer lebendigen, organisierten, kritischen Öffentlichkeit bedarf, die sich an der politischen Debatte um die Zukunft aktiv beteiligt.

 


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LENÍN AUF CORREAS SPUR

Die Ecuadorianer*innen hatten am 2. April die Qual der Wahl: Sie sollten sich zwischen dem Bankier Guillermo Lasso, Chef der Banco de Guayaquil, und dem ehemaligen Vizepräsidenten Lenín Moreno entscheiden. Letzterer – selbst Rollstuhlfahrer – wurde vor allem bekannt durch sein Programm zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen. Am Wahlabend verkündete die Wahlbehörde den knappen Sieg von Moreno mit etwas über 51 Prozent der Stimmen. Lasso hingegen sprach von Wahlbetrug und forderte eine komplette Neuauszählung. Dem kam die ecuadorianische Wahlkommission in Teilen nach. Aber auch die Neuauszählung von etwa 1,3 Millionen – knapp zehn Prozent der Stimmen – bestätigte den knappen Sieg von Lenín Moreno. Die Wahlbetrugsvorwürfe der Opposition seien unbegründet, so die Behörde. Lasso boykottierte die Neuauszählung und will das Ergebnis weiter nicht anerkennen. Stichhaltige Beweise für den Wahlbetrug blieb er bisher schuldig.

Mit Morenos Sieg geht in Ecuador zumindest nominell das progressive politische Projekt weiter.

Mit Morenos Sieg geht in Ecuador zumindest nominell das progressive politische Projekt weiter, das 2006 mit Rafael Correa seinen Anfang nahm – anders als in Argentinien, Brasilien oder Paraguay, wo inzwischen wieder Kräfte aus dem entgegengesetzten politischen Lager am Ruder sind.

Der 2. April setzte einem außerordentlich schmutzigen Wahlkampf ein Ende, in dem Diffamierungen und Gerüchte in den digitalen Netzwerken das soziale Klima weiter polarisierten und die Regierungspartei Alianza País unbeanstandet auch den Staatsapparat für Wahlkampfzwecke nutzte, obwohl das gesetzlich untersagt ist. Beide Kandidaten ergingen sich in Wahlversprechen, die angesichts leerer Staatskassen unerfüllbar sein dürften, wie beispielsweise einer Erhöhung der monatlichen Finanzhilfe für die Ärmsten von umgerechnet 50 auf rund 150 Dollar. Teilweise nahmen sich die Kandidat*innen im Wahlkampf wie im Basar aus, in dem sich die Händler*innen gegenseitig überbieten, ohne dass ein Bezug zur Realität dabei ins Gewicht fiele.

Wenn Lenín Moreno am 24. Mai das Präsidentenamt antritt, wird dennoch niemand wissen, wer die Staatsgeschäfte effektiv lenkt. Der scheidende Rafael Correa hat sich widersprüchlich geäußert – mal geht er ins Ausland nach Belgien, mal plant er ein baldiges Comeback, eventuell sogar durch vorgezogene Neuwahlen. Die Möglichkeit einer unbegrenzten Wiederwahl ist bereits in der Verfassung verankert, sie war aufgrund massiver Proteste im Jahr 2015 nur für diese eine Wahl ausgesetzt worden. Schwere Korruptionsskandale um die staatliche Ölfirma Petroecuador und die brasilianische Baufirma Odebrecht warten auf ihre Aufklärung – die mit allen möglichen Tricks sorgsam bis nach den Wahlen verschleppt wurde. Insbesondere der gewählte und auch noch amtierende Vizepräsident Jorge Glas, der für die inkriminierten Projekte politisch verantwortlich ist, könnte dabei in Mitleidenschaft gezogen werden. Glas gilt als der Vertrauensmann von Correa in der neuen Regierung, während sich Moreno durch eine betont versöhnliche Rhetorik von seinem Vorgänger abzugrenzen versucht, dessen Stil von Intoleranz, Verbalattacken und gerichtlichen Klagen gegen Dissident*innen aller Art geprägt ist.
Auch wenn Morenos Friedensbotschaft in dem extrem polarisierten und krisengeschüttelten Land gut ankommt, ist sie durch wenig konkrete politische Programmatik untermauert und erweckt eher den Eindruck einer neuen Tünche über dem alten Gebäude aus Extraktivismus, Zentralisierung der Macht in der Exekutive und Repression gegen Andersdenkende.

Für die unabhängige, oppositionelle Linke war die Stichwahl am 2. April eine zwischen Pest und Cholera.

Für die unabhängige, oppositionelle Linke, deren Bündnis im ersten Wahlgang mit dem sozialdemokratischen Ex-Bürgermeister von Quito und pensionierten General Paco Moncayo lediglich 6,7 Prozent erhalten hatte, war die Stichwahl am 2. April eine zwischen Pest und Cholera. Viele Stimmen aus diesem Lager riefen letztendlich zur Wahl des neoliberalen Lasso auf. Nach zehn Jahren systematischen Angriffen auf jegliche Form autonomer sozialer Organisierung setzen sie ihre Priorität auf ein unbedingtes Ende der Herrschaft des Correismus mit seinen verkrusteten, alle staatlichen Institutionen umspannenden Strukturen. Lasso hatte es vor diesem Hintergrund leicht, sich als Kandidat der Rückkehr zur Demokratie darzustellen. Angesichts der militanten Ablehnung von Abtreibungen seitens Rafael Correas wirkte sogar er, dessen Mitgliedschaft im Opus Dei bekannt ist, in Sachen Selbstbestimmung über den eigenen Körper liberal: „Ich habe nicht vor, mich als moralischer Führer des Landes aufzuspielen“, sagte er wiederholt. Auch im Hinblick auf die Umweltpolitik machte er erstaunliche Wahlversprechen – zum Beispiel, das Öl im Yasuní-Nationalpark im Boden zu lassen oder bei Bergbauprojekten das Ergebnis der Vorab-Befragung der Lokalbevölkerung als bindend zu betrachten. So entscheidend diese Dinge auch wären für eine nachhaltige Politik in dem mega-biodiversen Tropenland, so naiv wäre es gewesen, diese Versprechen angesichts der leeren Staatskassen und des auch regional verankerten politischen Hintergrunds von Lasso für bare Münze zu nehmen.

Die Wahl am 2. April war eine zwischen einer neoliberalen, marktkonformen Rechten und einer etatistischen, autoritären Pseudo-Linken. Von dem großen Transformationsprojekt, das der Wahlsieg von Rafael Correa im Jahr 2006 symbolisierte, ist heute nicht mehr viel zu spüren. Lenín Moreno verfügt aufgrund des knappen und umstrittenen Wahlergebnisses nicht nur über eine geringe Legitimität, er tritt auch ansonsten ein problematisches Erbe an: Ein Land, das sich auf Jahrzehnte verschuldet und obendrein überteuerte Kredite mit Zinssätzen von teils über zehn Prozent aufgenommen hat. Die natürliche Vielfalt des Landes und die Optionen künftiger Generationen hat die Regierung Correa aufgrund eines kurzfristigen politischen Kalküls längst verpfändet. Eins der produktivsten, zuvor staatlichen Ölfelder verscherbelte sie vor kurzem gegen schnelles Geld an Schlumberger, das weltweit größte Unternehmen für Erdölexplorations- und Ölfeldservice mit Sitz auf der niederländischen Karibikinsel Curaçao. Zudem wurden zwei Häfen konzessioniert – ganz im Gegensatz zur Politik der frühen Jahre, die den Anteil der Staatseinnahmen aus dem Ölgeschäft erweitert hatte. Außerdem wurde ein beträchtlicher Teil der an sich schon eher bescheidenen verbleibenden Ölreserven im Voraus an China verkauft. Die damit gedeckten Darlehen sind längst investiert. Auch die erwarteten Lizenzgebühren aus dem beginnenden Bergbau flossen bereits im Voraus in Schulneubauten und andere Projekte. Da bleibt in Zukunft kaum finanzieller Spielraum für staatliche Politik.


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LENÍN MUSS IN DIE STICHWAHL

„Una sola vuelta!” – „Im ersten Wahlgang!” riefen Anhänger*innen der amtierenden Regierungspartei Ecuadors, Alianza País (AP), noch wenige Tage vor den Wahlen am 19. Februar 2017 vor dem Präsidentenhaus mit dem Regierungssitz der Zentralregierung. Dorthin war Rafael Correa 2006 das erste Mal feierlich eingezogen (siehe folgenden Artikel). Seit den vergangenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Februar 2013 regiert die Partei, die Correa mit groß gemacht hat, mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Im Herzen Quitos schwanken die paar Dutzend Regierungsanhänger*innen siegessicher Fahnen in der Farbe ihrer Partei (quietsch-grün) und tanzten zu Musik ihres Kandidaten. Beschallt aus Musikboxen, wie es in Ecuador vor Wahlen üblich ist. Das Lied mit dem Titel Lenín presidente wurde am meisten gespielt, der Titel war aber auch schon der größte Teil des Inhaltes. Im Gegensatz zu Rafael Correas Lied aus dem Jahr 2006 Sueños Correa (Correas Träume), welches das Ende der Ausbeutung und der Armut versprach, blieb das Lied des aktuellen AP-Kandidaten Lenín Moreno, wie auch der gesamte diesjährige Wahlkampf, erstaunlich inhaltslos.

Der Wunsch, in einem einzigen Wahlgang wieder den Präsidenten stellen zu können, ist nicht aufgegangen. Am 22. Februar kündigte die Wahlbehörde CNE nach Auszählung von 99,5 Prozent der Stimmen die Notwendigkeit eines zweiten Wahlgangs an. Nach diesen Ergebnissen erreichte Lenín Moreno 39,3 Prozent während der Kandidat der beiden rechten Parteien CREO (Creando Oportunidades) und SUMA (Sociedad Unida Más Acción), Guillermo Lasso, 28,1 Prozent der Stimmen erzielen konnte. Damit fehlte Moreno nur ein knappes Prozent, um 40 Prozent zu erreichen und mit zehn Prozent Abstand zu seinen Konkurrenten zu gewinnen. Dies hätte einen Wahlsieg in der ersten Runde bedeutet.

Obwohl sich dieses Ergebnis bereits am Wahlabend abzeichnete, hielten sich Personen aus staatlichen Institutionen lange mit öffentlichen Statements zurück. Von Montagmorgen bis zur Ankündigung am Mittwoch versammelten sich Anhänger*innen der rechten Parteien vor dem Sitz des Nationalen Wahlrates in Quito. Dort protestierten sie mit Parolen wie: „Wir lassen uns nicht betrügen und zwingen Alianza País in die zweite Runde.“ Der Verkehr auf der zentralen Avenida 10 de Agosto wurde stundenlang lahm gelegt. Aus Angst vor gewaltvollen Ausschreitungen beendeten am 20. Februar einige private Schulen in Quito den Unterricht frühzeitig und schickten die Kinder nach Hause. Die staatlichen Medien berichteten derweil bis zum Montag von der „hohen Wahrscheinlichkeit“ des Triumphs des Regierungskandidaten.

Abgesehen von der Unklarheit, ob Moreno in eine zweite Runde muss oder nicht, gab es am Rest der Ergebnisse keine Zweifel. Die anderen Kandidat*innen konnten weder dem Ex-Bankier Lasso noch dem früheren Vizepräsidenten Moreno das Wasser reichen. Die in Umfragen zuvor hochgehandelte Kandidatin der rechten PSC (Partido Social Cristiano), Cynthia Viteri, erhielt nur etwa 16 Prozent der Stimmen. Schon am Wahlabend sagte Viteri mit Blick auf die Stichwahl: „Wir wählen Lasso.“

Im Parlament, in dem 137 Sitze zu vergeben waren, stellt die Alianza País künftig 76 Abgeordnete und damit die absolute Mehrheit, während mehrere Oppositionsparteien zusammen 61 Sitze innehaben werden. Über dieses Ergebnis kann sich die Alianza País nach dem lahmen Wahlkampf und den gegen AP-Mitglieder erhobenen Korruptionsvorwürfen glücklich schätzen. Allerdings hat AP die Zwei- Drittel-Mehrheit verloren. Von den Verlusten der AP profitierte insbesondere ihr Rivale CREO, die 30 Sitze im Parlament erhält. CREO konnte sein Ergebnis gegenüber 2013 fast verdreifachen. Viteris PSC kam zwar nur auf 15 von 137 Sitzen der Nationalversammlung, verdoppelte damit jedoch ihr Ergebnis gegenüber 2013. Der Verlust der AP geht damit eindeutig zu Gunsten der Rechten.

Nicht erholen konnte sich die Indigene Partei Pachakutik von ihrem Absturz 2013, sie stagniert weiterhin bei vier bis fünf Sitzen im Parlament. Der von ihr unterstützte Präsidentschaftskandidat Paco Moncayo kam mit sechs Prozent nicht über ein Achtungsergebnis hinaus.

Die letzte Ankündigung der größten indigenen Basisorganisation CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador), dem Bündnis der indigenen Nationalitäten Ecuadors, eventuell den Kandidaten Lasso zu unterstützen, könnte Pachakutik weiter schaden. Bisher ist jedoch unklar, ob die CONAIE einen geschlossenen Antrag für die Unterstützung Lassos bei ihrer Partei einreichen wird. Ohne Zweifel ist diese Verlautbarung ein Anzeichen dafür, dass der Präsidentschaftswahlkampf in der zweiten Runde für größere politische Debatten sorgen könnte. Ob der Raum dafür genutzt wird, bleibt offen.


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VERPASSTE CHANCE

Es war eine historisch einzigartige Konstellation, die Lateinamerika vor gut zehn Jahren erlebte. In einem Land nach dem anderen gewannen linksgerichtete Kräfte demokratische Wahlen. Nach der Schuldenkrise der 1980er Jahre und den Jahren neoliberaler Strukturanpassung schien es möglich, dass ein ganzer Kontinent aus dem Mainstream des Primats von Finanz und Profit ausscheren könnte. Ein neuer Prozess regionaler Integration wurde eingeleitet, der ganz andere Ziele verfolgte als die von der US-Regierung gewünschte und ein Jahr zuvor von Lateinamerika abgelehnte gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA. In vielen Ländern, darunter Ecuador, hatten soziale Bewegungen nicht nur Regierungen unblutig zu stürzen vermocht, sondern auch Visionen einer anderen Gesellschaft entwickelt. Seit den späten 1960er Jahren hatte soziale Emanzipation nicht einen solchen Aufwind erlebt.

In den ersten Jahren atmete Ecuador Demokartie von unten.

In dieser Konjunktur kam der Ökonom Rafael Correa in Ecuador an die Macht. Er begann seinen Wahlkampf als Außenseiter, doch gelang es ihm und seiner Bewegung Alianza País, die Forderungen der sozialen Bewegungen auf die wahlpolitische Ebene zu übersetzen. Das Land sollte am besten neu gegründet werden – eine neue Verfassung musste her. Der neue Präsident regierte in den ersten Monaten hauptsächlich mit Ausnahmedekreten, um das alte Establishment in Schach zu halten und das Parlament zu umschiffen. Dennoch atmete Ecuador in diesen ersten Jahren Demokratie von unten.

Student*innen, Indigene, die Frauenbewegung, Gewerkschaften – alle machten sich daran, ihre Vorstellungen von einer gerechteren Gesellschaft, vom Ende des Patriarchats, von kostenloser allgemeiner höherer Bildung, von wahrhaft interkulturellen Institutionen auszuformulieren: Institutionen, die nicht nur Indigene und Schwarze und Frauen per Quote beteiligen, sondern sich auch anderen Logiken als den herrschenden westlichen, patriarchalpaternalistischen und rassistischen öffnen sollten, was Vorstellungen von Gerechtigkeit und Rechtssprechung, von Gesundheit, ja vom Funktionieren des Staates selbst anbelangte. Das war die Vision eines entkolonialisierten, plurinationalen Staats, in dem die Ureinwohner*innen nicht nur am Funktionieren eines vorgegebenen, liberalen Räderwerks beteiligt werden sollten. Ihre eigene Erfahrung von Gemeinschaft, von Entscheidungsfindung und Konfliktlösung sollte dieses Räderwerk vielmehr selbst von Grund auf umbauen.

Zehn Jahre später ist diese Aufbruchstimmung in ihr Gegenteil umgeschlagen. Nach der Annahme der Verfassung per Volksabstimmung im Jahr 2009 ersetzten die Dynamiken der Realpolitik bald die Konjunktur der Visionen. Zum einen aufgrund der Wirkungsmacht der staatlichen Institutionen selbst. Die Correa-Regierung hat sie nach neoliberalen Managementkriterien modernisiert und auf Effizienz getrimmt. Wobei ihr interkultureller und emanzipatorischer Umbau, der nur als behutsamer, experimenteller Prozess möglich gewesen wäre, zwangsläufig auf der Strecke blieb.

Hinzu kam zum anderen die durch die außerordentlich hohen internationalen Rohstoffpreise attraktiv gewordene Vertiefung des Extraktivismus. Zwar sollte mit den Einnahmen aus dem Rohölexport die wirtschaftliche Diversifizierung und Abkehr von der strukturellen Abhängigkeit finanziert werden – doch blieb der vielbeschworene Cambio de la Matriz Productiva, also die strukturelle Veränderung der Produktionsmatrix, ein Papiertiger. Ecuador ist heute abhängiger von Rohstoffexporten denn je, und im amazonischen Nationalpark Yasuní, bis 2013 internationales Symbol für effektive Klimapolitik unter dem Motto „lasst das Öl im Boden“, entstehen die ersten von 600 geplanten Bohrlöchern. Die ecuadorianische Unternehmenslandschaft weist in vielen Bereichen einen hohen Konzentrationsgrad auf, den die Correa- Regierung nicht antastete. Während rhetorisch oft gegen die wirtschaftlichen Eliten gewettert wurde, erzielten diese unter der Bürgerrevolution historische Gewinnmargen.

Die Correa-Regierung nutzte, wie auch ‚linke‘ Regierungen andernorts, ihre hohe Legitimität, um Maßnahmen durchzusetzen, die unter einer rechten Regierung am Widerstand der organisierten Bevölkerung gescheitert wären. Ein Beispiel ist das zum 1. Januar 2017 in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit der EU. Auch mit der Ausweitung des Extraktivismus – der Erschließung neuer Ölvorkommen im Amazonasbecken und der Einführung des transnationalen Megabergbaus in dem biodiversen Land – nahm die Regierung strukturelle Weichenstellungen vor, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Auswirkungen haben: Die für die Verteilung der Rente zuständige staatliche Zentralmacht wird gestärkt, die Kontrollinstanzen werden geschwächt. Dies begünstigt Korruption, und dass Ecuador hierbei keine Ausnahme darstellt, zeigen die zahlreichen Korruptionsskandale rund um das staatliche Ölunternehmen Petroecuador und die brasilianische Baufirma Odebrecht im Vorfeld der Wahlen. Diese warfen auch lange Schatten auf Jorge Glas, der für Alianza País erneut als Vizepräsident kandidiert. Dass sich diese Skandale nicht nennenswert auf die Wahlprognosen ausgewirkt haben, liegt unter anderem an der politischen Erlahmung der Bevölkerung angesichts eines Staates, der sich als einzig legitimer Akteur sozialen Wandels versteht. Aber auch an der Dominanz der Regierungssicht in der ecuadorianischen Medienlandschaft und der in den vergangenen Jahren aufgrund der Petrodollars intensivierten Konsumkultur.

Die hohe Konzentration der Unternehmen hat die Regierung nicht angetastet.

Die nach dem Neoliberalismus populäre Forderung nach der „Rückkehr des Staates“ ist in einem disziplinierenden Etatismus gemündet, der einige Steuerungsinstrumente des Realsozialismus des 20. Jahrhunderts mit dem Erbe der zutiefst kolonial geprägten, autoritär-populistischen und strukturell korrupten politischen Kultur Lateinamerikas verbindet: enge Verstrickung zwischen Staat und Partei, Personenkult und faktische Aufhebung der Gewaltenteilung, Koppelung von Vergünstigungen und Sozialleistungen an politische Loyalität, und schließlich eine Polarisierungslogik, in der Kritik und Debatte auch in den eigenen Reihen von vornherein unterbunden ist. So hat sich Alianza País 2014 einen Ethikcode gegeben, der zum Beispiel der eigenen Parlamentsfraktion das Öffentlichmachen von Dissidenz unter Androhung des Mandatsverlustes verbietet.

Die Bürgerrevolution hat dem Land eine lang ersehnte politische Stabilität und eine neue Infrastruktur beschert. Während sie darauf bedacht war, im Ausland ihr revolutionäres Bild zu pflegen und beispielsweise Julian Assange politisches Asyl zu gewähren, baute sie im Inland im Zuge der Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen auch die staatliche Überwachung der Bürger*innen aus. Vor allem aber betrachtete sie jegliche Form autonomer sozialer Organisierung als Bedrohung der eigenen Macht und bekämpft sie – mit einigem Erfolg. Die Indigenen- und Studierendenbewegung sowie die Gewerkschaften sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Andauernde Diffamierung in der Öffentlichkeit, die Gründung von regierungstreuen Parallelorganisationen, aber auch Repression und Militarisierung, wie sie das im lateinamerikanischen Kontext außerordentlich friedliche kleine Land am Äquator nicht kannte, haben schließlich gefruchtet. Über 400 Gerichtsverfahren gegen Aktivist*innen sind derzeit anhängig. Im Süden des Landes, wo die indigenen Shuar-Gemeinden gegen die Konzessionierung ihrer angestammten Gebiete an eine chinesische Bergbaufirma protestieren, herrschen seit Monaten die Armee und der Ausnahmezustand.

Über 400 Gerichtsverfahren gegen Aktivist*innen sind derzeit anhängig.

Als Erfolg der Correa-Regierung gilt vor allem die Reduzierung von Armut und Ungleichheit – in deren Namen der Extraktivismus stets gerechtfertigt wurde. Zwischen 2007 und 2015 war die Armut nach offiziellen Angaben um 13,4 Prozentpunkte gesunken. Aufgrund des Zusammenbruchs der Ölpreise auf dem Weltmarkt seit der zweiten Jahreshälfte 2014 ist sie jedoch seitdem wieder gestiegen – was zeigt, wie wenig nachhaltig die von der Correa-Regierung ergriffenen Maßnahmen waren. Ein offener Brief der Shuar-Indigenen macht außerdem deutlich, wie monodimensional der produktivistische Armutsbegriff der Regierung ist: „Kommen Sie uns nicht damit, dass Sie Bergbau betreiben, um uns aus der Armut zu holen. Denn wir fühlen uns mit unserer Lebensweise nicht arm. Sagen Sie uns lieber, wie Sie uns als Volk und unsere Kultur schützen werden.“

Wer die bevorstehende Stichwahl gewinnt, tritt ein problematisches Erbe an. Er oder sie erbt ein Land, das sich auf Jahrzehnte verschuldet und obendrein überteuerte Kredite mit Zinssätzen von teils über zehn Prozent aufgenommen hat. Selbst die produktivsten, zuvor staatlichen Ölfelder wurden vor kurzem gegen schnelles Geld an transnationale Konzerne wie Schlumberger und die chinesische CERGG verscherbelt – ganz im Gegensatz zur Politik der frühen Jahre, die den Anteil der Staatseinnahmen aus der Ölförderung erweitert hatte.

Hinzu kommt, dass ein beträchtlicher Teil der an sich schon eher bescheidenen Ölreserven bereits im Voraus an China verkauft wurde und die Einnahmen hieraus längst ausgegeben sind – ebenso wie auch die erwarteten Lizenzgebühren aus dem erst beginnenden Bergbau bereits zu einem Großteil kassiert wurden und in Schulneubauten und Ähnliches geflossen sind. Da bleibt in Zukunft nicht viel finanzieller Spielraum für staatliche Politik. Vielmehr wurden die natürliche Vielfalt des Landes und die Optionen künftiger Generationen im Rahmen kurzfristigen politischen Kalküls verpfändet.


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KONTINENTALES BEBEN

Leviathan – das biblische Monster aus den Tiefen des Meeres: Einen besseren Namen für die Untersuchungsoperation hätten sich die Ermittler*innen kaum ausdenken können. Am 18. Februar dieses Jahres begann die brasilianische Bundespolizei erneut, Büros und Privatwohnungen von Politiker*innen zu untersuchen. Diesmal ging es um Schmiergeldzahlungen des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht im Zusammenhang mit dem Bau des umstrittenen Projekts Belo Monte. Das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt am Xingu-Fluss mitten in Amazonien wird von Kritiker*innen als „Belo Monstro“ – „Schönes Monster“ – bezeichnet. Und tatsächlich liegt das Bauwerk im Flusslauf des Xingu wie ein gestrandetes Meeresungeheuer.

Nach Aussagen der Ermittler*innen sollen ein Prozent der etwa 8,5 Milliarden US-Dollar Gesamtkosten des Baus in die Kassen von Parteien geflossen sein. Um welche Parteien es sich handelte, wurde nicht erwähnt. Vermutlich handelt es sich aber um die rechtskonservative PMDB, der der aktuelle Präsident Michel Temer angehört, und um die linke Arbeiterpartei PT, an deren Vorgängerregierung Temer als Vizepräsident ebenfalls beteiligt war.

Leviathan ist die jüngste Ermittlung, die aus der Operation Lava Jato – deutsch für „Autowaschanlage“ – erwachsen ist. Lava Jato begann vor zwei Jahren und elf Monaten und brachte schon einigen Politiker*innen massive Probleme — wie im Fall des ehemaligen Gouverneurs des Bundesstaates Rio de Janeiro, Sérgio Cabral. Unter anderem weil er Bestechungsgelder von Odebrecht im Zusammenhang mit der Renovierung des Fußballstadiums Maracanã angenommen hat, sitzt Cabral derzeit im Gefängnis. Die öffentlichkeitswirksamen Ermittlungen trugen auch zur umstrittenen Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff bei, obwohl ihr bislang keine Beteiligung an den kriminellen Machenschaften nachgewiesen werden konnte. Zunächst ging es bei Lava Jato nur um die Veruntreuung von Geldern des staatlichen brasilianischen Erdölkonzerns Petrobras für die Wahlkampfkassen von brasilianische Parteien. Doch je weiter die Ermittler*innen bohrten, desto mehr kam zum Vorschein. Schnell ging es auch um den Baukonzern Odebrecht und der Skandal zog  internationale Kreise.
Da die Schmiergeldzahlungen unter anderem über die Schweiz und die USA liefen, klagten die beiden Länder vor einem New Yorker Gericht gegen Odebrecht. Im vergangenen Dezember stimmte das Unternehmen einer Strafe von 3,5 Milliarden Dollar zu, der höchsten Summe, die je in solch einem Fall gezahlt wurde. Odebrecht hatte vor  Gericht zugegeben, in den Jahren von 2001 bis 2014 etwa 788 Millionen US-Dollar Schmiergeld in zwölf Ländern Lateinamerikas und Afrikas gezahlt zu haben, um an öffentliche Aufträge zu kommen. Seitdem kommen die Ermittlungen nicht mehr zur Ruhe.

In der Dominikanischen Republik wurden die Büroräume von Odebrecht durchsucht. In Venezuela fror die Justiz Ende Februar die Konten des Unternehmens ein, auch hier hatten Militärs Büroräume durchsucht. Der Präsident Panamas, Juan Carlos Varela, soll ebenfalls Bestechungsgelder der Firma entgegengenommen haben. In Kolumbien wurde der ehemalige Vizeminister für Transportwesen, Gabriel García Morales, verhaftet, weil er gegen Schmiergelder den Auftrag für den Bau einer Überlandstraße an Odebrecht vergeben haben soll.
Viele Politiker*innen versuchen, die Odebrecht-Aussagen zu nutzen, um ihren politischen Gegner*innen zu schaden. In Ecuador, wo am 21. Februar die erste Runde der Präsidentschaftswahlen stattfand, versuchte die Opposition die Anschuldigungen gegen die Regierung zu verwenden, um dem Kandidaten von Präsident Rafael Correa zu schaden. In Venezuela, wo die Auseinandersetzungen zwischen Opposition und Regierung sich in den letzten Monaten massiv zugespitzt hatten, versucht die Regierung den Skandal für sich zu nutzen. Der sozialistische Präsident Nicolás Maduro hatte Mitte Februar erklärt: „Ein Gouverneur hat Geld von Odebrecht angenommen und dafür wird er ins Gefängnis gehen!“ Die Anschuldigungen gingen in Richtung des Oppositionsführers und Gouverneurs des Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles, der die Vorwürfe von sich wies.

Tatsächlich erstrecken sich die Vorwürfe über alle politischen Lager hinweg. Offenbar zahlte Odebrecht in die Wahlkampfkassen sowohl linker als auch rechter Politiker*innen, um danach eine Bevorzugung bei der Vergabe von Aufträgen zu erhalten. In Argentinien gibt es Hinweise, dass Odebrecht korrupte Verbindungen sowohl zu den linken Ex-Präsidenten Néstor und Cristina Kirchner als auch zum rechten Präsidenten Marcelo Macri unterhielt.
Der spektakulärste Fall des Odebrecht-Skandals ist sicher Peru. Praktisch alle Präsidenten, die das Land von 2001 bis 2016 regiert haben, sollen von Odebrecht bestochen worden sein. Gegen den Ex-Präsidenten Alejandro Toledo (2001-2006) ist ein internationaler Haftbefehl ausgesetzt, er soll 20 Millionen Dollar erhalten haben und dafür den Auftrag für den Bau der „Interozeanischen Straße Süd“ zwischen Peru und Brasilien an Odebrecht vergeben haben. Toledos derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt.

Um das ganze Ausmaß des Skandals zu erfassen, wollen die Staatsanwaltschaften der betroffenen Länder bei den Ermittlungen zusammenarbeiten. Am 18. und 19. Februar trafen sich in Brasília Generalstaatsanwält*innen aus 15 Ländern, mehrheitlich aus Lateinamerika und Afrika, um sich über ihren jeweiligen Untersuchungsstand auszutauschen. Zehn Staaten unterschrieben ein Abkommen, das unter anderem internationale Ermittler*innenteams vorsieht. Es ist die größte internationale juristische Kooperation, die je zu einem Korruptionsfall  in Lateinamerika stattfand.

Die Zusammenarbeit wird wohl auch nötig werden, denn das komplizierte Netz von Odebrechts Zahlungen zu entflechten, wird eine schwierige Aufgabe. Mehrere Briefkastenfirmen und Banken in Steuerparadiesen waren dabei involviert. Das Unternehmen ging so weit, eine Bank auf Antigua und Barbados aufzukaufen, um Zahlungen abzuwickeln. Die panamaischen Behörden ermitteln in diesem Zusammenhang auch gegen die Anwaltskanzlei Mossack Fonseca, die schon bei der Veröffentlichung der Panama Papers eine Hauptrolle spielte.
Als Hauptplaner dieses kriminellen Netzwerks wird der Firmenchef und Gründererbe, Marcelo Odebrecht selbst, angesehen. Im vergangenen Jahr ist er in Brasilien zu 19 Jahren Haft wegen Bestechung, Geldwäsche und anderer Delikte verurteilt worden. Durch seine Kooperation mit der Justiz wird er seine Strafe vermutlich halbieren können, zudem wird wohl ein Teil in offenen Vollzug umgewandelt. Insgesamt haben 77 Ex-Manager*innen von Odebrecht im Rahmen von Kronzeug*innenregelungen ausgesagt. Mehrere Medien warnen davor, die Anschuldigungen der Ex-Odebrecht Manager*innen zu ernst zu nehmen: Schließlich beschuldigten da Kriminelle andere, um ihre eigene Haut zu retten.

Bislang unterliegen die Aussagen der Ex-Manager*innen noch der Geheimhaltung, da es um laufende Ermittlungen geht. Nur tröpfchenweise kommen Gerüchte zutage. Viele Politiker*innen – insbesondere die von den Anschuldigungen betroffenen – verlangen nun, dass die Geheimhaltung aufgehoben wird: Die kleinen Nadelstiche schaden mehr, als die Explosion einer großen Bombe. Vor allem können sie wohl besser an ihrer Verteidigung arbeiten, wenn sie wissen, was ihnen vorgeworfen wird.

Die Opposition in Brasilien glaubt, dass die Regierung nun bei ihrer Verteidigung gegen ein drohendes Odebrechtbeben ein gutes Stück vorangekommen ist. Am 22. Februar wurde Alexandre de Moraes als neues Mitglied des Obersten Gerichtshofs bestätigt. Michel Temer hat den ehemaligen Justizminister und Ex-Mitglied der PMDB als Nachfolger für den im Januar tödlich verunglückten obersten Richter Teori Zavasci bestimmt (siehe LN 512). Zavasci war für die Beurteilung der Aussagen der 77 Ex-Manager*innen von Odebrecht zuständig. Nun glauben Regierungskritiker*innen, dass die Regierung mit Moraes einen Vertrauensmann in das Gericht gehievt hat, um der politischen Klasse die Schlinge aus dem Hals zu ziehen. Andererseits sind die Ermittlungen und Enthüllungen bereits so fortgeschritten, dass es unwahrscheinlich erscheint, dass die alten Eliten so korrupt weiter regieren können wie bisher. In der Dominikanischen Republik gab es im Januar bereits Massenproteste, die ein Ende der Straflosigkeit in dem Korruptionsskandal verlangten.

Vielleicht hat der Fall des Bauriesen also positive Folgen für die Region. In einen Kommentar für die brasilianische Zeitung Estadão schrieb der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa ironisch, man müsse vielleicht in ein paar Jahren ein Denkmal für Odebrecht errichten: Schließlich hätten die Aussagen der Manager*innen das in Lateinamerika so virulente System Korruption zu Fall gebracht.
Noch ist es zu früh, um zu beurteilen, ob der Odebrecht-Skandal wirklich zu tiefgreifenden politischen Veränderungen führt. Aber der Skandal zeigt deutlich, wie die lateinamerikanischen Demokratien von finanziell potenten Privatinteressen untergraben werden.

Der peruanische Anthropologe und Amazonienexperte Alberto Chirif weist darauf hin, dass viele Bauprojekte, an denen Odebrecht und geschmierte Politiker*innen verdient haben, womöglich nur aufgrund der korrupten Machenschaften beschlossen wurden. Als Beispiel nennt er die erwähnte Interozeanische Straße-Süd in Peru. Als das Projekt 2005 beschlossen wurde, hieß es, es würde den Handel zwischen Brasilien und Peru beleben. Doch sechs Jahre nach der Eröffnung der Straße sieht die Realität anders aus: Kaum ein brasilianisches Unternehmen nutzt die relativ schmale Straße, die mehr als 5.000 Höhenmeter überwindet. Das Projekt war ein absoluter Fehlschlag. In einem Kommentar für das Nachrichtenportal SERVINDI schreibt Chirif, dass dies den politischen Entscheidungsträgern um Präsident Toledo schon vorher klar war. Sie hätten bewusst gelogen, weil sie von Odebrecht geschmiert wurden: „Das eigentliche Ziel, das mit der Straße erreicht werden sollte, war allein ihr Bau.“ Laut Chirif ging es von Anfang an nur darum, öffentliche Gelder zu privatisieren. Die beteiligten Politiker*innen machten sich zu Kompliz*innen, da ihre eigenen Wahlerfolge von den Schmiergeldzahlungen des Baukonzerns abhingen.

Und auch beim Bau des „Schönen Monsters“ Belo Monte mag eine ähnliche Motivation eine Rolle gespielt haben. Gegen den Bau sind insgesamt 25 Klagen anhängig, zahlreiche Gesetze zum Schutz von indigenen Gemeinschaften und der Umwelt wurden missachtet. Doch der Bau wurde immer wieder von der Exekutive mit dem Verweis auf „nationale Interessen“ gegen die Judikative durchgesetzt. Das Ausmaß der Schmiergeldzahlungen wirft nun die Frage in den Raum, in wessen Interesse die Regierung damals agierte: in dem der Bevölkerung oder in dem der beteiligten Konzerne?


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ZUKUNFT OHNE IDEEN

Den Wahlslogans nach zu urteilen, hat die Bevölkerung Ecuadors bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen keine Wahl. „Die Vergangenheit kommt nicht zurück“, heißt es etwa auf einem Wahlplakat von Lenín Moreno, Präsidentschaftskandidat der amtierenden Regierungspartei Ecuadors, Alianza País – Aufrechtes und Souveränes Vaterland (AP). Sein Rivale Guillermo Lasso, Bankier und Parteivorsitzender der demokratisch-liberalen Partei Creando Oportunidades (CREO), wirbt mit dem Spruch „Auf zur Veränderung“. Nach zehn Jahren an der Macht muss AP diesmal hart für die Wiederwahl kämpfen. Wenngleich es der Partei unter dem Präsidenten Rafael Correa gelang, den Anteil der armen Bevölkerung von 31,8 auf zwölf Prozent zu senken und erhebliche Investitionen im Bereich der Infrastruktur vorzunehmen, veränderte sie nicht Ecuadors strukturelle wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ressourcenabbau. Seit seiner Unabhängigkeit ist Ecuador vom Export von Kakao und Bananen abhängig, Mitte der 1970er Jahre kam das Erdöl hinzu.

Paco Moncayo ist der einzige Kandidat, der sich gegen weitere Rohstoffausbeutung ausspricht.

Rafael Correa trat bei den Wahlen 2006 noch mit dem Versprechen an, diese wirtschaftliche Abhängigkeit einzuschränken, doch schon bald war von diesem Vorhaben nichts mehr zu hören. Während AP die junge Demokratie Ecuadors (seit 1979) zunächst stärkte, machte sie seit 2013 vermehrt durch Menschenrechtsverletzungen und einem autokratischen Regierungsstil auf sich aufmerksam. Die progressiv-technokratische Regierung steht für einen Bruch mit den neoliberalen Vorgängerregierungen. Gleichzeitig sind alle Regierungen Ecuadors in ihrem Handeln durch die wirtschaftlichen Bedingungen eingeschränkt. Seit 1999 besitzt Ecuador keine eigene Währung mehr und ist mehr denn je vom US-amerikanischen Dollar abhängig. Hierdurch hat das Land keine eigene Währungspolitik mehr. Rafael Correa hat dies stets kritisiert, ändern konnte er es jedoch nicht. Er reiht sich ein in die Liste der progressiven Regierungen Lateinamerikas, die mit der Präsidentschaft Hugo Chávez’ in Venezuela 1999 eingeläutet wurden. Diese Zeit wurde geprägt durch die Gründung des UNASUR-Verbundes, welcher anstrebte, die Idee der Europäischen Union auf Südamerika zu übertragen. Außerdem versuchten sich die südamerikanischen Länder aus der Vormundschaft der USA zu befreien und die wirtschaftlichen Beziehungen mit anderen Ländern, wie China, auszubauen.

Die Trendwende hat längst begonnen: In Argentinien wurden die Linksperonisten von einer rechtskonservativen Partei unter Mauricio Macri abgelöst; in Venezuela regiert seit zwei Jahren politisch und wirtschaftlich das Chaos; Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff wurde durch ein Amtsenthebungsverfahren entmachtet.

In Ecuador sorgte die Regierung von Rafael Correa für die Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahr 2008, in welcher das Konzept des Buen Vivir (Gutes Leben) zum übergeordneten Staatsziel und die Natur zu einem eigenen Rechtssubjekt erklärt wurde. Dennoch entfernte sich Correa von der anfänglich revolutionären Umweltpolitik als er im Jahr 2013 bekannt gab, die Erdölquellen im ecuadorianischen Naturschutzgebiet Yasuní-ITT fördern zu wollen, nachdem der UN-Treuhandfonds zur Kompensation für die Nichtförderung nicht ausreichend Mittelzuflusss bekam. Im Umgang mit Protesten gegen die Ressourcenausbeutung zeigte die ecuadorianische Regierung ein vermehrt autokratisches Vorgehen. Das jüngste Beispiel hierfür war die angestrebte Schließung der umweltpolitischen Nichtregierungsorganisation Acción Ecológica im Dezember 2016. Die Regierung warf der Organisation vor, die gewalttätigen Proteste des indigenen Shuar-Volkes gegen ein Bergbauprojekt in der Region Cordillera del Condor unterstützt zu haben. Bei den Demonstrationen sind bereits drei Aktivisten zu Tode gekommen, zuletzt starb zudem ein Polizist.

Der Versuch, die NGO zu schließen, scheiterte jedoch im Januar 2017, weil die ecuadorianische Regierung nicht genug Beweise für den Vorwurf verfassungswidriger Handlungen seitens der Acción Ecológica vorlegen konnte und die zuständigen Behörden beschlossen, das Verbotsverfahren einzustellen. Wenngleich das Vorgehen gegen Acción Ecológica Medienaufmerksamkeit erzeugte, ist die Rohstoffausbeutung in diesem Wahlkampf ein Randthema.

Der einzige Kandidat, der sich zum Thema Ressourcenausbeutung kritisch positioniert, ist Paco Moncayo. Der 73-jährige ehemalige Militärbefehlshaber wird von drei linken Parteien unterstützt. Von 2000 bis 2009 war er Bürgermeister Quitos unter der Partei Demokratische Linke. Danach wurde er als Abgeordneter in das Parlament gewählt. Unter seine Zeit als oberster Militärsbefehlshaber fiel der Cenepa-Krieg, der bis datot letzte bewaffnete Konflikt zwischen Peru und Ecuador 1995.

Außerdem entschied er 1997, dass sich das Militär nicht in die vom ecuadorianischen Kongress entschiedene Abberufung des damaligen Präsidenten Abdalá Bucaram einmischen würde. Heute spricht er sich für die Beendigung der Erdölförderung im Yasuní-ITT aus. Außerdem möchte er die nationale und internationale Verschuldung Ecuadors auf den Prüfstand stellen und die Abtreibung entkriminalisieren.

Bei den Wahlen am 19. Februar tritt er gegen den bereits erwähnten Kandidaten der Regierungspartei AP, Lenín Moreno, an. Der amtierende Vizepräsident Jorge Glas unterstützt diese Kandidatur und kandidiert selbst für die Fortführung seines Amtes. Themen, die sich AP auf die Fahnen geschrieben hat, ist die Intensivierung der Erdölförderung und Investitionen in einheimische Raffinerien. Auch die geplanten Projekte des offenen Tagebaus im Amazonas und in den Anden sollen verwirklicht werden, um die Wirtschaft weiter anzukurbeln. Zudem will der 63-jährige Moreno Steuerparadiese kontrollieren und bekämpfen.

Als einzige Kandidatin präsentiert sich Cynthia Viteri von der rechtskonservativen Sozialchristlichen Partei. Die Partei hat besonders an der Küste Unterstützer*innen, in urbanen Sektoren sowie bei der ländlichen Bevölkerung. Sie steht der Agrarwirtschaft nahe. Die 51-Jährige möchte die Steuern senken, um private Investitionen attraktiver zu machen. Außerdem wirbt sie für den Austritt aus den Verbünden UNASUR und der Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA), um den Handel mit den USA auszubauen.

Eine noch radikalere neoliberale Politik will auch der anfangs genannte Guillermo Lasso einführen. Der Ex-Bankier gründete seine ebenfalls rechtskonservative Partei CREO erst 2013 und war unter der Regierung von Jamil Mahuad Wirtschaftsminister und mitverantwortlich für die Einführung des Dollars in Ecuador 1999. Jetzt will er die Austeritätspolitik Ecuadors ausweiten, Privatinvestitionen ausbauen, Freihandelsabkommen im pazifischen Raum abschließen und den Arbeitsmarkt flexibilisieren. Dieses neoliberale Turboprogramm soll den Wiederaufbau der durch das Erdbeben zerstörten Gebiete ermöglichen.

Das Thema, das die Diskussionen anregt und zu dem es die meisten Vorschläge gibt, ist die Arbeitslosigkeit. Seit dem Verfall des Erdölpreises im November 2008, befindet sich die vom Erdöl abhängige ecuadorianische Wirtschaft in einem rezessiven Zyklus, was sich in prekären Arbeitsverhältnissen widerspiegelt. Vor diesem Hintergrund macht der Kandidat Lasso ein Angebot an die Wähler*innen: „Wir schlagen etwas Einfaches vor: Wir schaffen eine Million Arbeitsplätze in den nächsten vier Jahren.“ Doch wie das gehen soll, bleibt sein Geheimnis. Weiterhin spricht er die Themen an, um welche sich die Menschen in Ecuador am meisten sorgen. „Unsere Feinde sind die Armut, die Ungerechtigkeit und die Arbeitslosigkeit.“

Der progressive Kandidat Moncayo zielt in seiner Kampagne auch auf die Arbeitslosigkeit ab: „Wir werden Arbeitsplätze schaffen, indem wir Trinkwasserversorgung, Kanalisationsnetze und Wohnungen für 3,5 Millionen Ecuadorianer bauen.“ Die Trinkwasserversorgung und das Kanalisationsnetz für die armen Viertel im Süden der Hauptstadt Quito waren in seiner Amtszeit als Bürgermeister eine seiner Hauptsorgen. Der Kandidat der amtierenden Regierung, Moreno, schlägt seinerseits vor, einen Teil der Gelder, die durch die Einkommenssteuer vom Staat eingenommen werden, in Kredite für junge Unternehmer zu verwandeln: „Die Nutzung der Einkommenssteuer wird teilweise die Einstellung von jungen Leuten in Firmen erlauben, was ungefähr 140.000 Arbeitsplätze schaffen wird.“

Nicht nur beim Thema Arbeitslosigkeit zeigt sich: Große Unterschiede gibt es zwischen den Kandidat*innen nicht. Lediglich Moncayo hebt sich in puncto Umweltpolitik etwas von den anderen Bewerber*innen ab. Eine richtige Wahl haben die Ecuadorianer*innen bei dieser Präsidentschaftswahl allerdings nicht.


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MIT DER ARMEE GEGEN DIE SHUAR

Frau Martínez, was wirft die ecuadorianische Regierung Ihrer Organisation vor?
Wir sollen im Fall des Bergbaukonflikts in der Cordillera del Cóndor mit unseren öffentlichen Erklärungen und unseren Tweets zur Gewalt aufgerufen haben, gegen unsere offiziell anerkannten Ziele verstoßen und uns verbotenerweise in die Politik eingemischt haben. Alles auf der Grundlage des Dekrets 16 aus dem Jahr 2013, das die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen staatlichen Interessen unterwirft. Wir haben diese Anschuldigungen zurückgewiesen.

Das Umweltministerium ist Ihnen schließlich gefolgt und hat den Antrag des Innenministeriums auf Auflösung am 12. Januar zurückgewiesen. Um was geht es im Konflikt in der Cordillera del Cóndor im südlichen Amazonasbecken Ecuadors?
Das ganze Gebiet war ein Naturschutzgebiet, es weist eine sehr hohe Biodiversität auf, viele Flüsse und Wasserfälle, und ist außerdem angestammtes Territorium der Shuar-Indigenen. Diese leben nicht nur vom Wald, sondern sie leben eine tiefe spirituelle Verbindung mit der Natur. Bereits am Anfang der Regierung Correa im Jahr 2007 wurde aufgrund von Bergbauinteressen das Naturschutzgebiet aufgehoben, während andere politische Strömungen im Rahmen der verfassunggebenden Versammlung mit dem ‘Bergbaumandat’ alle Bergbaukonzessionen außer Kraft setzten, um den Extraktivismus zu bremsen. Seitdem wurde immer wieder versucht, in diesem Gebiet mit dem industriellen Bergbau zu beginnen. Zuerst war ein kanadisches Unternehmen involviert und jetzt ein chinesisches, Explorcobres. Es kam zu Konflikten, wem das Land gehört, die vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsstudie wurde niemals durchgeführt und auch nicht die vorherige Konsultation, ein international verbrieftes Recht im Rahmen der Selbstbestimmung indigener Völker. In diesem Zusammenhang sind bereits drei Shuar ums Leben gekommen, ohne dass ihr Tod aufgeklärt worden wäre, und im Dezember 2016 starb bei der Besetzung eines Bergbaucamps ein Polizist.

Wie haben Sie diesen Konflikt begleitet?
Wir haben darüber informiert, was in diesem abgelegenen Gebiet geschieht, haben die Umweltverträglichkeitsstudie angemahnt, die Lokalbevölkerung über ihre Rechte aufgeklärt. Aber eigentlich geht es darum, dass Acción Ecológica aufgrund ihrer Ablehnung der extraktiven Politik unbequem ist, das internationale Ansehen der Regierung schädigt und deshalb mundtot gemacht werden soll. Es wird immer wieder versucht zu verbieten, mit den Indigenen solidarisch zu sein, Kundgebungen zu organisieren und sogar die digitalen Netzwerke zu nutzen.

Fast gleichzeitig mit der Nachricht, dass Acción Ecológica nun doch nicht aufgelöst wird, hat die Regierung den Ausnahmezustand in der Cordillera del Condor verlängert, der schon seit Mitte Dezember gilt, und damit auch die Präsenz der Armee in den indigenen Gebieten. Die Versammlungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit sind damit in dem betreffenden Gebiet außer Kraft gesetzt. Der Shuar-Sprecher Agustín Wachapá sitzt seit dem 17. Dezember im Gefängnis, weil er Unruhe gestiftet haben soll…
Ja, die Situation ist sehr kritisch. Die anderen Shuar, die außer Wachapá noch verhaftet worden waren, sind zwar in den letzten Tagen wieder freigekommen, aber der Konflikt geht weiter. Die Bergbau-Aktivitäten sind momentan gestoppt.

Sie haben an der Verfassung von 2008 mitgewirkt, die international berühmt geworden ist, weil sie der Natur Rechte zuschreibt und im Rahmen der sogenannten Plurinationalität und des Guten Lebens auch indigene Rechte erweitert. Was ist aus diesen Rechten geworden?
Keines dieser Rechte ist im Fall der Cordillera del Condor respektiert worden. Die Verfassung zielt auf ein grundsätzlich anderes Wirtschaftsmodell ab. Die Indigenen wurden an so wichtigen Richtungsentscheidungen, wie ob Ecuador in den industriellen Bergbau einsteigen soll oder nicht, in keiner Weise beteiligt. Bergbau ist eine der Wirtschaftsaktivitäten, die die Natur am gründlichsten zerstört. Aufgrund von Wirtschaftsinteressen haben wir uns vom Modell des Guten Lebens vollkommen verabschiedet.

In Ecuador ist Wahlkampf, im Februar werden Präsident und Parlament gewählt. Intellektuelle wie der Brasilianer Emir Sader werfen Ihnen und anderen, die sich mit Ihnen solidarisieren, vor, durch Ihre Kritik an der Correa-Regierung die Fortführung des Projekts der Bürgerrevolution zu gefährden. Was würden Sie Emir Sader erwidern?
Leute wie er sind durch ihr Wegschauen mitverantwortlich dafür, dass sich die Rechte innerhalb der progressiven Regierungen Lateinamerikas immer mehr ausgebreitet hat. Die Leute, die in der ecuadorianischen Regierung den Bergbau vorantreiben, sind Rechte, die die Interessen bestimmer Wirtschaftseliten vertreten. Wir alle waren dafür verantwortlich, rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass diese Regierung eine falsche Richtung einschlägt und sich vom in der Verfassung vorgezeichneten Weg entfernt. Durch ihr Schweigen machen diese Leute sich mitschuldig an all der illegalen Bereicherung, all den Menschenrechtsverletzungen, der Landnahme, der Verwüstung ganzer Landstriche durch den Extraktivismus – und daran, dass hier ein ganz anderes politisches Projekt, das gangbar erschien, aufgegeben wurde.

Was wird der nächste Schritt von Acción Ecológica sein?
Wir sind der Überzeugung, dass wir die Wahrheit ans Licht holen müssen, wir arbeiten an der Einrichtung einer Wahrheitskommission darüber, was mit den Rechten der Natur und der Indigenen geschieht. Wir müssen publik machen, wie Naturschutzgebiete von der Regierung einfach umdefiniert werden, wie die vorgeschriebene Vorab-Befragung der Indigenen übersprungen wird, was für Umweltprobleme der Bergbau bereits jetzt in dem Gebiet verursacht hat.


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// MASKIERTER FREIHANDEL

Die Europäische Union zeigte sich zufrieden. „Dieses Abkommen ist ein Meilenstein in den Beziehungen zwischen Ecuador und der EU und schafft die richtigen Rahmenbedingungen, um Handel und Investitionen auf beiden Seiten anzukurbeln“, ließ Handelskommissarin Cecilia Malmström am 11. November verlauten. Anlass für die freudigen Worte war der nachträgliche Beitritt Ecuadors zu dem offiziell als „multilaterales Handelsabkommen“ bezeichneten Freihandelsvertrag zwischen der EU, Kolumbien und Peru.

Es wirkt, als hätte die ecuadorianische Regierung innerhalb weniger Jahre eine wirtschaftliche Kehrtwende vollzogen. Anfang 2007 kamen Präsident Rafael Correa und die sogenannte Bürgerrevolution mit einem Programm an die Macht, das sich entschieden gegen Freihandel richtete. Kurz zuvor, im Jahr 2005, hatte der Druck aus der Zivilgesellschaft und das Aufkommen progressiver Regierungen in Lateinamerika der von den USA propagierten gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA den Todesstoß verpasst. Im Jahr 2009 scheiterte das von der EU geplante Assoziierungsabkommen mit der Andengemeinschaft, weil sich die mittlerweile linken Regierungen Boliviens und Ecuadors dagegen aussprachen. Übrig blieb ein Freihandelsvertrag mit Kolumbien und Peru, auch wenn die EU den tatsächlichen Charakter ihrer Wirtschaftsabkommen mit dem globalen Süden meist hinter leeren Worthülsen zu verschleiern weiß. Das ist dem Wirtschaftswissenschaftler Correa nicht erst seit gestern bewusst. „Die Europäische Union kann dem Ganzen noch so hübsche Name geben, aber es geht ihr darum, uns in ein Freihandelsabkommen zu führen, und das akzeptieren wir nicht“, hatte er im Jahr 2009 unmissverständlich klar gestellt. Wenige Jahre später nahm Ecuador die Verhandlungen wieder auf und erzielte bereits 2014 eine vorläufige Einigung mit der EU.

Einen Widerspruch zu seiner heutigen Haltung will Correa aber nicht erkennen. „Das mit der EU unterzeichnete Abkommen kann man nicht als Freihandelsabkommen bezeichnen, weil es eine Reihe von Beschränkungen vorsieht, die unsere kleinen Produzenten, den Agrarsektor, das öffentliche Beschaffungswesen schützen“, erklärte er nun. Überhaupt habe er es nur deshalb ausgehandelt, weil Ecuador sonst die Vorzugszölle des Allgemeinen Präferenzsystems verlieren würde, mit dem die EU Ecuador Zollerleichterungen auf ausgewählte Exportprodukte wie Bananen gewährt.

Natürlich war die EU wie auch in anderen Fällen nicht zimperlich, ihre eigenen Handelsinteressen durchzusetzen. Und tatsächlich hätte das Abkommen noch schlimmer ausfallen können, wenn Ecuador nicht einige Ausnahmen und Übergangsfristen ausgehandelt hätte. Darunter fallen etwa die graduelle Absenkung der Einfuhrzölle auf einige sensible Bereiche wie Milchprodukte oder ein Verzicht auf die umstrittenen Schiedsgerichte zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten. Doch im Kern handelt es sich eben doch um ein Freihandelsabkommen, von dem in dem Andenland in erster Linie Großproduzent*innen aus den Exportsektoren Bananen, Blumen und Krabbenzucht profitieren, während Kleinproduzent*innen in vielen Bereichen unter Druck geraten werden.

Eine Kehrtwende der ecuadorianischen Wirtschaftspolitik ist das aber nur auf den ersten Blick. Seit Jahren schon entfernt sich die Regierung nach und nach von ihren früheren Grundsätzen. Sie setzt mit teilweise autoritären Methoden, flankiert von ökosozialistischer Rhetorik, auf eine neoliberale Modernisierung des Kapitalismus. Statt eine integrale Agrarreform durchzuführen, werden beispielsweise großflächig Bergbauprojekte geplant. Somit hinterlässt der erklärte Freihandelsgegner Correa, der bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im Februar 2017 nicht noch einmal antreten wird, seinen Landsleuten ein ganz besonderes Abschiedsgeschenk: Ein Freihandelsabkommen, das nicht beim Namen genannt werden soll.


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